Haydn: Trio Es-Dur Hob.XV:30

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio Es-Dur Hob.XV:30

Komponiert:Wien, beendet vor dem 9. November 1796
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Artaria, Wien, Oktober 1797

Schon am 16. April 1796 kündigt Haydn seinem Verleger Christoph Gottlob Breitkopf – „nur noch ein wenig geduld, Sie werden Geld und Music erhalten“ – die Übersendung dieses Werkes an, das er aber dann doch erst am 9. November 1796 abschicken kann. Die „versprochene Claviersonate“ ist Haydns letztes Klaviertrio und ein würdiger Abschluß für diese in der Geschichte unseres Genres einzigartige Werkreihe; sie ist darüber hinaus auch Haydns letzte Komposition für Klavier – alle weiteren Pläne sind über das Entwurfstadium nicht hinausgediehen. An Weite der Anlage und harmonischem Reichtum übertrifft dieses Trio fast alle seine Vorgänger, unter denen es allerdings einige gibt, die formal und idiomatisch noch weiter in bis dahin unerforschtes Neuland vordringen.

Der erste Satz (Allegro moderato) entfaltet einen sogar für Haydn ungewöhnlichen Ideenreichtum. Man hat in etlichen Details ebenso wie in der Gesamtanlage dieses prächtigen Satzes den Nachklang mozartischer Modelle zu hören gemeint; mir scheint aber eher, daß Haydn hier in größter Abrundung und Vollendung die Quintessenz seiner ureigensten Errungenschaften und Erfahrungen vorlegt – und nur in dieser Brechung ist natürlich auch der Schatten Mozarts gegenwärtig. Die Exposition quillt förmlich über von thematischem Material, das auf subtilste Weise miteinander verknüpft wird. Eben diese Verknüpfung ist es, in der Haydn seine ganze Meisterschaft erweist. Ein unscheinbares Motiv, das im ersten Takt als Begleitung versteckt auftritt, dient in den verschiedensten Metamorphosen als Klammer zwischen den einzelnen Formteilen. Zwei voll entwickelte Hauptthemen werden vor uns ausgebreitet, bevor uns eine Variation des ersten gleichsam durch einen Nebeneingang zum Seitensatz führt. Bei dieser Gelegenheit tritt ein zweites, in der Tat ganz mozartisch anmutendes Klammermotiv (eine Achtelkette von „Sospiri“) auf, das sich zuvor an unscheinbarer Stelle im zweiten Hauptthema verborgen hatte und erst nun seine Wandlungsfähigkeit erweisen kann. Bemerkenswert und außergewöhnlich ist die Wahl der Molldominante als Tonart für das zweite Seitenthema – einer Tonart, die im Idiom der Wiener Klassik meist ein Vorbote außergewöhnlicher Komplikationen ist, zumal wenn sie an so prominenter Stelle auftritt. Hier kündigt sie aber nur die erstaunliche Erweiterung des harmonischen Horizontes an, die uns in der Durchführung erwartet. Dabei erweist sich wieder einmal, daß auch entfernteste Tonarten nicht willkürlich, einer Genielaune folgend, sondern nur in Erfüllung einer inneren organischen Notwendigkeit aufgesucht werden. So erstaunt es uns nicht, gleich am Eingang der Durchführung nacheinander jene Trabantentonarten von Es-Dur zu finden, die uns schon aus anderem Zusammenhang vertraut sind (vgl. Hob.XV:29 und Hob.XV:31): Das erste Hauptthema erscheint in Ces(H)-Dur, während uns das zweite unmittelbar darauf in einer es-moll-Verkleidung entgegentritt. Von hier aus führt uns Haydn gleichsam auf einem Saumpfad über Des-Dur, es-moll, f-moll und c-moll zurück zur Tonika, von der die nach all diesen Abenteuern unerwartet regelmäßige Reprise ihren Ausgang nimmt.

