Beethoven: Grand Trio pour le Piano-Forte avec un Clarinette ou Violon, et Violoncelle… Oeuvre XI.me („Gassenhauer-Trio“, B-Dur)

Ludwig van Beethoven

* 16. Dezember 1770
† 26. März 1827

Grand Trio pour le Piano-Forte avec un Clarinette ou Violon, et Violoncelle… Oeuvre XI.me („Gassenhauer-Trio“, B-Dur)

Komponiert:Wien, erste Hälfte 1798
Widmung:Gräfin Maria Wilhelmine von Thun und Hohenstein, geb. von Uhlefeld (1744-1800)
Uraufführung:nicht dokumentiert.
Die früheste belegte Aufführung fand um 1800 im Palais des Reichsgrafen Moritz von Fries (Josefsplatz 5, heute Palais Pallavicini) statt; Pianist dieser Aufführung war Daniel Gottlieb Steibelt (1765-1823).
Erstausgabe:Mollo & Co., Wien, Oktober 1798

Mit diesem Werk hat Beethoven ein Genre begründet, das sich bis in die Gegenwart als legitime Seitenlinie des „klassischen“ Klaviertrios behauptet und bewährt hat. Die aparte Besetzungsidee trägt der in der Entstehungszeit des Werkes stetig wachsenden kammermusikalischen Bedeutung der Klarinette Rechnung, die sich ja auch im Mozartschen Spätwerk niederschlägt (Quintett KV 452, Trio KV 498, Quintett KV 581). Es besteht einiger Grund zu der Annahme, daß auch Beethoven – ähnlich wie Mozart, Weber und Brahms – erst durch die Bekanntschaft mit einem Klarinettisten zur Komposition jener drei Kammermusikwerke angeregt wurde, in denen er mithalf, diesem Instrument den Weg aus der Orchester- und Blasmusik in die Klavier- und Streicherkammermusik zu bahnen: Jedenfalls fällt im Zusammenhang mit den frühesten dokumentierten Aufführungen dieser Werke – des 1797 beendeten Quintetts op.16, unseres Trios und des Septetts op.20 (1799/1800) – immer wieder der Name des Klarinettisten Joseph Beer. Hierbei handelt es sich aber nicht, wie oft angenommen, um den in Paris, St.Petersburg und Berlin erfolgreichen böhmischen Virtuosen Johann Joseph Beer (1744-1812), der 1791 auf der Durchreise in Wien mit Mozart musiziert hatte, sondern um dessen jüngeren (Beinahe-) Namensvetter, der, im selben Jahr wie Beethoven geboren, vielleicht bis 1794 in Wallerstein und danach als Mitglied der Fürstlich Liechtensteinschen Hofkapelle in Wien wirkte (wo er 1819 starb).

In kaum einer Besprechung des Beethovenschen Opus 11, dem der anbiedernde Beinamen „Gassenhauer-Trio“ anhaftet, wird auf Worte wie „Gelegenheitskomposition“ oder „Gebrauchsmusik“ verzichtet. Es scheint, als würden viele Zuhörer schon allein aus Beethovens Abweichen von der Instrumentationsnorm des Klaviertrios einen – gegenüber der programmatischen Emblematik der Trios op.1 – reduzierten Anspruch ableiten. In Wahrheit bezeichnet aber dieses Werk einen weiteren Schritt auf Beethovens singulärem Entwicklungsweg und verdient nicht nur wegen seiner auch nach mehr als zweihundert Jahren noch immer ungebrochen andauernden Popularität (die vielleicht die Zurückhaltung der Musikwissenschaft herausfordert) besondere Beachtung.

Am Kopfsatz (Allegro con brio) läßt sich beispielhaft verfolgen, mit welcher Akribie und Präzision Beethoven die Hörgewohnheiten und Erwartungen seines Publikums zu irritieren und so die Aufmerksamkeit beständig wachzuhalten versteht. Die Kritik des anonymen Rezensenten der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung, Beethoven „würde… viel Gutes liefern…, wenn er immer mehr natürlich als gesucht schreiben wollte“, zielt genau auf diesen Umstand ab. Daß sie den meisten heutigen Hörern nur schwer nachvollziehbar sein wird, hat wohl in erster Linie mit der Patina einer zweihundertjährigen Rezeptions- und Interpretationsgeschichte zu tun. Aber „wörtlich genommen“ hat Beethovens Text auch heute nichts von seiner pointierten und von den Zeitgenossen gerügten „Gesuchtheit“ eingebüßt. Daß wir uns dabei nicht mehr auf das (verschollene) Autograph berufen können, sondern uns mit dem sicher fehlerhaften Erstdruck begnügen müssen, ist in diesem Falle besonders schmerzlich; denn eine solche Häufung „unnatürlicher“ und „unmusikalischer“, also dem liebgewordenen Herkommen entgegenlaufender Details ist selbst bei Beethoven nicht alltäglich, und man kann fast sicher sein, daß manches kostbare Detail der Routine des Stechers zum Opfer gefallen ist. (Man sollte vielleicht daran erinnern, daß die Erstausgabe in der Offizin jenes Tranquillo Mollo entstand, über dessen Arbeit Beethoven anläßlich des Erscheinens der Streichquartette op.18 klagen wird: „das heiß ich stechen, in Wahrheit meine Haut ist ganz voller Stiche und Rize – von dieser schönen Auflage…“ [an Hoffmeister & Kühnel, 8. April 1802].)

Das folgende Adagio con espressione (Es-Dur) mutet wie eine seelenvolle und gedankentiefe Schwester des leutseligen Es-Dur-Menuetts aus Beethovens Septett op.20 an – das diesem zugrundeliegende G-Dur-Klavierstück, das 1805 als Schlußsatz der Sonate facile op.49 Nr.2 erschien, ist jedenfalls vor unserem Trio entstanden. Der in schlichter dreiteiliger Liedform gehaltene Satz entführt uns mit den wenigen Takten seines Mittelteils in eine zutiefst romantische Klangwelt: Die durchaus nicht unerhörte „neapolitanische“ Wendung (über Es-moll nach E-Dur) bildet nur die harmonische Folie für einen Moment prophetischer Poesie, deren Zauber auch noch in die reich umspielte Reprise nachwirkt.

Namengebendes Glanz- und Kabinettstück des Werkes sind die abschließenden Variationen (Tema con variazioni. Allegretto) über die Arie Pria ch´io l´impegno aus Joseph Weigls Oper L´amor marinaro, die am 15. Oktober 1797 in Wien uraufgeführt worden war. Beethoven macht das Thema, das in jenen Monaten wirklich ein omnipräsenter Gassenhauer in Wiens Straßen war, zum Ausgangspunkt einer kompakten, überaus kunstvollen und in seinem Œuvre einzigartigen Variationenfolge. Denn wie sich bei näherer Betrachtung herausstellt, hat der Komponist hier das uns von Haydn her so wohlvertraute Prinzip der klassischen Doppelvariation um eine monothematische Variante bereichert – auf den ersten Blick ein wahres Paradoxon. Beethoven läßt hier in regelmäßiger Folge jeweils eine lyrisch-besinnliche auf eine dramatisch-zupackende Variation folgen, ein Verfahren, daß logischerweise auch die – innerhalb der Beethovenschen Klaviertrios sonst nur in den Dittersdorf-Variationen op.44 anzutreffende – Verdoppelung der traditionellen Minore-Variation zur Folge hat: die erste (Variation IV) entlockt dem biederen Thema völlig unerwartete elegische, ja tragische Töne, während in der zweiten (Variation VII) das Motiv des punktierten Rhythmus, das in der Vorlage nur eine völlig untergeordnete und ornamentale Rolle spielt, seine Krallen zeigt – es wird hier zum uneingeschränkten Alleinherrscher, dessen wildentschlossene Drohgebärden auf keiner italienischen Opernbühne ihre Wirkung verfehlen würden. Das dualistische Bauprinzip des Satzes bedingt auch den Verzicht auf das sonst (z.B. in op.44 und op.121a) mit gutem Effekt eingesetzte Mittel der drei „Solovariationen“; Beethoven ersetzt es hier durch die eröffnende Gegenüberstellung des Klaviers (Variation I), das sich mit komischer Ungeduld – nämlich ein ganzes Viertel zu früh! – auf das Thema stürzt, und der beiden Melodieinstrumente, die in Variation II ein von solchem Tatendrang völlig unberührtes, still-verträumtes Zwiegespräch halten. Das folgende Variationenpaar übersteigert diesen Kontrast noch, indem hier auf den tatendurstigen Optimismus der Variation III der entsagungsvolle Weltschmerz der schon erwähnten ersten Mollvariation folgt. Erst im dritten Anlauf gelingt es dem gipfelstürmenden Übermut Florestans (Variation V) Eusebius wenigstens ein Lächeln zu entlocken – mit der verspielten Variation VI scheint sich der Konflikt zwischen den beiden Welten zu entschärfen, eine Illusion, die das zweite Minore (Variation VII) mit monomanischer Radikalität zerstört. Die Antwort darauf ist ein Musterbeispiel Beethovenschen Humors und gleichzeitig der Wendepunkt des Satzes: Im nachfolgenden Maggiore (Variation VIII) erscheinen die beiden antagonistischen Charaktere das erste Mal gleichzeitig, wenn auch durchaus nicht vereint – der schwärmerische Belcanto wird von einem dynamisch völlig disproportionierten Klavierbaß (sempre forte) „begleitet“, und man hört förmlich das ob solcher skandalösen Messalliance indignierte Getuschel des P.T. Publikums. Die letzte Variation (IX) greift ein erstes und einziges Mal das Weiglsche Thema selbst auf, dem Beethoven bisher ja nur das harmonische und formale Gerüst entlehnt hatte; und ganz so, als wollte uns der Komponist nachträglich noch auf die Janusköpfigkeit des Satzes hinweisen, handelt es sich dabei um einen zweistimmigen Kanon. Den Übergang zum Finale bildet einer jener urkomischen und überlangen Diskanttriller, die der junge Beethoven mit Vorliebe zur Verblüffung seiner Zuhörer einsetzt (und die noch nichts davon erahnen lassen, in welche Regionen er uns ganz zuletzt, im Schlußsatz der Klaviersonate op.111, mit äußerlich ganz gleichen Mitteln entführen wird). Die kurze Verirrung des Klaviers in das entfernte G-Dur wird von den beiden Partnern souverän korrigiert, und dem traditionellen Sechsachtel-Schluß, dessen pikante Synkopen an das Finale des (gleichzeitig abgeschlossenen) Klavierkonzertes op.19 denken lassen, scheint nichts mehr im Weg zu stehen. Aber mit einer virtuosen Geste auftrumpfender Bescheidenheit holt Beethoven für die allerletzten vier Takte noch einmal den braven Joseph Weigl und sein tapferes Vierviertel-Thema vor den Vorhang.

Dieser Schlußsatz ist Gegenstand einer ganzen Reihe von Erzählungen, deren Wahrheitsgehalt nur mehr schwer nachzuprüfen ist. Philip Cipriani Potter (1792-1871), der ab 1818 in Wien studierte und mit Beethoven Kontakt hatte, will vom Verleger Artaria gehört haben, dieser selbst habe Beethoven das Thema mit der Bitte um Verwendung in einem Trio übergeben; Beethoven habe nicht gewußt, daß es sich um eine Komposition Weigls handle, und sei sehr ungehalten gewesen, als er es später erfahren habe. Wie wahrscheinlich das angesichts der ganz außerordentlichen Popularität des Liedes ist, das von Johann Nepomuk Hummel, Joseph Eybler, Abt Josef Jelínek, Friedrich Wilhelm Berner, sowie von Beethovens Konkurrenten Joseph Wölfl und Daniel Steibelt, ja zuletzt sogar noch im Jahre 1828 von Niccolò Paganini variiert wurde, sei dahingestellt. Daß aber Beethoven wirklich die Absicht gehabt hat, den Variationensatz durch ein anderes Finale zu ersetzen, wird uns auch von Carl Czerny bestätigt, der wiederum berichtet, Joseph Beer habe um die Verwendung des Themas gebeten. Diese Absicht läßt aber durchaus nicht den Schluß zu, Beethoven habe den Satz geringgeschätzt – Czerny betont ausdrücklich, der Komponist habe vielmehr daran gedacht, ihn als separates Werk erscheinen zu lassen. In der Tat ist das Auftreten so eigengewichtiger und selbständiger Variationen in der Funktion eines Finales ungewöhnlich; in Beethovens Klavierkammermusik finden wir überhaupt nur noch in zwei anderen Fällen Variationssätze an den Schluß gestellt, und beide Male (in den Violinsonaten op.30 Nr.1 und op.96) handelt es sich um wesentlich „homogenere“ und „linearere“, also den tektonischen Anforderungen eines Schlußsatzes eher entsprechende Stücke.
Der frühesten dokumentierten Aufführung des Stückes anläßlich eines der damals so beliebten „Wettspiele“, bei dem Beethoven auf Einladung von Reichsgraf Moritz von Fries mit dem überaus beliebten und erfolgreichen Scharlatan Daniel Steibelt konkurrieren sollte, der sich in Beethovens Opus 11 und in einem Klavierquintett eigener Komposition produzierte, folgte der uns von Ferdinand Ries anschaulich geschilderte Eklat zwischen den beiden Kontrahenten:

„Acht Tage später war wieder Concert beim Grafen Fries. Steibelt spielte abermals ein Quintett mit vielem Erfolg, hatte überdies (was man fühlen konnte) sich eine brillante Phantasie einstudiert und sich das nämliche Thema gewählt, worüber die Variationen in Beethovens Trio geschrieben sind, dieses empörte die Verehrer Beethovens und ihn selbst; er mußte nun ans Clavier, um zu phantasieren. Er ging auf seine gewöhnliche, ich möchte sagen, ungezogene Art ans Instrument wie halb hingestoßen, nahm im Vorbeigehen die Violoncellstimme von Steibelts Quintett mit, legte sie (absichtlich?) verkehrt aufs Pult und trommelte sich mit einem Finger von den ersten Takten ein Thema heraus. Allein, nun einmal beleidigt und gereizt, phantasierte er so, daß Steibelt den Saal verließ, ehe Beethoven aufgehört hatte, nie mehr mit ihm zusammenkommen wollte, ja es sogar zur Bedingung machte, daß Beethoven nicht eingeladen werde, wenn man ihn haben wolle.“

Da dieser letzte Bericht geeignet sein könnte, die verbreitete Vorstellung zu untermauern, Beethoven habe die Variationenform mit Vorliebe dazu benützt, seine Verachtung des vorgegebenen Themas auszudrücken, so muß dieser These an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich widersprochen werden: Wer sich auch nur einmal in ein Beethovensches Skizzenbuch vertieft hat, weiß, welch lapidare, ja banale Gestalt Beethovens eigene Gedanken bei ihrem ersten Auftreten zu haben pflegen. Niemand war daher berufener als Beethoven, die unausgeschöpften Möglichkeiten auch des allerbiedersten Themas zu erkennen und sie variierend zu entwickeln. Das Bild des Titanen, der sich am Entsetzen des ihm zwischen die Finger geratenen Zwerges weidet, paßt zwar gut zum Mythos Beethoven (der sich gerne auf Ausbrüche von Jähzorn und Hochmut wie den oben geschilderten beruft), ist aber kaum mehr als eine Karikatur. Ein Komponist, der es nicht verschmähte, eines seiner bedeutendsten und gedankentiefsten Werke mit einem Finale zu krönen, dessen Thema dem Kinderlied „Hopp, hopp, hopp, Pferdchen, lauf´ Galopp“ zum Verwechseln ähnlich sieht (V. Symphonie, op.67), hat gewiß auch noch das geringste der ihm in den Weg laufenden Themen geachtet. Was er mit Joseph Weigls Pria ch´io l´impegno schon bei der Vorstellung des Themas durch die Hinzufügung der frechen synkopischen Akzente anstellte, ist also nicht notwendigerweise als selbstbewußte Verspottung der Vorlage zu werten, denn Beethoven wußte sehr wohl, daß das Weiglsche Thema in all seiner Einfalt den dramaturgischen Anforderungen des Originals (eines Terzetts über den Text „Pria chi´io l´impegno magistral prenda, far vuó merenda“, also etwa: „Bevor ich mich ans große Werk mache, will ich noch tüchtig essen“) hervorragend entsprach. Man täte als gut daran, die Bewunderung für die Beethovenschen Variationskünste nicht untrennbar mit der Verächtlichmachung seiner Vorlagen zu verbinden; und daß auch der heute so gründlich vergessene Joseph Weigl über mehr Nuancen gebot als nur den Ton tölpelhafter Biederkeit, darf als gesichert gelten – immerhin hat kein geringerer als Joseph Haydn, Weigls Taufpate, in einem Brief an sein Patenkind bekannt: „Schon seit langer Zeit habe ich keine Musik mit solchem Enthusiasmus empfunden, als Ihre… Sie ist gedankenneu, erhaben, ausdrucksvoll, kurz ein Meisterstück.“ (11. Jänner 1794)