Auch der zweite Satz (Andante con moto, C-Dur) verrät in jedem Takt den reifen Meister. Der für einen langsamen Satz eher ungebräuchliche Dreiachteltakt (von Haydn in keinem seiner anderen Trios in dieser Funktion verwendet) sorgt für einen leichten Fluß, der uns scheinbar schwerelos über das chromatisch blühende Terrain trägt. Der rastlosen Modulatorik der Ecksätze steht hier eine unerschütterliche Stabilität gegenüber – die Grundtonart C-Dur herrscht uneingeschränkt über den ganzen Satz. Allerdings ist diese Tonart selbst (Variante der Mollparallele) schon eine kleine Kostbarkeit: Haydn scheint eine besondere Vorliebe für diese nicht sehr naheliegende Verwandtschaft besessen zu haben – in seinen späten Trios kommt sie gleich viermal vor (Hob.XV:20, Hob XV:25, Hob.XV:27, Hob.XV:30) -, und Beethoven hat diese Neigung vielleicht von seinem Lehrmeister geerbt, wie sich etwa aus seinen aus eben dieser Zeit stammenden Werken op.1/Nr.2 (Klaviertrio G-Dur) und op.7 (Klaviersonate Es-Dur) schließen ließe. (Übrigens werden wir Beethoven noch ein gutes Jahrzehnt später diesem Erbe treu finden – und zwar wieder in einem in Es-Dur stehenden Schlüsselwerk der Klaviertrioliteratur: op.70/Nr.2). – Die Form des Satzes ist die „gewöhnliche“ dreiteilige Liedform – aber mit welchem Raffinement und welcher Freiheit gehandhabt! Durch dezent eingesetzte Asymmetrie versteht Haydn es, dem ganzen Satz einen Anschein improvisatorischer Freiheit zu geben. Vor allem aber gelingt ihm das seltene Kunststück, die Wiederholung des Hauptteils durch Angleichung der Textur und Vertauschen einzelner Abschnitte so innig mit dem Mittelteil zu verschmelzen, daß das (üblicherweise in langsamen Sätzen durchaus erwünschte) statische Element dieser Bauart völlig aufgehoben erscheint.

Nicht einmal für die Überleitung zum attacca anschließenden Presto wird die Grundtonart des zweiten Satzes verlassen. Direkt von der Dominante G-Dur aus werden wir in den ungebändigten Übermut dieses entfesselten „Deutschen Tanzes“ entlassen. Hier erklärt sich auch rückblickend, warum dem Komponisten so sehr an der Aufrechterhaltung des Flusses und der Dynamisierung der Form im Andante gelegen war. Er hat nämlich auch für diesen Schlußsatz die dreiteilige Form gewählt, wobei der Tanzcharakter eine „genaue“, unverschleierte Reprise wünschenswert erscheinen ließ. Durch die so grundsätzlich andere Handhabung des gleichen Formschemas im vorhergehenden Satz vermeidet er auch den leisesten Anflug von Stereotypie. Im Mittelteil finden wir wieder unsere alten Bekannten es-moll und H-Dur in fulminanter Aktion – diesmal in kroatischer Bauerntracht. Eine geistreiche und brillante Coda setzt einen lapidaren Schlußpunkt unter Haydns letztes Klaviertrio.

© by Claus-Christian Schuster

Haydn: Trio Es-Dur Hob.XV:29 (op.75 Nr.3)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio Es-Dur Hob.XV:29 (op.75 Nr.3)

Komponiert:London, 1795 (oder Wien, 1795/96?)
Widmung:Theresa Bartolozzi, geb. Jansen
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Longman & Broderip, London, April 1797

In seinem ersten Londoner Notizbuch von 1791 erwähnt Haydn unter den hervorragenden Musikern der Stadt eine damals 21jährige, aus Aachen stammende Pianistin: Theresa Jansen. Sie war Schülerin von Muzio Clementi und scheint Haydn mit ihrem Spiel so beeindruckt zu haben, daß er ihr den anspruchsvollsten Teil seines klavieristischen Spätwerkes widmete: die letzten drei Klaviersonaten (Hob.XVI:50-52) und die letzte Dreiergruppe von Klaviertrios (Hob:XV:27-29). Wahrscheinlich sind alle sechs Werke während Haydns zweitem Londoner Aufenthalt (4. Februar 1794 bis 15. August 1795) entstanden. Die Klaviersonaten sind noch Miss Jansen gewidmet, sind also jedenfalls vor ihrer Hochzeit mit dem Kunsthändler Gaetano Bartolozzi (16. Mai 1795) geschrieben, bei der Haydn Trauzeuge war. Es wäre denkbar, daß die Trios Haydns Hochzeitsgeschenk waren, aber da die Widmungsträgerin sie erst Anfang 1797 zum Druck gab, ist auch ein späteres Entstehungsdatum und Wien als Entstehungsort nicht unmöglich.

Wenn man die musikalischen und pianistischen Fähigkeiten der so reich Beschenkten nach der Eigenart dieser Werke beurteilen darf, so muß sie wirklich eine außergewöhnliche Erscheinung gewesen sein. Selbst in dem an genialischen Überraschungen wahrlich nicht armen Oeuvre Haydns verblüffen sie sowohl durch instrumental ungewöhnliche Formulierungen als auch durch harmonische Kühnheit und metrischen Einfallsreichtum. Auffällig ist die Vorliebe für „romantische“, „irrationale“ Tonarten der Mittelsätze: In der Es-Dur-Sonate (Hob.XVI:52) nimmt das E-Dur-Adagio schon etwas von dem Zauber vorweg, den Brahms fast ein ganzes Jahrhundert später in seiner zweiten Sonate für Klavier und Violoncello op.99 einer analogen Tonartenbeziehung entlocken wird; im ersten der drei Trios (C-Dur, Hob.XV:27) überrascht Haydn uns mit einem A-Dur-Andante, das innerhalb der Triade gleichsam die Brücke zum nachfolgenden E-Dur-Trio (Hob.XV:28) schlägt; und in unserem Es-Dur-Trio steht der Mittelsatz in der weit entfernten Tonart H-Dur, die sich auf wunderbare Weise schon in der zentralen es-moll-Episode des Kopfsatzes angekündigt hat (hier freilich in der enharmonischen Verkleidung von Ces-Dur).

Eigenwillig sind auch die Proportionen des Werkes: Das eröffnende Poco allegretto (Es-Dur) ist für sich allein erheblich länger als die beiden folgenden Sätze. Es ist vielleicht der tiefsinnigste und genialste Triosatz, den Haydn geschrieben hat. Über all die offen daliegenden und versteckten Schönheiten des Satzes ließe sich wohl endlos fabulieren, ohne daß man seinem Geheimnis auch nur einen wesentlichen Schritt näherkäme: Da könnte man sich zum Beispiel in das erstaunliche Spiel mit vierzehntaktigen Gruppen (die Haydn zunächst aus einer sequenzierenden Erweiterung einer „normalen“ Achttaktgruppe gewinnt) versenken und feststellen, daß die verborgene Allgegenwart dieser Baueinheit nicht nur den auffälligen – eben vierzehntaktigen – „Stillstand“ in der Coda des Satzes (also gerade in jenem Moment, in dem dieses Konstruktionsprinzip aufgegeben zu sein scheint) „erklärt“, sondern sich über alle Freiheiten hinweg auch in den Gesamtdimensionen des Satzes manifestiert, der nämlich einschließlich der selbstverständlich völlig unentbehrlichen Wiederholungen (19 x 14 =) 266 Takte umfaßt – aber wirklich erklärt wäre damit freilich gar nichts. Obwohl es sich hier nicht im formalen Sinn um einen Variationensatz handelt, ist doch die Variation das Grundelement der musikalischen Organisation des Satzes. Haydn löst dabei, sozusagen en passant, ein gestalterisches Problem, über das sich sechzig Jahre später auch Brahms den Kopf zerbrach (mit welch herrlichen Resultaten ist in den Haydn-Variationen nachzuhören):