© by Claus-Christian Schuster

Zemlinsky: Trio d-moll op.3 [pf/cl/vlc]

Alexander Zemlinsky

* 14. Oktober 1871
† 15. März 1942

Trio d-moll op.3 [pf/cl/vlc]

Komponiert:Wien, 1896
Widmung:Johann Nepomuk Fuchs
Uraufführung:Wien, Festsaal des Wiener kaufmännischen Vereins
(I., Johannesgasse 4),11. Dezember 1896
Hugo Reinhold (1854-1935), Klavier
Fr. Blümel, Klarinette (1878-?), Klarinette
Friedrich Buxbaum (1869-1948), Violoncello
Erstausgabe:Simrock, Berlin, 1897

Prosaisches Vorspiel: Brahms als Juror

Zemlinskys Jugendjahre fallen mit dem Höhepunkt des für die Intrigenseligkeit des Wiener Kulturlebens so bezeichnenden Streites zwischen „Wagnerianern“ und „Brahmsianern“ zusammen. Wie tief und nachhaltig der durch diese mit den abstrusesten Mitteln geführte Auseinandersetzung war, kann man bei der Lektüre von Karl Kraus´ „Der Fall Kalbeck“ (Die Fackel Nr.158, 30. März 1904) erahnen. Obgleich Zemlinsky durch Herkunft und Ausbildung zum Anhänger der Brahms-Partei bestimmt war und auch an den Aktivitäten des „Wiener Tonkünstlervereins“, der in diesem ebenso erbitterten wie eigentlich sinnlosen Kampf das Bollwerk der Wagner-Gegner darstellte, regen Anteil nahm, so hatte er sich doch einen genügend unabhängigen und freien Blick auf die Dinge bewahrt und war alles andere als ein blinder Fanatiker. Arnold Schönberg, der mit Zemlinsky 1895 im Dilettantenorchester „Polyhymnia“ zusammentraf, berichtet:

„Als ich Zemlinsky kennenlernte, war ich ausschließlich Brahmsianer. Er aber liebte Brahms und Wagner gleichermaßen, wodurch ich bald darauf ebenfalls ein glühender Anhänger beider wurde…“
(Arnold Schönberg: My evolution)

Daß der Brahms-Biograph Max Kalbeck Zemlinsky totschweigt, kann man auch als Strafe für diese undogmatische Haltung betrachten.

Auch die „Polyhymnia“, deren Proben allwöchentlich im Augustinerbräukeller „Zur Tabakspfeife“ (Am Graben 29) stattfanden, war für die Animosität und Radikalität, mit der in diesen Jahren musikästhetische Fragen diskutiert wurden, anfällig: Bald nachdem Schönberg zu der Gruppe gestoßen war, bildete sich eine heftige Opposition gegen ihn, und nur dem energischen Eingreifen Zemlinskys war es zu danken, daß sich die Wogen glätteten – Schönberg sollte von der „Polyhymnia“ wenig später für sein Schilflied (nach Nikolaus Lenau) sogar den ersten Kompositionspreis seiner jungen Laufbahn erhalten.

Etwa zur gleichen Zeit, als Zemlinsky seinen zukünftigen Schwager Schönberg kennenlernte, kam es auch zu einer ersten „offiziellen“ Begegnung mit Brahms. Daß dieses Zusammentreffen im Musikverein stattfand, ist alles andere als ein Zufall – schon immer kreuzten sich die Wege der österreichischen Musikgeschichte an dieser Stelle. Am 18. März 1895 veranstaltete das damals noch im Musikvereinsgebäude untergebrachte Konservatorium im Großen Musikvereinssaal ein Festkonzert zur Erinnerung an die Eröffnung des neuen Hauses vor fünfundzwanzig Jahren. Brahms dirigierte dabei seine Akademische Festouverture op.80 – es sollte sein letzter Wiener Auftritt als Dirigent sein. Dem dreiundzwanzigjährigen Zemlinsky fiel bei diesem Konzert die ehrenvolle Aufgabe zu, die Uraufführung seiner Orchestersuite zu dirigieren. Diese Auszeichnung war nicht willkürlich: Zemlinsky hatte, nachdem er schon 1890 die Klasse des Brahms-Intimus Anton Door als bester Pianist des Jahrganges absolviert hatte, im Sommer 1892 auch sein Kompositionsstudium bei Hofkapellmeister Johann Nepomuk Fuchs mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen und konnte spätestens seit der Uraufführung seiner d-moll-Symphonie (10. Februar 1893) als die herausragende Erscheinung unter den jungen Konservatoriumsabsolventen gelten. Der glänzende Festakt bot aber nicht das richtige Ambiente, zu einer wirklichen Begegnung. Dazu kam es erst im folgenden Jahr. Am 5. März 1896

„wurden ein Streichquintett und eine Violin-Klaviersuite vom Quartett Hellmesberger aufgeführt. Bei dieser Gelegenheit wurde ich Brahms vorgestellt, und von dieser Zeit an war ich in näherem Verkehr mit ihm…“
(Brief an Emil Hertzka, November 1910)

Richard Heuberger berichtet in seinen Erinnerungen an Johannes Brahms, daß Brahms Zemlinskys Quintett gut gefallen habe: „Er äußerte sich ein ums andere Mal: »Sieht überall Talent heraus.« Als ich meinte, es sei vieles Anderes auch sehr hübsch gemacht, sagte er halb traurig und halb grantig: »Ach Gott, wer kann denn heute etwas Ordentliches schreiben?!«…“

Der nähere Verkehr bestand unter anderem, wie sich Zemlinsky 1922 erinnerte, in einer Besprechung von Zemlinskys Streichquintett, zu der Brahms den jungen Komponisten „mit der kurz und etwas ironisch hingeworfenen Bemerkung: »Natürlich, falls es Sie interessiert, mit mir darüber zu sprechen!«“ einlud.

„Mit Brahms zu reden war keine so einfache Sache. Frage und Antwort war kurz, schroff, scheinbar kalt und oft sehr ironisch. Am Klavier nahm er mit mir mein Quintett durch. Anfangs schonungsvoll, korrigierend, die eine oder andere Stelle sorgfältiger betrachtend, niemals eigentlich lobend oder nur aufmunternd, schließlich immer heftiger werdend. Und als ich eine Stelle der Durchführung, die mir in Brahmsischem Sinne als ziemlich gelungen erschien, schüchtern zu verteidigen suchte, schlug er das Mozartsche Streichquintett auf, erklärte mir die Vollendung dieser »noch nicht übertroffenen Formengestaltung«, und es klang ganz sachlich und selbstverständlich, als er dazu sagte: »So macht man´s von Bach bis zu mir!«…“

Im März 1896, als diese Szene sich höchstwahrscheinlich zutrug, muß Zemlinsky mitten in der Arbeit an einer neuen Komposition gewesen sein, die wie das Streichquintett in d-moll stand, und die der junge Komponist dem großen Meister nicht persönlich, sondern anonym zur Beurteilung übergeben wollte: Zemlinsky schrieb an einem Klarinettentrio, mit dem er am Wettbewerb des Tonkünstlervereines teilnehmen wollte.

Wenn Industrie und Handwerk, Handel und Gewerbe sich auf Weltausstellungen, Mustermessen und Leistungsschauen präsentierten, so durfte auch die Kunst nicht beiseite stehen: Preisausschreiben und Wettbewerbe aller Art hatten Hochkonjunktur. Brahms, der gleich im Gründungsjahr 1885 Mitglied des Wiener Tonkünstlervereins geworden war, wurde schon 1886 bei der Ausrichtung des ersten Kompositionswettbewerbs in Anspruch genommen. (Noch im selben Jahr wurde er dann auf Antrag Theodor Leschetitzkys zum Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit ernannt.) Die Wettbewerbe des Tonkünstlervereins wurden schon bald zu einer vertrauten Einrichtung des Wiener Musiklebens. Und wenn wir auch versucht sind, mit der allwissenden Arroganz der Nachgeborenen darüber zu lächeln, daß die Preisträger nicht Hugo Wolf, Gustav Mahler und Arnold Schönberg, sondern Julius Zellner, Hans Kössler und Walter Rabl hießen, so kann doch nicht geleugnet werden, daß von diesen Veranstaltungen recht wertvolle Impulse für die jüngere Komponistengeneration ausgingen.

Der Zielsetzung des Vereins entsprechend wurden vor allem jene Genres gefördert, die den Bestrebungen der „Neudeutschen“ und der „Wagnerianer“ ferne lagen oder geradewegs zuwiderliefen (Kammermusik, A-capella-Komposition etc.).

Auch 1896 trug die Aufgabenstellung des Wettbewerbs deutlich „ideologische“ Züge: Diesmal ging es um die Komposition eines Kammermusikwerkes mit einem Blasinstrument – eine Werkkategorie, zu der Brahms selbst gerade erst mit seinen Opera 114 (Klarinettentrio, 1891), 115 (Klarinettenquintett, 1891) und 120 (zwei Klarinettensonaten, 1894) Meisterwerke beigesteuert hatte. Im Jänner 1896 erschien also folgende Ausschreibung:

„Der Wiener Tonkünstlerverein schreibt zur Förderung der Kammermusik-Literatur für Blasinstrumente zwei Preise aus für die besten Kammermusikstücke, bei denen mindestens ein Blasinstrument verwendet wird. Die Zusammenstellung der übrigen Instrumente bleibt den Componisten überlassen.
Die Preise betragen 300 und 200 Kronen.
Zur Einsendung concurrirender Arbeiten sind berechtigt:
1. alle in Österreich-Ungarn lebenden Componisten
2. alle österreichisch-ungarischen Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf ihren Wohnort…“

In den Tagen nach dieser Veröffentlichung trug sich auch ein Schüler Zemlinskys mit Plänen für ein Klarinettentrio, das er allerdings nach 16 Takten liegenließ – das von Arnold Schönberg am 9. Februar 1896 zu Papier gebrachte Fragment folgt ganz offensichtlich den Spuren seines Lehrers.

Wenn das erklärte Wettbewerbsziel der „Produktionsförderung“ schon vollkommen dem unternehmerischen Geist einer zukunftsgläubigen Industriegesellschaft entspricht, für die eben auch die Kunst ein umsichtig zu entwickelnder Produktionszweig ist, so findet man in der Abwicklung des Wettbewerbes selbst ein getreues Miniaturbild der damaligen politischen Realität: Ganz wie in der konstitutionellen Monarchie erscheinen auch hier „autoritäre“ und „demokratische“ Züge in engster Nachbarschaft. Die anonym eingesendeten Werke, die durch ein frei gewähltes Motto gekennzeichnet waren, sollten von einem Comité gesichtet und beurteilt werden; über die einer Aufführung für würdig befundenen Werke durften dann alle ordentlichen Vereinsmitglieder abstimmen.

In der Zusammensetzung der Jury dokumentiert sich die enge Bindung des Tonkünstlervereins an die Gesellschaft der Musikfreunde, in deren Gebäude ja auch die Vereinsabende stattfanden. Neben Johannes Brahms gehörten Eusebius Mandyczewski und Richard von Perger diesem Gremium an. Richard von Perger (1854-1911) war erst 1895 aus Rotterdam in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um hier die Direktion des Musikvereins zu übernehmen; sein erstes Saisonprogramm hatte er sogleich seinem mittelbaren Amtsvorgänger Brahms (artistischer Direktor 1872-1875) zur Korrektur vorgelegt. Auch Eusebius Mandyczewski (1857-1929), der seit 1879 zum allerengsten Brahmskreis gehörte, war Amtsnachfolger des Meisters: Er war 1881 zum Leiter der Wiener Singakademie ernannt worden, der ja auch Brahms in seiner ersten Wiener Zeit (1863/64) vorgestanden hatte. Seit 1887 leitete Mandyczewski das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde.

Nach Ablauf der Einsendefrist am 31. Juli 1896 lagen dem Comité achtzehn Kompositionen vor. Die Entscheidung der Jury trägt ganz unverkennbar die Handschrift des alternden Meisters: Nicht weniger als zwölf der eingesandten Werke wurden zur Aufführung empfohlen, und „dieses verhältnismäßig günstige Ergebnis bewog einen ungenannt sein wollenden Gönner des Vereins – zur Spende von 400 Kronen, wodurch der Verein in den Stand gesetzt wurde, die Preise zu 400, 300 und 200 Kronen für diesmal festzusetzen.“ Keinem Kenner der Brahms-Biographie dürfte es schwerfallen, das Incognito dieses Mäzens zu lüften. (Für Steuerfahnder, Skeptiker und andere kritische Geister: Ein Londoner Verehrer hatte kurz zuvor Brahms eine größere Summe vermacht, und Brahms konnte seinem Verleger Fritz Simrock daher am 3. Dezember 1896 schreiben: „Falls in Berlin Geld für mich liegt, kann es in den Reichskeller kommen, die englische Erbschaft reicht noch – trotzdem ich die Preisarbeiten königlich protegiere.“)

Wenn man aber weiß, wie kritisch Brahms auch (und vor allem) gegenüber seinen eigenen Werken war, und wie selten er sich zu wirklichem Lob oder ehrlicher Anerkennung hinreißen ließ, dann wird man in dem „verhältnismäßig günstigen Ergebnis“ des Wettbewerbs weniger zukunftsgläubigen Enthusiasmus, sondern vielmehr resignative Milde widerspiegelt sehen. Brahmsens Unbehagen an der Situation des Wettbewerbes drückte sich diesmal nicht in bärbeißiger Grobheit, sondern in großväterlicher Nachsicht aus. Das beweist auch seine Antwort an Fritz Simrock, der sich anläßlich eines Kurzbesuches in Wien für die Wettbewerbsstücke sehr interessiert hatte:

„…Die Konkurrenzarbeiten sind Eigentum der Komponisten; ich werde schon in Deinem Interesse Deiner nicht vergessen, Du brauchst Dich um gar nichts zu bekümmern. Ich muß mich nur hüten, weil ich zu geneigt bin, passable Werke zu überschätzen (im ersten Augenblick) – man sehnt sich gar so sehr nach etwas Erfreulichem!“
(Brief vom 30. Oktober 1896)

Ist es zu spekulativ, hier die Sehnsucht nach einem ähnlichen Erlebnis mitschwingen zu hören, wie es Brahms selbst 1853 Schumann in Düsseldorf bereitet hatte?

Die Nachsicht des Meisters bescherte den Vereinsmitgliedern immerhin eine ganze Reihe interessanter Konzerte: an fünf Abenden wurden die von der Jury ausgewählten Werke aufgeführt. Da die sonst benutzten Räume im Musikvereinsgebäude gerade neu adaptiert werden mußten, wich man in den Festsaal des Wiener kaufmännischen Vereins aus (Johannesgasse 4, heute Ballettabteilung des Konservatoriums der Stadt Wien) – diese erzwungene Symbiose von Kaufmannschaft und Künstlertum muß den Hanseaten Brahms heimatlich angemutet haben.

Gleich am ersten dieser Abende (20. November 1896) konnten die Zuhörer Zemlinsky als Pianisten erleben – er wirkte an der Aufführung einer unter dem Motto „Per aspera ad astra“ eingereichten Hornsonate mit. Einen Tag später konnte er übrigens abseits des Wettbewerbs einen kleinen Triumph feiern: die junge Pianistin Hedwig Ulmann hatte auf das Programm ihres Konzertes im Bösendorfersaal zwei der Ländlichen Tänze op.1 „des jungen begabten Wiener Componisten“ gesetzt, „von denen eines stürmisch zur Wiederholung begehrt wurde.“ (Neue musikalische Presse, 13. Dezember 1896).