„Ich mache manchmal Betrachtungen über die Variationenform und finde, sie müßten strenger, reiner gehalten werden. Die Alten behielten durchweg den Baß des Themas, ihr eigentliches Thema, streng bei. Bei Beethoven ist die Melodie, Harmonie und der Rhythmus so schön variiert. Ich muß aber manchmal finden, daß Neuere (wir beide!) mehr (ich weiß nicht rechte Ausdrücke) über das Thema wühlen. Wir behalten alle die Melodie ängstlich bei, aber behandeln sie nicht frei, schaffen eigentlich nichts Neues daraus, sondern beladen sie nur…“


(an Joseph Joachim, Düsseldorf, Juni 1856)

Hier nun gibt uns Haydn gleichsam als dialektische Ergänzung zu der Brahmsschen Selbstkritik ein Beispiel, wie man über den Baß hinaus auch die Melodie über weite Strecken beibehalten darf – wenn man dabei eben nur nicht ängstlich ist. Die Variationselemente sind mehr angedeutet als ausgeführt, und schon ahnt man hinter diesen Andeutungen einen Ozean unerschöpflicher Möglichkeiten. So gelingt es Haydn, einen ungewöhnlich großzügig dimensionierten Satz aus kleinräumigen monothematischen Einheiten aufzubauen, ohne die naheliegende Gefahr der Eintönigkeit auch nur zu streifen.

In dem mit Andantino ed innocentemente (H-Dur) bezeichneten Mittelsatz finden wir Haydn auf geradem Wege zu jenem unfaßbaren Wunderwerk, der Fantasia (1797) aus dem Streichquartett in Es-Dur (op.76 Nr.6/Hob.III:80): die selbe tonale Beziehung, der gleiche melodische Duktus, wenn auch in völlig anderer Bewegungsart. Hier hat das Thema den Charakter eines Wiegenliedes, und der sehr knapp formulierte Satz öffnet sich in seinem Schlußdrittel wieder zur Haupttonart des Trios, mit der das Finale unmittelbar anschließt. (Beethoven werden wir bei der Verbindung der beiden analogen Sätze in seinem 5. Klavierkonzert (1809) auf ähnlichen Wegen sehen.)

In diesem Finale (Presto assai, Es-Dur), das in der englischen Erstausgabe noch den Zusatz „in the German style“ trägt, löst sich die verhaltene Innigkeit der vorhergehenden Sätze in pure Lebenslust auf. Es ist, in leichter (aber nicht unüberbrückbarer) Abweichung von den ersten Assoziationen, die Tempo-bezeichnung und Untertitel wecken mögen, ein österreichischer Ländler, in dem auch genüßlich hingeworfene rhythmische Bosheiten nicht fehlen dürfen; und damit die Beine der weinbeseligten Tänzer auch wirklich ins Stolpern kommen, findet sich in der Erstausgabe eine bieder-umständliche Erklärung dieser Komplikationen. So schließt das Ganze mit der unbeschwerten Fröhlichkeit eines Erntedankfestes – und zu Dank für diese reiche Ernte besteht auch wirklich jeder Grund.

© by Claus-Christian Schuster

Haydn: Trio D-Dur Hob.XV:24 (op.73 Nr.1)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio D-Dur Hob.XV:24 (op.73 Nr.1)

Komponiert:London, 1795
Widmung:Rebecca Schroeter
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Longman & Broderip, London, Oktober 1795

Unter den vier Triobänden, die Haydn zwischen November 1794 und April 1797 in London erscheinen ließ, ist der dritte, der am 9. Oktober 1795 angekündigt und kurz darauf unter dem Titel „Trois Sonates pour le Piano Forte avec accompagnement de Violon & Violoncelle… op.73“ veröffentlicht wurde, wahrscheinlich der intimste und persönlichste. Das hat seinen guten Grund: keine der anderen Adressatinnen stand Haydn so nahe, wie die Widmungsträgerin dieser Werke.

Rebecca Schroeter war die Witwe des deutschen Pianisten Johann Samuel Schröter (1752-1788), der als origineller Komponist das Interesse Mozarts erweckt hatte. Schröter (dessen Schwester Corona übrigens als Goethes erste Iphigenie unsterblich wurde) war mit zwanzig Jahren nach London gekommen, wo er in den Bach-Abel-Konzerten reüssiert hatte und schließlich 1782 Johann Christian Bachs Nachfolger als Music Master der Königin Charlotte geworden war. Die heimliche Heirat Schröters mit seiner Schülerin Rebecca – ganz stilgerecht in Schottland – zog einen Skandal nach sich, der die öffentliche Karriere des jungen Komponisten jäh beendete. Die letzten Jahre seines Lebens lebte er mit seiner Frau zurückgezogen in seinem Haus in Pimlico, wo er nach wie vor unterrichtete (der allen Klaviereleven bestens vertraute Johann Baptist Cramer war sein berühmtester Schüler), genoß aber nach wie vor die Protektion des Prince of Wales (des späteren George IV.), der als Amateurcellist ihn immer wieder zu musikalischen Privatunterhaltungen beizog. Schröter starb mit sechsunddreißig Jahren an Kehlkopfkrebs. Seine Witwe ist für Musikwissenschaftler und allzu wißbegierige Haydnverehrer so etwas wie eine Sphinx. Haydn selbst hat seinen Biographen A. C. Dies auf seine Beziehung zu Rebecca Schroeter hingewiesen. Bei einem von dessen Besuchen im Juni 1806 zeigte Haydn ihm sein zweites Londoner Notizbuch, in das er zweiundzwanzig an ihn gerichtete Briefe Rebeccas aus den Jahren 1791/92 übertragen hatte:

„…Haydn lächelte und sagte: »Briefe von einer englischen Wittwe in London, die mich liebte; aber sie war, ob sie gleich schon 60 Jahre zählte, noch eine schöne und liebenswürdige Frau, die ich, wenn ich damahls ledig gewesen wäre, sehr leicht geheirathet hätte.«
…Haydn genoß in der Gesellschaft der Wittwe sehr angenehme Stunden; wenn er sonst nirgends eingeladen war, speiste er gewöhnlich bey ihr.“

Wenn Dies korrekt berichtet, dann müßte Rebecca rund zwanzig Jahre älter als ihr Lehrer und späterer Ehemann gewesen sein, der sie zur Heirat nach Schottland entführte… Wie wahrscheinlich das ist, bleibe dahingestellt: Jedenfalls weiß die 1819/20 erschienene Cyclopedia von Rees über Schröter zu berichten, er habe eine junge und reiche Schülerin geheiratet. Möglich wäre wohl, daß Dies eine Angabe, die sich auf Haydns eigenes Alter bezog, mißverstanden und bei der späteren Niederschrift des Gespräches den Satz in die zitierte Form gebracht hätte.

Wie viel diese Beziehung für Haydn selbst bedeutete, können wir aus dem Umstand erahnen, daß diese Liebesbriefe die einzigen sind, die er in seinem langen und an Liebesaffairen nicht armen Leben für aufbewahrenswert hielt. Die überlieferte Korrespondenz (Haydns Briefe an Rebecca Schroeter sind verschollen) ist auf den ersten Londonbesuch des Meisters beschränkt; wahrscheinlich hat Rebecca selbst für Haydns zweiten Londoner Aufenthalt das Domizil ausgesucht – Bury Street, wo Haydn von Februar 1794 bis August 1795 hauste, war nahe genug an Mrs Schroeters Wohnung, um brieflichen Verkehr überflüssig zu machen.

Wenn es erlaubt ist, aus der Anrede Schlüsse über die Angesprochene zu ziehen, dann muß Rebecca Schroeter eine sehr bemerkenswerte Frau gewesen sein: Die Trios, die Haydn ihr zugedacht hat, wenden sich offensichtlich an einen besonders feinsinnigen und verständigen Empfänger.