Drei Wochen später, im vierten Konzert der Reihe (11. Dezember 1896), stand dann Zemlinskys Opus 3 auf dem Programm, das er unter dem Motto „Beethoven“ eingereicht hatte. (Dieses lakonische Motto, dem nur böswillige Deutung einen megalomanen Nebensinn hätte geben können, stand jedenfalls in wohltuendem Gegensatz zu den poetischen Ergüssen einiger Mitkonkurrenten. Zwischen den Mottos zweier der ausgeschiedenen Kompositionen ergab sich etwa folgender ideologischer Disput: Bläseroktett, Motto: „Von des Lebens Gütern allen bleibt der Ruhm das höchste doch!“ – Andante für Klarinette und Streichquartett, Motto: „Nicht Ehr und Ruhm will ich erringen / Ein einfach herzlich Lied nur singen!“)

Der letzte Abend (22. Dezember 1896) wurde mit dem Septett Z mého zivota (Aus meinem Leben) von Josef Miroslaw Weber (Prag 1854–1906 München) beendet. Ein unvoreingenommener Betrachter wäre versucht, an eine vorausgeplante Dramaturgie denken; jedenfalls scheint dieses Werk auf den von der Jury veröffentlichten Werklisten immer an erster Stelle auf. Auch der Kritiker der Neuen musikalischen Presse scheint von dieser sehr bekenntnishaften und eigenwilligen Komposition ganz besonders angetan – natürlich ist ihm auch die bewußte Anlehnung an Smetana nicht entgangen.

In Wahrheit war freilich – wie es bei Wettbewerben eben schon vor hundert Jahren zu gehen pflegte – alles schon lange vor diesem Abend so gut wie entschieden. Auch mit der „Anonymität“ der Bewerber war es nicht sehr weit her, denn bereits am 3. Dezember hatte Brahms seinem Verleger (in dem schon oben zitierten Schreiben) mitteilen können:

„…Das Beste ist jedenfalls ein Pianofortequartett mit Klarinette. Es soll von Rabl, einem Schüler Nawratils, sein. Ich kenne den jungen Mann und seine Sachen wenig, da er mir persönlich nicht sympathisch war. Natürlich behalte ich ihn und sein Stück jetzt im Auge…“

Wenige Tage später war dann die Sache noch klarer:

„…Über unsern Preiskomponisten Walter Rabl werde ich immer Erfreulicheres melden. Ein ganzer Stoß Sachen von ihm liegt bei mir. Er selbst kommt der Tage zum Fest, ist im Begriff, in Prag seinen Doktor zu machen. Die Abstimmung ist am 22sten; ich glaube, daß er den ersten Preis kriegt – das ist aber ganz Nebensache. Alles wird bestens besorgt von Deinem J. Br.“
(An Fritz Simrock, 17. Dezember 1896)

So konnte also an jenem 22. Dezember 1896 nach der programmgemäß verlaufenen Abstimmung durch die anwesenden Vereinsmitglieder Walter Rabl (1873-1940) den ersten Preis in Empfang nehmen, während das Septett Miroslaw Webers auf dem zweiten Platz landete; der dritte Preis ging an Zemlinskys Klarinettentrio – und so gesehen hat Zemlinsky diesen Erfolg allein dem „ungenannt sein wollenden Gönner“ zu verdanken, der ja mit seiner Spende die Vergabe von drei Preisen erst ermöglicht hatte.

Seinem Simrock gegebenen Versprechen blieb Brahms treu – am letzten Silvesterabend seines Lebens konnte er seinem Freunde melden:

„…Das Quartett von Rabl und das Trio von Zemlinsky gehören Dir. Bei beiden kann ich eben auch den Menschen und das Talent empfehlen. Wenn Rabl zögert, Dir das Quartett zu schicken, so ist das wohl meine Schuld, er meint warten zu sollen, bis er Gleichwertiges beilegen oder gleich folgen lassen kann…“

In eben diesem Sinne hatte 1853 Schumann den jungen Brahms instruiert. Rabl zögerte nicht lange: Simrock druckte gleich nach dem Klarinettenquartett noch ein Klaviertrio und Lieder; Zemlinsky konnte bei Simrock zusätzlich zu dem Trio op.3 noch sein Streichquartett op.4 unterbringen. Brahms erlebte die Drucklegung der von ihm protegierten Werke nicht mehr.


Das Werk

Nur zwei der beim Kompositionswettbewerb des Tonkünstlervereins eingereichten Kompositionen bedienten sich der von Brahms verwendeten Instrumentenkombinationen: ein nicht zur Aufführung zugelassenes Andante für Klarinette und Streichquartett und Zemlinskys Trio. Obwohl manches darauf hindeutet, daß Zemlinsky schon während der Komposition die Herstellung einer Alternativfassung für die „klassische“ Klaviertrioformation miterwog, so ist die Wahl gerade dieser instrumentalen Gestalt durchaus emblematisch zu verstehen.

Das Genre „Klarinettentrio“ in der Kombination Klavier – Klarinette – Violoncello zeichnet sich unter den „Nebenformen“ der Kammermusik dadurch aus, daß es Instrumente aus drei wesensverschiedenen Familien verbindet, denen allen ein besonders großer Stimmumfang gemeinsam ist. Die klangfarblichen und kontrapunktischen Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben, sind besonders reizvoll. Es erstaunt daher nicht, daß diese Gattung vor allem im Umfeld von Beethoven und Brahms anzutreffen ist. Im Gegensatz zur nahe verwandten Form des Trios Klavier – Violine – Klarinette, die einen noch „folkloristischeren“ (und von Komponisten wie Bartók, Stravinskij und vielen anderen auch mit großem Effekt eingesetzten) Unterton provoziert, läßt die von Beethoven und Brahms gewählte Kombination ein reicheres Feld an Möglichkeiten offen. Zwar zeigt Beethovens berühmtes „Gassenhauer-Trio“ (B-Dur, op.11), der paradigmatische Ursprung der gesamten Gattung, daß sich auch diese Zusammenstellung für explizit „volkstümliches“ Material hervorragend eignet (und Brahms schließt sich mit dem Mittelteil des dritten Satzes seines Klarinettentrios diesem Beweis an), aber die Festlegung ist viel weniger eindeutig. Beethovens unmittelbare Nachfolger, Anton Eberl (op.36 und op.44), Heinrich Eduard Josef von Lannoy (op.15) und Ferdinand Ries (op.28), schenken diesen folkloristischen Möglichkeiten auch kaum Beachtung.

Das einzige „prominentere“ Beispiel einer Komposition für unsere Besetzung zwischen Beethoven und Brahms ist das Klarinettentrio op.29 von Vincent d’Indy (1887). Unter den unmittelbar von Brahms angeregten Werken ist Zemlinskys Trio op.3 wohl das früheste – in den Folgejahren erscheinen dann Kompositionen der Brahmsianer Wilhelm Berger (der ab 1893 als Leiter der Meininger Hofkapelle wohl auch von Richard Mühlfelds beseeltem Klarinettenspiel inspiriert wurde), Robert Kahn und Carl Frühling.

Das von Zemlinsky gewählte Motto „Beethoven“ bezieht sich vor dem Hintergrund der hier kurz skizzierten Entwicklung des Genres natürlich vor allem auf den Stammvater der Gattung – eine bewußte stilistische Anlehnung konnte eigentlich nur ein Kritiker erwarten. Anton Krtsmáry, Rezensent für die „Neue musikalische Presse“ und selbst Mitglied des Tonkünstlervereins, macht denn auch prompt das Motto zum Ausgangspunkt seiner betont kühlen Kritik:

„Das mit dem dritten Preis gekrönte Trio (in D-moll) von Alex. Zemlinszky scheint trotz des Mottos „Beethoven“ von Brahms abhängig zu sein. Der erste Satz, wenngleich wenig selbständig, ist doch recht interessant gearbeitet. Am besten gefiel mir der zweite Satz (D-Dur), Andante quasi Adagio.“

Daß das Werk wirklich von Brahms abhängig ist, bedarf wohl weder einer Rechtfertigung noch einer Begründung. Wie weit diese Abhängigkeit im einzelnen geht, oder vielmehr: mit wie wachen Sinnen Zemlinsky das Brahmssche Vorbild aufgenommen und analytisch verwertet hat, ist in der Sekundärliteratur schon eingehend besprochen worden (zuletzt von Werner Loll, Kassel 1990).

Der erste Satz (Allegro ma non troppo) ist – wie so oft bei Jugendwerken – der kompositorisch bei weitem anspuchsvollste und ambitionierteste Teil des Werkes. In der Ökonomie der thematischen Arbeit an Brahms, in der Art des melodischen Materials ein wenig an Dvorák orientiert, entbehrt der Satz durchaus nicht persönlicher Züge, so zum Beispiel in der eigenwilligen Kombination der verschiedenen rhythmischen Keimzellen oder in den ganz deutlich eine individuelle Handschrift verratenden harmonischen Fortschreitungen (beides besonders ausgeprägt in der souverän gestalteten Durchführung).

Im zweiten Satz (Andante, D-Dur) lassen sich unschwer Reminiszenzen an das Brahmssche Klarinettenquintett op.115 ausnehmen, obwohl gerade das Hauptthema mit seiner fast süßlichen Fin-de-siècle-Koloristik in auffälligem Gegensatz zur viel herberen Tonsprache des Meisters steht. Aber auch an diesem Hauptthema ist das vertiefte Brahms-Studium des jungen Zemlinsky nicht spurlos vorübergegangen – man beachte etwa, wie unaufdringlich und doch konsequent der Themenkopf aus der Schlußwendung des vorhergehenden Satzes entwickelt wurde.

Der letzte Satz (Allegro) scheint das so ernst und bekenntnishaft begonnene Werk auf ganz andere Bahnen führen und in einem sorglosen, ja fast koketten Ton beschließen zu wollen. Am Schluß der Reprise aber tritt als Höhepunkt einer fiebrigen Steigerung das rhapsodische Hauptthema des ersten Satzes in all seiner schicksalshaften Bedeutungsschwere noch einmal wie der steinerne Gast auf; doch schon ist auch Puck zur Stelle, der den nächtlichen Spuk mit einer übermütigen Kapriole verscheucht – offensichtlich sind wir mit diesem Schlußsatz in das Hofoperndepot geraten.

Wenn dieses Finale und sein Verhältnis zu allem Vorhergehenden also auch Anlaß zu einigem kritischen Stirnrunzeln geben mag (uns entlockt es freilich viel eher ein beifälliges Schmunzeln), so führt es den Komponisten doch mit unbezwingbarer Logik in sein ureigenstes Gebiet, auf das Theater, wo Zemlinsky sich als einer der bezauberndsten und fesselndsten Märchenerzähler der Musikgeschichte bewähren sollte.

© by Claus-Christian Schuster

Brahms: Trio (A moll) für Pianoforte, Clarinette (oder Bratsche) und Violoncell. Op.114

Johannes Brahms

* 7. Mai 1833
† 3. April 1897

Trio (A moll) für Pianoforte, Clarinette (oder Bratsche) und Violoncell. Op.114

Komponiert:(Bad) Ischl, Mai – 13. Juli 1891
Uraufführung:Berlin, Saal der Singakademie, 12. Dezember 1891
Johannes Brahms, Klavier
Richard Mühlfeld (1856-1907), Klarinette
Robert Hausmann (1852-1909), Violoncello
Erstausgabe:Simrock, Berlin, März 1892

Daß sich die Geschichte wiederholt, ist ein allzuoft bemühter Gemeinplatz. Wie sie sich bei der Entstehung der bedeutendsten Werke der Klarinettenliteratur wiederholte, ist aber durchaus bemerkenswert. Es war Mozarts Begegnung mit seinem Logenbruder Anton Stadler (1753-1812), die uns die herrliche Triade seiner Klarinettenwerke („Kegelstatt-Trio“ KV 498, Quintett KV 481, Konzert KV 622) bescherte. Zwanzig Jahre nach Mozarts Tod traf Carl Maria von Weber in München Heinrich Baermann (1784-1847) und begann unmittelbar darauf mit der Komposition seiner beiden Klarinetten-Trilogien (Concertino op.26, Konzerte op.73 und op.74; Kammermusik: Variationen op.33, Quintett op.34, Duo op.48). Und ganz am Ende seines Schaffens sehen wir nun Brahms, der sein kompositorisches Werk schon beendet glaubte, mit drei Opera beschäftigt, die er seinem „Fräulein Klarinette“, wie er den unvergleichlichen Richard Mühlfeld nennt, zugedacht hat. Es scheint, als läge bei der Klarinette, ganz wie bei der menschlichen Stimme, in der Kraft der persönlichen Ausstrahlung noch eine ganz besondere Macht, ein unmittelbarer Zauber, dem diese Großen dankbar nachträumen.

Von Mühlfeld, schrieb Max Kalbeck, gehe „die Sage, daß er eine Kollektion unsterblicher Rohrblättchen besitze, die aus dem Schilfrohr der von Pan geliebten, von Gäa verwandelten Nymphe Syrinx geschnitten sein sollen. Ein Stück der Hirtenflöte, mit welcher der Waldgott auf seiner Geliebten oder auf seine Geliebte gepfiffen hat – die Lesarten lassen sich beide verteidigen – steckt jedenfalls in dem Blasinstrument des Herrn Mühlfeld; sonst könnte er nicht so zauberische Klänge daraus hervorbringen.“

Nicht zufällig entführt uns Kalbecks Phantasie in die Antike – auch Brahms war in seinen Gedanken jetzt oft in der Magna Graecia zu Gast. Zehn Jahre war es nun her, daß auch ihm in Taormina, Syrakus und Agrigent die Sonne Homers gelächelt hatte, und seine Sehnsucht dorthin war ungestillt. So hatte er für den Frühling 1891 eine Reise nach Sizilien geplant, die aber dann durch den Tod der Frau seines Freundes Friedrich Hegar vereitelt wurde. Hatte ihm in den vergangenen Jahren die gastliche Villa Carlotta des Herzogs Georg II. von Meiningen (in Cadenobbia am Lago di Como) immer wieder als Ausgangs- und Ruhepunkt seiner italienischen Reisen gedient, so nahm Brahms diesmal mit Meiningen selbst als Ersatz für die versäumten südlichen Wonnen vorlieb. Dabei mußte er gar nicht auf die Antike verzichten: auf seine Veranlassung hatte der Herzog für den 15. März 1891 die Uraufführung der Tragödie Oenone von Joseph Viktor Widmann (1842-1911) angesetzt. Das war ein umso größerer Anreiz, als Brahms sich nur allzu gern daran delektieren wollte, wie sein Freund Widmann, wegen dessen republikanischer Gesinnung es zwischen den beiden schon manchmal zum Streit gekommen war, sich in der ihm ungewohnten Hofluft bewegen würde.

So wurde Meiningen für eine Woche zu Brahmsens Tusculum: Auf der Bühne konnte er die schöne Nymphe Oenone und den armen Paris bewundern, der Darsteller des Thersites, Ludwig Wüllner, brillierte anderen Tages als Sänger der Magelone-Lieder, und in dem zum Konzertsaal gewordenen Theater, in dem die „Säulenhalle des Pompeius“ aus Shakespeares Julius Caesar als Schallwand diente, folgte ein Kunstgenuß dem anderen. Für Brahms aber war der eindeutige Höhepunkt dieser überreichen Woche der Vortrag von Mozarts Klarinettenquintett durch Richard Mühlfeld, gefolgt von einem Privatissimum, in dem der Klarinettist Brahms die Eigentümlichkeiten seines Instrumentes vorführte.

Nachdem Brahms anschließend an die Meininger Tage eine von Dissonanzen überschattete Woche bei Clara Schumann in Frankfurt am Main zugebracht hatte, kehrte er zu Ostern für einige Wochen nach Wien zurück, von wo er am 11. Mai auf Sommerfrische nach Ischl reiste. Wenig später schreibt er dem in Wien gebliebenen Freund Eusebius Mandyczewski am Schluß eines Briefes den lakonischen Satz: „…und denken Sie nicht schlecht von mir, wenn ich Sie bitte, 12 Bogen Notenpapier quer 16 Systeme beizulegen.“

Schon im Juni hatte Mandyczewski bei einem Besuch in Ischl Gelegenheit zu hören, wozu Brahms das von ihm besorgte Notenpapier verwendet hatte: der erste Satz des Klarinettentrios war vollendet.

„Ich hatte in der letzten Zeit Verschiedenes angefangen, auch Symphonien und Anderes, aber nichts wollte recht werden; da dachte ich, ich wäre schon zu alt, und beschloß energisch, nichts mehr zu schreiben. Ich überlegte bei mir, ich sei doch mein Lebtag fleißig genug gewesen, hätte genug erreicht, hätte ein sorgenloses Alter und könne es nun ruhig genießen. Und das machte mich so froh, so zufrieden, so vergnügt, daß es auf einmal wieder ging.“

vertraute Brahms seinem getreuen Mandyczewski an. Am 14. Juli kann Brahms ihm das fertige Trio mit der Bitte um ein Urteil übersenden, bestellt aber schon eine Woche später neues Notenpapier und meint bei dieser Gelegenheit:

„Ich kann Lob und Trio umsomehr auf sich beruhen lassen, als dieses der Zwilling einer viel größeren Dummheit ist, die ich jetzt versucht bin herauszupäppeln.“

Welches von beiden Opera, nämlich das Trio op.114 oder das Quintett op.115, nun die „größere Dummheit“ ist, darüber sind nun seit mehr als hundert Jahren die Meinungen recht geteilt. Mandyczewski, der, wie wir gesehen haben, gewissermaßen bei der Geburt dieses Zwillingspaares Hebamme gespielt hatte, war überzeugt davon, das Trio werde es zu großer Popularität bringen, während das Quintett wohl nur einem engen Kreis von Kennern zugänglich sein werde. Auch Hans von Bülow, Franz Wüllner und, allem Anschein nach, Brahms selbst, teilten diese Meinung. Die Aufführungsstatistik des letzten Jahrhunderts belegt das gerade Gegenteil: an Popularität kann es das Trio mit dem Quintett jedenfalls nicht aufnehmen.

Hanslick, der das Quintett für „ungleich bedeutender“ hielt, bemäkelte, Teile des Trios seien mehr „das Werk tonkünstlerischer Kombination als des freudigen Schaffens.“ Und Florence May „scheint die Eingebung bei diesem Werke zu erlahmen: es fehlt dem Geiste an Geschmeidigkeit.“

An dieser Kritik läßt sich recht gut nachvollziehen, wie die Gralshüter der Brahms-Partei oft weder willens noch fähig waren, das letzte Stück des Weges mit Brahms zu gehen, das sie eben zu jener Wegkreuzung geführt hätte, von der aus Schönberg, Berg und Webern den ihren weitergingen. Jener Berliner Komponist, der Brahms mit dem Dictum „Ich bewundere Wagner, den Fortschrittlichen, den Neuerer, und Brahms, den Akademischen, den Klassizisten“ zu verständlicher Weißglut brachte, hätte bei diesen Siegelbewahrern wohl nur wegen seiner ästhetischen Promiskuität Widerspruch erregt, kaum in der Sache. Es ist ein Glücksfall der Musikgeschichte, daß kein Geringerer als Arnold Schönberg mit seinem Essay Brahms the progressive dafür gesorgt hat, daß die schiefe Optik, die als unseliges Erbe der mit der atavistischen Mentalität des Kampfes zwischen Welfen und Staufern geführten Auseinandersetzung Brahms – Wagner über Jahrzehnte hinweg den Blick auf den Gang der Musikgeschichte verzerrt hatte, korrigiert werden konnte.

Die Natur der von ihm gewählten Werkgattung mit drei unverwechselbaren und letztlich unverschmelzbaren Klangindividualitäten, gab Brahms die Möglichkeit, mit genau jenen Konstellationen zu operieren, die die musikalische Avantgarde des 20. Jahrhunderts faszinieren sollten. Daß er dabei die Grenzen dessen überschreiten mußte, was als „freudiges Schaffen“ die dringend benötigte Behübschung eines immer brutaler werdenden Überlebenskampfes hätte abgeben können, lag in der Sache selbst begründet. Doch bei näherer Betrachtung findet man leicht heraus, daß im musikalischen Denken von Brahms diese Grenzen von allem Anfang an inexistent waren (so sehr sie auch sonst sein bürgerliches Selbstgefühl bestimmt haben mögen); daß also die kulinarische und dekorative Verwertung seiner Musik ein zumindest ebenso großes Unrecht am innersten Geist dieser Kunst ist wie der Mißbrauch der Musik Wagners und Bruckners durch den Nationalsozialismus.

Die Verdichtung des musikalischen Ausdruckes geht im Klarinettentrio einen entscheidenden Schritt über das noch im letzten Klaviertrio (op.101, 1886) angewandte Verfahren hinaus. Der Verknappungsprozeß beschränkt sich jetzt nicht mehr auf die Behandlung des thematischen Materials und der formalen Strukturen, er betrifft jetzt unmittelbar die Themen und die Form selbst. In besonderer Weise trifft das auf die Ecksätze zu. Im ersten Satz (Allegro) erscheint die auch in op.101 noch herrschende Dialektik von Haupt- und Seitensatz völlig aufgegeben; alle „Themen“ sind als Metamorphosen einer einzigen motivischen Keimzelle angelegt. Dieses Verfahren ist seinem Wesen nach nichts anderes als eine permanente Durchführung – daher ist das, was man bei traditioneller Deutung der Form als „Durchführung“ bezeichnen müßte, kürzer als in jedem anderen vergleichbaren Satz des Brahmsschen Œuvres. Noch augenfälliger wird diese neue Technik in jenem Abschnitt, der die traditionelle Reprise vertritt. Durch Umstellungen und tiefgreifende variative Eingriffe ist der „Wiederholungscharakter“ nahezu völlig verschleiert – die Unumkehrbarkeit des zeitlichen Ablaufes hat hier ihren adäquaten musikalischen Ausdruck gefunden. Da aber alle diese Neuerungen von Brahms Schritt für Schritt aus den klassischen Modellen entwickelt wurden, entsteht trotz aller konsequenter Kühnheit nie der Eindruck eines radikalen Bruches mit den gestalterischen Traditionen – der Satz läßt sich, mit einiger Anstrengung und Phantasie, durchaus auch noch mit der Terminologie der klassischen Sonatenhauptsatzform beschreiben und gliedern, wenngleich diese Betrachtungsweise der Einzigartigkeit der hier von Brahms verwirklichten Konzeption nicht wirklich gerecht wird.

Hat der erste Satz den zeitlichen Ablauf als Motor für permanente Durchführung verwendet, so eröffnet uns das Adagio (D-Dur) ein vielleicht noch faszinierenderes Mysterium: es hält die Zeit an. Wie Brahms das erreicht, das ist zwar zur Not technisch-analytisch nachvollziehbar, bleibt aber als eines der größten Wunder der Musikgeschichte unerklärlich. Von einem nüchtern handwerklichen Standpunkt aus kann man nur feststellen, daß Brahms, in völliger Umkehr der „natürlichen“ Gegebenheiten, das Thema als ein Echo seiner Begleitung behandelt, also den zeitlichen Bezug zwischen Kommentar und Kommentiertem auf den Kopf stellt. Aber was sagt das über den rätselhaften Zauber, der von dieser Musik ausgeht?

Nicht von ungefähr hat Eduard Hanslick in seiner Rezension des Werkes das „erquickend kleine Gedicht des dritten Satzes“ (Andantino grazioso, A-Dur) gegen das angeblich erklügelte Finale ausgespielt. Dieser dritte Satz ist jener unverzichtbare Rückblick, der uns alles Umgebende erst als die schicksalhaft zukunftsweisende Leistung des Genies erkennen läßt.

….. Wie er auf
dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal
noch einmal zeigt, sich wendet, anhält, weilt –
(Rilke, Achte Duineser Elegie)

– und daß ihm aus diesem Tal von ferne noch ein Ländler nachschallt, wohl ein steirischer, aus Mürzzuschlag, wo die letzte Symphonie entstanden ist, der nun keine nachfolgen möchte, so daß alle dafür vorgesehenen Themen sich im Klarinettentrio niederlassen mußten!

Und wirklich – im Finale (Allegro) lassen sich entfernte Spuren des ersten Satzes der Mürzzuschlager Vierten wiederfinden. Das Feiertags-Mysterium des zweiten Satzes hat nun aber wieder dem tätigen Alltag Platz gemacht, Thema und begleitende Imitation sind diesmal an der „richtigen“ Stelle: Man ist bei all dieser unverdrossenen Betriebsamkeit fast versucht, die Bibelworte, die Brahms fünf Jahre später dem ersten der Vier ernsten Gesänge unterlegen wird, mitzudenken: „Darum sahe ich, daß nichts bessers ist, denn daß der Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil.“ Zwischendurch klingt aber immer noch ein älplerischer Tanz nach.

Auch dieser Satz ließe sich, ähnlich dem ersten, wieder als Sonatensatz verstehen: der Platz für die in dieser neuen Schreibweise von der Last ihrer Aufgaben befreite Durchführung findet sich diesmal in der Reprise. Aber solche sophistischen Verrenkungen zeigen nur allzu deutlich, daß dieser Rock unserem Meister nun wirklich viel zu eng geworden ist. Wie lange hätte er ihn doch noch tragen können, wenn er nur etwas geschmeidiger gewesen wäre! Liebe Miss May: Welchem Geiste fehlt es hier an Geschmeidigkeit?

© by Claus-Christian Schuster

Beethoven: Trio B-Dur op.11 („Gassenhauer-Trio“) [pf/cl/vlc]

Ludwig van Beethoven

* 16. Dezember 1770
† 26. März 1827

Trio B-Dur op.11 („Gassenhauer-Trio“) [pf/cl/vlc]

Komponiert:Wien, erste Hälfte 1798
Widmung:Gräfin Maria Wilhelmine von Thun und Hohenstein, geb. von Uhlefeld (1744-1800)
Uraufführung:Uraufführung: nicht dokumentiert;
Die früheste belegte Aufführung fand um 1800 im Palais des Reichsgrafen Moritz von Fries (Josefsplatz 5, heute Palais Pallavicini) statt; Pianist dieser Aufführung war Daniel Gottlieb Steibelt (1765-1823).
Erstausgabe:Mollo & Co., Wien, Oktober 1798

Mit diesem Werk hat Beethoven ein Genre begründet, das sich bis in die Gegenwart als legitime Seitenlinie des „klassischen“ Klaviertrios behauptet und bewährt hat. Die aparte Besetzungsidee trägt der in der Entstehungszeit des Werkes stetig wachsenden kammermusikalischen Bedeutung der Klarinette Rechnung, die sich ja auch im Mozartschen Spätwerk niederschlägt (Quintett KV 452, Trio KV 498, Quintett KV 581). Es besteht einiger Grund zu der Annahme, daß auch Beethoven – ähnlich wie Mozart, Weber und Brahms – erst durch die Bekanntschaft mit einem Klarinettisten zur Komposition jener drei Kammermusikwerke angeregt wurde, in denen er mithalf, diesem Instrument den Weg aus der Orchester- und Blasmusik in die Klavier- und Streicherkammermusik zu bahnen: Jedenfalls fällt im Zusammenhang mit den frühesten dokumentierten Aufführungen dieser Werke – des 1797 beendeten Quintetts op.16, unseres Trios und des Septetts op.20 (1799/1800) – immer wieder der Name des Klarinettisten Joseph Beer. Hierbei handelt es sich aber nicht, wie oft angenommen, um den in Paris, St.Petersburg und Berlin erfolgreichen böhmischen Virtuosen Johann Joseph Beer (1744-1812), der 1791 auf der Durchreise in Wien mit Mozart musiziert hatte, sondern um dessen jüngeren (Beinahe-) Namensvetter, der, im selben Jahr wie Beethoven geboren, vielleicht bis 1794 in Wallerstein und danach als Mitglied der Fürstlich Liechtensteinschen Hofkapelle in Wien wirkte (wo er 1819 starb).

In kaum einer Besprechung des Beethovenschen Opus 11, dem der anbiedernde Beinamen „Gassenhauer-Trio“ anhaftet, wird auf Worte wie „Gelegenheitskomposition“ oder „Gebrauchsmusik“ verzichtet. Es scheint, als würden viele Zuhörer schon allein aus Beethovens Abweichen von der Instrumentationsnorm des Klaviertrios einen – gegenüber der programmatischen Emblematik der Trios op.1 – reduzierten Anspruch ableiten. In Wahrheit bezeichnet aber dieses Werk einen weiteren Schritt auf Beethovens singulärem Entwicklungsweg und verdient nicht nur wegen seiner auch nach mehr als zweihundert Jahren noch immer ungebrochen andauernden Popularität (die vielleicht die Zurückhaltung der Musikwissenschaft herausfordert) besondere Beachtung.

Am Kopfsatz (Allegro con brio) läßt sich beispielhaft verfolgen, mit welcher Akribie und Präzision Beethoven die Hörgewohnheiten und Erwartungen seines Publikums zu irritieren und so die Aufmerksamkeit beständig wachzuhalten versteht. Die Kritik des anonymen Rezensenten der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung, Beethoven „würde… viel Gutes liefern…, wenn er immer mehr natürlich als gesucht schreiben wollte“, zielt genau auf diesen Umstand ab. Daß sie den meisten heutigen Hörern nur schwer nachvollziehbar sein wird, hat wohl in erster Linie mit der Patina einer zweihundertjährigen Rezeptions- und Interpretationsgeschichte zu tun. Aber „wörtlich genommen“ hat Beethovens Text auch heute nichts von seiner pointierten und von den Zeitgenossen gerügten „Gesuchtheit“ eingebüßt. Daß wir uns dabei nicht mehr auf das (verschollene) Autograph berufen können, sondern uns mit dem sicher fehlerhaften Erstdruck begnügen müssen, ist in diesem Falle besonders schmerzlich; denn eine solche Häufung „unnatürlicher“ und „unmusikalischer“, also dem liebgewordenen Herkommen entgegenlaufender Details ist selbst bei Beethoven nicht alltäglich, und man kann fast sicher sein, daß manches kostbare Detail der Routine des Stechers zum Opfer gefallen ist. (Man sollte vielleicht daran erinnern, daß die Erstausgabe in der Offizin jenes Tranquillo Mollo entstand, über dessen Arbeit Beethoven anläßlich des Erscheinens der Streichquartette op.18 klagen wird: „das heiß ich stechen, in Wahrheit meine Haut ist ganz voller Stiche und Rize – von dieser schönen Auflage…“ [an Hoffmeister & Kühnel, 8. April 1802].)

Das folgende Adagio con espressione (Es-Dur) mutet wie eine seelenvolle und gedankentiefe Schwester des leutseligen Es-Dur-Menuetts aus Beethovens Septett op.20 an – das diesem zugrundeliegende G-Dur-Klavierstück, das 1805 als Schlußsatz der Sonate facile op.49 Nr.2 erschien, ist jedenfalls vor unserem Trio entstanden. Der in schlichter dreiteiliger Liedform gehaltene Satz entführt uns mit den wenigen Takten seines Mittelteils in eine zutiefst romantische Klangwelt: Die durchaus nicht unerhörte „neapolitanische“ Wendung (über Es-moll nach E-Dur) bildet nur die harmonische Folie für einen Moment prophetischer Poesie, deren Zauber auch noch in die reich umspielte Reprise nachwirkt.