Der ungewöhnlich intime Charakter des ganzen Zyklus läßt sich schon an einigen äußeren Details ablesen. In den anderen drei Werkgruppen sind die jeweils ersten Trios ausgesprochen lichte, affirmative, vereinfachend gesagt: „unproblematische“ Stücke, sie beginnen den Zyklus ganz so, wie etwa ein helles und lebendiges Allegro eine Sonate eröffnet. Bei den Trios für Rebecca Schroeter ist das Eröffnungswerk, eben unser D-Dur-Trio Hob.XV:24, hingegen buchstäblich übersät mit Fragezeichen. Am nächsten kommt unserem Werk wohl noch das A-Dur-Trio Hob.XV:18 (erschienen als op.70 Nr.1). Auch dort wirft der erste Satz eine Reihe von tiefsinnigen und schwierigen Fragen auf. Während dort aber die vitale Verve des Schlußsatzes sich dreist und unbekümmert über alle Probleme hinwegsetzt, läßt das Finale unseres Trios mit seiner fast scheuen und versonnenen Gestik, gegen die sich auch die dramatische Metamorphose des Minore-Teiles nicht durchzusetzen vermag, alles offen. Dieses dramaturgische Detail wirkt so stark, daß die Vielzahl weiterer Parallelen zwischen den beiden Werken (Satz-, Tempo-, Metren- und Tonartenfolge) aufgehoben erscheint: kraft der Eigenart dieses Stückes nimmt der ganze Zyklus einen völlig anderen Verlauf.

Auch das Schlußstück der Gruppe (fis-moll, Hob.XV:26) unterscheidet sich ganz wesentlich von den analogen Werken der anderen Zyklen: es ist das einzige Mal, daß Haydn eine Gruppe von Kammermusikwerken mit einem „echten“ Mollstück enden läßt. Daß es sich dabei um eines von nur zwei „konsequenten“ Molltrios im Gesamtwerk Haydns (das andere ist das frühe Trio in g-moll, Hob.XV:1), und zudem noch um das einzige Trio handelt, das zur Gänze in einer „problematischen“ Tonart steht, unterstreicht die Relevanz dieses Details. (In seinen Klaviersonaten hat Haydn allerdings zweimal eine ähnliche Schlußwirkung gesucht: die Sechs Sonaten von 1776 [Hob.XVI:27-32) schließen mit einem unversöhnlichen h-moll-Stück, und an das Ende der 1780 erschienen „Auenbrugger“-Sonaten [Hob.XVI:35-39] setzte er wie einen rätselhaften Findling die einzigartige c-moll-Sonate [Hob.XVI:20].)

Das Zusammenwirken dieser dramaturgischen Akzente bewirkt, daß den „Schroeter“-Trios insgesamt ein herbstlicheres, gedämpfteres Licht eigen ist, als den anderen Zyklen. Hierin nur die Folge des aus praktischen Gründen weniger brillanten und virtuosen Klaviersatzes sehen zu wollen, griffe wohl allzu kurz. Natürlich läßt sich nicht bestreiten, daß Rebecca Schroeter als Pianistin weit unter dem Niveau Therese Jansens stand, und es liegt auf der Hand, daß Haydn auf diesen Umstand Rücksicht nehmen wollte und mußte. Er hat aber, etwa im Finale des zweiten der „Schroeter“-Trios, des zu gefährlicher Popularität gelangten „Zigeunertrios“ (G-Dur, Hob.XV:25), eindrucksvoll gezeigt, wie man virtuose pianistische Effekte ganz ohne große technische Anforderungen erzielen kann. Andererseits sind auch die beiden „Esterházy“-Zyklen manuell nicht wesentlich schwieriger zu meistern und realisieren doch ein „konzertanteres“, weniger intimes Gesamtkonzept. Man wird daher die Gründe für die Eigenart der „Schroeter“-Trios auf einer anderen Ebene suchen müssen, und die oben kurz skizzierte Beziehung Haydns zu Rebecca Schroeter bietet dafür eine ganze Reihe von Anhaltspunkten. Abschied und Entsagung, überstrahlt von zärtlicher Innigkeit: all diese so schwer in Worte zu fassenden Empfindungen wird man an unzähligen Stellen dieser Trios in vollkommener Klarheit ausgedrückt hören. Hierin liegt die Einzigartigkeit und Besonderheit dieses Opus, das in der Konzertpraxis leider nur auf das „Zigeunertrio“ reduziert erscheint. Die ständig praktizierte Loslösung dieses Mittelstückes aus dem Sinnzusammenhang des Werkganzen ist letztlich auch dem dadurch „popularisierten“ Werk abträglich. Jedenfalls würde dieses vielgeliebte und vielgeschmähte Stück erheblich an Bedeutung gewinnen, wenn man sich seiner Stellung in diesem Zyklus erinnerte.