Namengebendes Glanz- und Kabinettstück des Werkes sind die abschließenden Variationen (Tema con variazioni. Allegretto) über die Arie Pria ch´io l´impegno aus Joseph Weigls Oper L´amor marinaro, die am 15. Oktober 1797 in Wien uraufgeführt worden war. Beethoven macht das Thema, das in jenen Monaten wirklich ein omnipräsenter Gassenhauer in Wiens Straßen war, zum Ausgangspunkt einer kompakten, überaus kunstvollen und in seinem Œuvre einzigartigen Variationenfolge. Denn wie sich bei näherer Betrachtung herausstellt, hat der Komponist hier das uns von Haydn her so wohlvertraute Prinzip der klassischen Doppelvariation um eine monothematische Variante bereichert – auf den ersten Blick ein wahres Paradoxon. Beethoven läßt hier in regelmäßiger Folge jeweils eine lyrisch-besinnliche auf eine dramatisch-zupackende Variation folgen, ein Verfahren, daß logischerweise auch die – innerhalb der Beethovenschen Klaviertrios sonst nur in den Dittersdorf-Variationen op.44 anzutreffende – Verdoppelung der traditionellen Minore-Variation zur Folge hat: die erste (Variation IV) entlockt dem biederen Thema völlig unerwartete elegische, ja tragische Töne, während in der zweiten (Variation VII) das Motiv des punktierten Rhythmus, das in der Vorlage nur eine völlig untergeordnete und ornamentale Rolle spielt, seine Krallen zeigt – es wird hier zum uneingeschränkten Alleinherrscher, dessen wildentschlossene Drohgebärden auf keiner italienischen Opernbühne ihre Wirkung verfehlen würden. Das dualistische Bauprinzip des Satzes bedingt auch den Verzicht auf das sonst (z.B. in op.44 und op.121a) mit gutem Effekt eingesetzte Mittel der drei „Solovariationen“; Beethoven ersetzt es hier durch die eröffnende Gegenüberstellung des Klaviers (Variation I), das sich mit komischer Ungeduld – nämlich ein ganzes Viertel zu früh! – auf das Thema stürzt, und der beiden Melodieinstrumente, die in Variation II ein von solchem Tatendrang völlig unberührtes, still-verträumtes Zwiegespräch halten. Das folgende Variationenpaar übersteigert diesen Kontrast noch, indem hier auf den tatendurstigen Optimismus der Variation III der entsagungsvolle Weltschmerz der schon erwähnten ersten Mollvariation folgt. Erst im dritten Anlauf gelingt es dem gipfelstürmenden Übermut Florestans (Variation V) Eusebius wenigstens ein Lächeln zu entlocken – mit der verspielten Variation VI scheint sich der Konflikt zwischen den beiden Welten zu entschärfen, eine Illusion, die das zweite Minore (Variation VII) mit monomanischer Radikalität zerstört. Die Antwort darauf ist ein Musterbeispiel Beethovenschen Humors und gleichzeitig der Wendepunkt des Satzes: Im nachfolgenden Maggiore (Variation VIII) erscheinen die beiden antagonistischen Charaktere das erste Mal gleichzeitig, wenn auch durchaus nicht vereint – der schwärmerische Belcanto wird von einem dynamisch völlig disproportionierten Klavierbaß (sempre forte) „begleitet“, und man hört förmlich das ob solcher skandalösen Messalliance indignierte Getuschel des P.T. Publikums. Die letzte Variation (IX) greift ein erstes und einziges Mal das Weiglsche Thema selbst auf, dem Beethoven bisher ja nur das harmonische und formale Gerüst entlehnt hatte; und ganz so, als wollte uns der Komponist nachträglich noch auf die Janusköpfigkeit des Satzes hinweisen, handelt es sich dabei um einen zweistimmigen Kanon. Den Übergang zum Finale bildet einer jener urkomischen und überlangen Diskanttriller, die der junge Beethoven mit Vorliebe zur Verblüffung seiner Zuhörer einsetzt (und die noch nichts davon erahnen lassen, in welche Regionen er uns ganz zuletzt, im Schlußsatz der Klaviersonate op.111, mit äußerlich ganz gleichen Mitteln entführen wird). Die kurze Verirrung des Klaviers in das entfernte G-Dur wird von den beiden Partnern souverän korrigiert, und dem traditionellen Sechsachtel-Schluß, dessen pikante Synkopen an das Finale des (gleichzeitig abgeschlossenen) Klavierkonzertes op.19 denken lassen, scheint nichts mehr im Weg zu stehen. Aber mit einer virtuosen Geste auftrumpfender Bescheidenheit holt Beethoven für die allerletzten vier Takte noch einmal den braven Joseph Weigl und sein tapferes Vierviertel-Thema vor den Vorhang.

Dieser Schlußsatz ist Gegenstand einer ganzen Reihe von Erzählungen, deren Wahrheitsgehalt nur mehr schwer nachzuprüfen ist. Philip Cipriani Potter (1792-1871), der ab 1818 in Wien studierte und mit Beethoven Kontakt hatte, will vom Verleger Artaria gehört haben, dieser selbst habe Beethoven das Thema mit der Bitte um Verwendung in einem Trio übergeben; Beethoven habe nicht gewußt, daß es sich um eine Komposition Weigls handle, und sei sehr ungehalten gewesen, als er es später erfahren habe. Wie wahrscheinlich das angesichts der ganz außerordentlichen Popularität des Liedes ist, das von Johann Nepomuk Hummel, Joseph Eybler, Abt Josef Jelínek, Friedrich Wilhelm Berner, sowie von Beethovens Konkurrenten Joseph Wölfl und Daniel Steibelt, ja zuletzt sogar noch im Jahre 1828 von Niccolò Paganini variiert wurde, sei dahingestellt. Daß aber Beethoven wirklich die Absicht gehabt hat, den Variationensatz durch ein anderes Finale zu ersetzen, wird uns auch von Carl Czerny bestätigt, der wiederum berichtet, Joseph Beer habe um die Verwendung des Themas gebeten. Diese Absicht läßt aber durchaus nicht den Schluß zu, Beethoven habe den Satz geringgeschätzt – Czerny betont ausdrücklich, der Komponist habe vielmehr daran gedacht, ihn als separates Werk erscheinen zu lassen. In der Tat ist das Auftreten so eigengewichtiger und selbständiger Variationen in der Funktion eines Finales ungewöhnlich; in Beethovens Klavierkammermusik finden wir überhaupt nur noch in zwei anderen Fällen Variationssätze an den Schluß gestellt, und beide Male (in den Violinsonaten op.30 Nr.1 und op.96) handelt es sich um wesentlich „homogenere“ und „linearere“, also den tektonischen Anforderungen eines Schlußsatzes eher entsprechende Stücke.
Der frühesten dokumentierten Aufführung des Stückes anläßlich eines der damals so beliebten „Wettspiele“, bei dem Beethoven auf Einladung von Reichsgraf Moritz von Fries mit dem überaus beliebten und erfolgreichen Scharlatan Daniel Steibelt konkurrieren sollte, der sich in Beethovens Opus 11 und in einem Klavierquintett eigener Komposition produzierte, folgte der uns von Ferdinand Ries anschaulich geschilderte Eklat zwischen den beiden Kontrahenten:

„Acht Tage später war wieder Concert beim Grafen Fries. Steibelt spielte abermals ein Quintett mit vielem Erfolg, hatte überdies (was man fühlen konnte) sich eine brillante Phantasie einstudiert und sich das nämliche Thema gewählt, worüber die Variationen in Beethovens Trio geschrieben sind, dieses empörte die Verehrer Beethovens und ihn selbst; er mußte nun ans Clavier, um zu phantasieren. Er ging auf seine gewöhnliche, ich möchte sagen, ungezogene Art ans Instrument wie halb hingestoßen, nahm im Vorbeigehen die Violoncellstimme von Steibelts Quintett mit, legte sie (absichtlich?) verkehrt aufs Pult und trommelte sich mit einem Finger von den ersten Takten ein Thema heraus. Allein, nun einmal beleidigt und gereizt, phantasierte er so, daß Steibelt den Saal verließ, ehe Beethoven aufgehört hatte, nie mehr mit ihm zusammenkommen wollte, ja es sogar zur Bedingung machte, daß Beethoven nicht eingeladen werde, wenn man ihn haben wolle.“

Da dieser letzte Bericht geeignet sein könnte, die verbreitete Vorstellung zu untermauern, Beethoven habe die Variationenform mit Vorliebe dazu benützt, seine Verachtung des vorgegebenen Themas auszudrücken, so muß dieser These an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich widersprochen werden: Wer sich auch nur einmal in ein Beethovensches Skizzenbuch vertieft hat, weiß, welch lapidare, ja banale Gestalt Beethovens eigene Gedanken bei ihrem ersten Auftreten zu haben pflegen. Niemand war daher berufener als Beethoven, die unausgeschöpften Möglichkeiten auch des allerbiedersten Themas zu erkennen und sie variierend zu entwickeln. Das Bild des Titanen, der sich am Entsetzen des ihm zwischen die Finger geratenen Zwerges weidet, paßt zwar gut zum Mythos Beethoven (der sich gerne auf Ausbrüche von Jähzorn und Hochmut wie den oben geschilderten beruft), ist aber kaum mehr als eine Karikatur. Ein Komponist, der es nicht verschmähte, eines seiner bedeutendsten und gedankentiefsten Werke mit einem Finale zu krönen, dessen Thema dem Kinderlied „Hopp, hopp, hopp, Pferdchen, lauf´ Galopp“ zum Verwechseln ähnlich sieht (V. Symphonie, op.67), hat gewiß auch noch das geringste der ihm in den Weg laufenden Themen geachtet. Was er mit Joseph Weigls Pria ch´io l´impegno schon bei der Vorstellung des Themas durch die Hinzufügung der frechen synkopischen Akzente anstellte, ist also nicht notwendigerweise als selbstbewußte Verspottung der Vorlage zu werten, denn Beethoven wußte sehr wohl, daß das Weiglsche Thema in all seiner Einfalt den dramaturgischen Anforderungen des Originals (eines Terzetts über den Text „Pria chi´io l´impegno magistral prenda, far vuó merenda“, also etwa: „Bevor ich mich ans große Werk mache, will ich noch tüchtig essen“) hervorragend entsprach. Man täte als gut daran, die Bewunderung für die Beethovenschen Variationskünste nicht untrennbar mit der Verächtlichmachung seiner Vorlagen zu verbinden; und daß auch der heute so gründlich vergessene Joseph Weigl über mehr Nuancen gebot als nur den Ton tölpelhafter Biederkeit, darf als gesichert gelten – immerhin hat kein geringerer als Joseph Haydn, Weigls Taufpate, in einem Brief an sein Patenkind bekannt: „Schon seit langer Zeit habe ich keine Musik mit solchem Enthusiasmus empfunden, als Ihre… Sie ist gedankenneu, erhaben, ausdrucksvoll, kurz ein Meisterstück.“ (11. Jänner 1794)

© by Claus-Christian Schuster

Schibler: Die Hochzeit. Kantate nach einem Prosaabschnitt aus „Uli der Knecht“ von Jeremias Gotthelf für Alt oder Baß, Violine, Cello und Klavier. Op.15

Armin Schibler

* 20. September 1920
† 07. September 1986

Die Hochzeit. Kantate nach einem Prosaabschnitt aus „Uli der Knecht“ von Jeremias Gotthelf für Alt oder Baß, Violine, Cello und Klavier. Op.15

Komponiert:London, Februar – Juni 1946
Widmung:Tatjana Berger(-Schibler)
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:nicht veröffentlicht

Als Willy Burkhard im Herbst 1942 seine Lehrstelle am Zürcher Konservatorium antrat, war unter seinen ersten Schülern auch der junge Armin Schibler, der erst kurz davor die Kontrapunktklasse von Paul Müller-Zürich (1898-1993) brillant abgeschlossen hatte.
Schibler, der Sohn eines an der schweizerisch-deutschen Bodenseegrenze diensthabenden Zollbeamten, hatte schon während seiner Aarauer Gymnasialjahre (1936-40) als Komponist debutiert: Unter Aufopferung all seiner Ersparnisse hatte er dort eine 1938 enstandene Sonate für Violine und Klavier drucken lassen, die sogar von einem Leipziger Verlag in Kommission übernommen worden war. Nach einigem Schwanken – auch ein Chemiestudium und die Journalistenlaufbahn hatte er in Erwägung gezogen – war er 1940 in das Zürcher Konservatorium eingetreten, das er 1945 als Schüler Willy Burkhards absolvieren sollte. Schon vor Beendigung seines Studiums ergriff Schibler aber jenen Brotberuf, dem er bis an sein Lebensende treu bleiben sollte: er wirkte als Musiklehrer an einem Gymnasium in Zürich.
Kurz nach Beendigung seiner Studien trat Schibler im Oktober 1945 in der Zürcher Peterskirche mit der Uraufführung zweier großformatiger Kompositionen (Wessobrunner Kantate, op.10, und Erstes Streichquartett, op.14) ein erstes Mal vor eine breitere Öffentlichkeit. Anfang 1946 trat der junge Komponist dann einen fünfmonatigen Studienaufenthalt in London an, wo er mit Benjamin Britten, Edmund Rubbra und Michael Tippett zusammentraf.
Schibler hatte wohl auch der Uraufführung von Burkhards Gotthelf-Kantate beigewohnt, bei der sein Klavierlehrer Walter Frey den Klavierpart übernommen hatte. Offenbar hatten die skeptischen und kritischen Reaktionen, denen dieses Werk begegnet war, ihren Eindruck auf ihn ganz verfehlt, denn als er sich nun, nach Abschluß seiner Ausbildung, anschickte, seine Studienkollegin Tatjana Berger, eine Geigerin, die er übrigens im Jahr der Burkhardschen Uraufführung kennengelernt hatte, zu heiraten, beschloß er, für sie als Morgengabe ein Pendant zu Burkhards Sonntag zu schreiben. Ganz den Spuren seines Lehrers folgend, blieb er bei Gotthelfs Uli der Knecht – und was lag näher, als für diesen Anlaß die im Zentrum des letzten Kapitels stehende Hochzeitsepisode zu wählen?
In den wenigen Jahren, die seit dem Experiment Burkhards verflossen waren, hatten auch andere Komponisten ähnliche Versuche unternommen – erst 1945 hatte Giorgio Federico Ghedini (1892-1965) in seinem originellen Concerto dell´Albatro (für Klaviertrio, Orchester und Rezitator) eine Passage aus Hermann Melvilles Moby Dick vertont. Die einem solchen Unterfangen innewohnenden Schwierigkeiten waren dadurch aber kaum geringer geworden. Schiblers Eingriffe in die literarische Vorlage beschränken sich auf Auslassungen, sind aber – entsprechend dem weniger lyrischen Charakter der Stelle – wesentlich einschneidender. Anders als Burkhard verzichtet Schibler auf die Gliederung des Textes in autonome Sätze; das entspricht auch der im Vergleich zum Werk des Lehrers merklich geschwächten Position des tonalen Zentrums – das Ende der Kantate auf E scheint eine ganz bewußte Reverenz an das Burkhardsche Vorbild zu sein. Die Strukturierung der Textvorlage wird durch ausgedehnte instrumentale Zwischenspiele erzielt, die den Erzählfluß in vier dramatische „Szenen“ oder „Bilder“ gliedern.

Jeremias Gotthelf:
Wie Uli der Knecht glücklich wird
26. Kapitel: Wie Vreneli und Uli auf hochzeitlichen Wegen gehen und endlich Hochzeit halten

[…] Uli faßte sein Vreneli bei der Hand und wanderte mit ihm der Kirche zu; feierlich tönten die feierlichen Klänge im Herzen wieder, denn der Siegrist läutete ordentlich die Glocken, daß sie an beiden Orten anschlugen, und nicht wie wenn sie lahm wären, nur bald an diesem, bald an jenem Orte.

Wie sie auf den Kirchhof kamen, schaufelte eben der Totenmann an einem Grabe, und stille wars um ihn: [kein Schaf, keine Ziege kam und verrichtete ihre Notdurft in des Menschen letzte Ruhestätte, denn da war der Kirchhof kein Weideplatz für ungeistliche Tiere.] Es ergriff Vreneli [plötzlich] eine unwiderstehliche Wehmut. Der [ehrwürdige] Anblick der Gräber, das Schaufeln eines Grabes weckten düstere Gedanken. „Das bedeutet nichts Gutes,“ [flüsterte es,] „einem von uns schaufelt man sein Grab.“ [Vor der Kirche stunden Gevatterleute, eine Gotte mit einem Kinde auf dem Arme. „Das bedeutet einem von uns eine Kindbett“, flüsterte Uli, um Vreneli zu trösten. „Ja, daß ich in einer solchen sterbe,“ antwortete es, „daß ich aus meinem Glück weg muß ins kalte Grab.“] „Denk doch,“ sagte Uli, „daß der liebe Gott ja alles macht und daß wir nicht abergläubisch, sondern gläubig sein sollen. Daß einmal unser Grab geschaufelt werden wird, ist gewiß, aber daß das Grabgraben Sterben bedeute denen, die dazukommen, habe ich noch nie gehört. [Denke doch, wie Viele ein Grab graben sehen; wenn es die alle nachzöge, denk auch, wie groß der Sterbet sein müßte.“ „Ach, verzeih mir,“ sagte Vreneli, „aber je wichtiger ein Gang ist, um so ängstlicher wird die arme Seele und möchte gar zu gerne wissen, wie es zu Ende geht, und nimmt daher jede Bewegung als ein Zeichen auf, ein gutes oder ein böses; weißt du, was du von den Tauben sagtest, als wir ins Dorf fuhren?“ Da drückte Uli seiner Braut die Hand und sagte ihr: „Du hast recht;] laß du uns unser Vertrauen auf Gott stellen und nicht kummern. [Was er uns tun, nehmen oder geben wird, das ist wohl getan.]»

Sie traten in die Kirche, leise, zagend, teilten sich zur Linken und zur Rechten, [sahen ein Kindlein aufnehmen in den Bund des Herrn, dachten, wie schön es doch sei, so ein zart und hinfällig Kind der besondern Obhut seines Heilands mit Leib und Seele anempfehlen zu dürfen, und wie eine große Last es von der Eltern Brust wälzen müsse, wenn sie in der Taufe das Bewußtsein erhielten, der Herr wolle mit ihnen sein und mit seinem Geiste sie das Kind nähren lassen, wie die Mutter es sättige mit ihrer Milch. Sie] beteten [recht] andächtig mit [und dachten, wie ernsthaft sie es nehmen wollten, wenn sie als Taufzeugen es geloben müßten, darauf zu achten, daß das Kind dem Herrn zugeführt werde. Das gewöhnliche Wochengebet verhallte ihnen] in der Wichtigkeit des ernsten Augenblicks, der näher und näher kam. Als der Pfarrer hinter dem Taufsteine hervortrat, als Uli Vreneli geholt hatte und Beide ans Bänkchen traten, sanken Beide auf die Knie, [der Zeremonie weit vorgreifend,] hielten die Hände inbrünstig verschlungen, und von ganzer Seele, ganzem Gemüte und allen Kräften [beteten und] gelobten sie, was die Worte sie hießen[, ja noch viel mehr, was aus treuen Herzen sprudelte].

Und als sie aufstunden, fühlten sie sich so recht fest und wohlgemut; es war einem jeden, als hätte es einen großen Schatz gewonnen fürs ganze Leben, der ihns glücklich machen müsse, den ihm niemand entreißen, niemand abgewinnen könne, mit dem es vereint bleibe[n müsse] in alle Ewigkeit.

© by Claus-Christian Schuster

Burkhard: Der Sonntag. Kantate nach Worten von Jeremias Gotthelf für mittlere Stimme mit Begleitung von Violine, Cello und Klavier. Op.63

Willy Burkhard

* 17. April 1900
† 18. Juni 1955

Der Sonntag. Kantate nach Worten von Jeremias Gotthelf für mittlere Stimme mit Begleitung von Violine, Cello und Klavier. Op.63

Komponiert:Davos, November – Dezember 1941
Uraufführung:Zürich, 23. Oktober 1942
Max Christmann, Bariton
Walter Frey, Klavier
Walter Kaegi, Violine
Albert Nicolet, Violoncello
Erstausgabe:Bärenreiter-Verlag, Kassel, 1944

Willy Burkhard wurde zwar im gemischtsprachigen Gebiet am Bieler See geboren, seine Familie stammt aber aus dem bernischen Oberaargau (Schwarzhäusern bei Aarwangen). Sein Vater, Graveur und Kupferstecher, wurde 1902 als eidgenössischer Beamter nach Bern berufen, wo Burkhard seine Kindheit und Jugend verbrachte. Dort wurde der Knabe im traditionsreichen Seminar Muristalden, dessen „Musterschule“ er absolvierte, bevor er das Lehrerseminar selbst bezog, in betont evangelisch-pietistischem Geist erzogen. 1920 schloß er seine dortige Ausbildung mit dem Lehrerpatent ab. Obwohl Burkhard in seinem späteren Leben keine enge konfessionelle Bindung hatte, wird die religiöse Gestimmtheit dieser Erziehung in seinem kompositorischen Werk unüberhörbar nachklingen.
Weit weniger geradlinig war Burkhards musikalischer Werdegang: Nach erstem Klavierunterricht verhalf Ernst Graf, der Organist des Berner Münsters, dem angehenden Komponisten 1919 zur Aufnahme in das Berner Konservatorium, wo Burkhard aber nur drei Semester lang blieb. Bei dem Organisten Sigfrid Karg-Elert (1877-1933) und dem Pianisten Robert Teichmüller (1863-1939) setzte er danach seine Studien für kurze Zeit (1921/22) am Leipziger Konservatorium fort; aber erst in der darauffolgenden Münchner Zeit, als der Schweizer Walter Courvoisier (1875-1931), Schwiegersohn und Nachfolger Ludwig Thuilles als Haupt der sogenannten „Münchner Schule“, sein erster Kompositionslehrer wurde, begann seine eigentliche schöpferische Laufbahn. In München und während eines mehrmonatigen Studienaufenthaltes in Paris (Februar bis Mai 1924) entstanden die ersten Werke, Klavier- und Vokalkompositionen, die zum größten Teil Manuskript blieben. Obwohl das französische Intermezzo (in Paris war Burkhard Student des Rompreisträgers Max d´Ollone [1875-1959]) den Horizont des jungen Komponisten nicht unwesentlich erweiterte, blieben Burkhards deutsche Zeitgenossen seine Leitsterne. Das erwies sich besonders deutlich, als er, wieder nach Bern zurückgekehrt, hier und in Thun zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Fritz Indermühle (der schon in Leipzig und München sein Studienkollege gewesen war) 1931 und 1932 bemerkenswerte „Singtreffen für zeitgenössische Musik“ organisierte, in deren Mittelpunkt das Vokalschaffen von Heinrich Kaminski (1886-1946) und Paul Hindemith (1895-1963) stand; bei dieser Gelegenheit wurden auch etliche Kompositionen Burkhards uraufgeführt. Nachdem Burkhard schon 1926, im Jahr seiner Heirat, die Leitung des Lehrergesangvereins Lyß übernommen hatte und 1928 als Lehrer an das Berner Konservatorium berufen worden war, nahm er 1930 auch noch den neugegründeten Berner Münsterchor und den Chor der Berner Singstudenten sowie 1932 den Orchesterverein Langenthal unter seine Obhut.
Diese immer weitere Kreise ziehende Tätigkeit wurde im Sommer 1933 jäh unterbrochen: im Kampf gegen eine diagnostizierte Lungentuberkulose mußte Burkhard sich mehreren schweren Operationen unterziehen. Die dem Komponisten verbleibenden zweiundzwanzig Lebens- und Schaffensjahre sollten fast zur Gänze im Schatten des erfolglosen Kampfes gegen die Krankheit stehen. Nachdem der Aufenthalt in einem Sanatorium in Montana keine Heilung gebracht hatte, übersiedelte die Familie 1934 nach Bühlikofen bei Zollikofen, von wo aus Burkhard für kurze Zeit seine Lehrtätigkeit in Bern wieder aufnehmen konnte. In dieser Zeit entstand das (später von Paul Sacher uraufgeführte) geistliche Oratorium Das Gesicht Jesajas, ein Schlüsselwerk des Komponisten; auch der erste große internationale Erfolg Burkhards, die Uraufführung seiner Fantasie für Streichorchester auf dem denkwürdigen IGNM-Fest in Prag (1935) fällt in diese Monate. Doch schon Ende 1935 erzwang ein Rückfall die Rückkehr nach Montana, von wo aus die Familie Burkhard im Sommer 1937 – nach kurzen Intermezzi in Ascona und Clavadel – nach Davos weiterzog. Hier mußte der Komponist im darauffolgenden Winter drei schwere Operationen überstehen. Bis zu seiner Berufung an das Züricher Konservatorium (1942) blieb Davos Burkhards Wohn- und Arbeitsstätte. Hans Zurlinden, der – von Arthur Honegger auf Burkhard aufmerksam gemacht – ihn in dieser Zeit kennenlernte und später sein erster Biograph werden sollte, schreibt über die Begegnung:

„Ich erinnerte mich wieder der Worte Honeggers, als ich selber in einem Davoser Sanatorium liegen mußte. Aber ich fragte längere Zeit nicht nach Burkhards Adresse, da ich nicht ausgehen konnte. Als es dann geschah, erfuhr ich, daß Burkhard unmittelbar gegenüber meinem Fenster eine Mietwohnung in dem großen Hause innehatte, das mit seinen ockergelben Fassaden, dunkelgrüngestrichenen Fensterrahmen, Laubengeländern und Dachgiebeln, am steilen Abhang mitten unter hohen Tannen, im tiefen Schnee, mir immer wie das Jagdhaus eines deutschen Duodezfürsten vorgekommen war. Indessen verzögerte sich mein Besuch noch einmal, weil es schließlich eine große Überwindung kostet, zu einem fremden Menschen hinzugehen, und ihm zu sagen: «Ihre Musik hat mir gefallen!»
In zwei Wintern war ich dann öfters Gast in dem geräumigen, einfach eingerichteten Heim, am runden Tisch in der Ecke des weiten lichten Arbeitszimmers und fühlte mich wohl in der glücklichen Häuslichkeit des Ehepaars und seiner beiden Kinder. Ich erinnere mich gerne an viele kleine Hauskonzerte, bei denen Frau Burkhard sang, Hans Sturzenegger, der Bruder des Berner Cellisten, Geige spielte, an Hörgelegenheiten am Radio, an Spaziergänge, an Gespräche über Kants Erkenntnistheorie, über Hamsuns «August», über den Logosbegriff des Johannesevangeliums, über Jacob Burckhardts «Weltgeschichtliche Betrachtungen», über politische Zeitereignisse, wobei Burkhard treffsicherer als mancher zünftige Diplomat urteilte…“

Es mag bei einer jener hausmusikalischen Zusammenkünfte, von denen Zurlinden hier berichtet, gewesen sein, daß Burkhard den Plan zu der Kantate Der Sonntag faßte, die er – als vorletztes Werk seines Davoser Aufenthaltes – Ende 1941 niederschrieb. Schon zehn Jahre früher, knapp vor dem Ausbruch seiner Krankheit, hatte er sich in diesem Genre versucht. Während er aber in der 1932 komponierten Kantate Herbst für Sopran und Klaviertrio (op. 36) Lyrik von Christian Morgenstern vertont hatte, unternahm er mit der neuen Kantate ein Wagnis, das manche als von vornherein zum Scheitern verurteilt betrachten werden: die Vertonung eines Fragmentes aus einem epischen Prosatext. Daß Burkhards Wahl gerade auf einen Text von Jeremias Gotthelf fiel, nämlich auf die Einleitungspassage aus dem 2. Kapitel des Romans Wie Uli der Knecht glücklich wird, mag damit zu tun haben, daß man 1941 gerade den hundertsten Geburtstag dieses Hauptwerkes des ebenso bemerkenswerten wie „unzeitgemäßen“ Schweizer Dichters feierte. (Der im Herbst 1840 entstandene Romane war 1841 im Verlag von Christian Beyel in Frauenfeld erschienen.) Die Entscheidung widerspiegelt aber gleichzeitig eine lebenslange Anhänglichkeit des Komponisten an den Dichter; Burkhards einzige Oper, Die schwarze Spinne (1947/48), die er noch in seinem letzten Lebensjahr als Schauspielmusik kammermusikalisch bearbeitete, ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Jeremias Gotthelf. Daß aber diese Wahl das Wagnis verringert habe, kann man sicher nicht behaupten. Hatte schon Gotthelfs eigenwilliger Roman mit seiner prononciert moralischen und religiösen Tendenz heftige Reaktionen (nicht zuletzt in einflußreichen kirchlichen Kreisen) hervorgerufen, so erntete der Versuch, dieser Vorlage Musik abzugewinnen, unverhohlene Feindseligkeit und Gehässigkeit. Ein Kritiker der Uraufführung nennt die Unterlegung von „ganz blutarmer, häßlicher und klanglich öder Musik“ unter die Gotthelfsche Prosa geradezu eine „Verballhornung und Entgleisung“. Die Vehemenz dieser Ablehnung hat wohl damit zu tun, daß Burkhard ebenso wie Gotthelf ein übermächtiges religiöses Empfinden, das deutlich pantheistische Züge trägt, mit scheuer, fast spröder Schlichtheit zu bändigen sucht. Dieser Zusammenklang von Schwärmerei und Schmucklosigkeit macht die Problematik, aber auch den unleugbaren Reiz des Werkes aus.
Burkhard gliedert den kurzen Text in drei Abschnitte, die alle in den E-Dur-Dreiklang münden; die tonsymbolische Bedeutung dieser Chiffre steht dabei ganz in der klassischen Tradition, in der dieser Tonart gleichzeitig hymnisch-religiöse („In diesen heil´gen Hallen“) und naturpoetische („Soave sia il vento“) Funktionen zufallen. Wer für diese Anspielungen empfänglich und offen ist, wird vielleicht doch eher mit dem Urteil eines anderen Kritikers der Uraufführung übereinstimmen, daß nämlich „die kraftvolle, bodenwüchsige Prosa Gotthelfs, diese gesunde Hymnik mit Erdgeruch, in der Vertonung Burkhards ein musikalisches Gewand erhalten habe, das ihr in der bündigen, das Parlando nicht verschmähenden Sprache, aber auch in der religiösen Innerlichkeit gleichgestimmt ist.“

Jeremias Gotthelf:
Wie Uli der Knecht glücklich wird
2. Kapitel: Ein heiterer Sonntag in einem schönen Baurenhause

Der Sonntag kam am Himmel herauf, hell, klar, wunderschön. Die dunkelgrünen Gräslein hatten mit demantenen Kränzlein ihre Stirnen geschmückt und funkelten und dufteten als süße Bräutlein in Gottes unermeßlichem Tempel. Tausend Finken, tausend Amseln, tausend Lerchen sangen die Hochzeitlieder; weißbärtig, ernst und feierlich, aber mit den Rosen der Jugend auf den gefurchten Wangen, sahen die alten Berge als Zeugen auf die holden Bräutlein nieder, und als Priesterin Gottes erhob sich hoch über alle die goldene Sonne und spendete in funkelnden Strahlen ihren Hochzeitsegen.

Der tausendstimmige Gesang und des Landes Herrlichkeit hatten den Bauer früh geweckt, und er wandelte andächtigen Gemütes dem Segen nach, den ihm Gott beschert hatte. Er durchging mit hochgehobenen Beinen und langen Schritten das mächtige Gras, stund am üppigen Kornacker still, an den wohlgeordneten Pflanzplätzen, dem sanft sich wiegenden Flachse, betrachtete die schwellenden Kirschen, die von kleiner Frucht starrenden Bäume mit Kernobst[, band hier etwas auf und las dort etwas Schädliches ab] und freute sich bei allem nicht nur des Preises, den es einsten gelten, nicht nur des Gewinnes, den er machen werde, sondern des Herren, dessen Güte die Erde voll, dessen Herrlichkeit und Weisheit neu sei jeden Morgen. Und er gedachte: wie alles Kraut und jedes Tier jetzt den Schöpfer preise, so sollte es auch der Mensch tun, und mit dem Munde nicht nur, sondern mit seinem ganzen Wesen, wie der Baum in seiner Pracht, wie der Kornacker in seiner Fülle, so der Mensch in seinem Tun und Lassen.

„Gott Lob und Dank!“ [dachte er,] „ich und mein Weib und meine Kinder, wir wollen dem Herren dienen [, und er braucht sich unser nicht zu schämen. Wir sind wohl auch arme Sünder und haben nur einen geringen Anfang der Gottseligkeit, aber wir haben doch ein Herz zu ihm und vergessen ihn nie einen ganzen Tag lang und essen nichts, trinken nichts, daß wir ihm nicht danken, und nicht nur mit Worten, sondern von Herzensgrund.“]

© by Claus-Christian Schuster

Banlaky: 2. Liedfantasie für Bariton, Violine, Cello und Klavier nach Gedichten von Francesco Petrarca (2001)

Akos Banlaky

* 29. Jänner 1966

2. Liedfantasie für Bariton, Violine, Cello und Klavier nach Gedichten von Francesco Petrarca (2001)

Komponiert:Wien, 2001
Uraufführung:Wien, Musikverein (Brahms-Saal), 25. März 2003
Wolfgang Holzmair, Bariton
Altenberg Trio Wien
Claus-Christian Schuster, Klavier
Amiram Ganz, Violine
Martin Hornstein, Violoncello
Erstausgabe:Manuskript

Der 2. Liedfantasie war schon 1997 ein analoges Werk auf Texte von Maria Zampieri für Sopran, Violoncello und Klavier vorangegangen; in der Zwischenzeit ist eine 3. Liedfantasie auf Gedichte von A. A. von Haugwitz und G. R. Weckherlin für Sopran, Flöte und Klavier entstanden. Bei der Wahl der Texte gilt Banlakys ganz besondere und obsessive Züge annehmende Vorliebe der lyrischen Form des Sonetts: Einem ersten abendfüllenden „Sonettenbuch“ nach 28 Gedichten von Petrarca, Michelangelo, Rilke, Nerval, Verlaine und Baudelaire, folgte vor kurzem ein 30 Sonette umfassender zweiter Band auf eigene Texte. Neben seiner kompositorischen Tätigkeit verfolgt Banlaky zur Zeit ein Doktoratsstudium an der Universität Wien und unternimmt regelmäßig ausgedehnte ethnomusikologische Forschungsreisen, die ihn bisher in eine Reihe asiatischer, afrikanischer und südamerikanischer Länder geführt haben, und auf denen er auch seinen ornithologischen Interessen nachgeht. Dieses letzte Detail ruft natürlich die Erinnerung an Olivier Messiaen (1908-1992) wach, dessen Werk in der Tat nicht ohne Einfluß auf die idiomatischen Präferenzen Banlakys war, ein Einfluß, der sich unter anderem in der modalen Organisation des Tonmaterials widerspiegelt. Für die vorliegende 2. Liedfantasie, die sich im übrigen in aller Deutlichkeit zur Bewahrung der Tonalität bekennt, hat Banlaky fünf der dunklen, späten Sonette Petrarcas ausgewählt, die unseres Wissens bisher überhaupt noch nie vertont wurden. Die besondere Faszination, die das Werk Francesco Petrarcas (1304-1374) auf Banlaky ausübt, stellt ihn andererseits in eine ebenso lange wie Respekt gebietende Ahnenreihe von Komponisten, die mit Guillaume Dufay, Orlando di Lasso und Luca Marenzio beginnt und über Schubert und Liszt bis hin zu Schönberg führt.

CCXCII
Gli occhi di ch’io parlai sí caldamente

Gli occhi di ch’io parlai sí caldamente,
e le braccia, e le mani, e i piedi, e ’l viso,
che m’avean sí da me stesso diviso,
e fatto singular da l’altra gente;

le crespe chiome d’òr puro lucente,
e ’l lampeggiar de l’angelico riso
che solean fare in terra un paradiso,
poca polvere son, che nulla sente.

Et io pur vivo; onde mi doglio e sdegno,
rimaso senza ’l lume ch’amai tanto,
in gran fortuna, e ’n disarmato legno.

Or sia qui fine al mio amoroso canto:
secca è la vena de l’usato ingegno,
e la cetera mia rivolta in pianto.


Das Aug, von dem ich sprach so lieb-entzündet,
die Arme, Hände, Füße und die Züge,
die mich von mir getrennt und vom Gefüge
der Menschenwelt, die mich nicht länger bindet.

Das Haar, das sich zu Locken Goldes ründet;
des Lachens Blitz, als ob ein Engel fliege,
als ob der Erd ein Paradies entstiege,
sind eine Handvoll Staub, die nichts empfindet.

Und doch, ich lebe weiter, was mich bitter
erzürnt, entblößt des so geliebten Lichtes
auf steuerlosem Holz im Ungewitter.

Sei dies das Ende schwärmenden Gedichtes;
die Ader ist versiegt und meine Zither
verwandelt in Wehklagen des Verzichtes.

CCXCIV
Soleasi nel mio cor star bella e viva

Soleasi nel mio cor star bella e viva,
com’alta donna in loco umile e basso;
or son fatto io per l’ultimo suo passo,
non pur mortal, ma morto, et ella è diva.

L’alma d’ogni suo ben spogliata e priva,
Amor de la sua luce ignudo e casso
devria de la pietà romper un sasso;
ma non è chi lor duol riconti, o scriva:

ché piangon dentro, ov’ogni orecchia è sorda,
se non la mia, cui tanta doglia ingombra,
ch’altro che sospirar nulla m’avanza.

Veramente siam noi polvere et ombra;
veramente la voglia cieca e ’ngorda;
veramente fallace è la speranza.


Schön und lebendig mir im Herzen wohnt‘ sie
wie eine Herrin in bescheidenem Orte;
nun bin ich hinter ihrer letzten Pforte
tot und gestorben, und als Göttin thront sie.

Die Seele, jedes Guts entschleiert front sie;
des Lichts beraubt ist Amor – Laub verdorrte
vor Mitleid; Felsen brächen; doch der Worte
ertönt nicht eins, und keine Schrift belohnt sie.

Sie weinen innen, wo die Ohren taub sind;
nur meine nicht, den Schmerz so übermäßig
befrachtet, daß nur Seufzer mir entfliegen.

Wahr ist: das Wollen, ach, ist blind-gefräßig.
Wahr ist es, daß wir Schattenspiel und Staub sind.
Wahr ist, daß uns Hoffnungen betrügen.

CCXCIII
S’io avesse pensato che sí care

S’io avesse pensato che sí care
fossin le voci de’ sospir miei in rima,
fatte l’avrei, dal sospirar mio prima,
in numero più spesse, in stil più rare.

Morta colei che mi facea parlare,
e che si stava de’ pensier miei in cima,
non posso, e non ho più sí dolce lima,
rime aspre e fosche far soavi e chiare.

E certo ogni mio studio in quel tempo era
pur di sfogare il doloroso core
in qualche modo, non d’acquistar fama.

Pianger cercai, non già del pianto onore:
or vorrei ben piacer; ma quella altèra,
tacito, stanco, dopo sé mi chiama.


Hätt ich gedacht, daß man so teuer achte
die Töne meiner Seufzer in den Reimen,
so hätte ich ab meines Seufzens Keimen
nach höh’rer Zahl und reicherm Stil getrachtet.

Da jene tot ist, die mich reden machte,
die auf dem Gipfel stand von allen Träumen,
vermag ich wilde Reime nicht zu zäumen
noch aufzuhellen, was in ihnen nachtet.

Und sicher war zu jener Zeit mein Sinnen
allein, daß sich mein Herz der Qual erwehre
auf irgendeine Art: nicht Ruhm zu horten.

Das Weinen sucht ich; nicht vom Weinen Ehre.
Nun möcht ich gern gefallen, doch von hinnen
ruft jene Stolze mich: erschöpft an Worten.

CCCXLIX
E’ mi par d’or in ora udire il messo

E’ mi par d’or in ora udire il messo
che madonna mi mande a sé chiamando:
cosí dentro e di fòr mi vo cangiando,
e sono in molt’anni sí dimesso,

ch’a pena riconosco omai me stesso!
Tutto ’l viver usato ho messo in bando:
sarei contento di sapere il quando,
ma pur devrebbe il tempo esser da presso.

O felice quel dí, che, del terreno
carcere uscendo, lasci rotta e sparta
questa mia grave e frale e mortal gonna,

e da sí folte tenebre mi parta,
volando tanto su nel bel sereno,
ch’i’ veggia, il mio Signore, e la mia donna.


Von Stund zu Stunde wähne ich, vernommen
hätt ich den Boten, den die Herrin sendet.
So sehr ist all mein Innres umgewendet,
in wenig Jahren bin ich so verkommen,

daß ich mich kaum erkenne so verschwommen
und dem gewohnten Leben ganz entwendet.
Ich wäre froh zu wissen, wann es endet:
der Zeitpunkt ist doch wohl schon fast gekommen.

O glücklich jener Tag, da ich die Grüfte
der Erde lassen darf, da ich der Schwere
des schwachen sterblichen Gewands entwehe

und aus so dichtem Dunkel heimwärts kehre,
so hoch entfliegend in die schönen Lüfte,
daß ich den Herrn und meine Herrin sehe.

CCCL
Questo nostro caduco e fragil bene

Questo nostro caduco e fragil bene,
ch’è vento et ombra, et ha nome beltate,
non fu già mai se non in questa etate
tutto in un corpo; e ciò fu per mie pene.

Ché natura non vòl, né si convene,
per far ricco un, por li altri in povertate:
or versò in una ogni sua largitate;
perdonimi qual è bella, o si tène.

Non fu simil bellezza antica o nova,
né sarà, credo; ma fu sí coverta,
ch’a pena se n’accorse il mondo errante.

Tosto disparve; onde ’l cangiar mi giova
la poca vista a me dal ciel offerta
sol per piacer a le sue luci sante.


Dies unser Gut, das so zerbrechlich feine
– Wind ist’s und Schatten – “Schönheit” heißt die Habe –,
ward keiner Zeit als unsrer so zur Gabe
in einem Leib – und das, damit ich weine.

Nicht gönnt ja die Natur, auf daß der eine
verwöhnt sei, andern nur die leere Wabe;
doch ihr ergoß sie ihre ganze Labe –
verzeih mir, welche schön sei oder scheine!

Nie war dergleichen Schönheit je und heute,
noch wird sie sein; doch fiel sie dem Getümmel
der Welt nicht auf und die Verirrten allen.

Bald ging sie hin – weshalb der Tausch mich freute
des kurzen Blicks, mir zubestimmt vom Himmel,
nur, um den heiligen Lichtern zu gefallen.

© by Claus-Christian Schuster

Beethoven: Trio Nr. 3, c-moll, op. 1 Nr. 3

Ludwig van Beethoven

* 16. Dezember 1770
† 26. März 1827

Trio Nr. 3, c-moll, op. 1 Nr. 3

Komponiert:Wien, etwa 1793
Widmung:Fürst Carl von Lichnowsky (1761-1814)
Uraufführung:Wien, bei Fürst Carl von Lichnowsky (Schauflergasse 6), vor dem 19. Jänner 1794 (wahrscheinlich Ende 1793)
Ludwig van Beethoven, Klavier
(?) Ignaz Schuppanzigh (1776-1830), Violine
(?) Anton Kraft (1749-1820), Violoncello
Erstausgabe:Artaria, Wien, Oktober 1795

Von den drei Trios des emblematischen Opus 1, mit dem Beethoven in beispielloser Selbstsicherheit die Bühne der Musikgeschichte betritt, ist das dritte wahrscheinlich das populärste und zweifellos das am meisten gespielte. Beethoven selbst hielt es für das beste Stück der Reihe und war daher über die Skepsis, mit der Haydn bei der Uraufführung gerade diesem Werk begegnete, gekränkt. Es ist nicht zu leugnen, daß dieses Trio sich von seinen beiden Schwesterwerken auf ganz bezeichnende Weise unterscheidet: Es ist noch reicher an einprägsamen motivischen Details und instrumentatorischen Effekten, klanglich noch raffinierter und noch dichter übersät mit Überraschungen aller Art. Gerade diese qualitativen Unterschiede könnten aber vielleicht Haydns Reaktion verständlich machen ( – Haydns in diesem Zusammenhang oft ins Spiel gebrachte „Eifersucht“ ist ein so abstruses Motiv, daß es sich gar nicht erst lohnt, darauf näher einzugehen). Beethoven hat mit diesem Werk nämlich ganz offensichtlich ein Ziel verfolgt, das weit außerhalb der Lebens- und Erfahrungssphäre Haydns lag: Während die beiden vorausgehenden Trios der musikalischen Naturpoesie Haydns mit ihrem organischen Ablauf gar nicht ferne stehen, ist dieses abschließende – und nach Beethovens unmißverständlicher Absicht auch krönende – Werk ein zutiefst subjektives, von erschütternder Tragik geprägtes Bekenntniswerk, in dem der Tondichter rückhalt- und schonungslos bis an die Grenzen des Mitteilbaren vordringt. Das lebensspendende Gottvertrauen, unter dessen mildem Klima der ganze überreiche Kosmos der Haydnschen Kammermusik gedeiht und einen so unerschöpflichen Reichtum an originellen Organismen hervorbingt, hier scheint es in einem aussichtslosen Überlebenskampf verdunkelt, ja verloren – und die beiden Momente, wo dieses kindliche und bedingungslose Vertrauen als ferne Ahnung oder wehmütige Erinnerung wieder auftauchen möchte, wirken vor der Folie dieses existenziellen Kampfes als idyllische, ephemere Selbsttäuschung (der zweite Satz) oder gar als dadaistischer Ulk (das Trio des Menuetts), der die schicksalhafte Ausweglosigkeit nur noch schmerzlicher hervortreten läßt. Daß ein Werk von so kompromißloser Radikalität und bestürzender Gedrängtheit Fassungslosigkeit, ja Entsetzen hervorrufen mußte, erscheint ganz unausweichlich. Weit erstaunlicher und bedenklicher dünkt mich, daß heute dieses Grauen im Regelfall genießerischem Fußwippen und einer allwissenden Kennermiene gewichen ist; jedenfalls scheint die Popularität des Werkes zu einem nicht geringen Teil auf einem fundamentalen und verharmlosenden Mißverständnis zu beruhen. Denn wenn man erst einmal die tragische Heterogenität und die dramatische Spannung der hier verarbeiteten Ideen und Klangbilder erkennt, wird man nicht so sehr die Sicherheit und Kühnheit, mit der Beethoven alle diese widersprüchlichen Elemente zu einem zwingenden und überzeugenden (wenn auch bestürzenden) Ganzen zu einen weiß, bewundernd bestaunen, sondern viel eher vor der Erschütterung, die ein so schonungsloses Bekenntnis hervorruft, jede wertende und „wissende“ Attitude aufgeben.

Schon die Exposition des ersten Satzes (Allegro con brio, c-moll) bietet uns ein Schauspiel widersprüchlichster Gefühle und Regungen: Verirrung und banges Zögern, atemloses Drängen und zorniges Zupacken, seliges Schweben und frenetisches Stürmen – alles ist hier zu finden und auf die originellste Weise miteinander verwoben. So verwandelt sich etwa der beklemmt fragende Doppelschlag des Kopfmotivs unvermutet zu einem nervig dahinstürmenden Motiv, während andererseits das nervöse Agitato des Hauptthemas bei seiner überraschenden Wiederaufnahme in der Coda plötzlich als gutgelauntes Scherzando erscheint. Gerade dieser Kontrast bildet den Kern der Durchführung, die durch eine Reihe frappanter Modulationen eingeleitet wird. Höchst beeindruckend ist auch der dramatische Umgang mit dem traditionellen Orgelpunkt auf der Dominante vor der Reprise: zweimal versucht das Cello allein die Erstarrung zu durchbrechen und wird jedesmal mit einer herrischen Geste zurückgedrängt. Die Reprise ist gegenüber der Exposition tiefgreifend verändert, auffälligstes Detail ist eine auf den Beginn der Durchführung zurückgreifende harmonische Ausweitung, die das Kopfthema für wenige Augenblicke in Durbeleuchtung erscheinen läßt; der Schluß nimmt noch einmal das wirkungsvolle Szenario der Reprisenvorbereitung auf und entläßt uns in mit grimmigen Dissonanzen durchsetzten c-moll.

In größtem Kontrast zu diesem Satz steht das folgende Andante cantabile con Variazioni (Es-Dur). Rein äußerlich entspricht es einem bei Beethovens Vorgängern sehr beliebten Muster (Thema, fünf Variationen, Coda). Das Thema selbst ist von größter Schlichtheit; es besteht aus zwei Achttaktern, die zuerst jeweils vom Klavier alleine und dann unter Führung der Geige von allen drei Instrumenten vorgestellt werden. Da in den Klaviersoli die Baßlinie zunächst ausgespart bleibt, entsteht der Eindruck, als sei die erste Variation gewissermaßen schon im Thema selbst enthalten. In der Folge wechselt immer eine vom Klavier und eine von den Streichern dominierte Variation ab, so daß der ganze Satz von großer Klangfarbenausgewogenheit ist. Das sukzessive Fortschreiten zu immer kleineren Notenwerten (Variationen I-III) hat Beethoven bis hin zu den späten Klaviersonaten beibehalten und weiterentwickelt; die Technik erscheint aber schon hier mit großem Raffinement angewendet, da Beethoven – im Unterschied zu seinen Vorgängern – die Beschleunigung der Bewegungsart nicht mit den Anfängen der Variationen zusammen fallen läßt, sondern mit gleitenden Übergängen und Vorwegnahmen arbeitet. Das Hauptaugenmerk gilt jedoch der metrischen Interpretation des Themas – das Spiel mit abwechselnd betonten und fallengelassenen, vorgezogenen und verspäteten Auftakten ist nicht nur überaus kunstreich, es steht auch in einer sehr aparten Spannung zu der scheinbaren Simplizität des Themas. Erst die innige Minore-Variation (IV) rekapituliert die metrische Urgestalt des Themas, die dann in der letzten Variation (Un poco più Andante) von zierlicher Chromatik umspielt wird. Das Ende dieser Variation und die Coda sind vielleicht der berührendste Moment des Satzes: viermal mündet die Kadenz in einen Trugschluß, um schließlich den Weg zu einer wundervoll ausgekosteten Rückkehr in das heimatliche Es-Dur freizugeben. (Die allerletzten Takte dieser Coda hat Beethoven übrigens in seiner Bagatelle C-Dur op. 119 Nr. 2 zu einem eigenen kleinen Stück ausgeweitet.)

Wer gemeint hätte, daß Beethoven mit zwei so antithetischen Sätzen seine Möglichkeiten zu dramaturgischen Überraschungen erschöpft habe, wird in den folgenden beiden Sätzen eines Besseren belehrt: der dritte Satz erstaunt zunächst schon einmal durch seine Bezeichnung (Menuetto. Quasi allegro, c-moll). Die beiden Schwesterwerke bringen an dieser Stelle ein Scherzo – und der kulturgeschichtliche Hintersinn der Verdrängung des Menuetts durch das Scherzo wird ja gemeinhin als konstitutiv für die „nachrevolutionäre“ Musik angesehen. Warum finden wir also gerade in diesem Werk, das den Zeitgenossen so besonders revolutionär erschien, einen solchen Rückgriff? Nun, schon die relativierende Tempobezeichnung macht klar, daß der Rückgriff nur ein scheinbarer ist. Vom bärbeißigen Humor der Haydnschen oder der tänzerischen Eleganz der Mozartschen Menuette ist keine Spur mehr zu finden, die Stimmung ist unruhig, verunsichert, mit jähen Stimmungsbrüchen, die sich auch in der zerklüfteten Dynamik des Satzes widerspiegeln: jähe Fortissimoschläge durchzucken das verhaltene Piano, das zwischen nervöser Beklemmung und scheinbarem Frohsinn irisiert. Nur das Trio entläßt uns auf einige Takte in eine verspielte C-Dur-Rokokowelt – es tut dies aber mit soviel Witz, daß der ironische (oder bitter-wehmütige?) Unterton gar nicht zu überhören ist.

Der Beethoven-Liebhaber, der beim Erscheinen der Tonart c-moll sofort an die Pathétique und die V. Symphonie denkt, kann im letzten Satz (Finale. Prestissimo, c-moll) in Assoziationen schwelgen. Ein „typischerer“ Beethoven-Satz läßt sich auch wirklich schwer denken. Die Metamorphose, die das Ausgangsmaterial dieses Satzes durchgemacht hat – das Thema erscheint zuerst in einer Skizze zum Menuett des Bläseroktetts op. 103 (1792) – ist, wie so oft bei Beethoven, von unglaublicher Radikalität. Der zupackende Elan, die leidenschaftliche Unruhe und das hymnische Feuer – alle zentralen Topoi der Beethovenschen Musik sind in diesem Satz vereint. Die Sonatenhauptsatzform ist hier etwas regelmäßiger, doch um nichts weniger phantasievoll behandelt als im ersten Satz. Wirklich erschütternd ist die ausgedehnte Coda, die alle Finalerwartungen enttäuscht: das Thema wird seiner Motorik beraubt, stockt, fällt kraftlos um einen Halbton nach h-moll und mündet schließlich in den wie in tiefer Betäubung endlos wiederholten Vorhalt des-c. Das abschließende C-Dur ist fahl und erschöpft – von konventioneller Versöhnlichkeit findet sich auch nicht die leiseste Spur. Es gibt in der ganzen Musikliteratur nur ganz wenige Mollsätze, die auf so hoffnungslos tragische Weise in Dur schließen, und den wenigen Fällen scheint oft gerade dieser paradigmatische Satz Modell gestanden zu haben (so etwa im Finalsatz des dritten Klavierquartetts, op. 60, c-moll, von Johannes Brahms).

Wie hoch Beethoven selbst dieses Trio schätzte, läßt sich daran ersehen, daß er noch im August 1817 eine – übrigens sehr gelungene – Bearbeitung des Werkes für Streichquintett vornahm und diese zwei Jahre später als op.104 veröffentlichen ließ.

© by Claus-Christian Schuster

Beethoven: Trio G-Dur op.1 Nr.2

Ludwig van Beethoven

* 16. Dezember 1770
† 26. März 1827

Trio G-Dur op.1 Nr.2

Komponiert:Wien
Widmung:Fürst Carl von Lichnowsky
Uraufführung:Wien, bei Fürst Carl von Lichnowsky (Schauflergasse 6)
vor dem 19. Jänner 1794 (wahrscheinlich Ende 1793)
Ludwig van Beethoven, Klavier
Ignaz Schuppanzigh (?), Violine
Anton Kraft (?), Violoncello
Erstausgabe:Artaria, Wien, 1795

Unter den drei Werken von Beethovens Opus 1 nimmt das G-Dur-Trio nicht nur formal die zentrale Stellung ein: es ist das Herzstück des ganzen Zyklus. Das schlägt sich rein äußerlich darin nieder, daß es länger ist als seine beiden Schwesterwerke, und daß
Beethoven hier das einzige Mal die epische Eröffnungsform der langsamen Einleitung wählt. Darüber hinaus aber spiegelt sich die Zentralstellung dieses Werkes auch in der dramaturgischen und stilistischen Gesamtanlage des Opus: wenn man in Nr.1 (Es-Dur) die transzendierende Zusammenfassung der Erfahrungen Haydns und in Nr.3 (c-moll) die Quintessenz der Charakteristika
des frühen Beethoven sehen kann, so mutet einen das G-Dur-Trio wie ein träumerisches Spiel mit den Möglichkeiten der Zukunft an. Nicht zufällig gehören zu den Assoziationen, die sich beim Anhören dieses Werkes fast zwangsläufig einstellen, so weit auseinanderliegende
Phänomene wie Schubert und Rossini – beides Komponisten, die zur Zeit der Niederschrift dieses Trios entweder noch nicht geboren waren oder gerade erst in den Windeln lagen, und deren Werk exemplarisch die ganze Amplitude der Musik des ersten Drittels des XIX. Jahrhunderts repräsentiert.
Der Beginn des ersten Satzes (Adagio, G-Dur) ist nichts anderes als eine Metamorphose des Inzipits von op.1 Nr.1 (die ersten beiden Takte sind, transponiert und rhythmisch modifiziert, notenident mit der analogen Stelle des Es-Dur-Trios). Es ist eine Metamorphose ins traumhaft Spielerische, versonnen Graziöse. Das Motto des folgenden Hauptteils (Allegro vivace) durchzieht diese Einleitung ebenso wie dessen charakteristische Verzierungen, sodaß trotz des großen Stimmungs- und Tempokontrastes die Einheit zwischen den beiden
Teilen niemals gefährdet ist. Der Hauptteil selbst ist ein sehr ausgedehntes und vielgliedriges Sonaten-Allegro, das die Sphäre des übermütig Neckischen und spielerisch Anmutigen ganz auskostet und fast nie verläßt. Es ist, als würde – mit einem Unterton romantischer Ironie – aller galanter Zauber des vorrevolutionären XVIII. Jahrhunderts noch ein letztes Mal zusammenfassend und beschließend aufgeboten.
Doch schon der zweite Satz (Largo con espressione, E-Dur) entführt uns in eine völlig andere Welt: Es ist sicher kein Zufall, daß Beethoven hier das einzige Mal in seinem Opus 1 das „klassische“ Muster der Tonartenbeziehungen in mehrsätzigen Werken aufgibt und eine fernliegende, „romantische“, „schubertische“ Tonart aufsucht.
Wenn man weiß, wie bewußt Beethoven mit Tonartencharakteristik umgeht, und welche klangsinnliche Realität vor der Etablierung der „modernen“, gleichschwebenden Temperatur (deren erklärter Gegner Beethoven zeitlebens geblieben ist) mit dieser Charakteristik verbunden war, so wird man diesem Detail mehr Gewicht geben müssen, als es gemeinhin geschieht.
Jedenfalls ist dieser Satz auch in dem an Höhepunkten nicht eben armen Oeuvre Beethovens eine Sternstunde: was hier an Innigkeit, Tiefe und Sammlung erreicht ist, entzieht sich weit über das normale Maß hinaus der Be- und Umschreibung.
Das Scherzo (Allegro, G-Dur) gehört zu einem Satztypus, den der frühe Beethoven besonders liebte und um immer neue Varianten bereicherte: das Scherzo von op.1 Nr.1 gehört ebenso hierher wie etwa das Scherzo der Klaviersonate C-Dur op. 2 Nr. 3. Gemeinsam ist all diesen Sätzen die Entwicklung aus einem prägnanten, einstimmigen Motto, das Anlaß und Ausgangspunkt für kontrapunktische
Kabinettstücke ist, wobei sich der gute Humor, der all diesen Sätzen eigen ist, oft in derben und eigensinnigen Akzentuierungen niederschlägt; die „Flächigkeit“ der Trios gehört ebenso zum Erscheinungsbild dieses Satztypus wie die in die Stille zurückführende, das Motto „rückentwickelnde“ Coda, die oft (so auch hier) mit einer Rücknahme des Tempos verbunden ist.
Das Finale (Presto, G-Dur) greift die ersterbenden Schlußakkorde dieser Coda mit mutwilligem Elan auf: Dieser Satz hätte mit seinem leutseligen Übermut und seiner ansteckenden Gutgelauntheit auch für den Buffo-Großmeister Rossini ein inspirierendes Vorbild sein können, und es ist nicht zu überhören, daß der volkstümliche und absichtsvoll naive (aber nie primitive) Witz dieser
Musik auch noch in manchen Geschwindmärschen der Strauß-Dynastie nachklingt. Wieviele solcher Sätze hätte Beethoven eigentlich schreiben müssen, um das monochrome Devotionalienbild des finster dahinschreitenden Titanen als verflachende Fiktion bloßzustellen?

© by Claus-Christian Schuster

Batik: Vier Intermezzi

Roland Batik

* 19. August 1951

Vier Intermezzi

Komponiert:Seibersdorf, Jänner-März 2001
Widmung:Altenberg Trio Wien
Uraufführung:Wien, Musikverein, Brahmssaal, 3. April 2001
Altenberg Trio Wien
Claus-Christian Schuster, Klavier
Amiram Ganz, Violine
Martin Hornstein, Violoncello
Erstausgabe:Manuskript

Die Krise der Darmstädter Ästhetik (deren zeitliche Nähe zum ominösen Jahr 1968 wohl nicht ganz zufällig ist) ging Hand in Hand mit einer ganzen Reihe von Phänomenen, deren Nachwirkungen bis heute spür- und hörbar geblieben sind. Die österreichischen „Darmstädter“ Otto M. Zykan (*1935), Kurt Schwertsik (*1935) und H. K. Gruber (*1943) kreierten 1968 mit „MOB art & tone ART“ einen spielerischen Gegenentwurf zu den aufwendigen Architekturen und angestrengten Konstruktionen, mit deren Unterstützung die „ernste“ Musik dieser Zeit verbissen darum kämpfte, auch wirklich ernst genommen zu werden. Die Verschiedenartigkeit der seit damals von diesen Komponisten beschrittenen Wege und die bis heute andauernde Strahlkraft ihres Gedankenansatzes, beweist die organische Notwendigkeit und Richtigkeit dieser Entwicklung.
Obwohl Roland Batik von dieser Strömung völlig unbeeinflußt blieb, ist sein musikalischer Werdegang für das durch sie mitgeprägte Ambiente geradezu exemplarisch. Schon lange bevor das Zauberwort „Crossover“ zum verbalen Amulett und Köder einer hektisch nach Verkaufsstrategien suchenden Musikindustrie wurde, hat Roland Batik all das, was dieser Begriff vergeblich vorzuspiegeln versucht, wirklich gelebt. Als Teenager hatte er sich Rockgruppen wie Queen, The Who und Iron Butterfly zu Idolen erkoren, was ihn aber durchaus nicht daran hinderte, eine „klassische“ Musikausbildung zu durchlaufen. Das Jahr 1971, ein Schlüsseljahr seiner Laufbahn, spiegelt die Dualität dieser Neigungen exemplarisch wieder: In diesem Jahr erlebt er die Uraufführung von Friedrich Guldas Concertino for Players and Singers mit, das ihn tief und nachhaltig beeindruckt; wird als Pianist Student von Walter Fleischmann an der Wiener Musikhochschule; und wird selber Lehrer von Friedrich Guldas Sohn Paul (*1961). An dem kurz zuvor von Erich Kleinschuster und den Mitgliedern seines Sextetts gegründeten Jazz-Institut (Abteilung X) des Konservatoriums der Stadt Wien ist er einer der ersten Schüler – Fritz Pauer gibt ihm dort entscheidende Impulse. Als Komponist tritt er ab 1972 mit stimmungsvollen Bühnenmusiken für mehrere Märchenproduktionen des Wiener Burgtheaters in Erscheinung.
Was ihm 1971 noch ein kaum erfüllbarer Wunschtraum erschien, wird schon 1974 Realität: Unter der Leitung des Komponisten, der ihn für diese Aufgabe prädestiniert hält, führt er in Salzburg (und im Folgejahr auch in Wien) Guldas Concertino auf. Von da an ist Roland Batik (der zwischen 1976 und 1978 mit Friedrich Gulda intensiv auch an seinem klassischen Repertoire arbeitet) für eine ganze Generation junger Musikfreunde der ideale Wegbegleiter bei der Entdeckung des grenzenlosen Reichtums musikalischer Idiome. Obwohl er sich hier vor allem als Solist profiliert, zieht ihn auch die Kammermusik in besonderer Weise an: 1977 begründet er mit Heinrich Werkl (Kontrabaß) und Walter Grassmann (Schlagzeug) ein noch immer bestehendes Jazz-Trio, 1982 mit seinem ehemaligen Schüler Paul Gulda ein bis 1988 konzertierendes klassisches Klavierduo, das auch international größte Anerkennung findet. Zwischen 1987 und 1991 ist Batik Mitglied der Wiener Instrumentalsolisten, für die er auch mehrere Werke schreibt. Mit dem 1996 ins Leben gerufenen Jazz-Trio „Bridges“, bei der Woody Schabata (Marimba/Vibraphon) die Stelle von Walter Grassmann einnimmt, gewinnt Batiks kammermusikalische Vorliebe eine zusätzliche Dimension.
Schon seit 1977 ist Batik auch erfolgreicher Lehrer am Konservatorium der Stadt Wien, wo er bis 1994 parallel Jazz und Konzertfach Klavier unterrichtete; seit 1994 beschränkt er sich hier auf das klassische Fach. Die Realisierung diskographischer Großprojekte, wie die vielfach ausgezeichnete Einspielung sämtlicher Mozart- und Haydn-Klaviersonaten (1989/90 und 1995/99), belegt eindrucksvoll, daß Batik seinen ganz eigenen Interpretationsstil gefunden hat.
Unter seinen Kompositionen erfreuen sich etliche Klavierwerke (Bagatelle, Pannonische Romanze, Impressionen) besonderer Popularität. Er selbst betrachtet das 1993 im Auftrag der Jeunesse musicale entstandene (und erst jüngst wieder in Wien zu hörende) Erste Klavierkonzert als sein Hauptwerk; an einem zweiten Klavierkonzert, das er im Herbst 2003 mit dem Linzer Bruckner-Orchester uraufführen wird, arbeitet Batik gerade.
Die heute uraufgeführten Vier Intermezzi übernehmen von der Popularmusik die Vorliebe für Ostinati und kleinräumige Gliederungen: Das erste (Introduktion) definiert den spielerisch-gelösten Charakter des ganzen Zyklus und folgt einem additiven Formschema, das folgerichtig auf ein abruptes Ende zusteuert. Das rhapsodische zweite Stücke (Quasi improvvisando) versucht, die im Klaviertrio aufeinander treffenden Klangwelten auszuloten; im weiteren Verlauf sind die von der „Minimal music“ kommenden Anregungen nicht zu überhören. Die symmetrische Form öffnet sich mit dem Schluß-Pizzicato zum Folgestück (Blues-Intermezzo). Hier werden die formalen Konventionen des Blues (zwölftaktige Perioden, Blues-Kadenz) auf parodistische Weise mit „klassischen“ Elementen kombiniert. In zwei eingeschobenen Episoden erscheinen Tangoreminiszenzen sowie eine Nänie über spannungsreichen Akkorden. Mit dem im phrygischen Modus stehenden (und unüberhörbar „hispanisierenden“) Finale beschließt Batik den kleinen Zyklus ganz in der Art eines klassischen „Kehraus“.

© by Claus-Christian Schuster