Unser D-Dur-Trio, das die Serie eröffnet, zeigt ihre wesentliche Charakteristika mit besonderer Deutlichkeit. Von der Verwandtschaft des ersten Satzes, Allegro, mit dem entsprechenden Satz aus Hob.XV:18 haben wir schon gesprochen. Wie fast immer, wenn Haydn im Begriffe ist, besonders subtile Dinge zu sagen, verwendet er zur Eröffnung einen noise killer, einen lauten Akkord, der nichts anderes will, als die Ruhe im Auditorium herzustellen. Der versonnen-fragende Hauptsatz wird gleich einer Art angedeuteten Durchführung unterzogen, bevor er sich uns in neuem Gewande als Seitensatz präsentieren darf. Die eigentliche Durchführung mutet fast wie ein knappes Kompendium der Modulationskunst an: Wie Haydn sich Tonräume eröffnet, sie leichthin durchmißt und unversehens wieder verläßt, ist zum Glück unbeschreibbar und muß hörend miterlebt werden. Wenn am Ende dieser romantischen Wanderschaft wieder der Heimathafen der Reprise erreicht ist, finden wir unser geliebtes Hauptthema um einiges älter und reifer wieder: der nachdenkliche Zug, der zu Beginn nur angedeutet war, darf sich jetzt deutlich aussprechen – Haydn hat den melancholischen Schatten (II. Stufe: e-moll), der den Beginn des Nachsatzes unterstreicht, hier tiefer gezeichnet und dazu den Nachsatz auf das Zweieinhalbfache seiner ursprünglichen Länge erweitert. Die antizipierte Durchführung, die uns in der Exposition so unvorbereitet überraschte, kann jetzt natürlich wegfallen: unser Fernweh ist schon gestillt.

Bei einem Satz von so wunderbarer lyrischer Weite ist, wie in der großen Lyrik, kein Detail bedeutungslos, und daher dürfen wir hier – stellvertretend für viele ähnliche – eine interpretatorische Gewissensfrage berühren, die auf den ersten Blick sehr banal erscheinen mag: Die Originalausgabe von Longman & Broderip druckt am Beginn der Durchführung Wiederholungszeichen, deren Entsprechung am Ende der Reprise fehlt. An welcher der beiden Stellen der Fehler liegt, ist „philologisch“ nicht zu entscheiden – die beiden maßgeblichen Urtextausgaben (Robbins Landon und Becker-Glauch) widersprechen daher einander auch in diesem Punkte. Ob die zweite Wiederholung auszuführen ist oder nicht, bleibt daher (bis eine andere Quellenanlage eintritt) allein dem Ermessen des Interpreten überlassen. Nun nimmt zwar nach unserem Empfinden die Wiederholbarkeit eines musikalischen Ablaufes in dem selben Maße ab, wie seine Unvorhersehbarkeit zunimmt; dieses Empfinden ist aber andererseits auch das Resultat einer zweihundertjährigen musikgeschichtlichen Entwicklung, in der das Streben nach größtmöglicher Originalität und Einmaligkeit die treibende und dominante Kraft war, und es ist sicher kein Zufall, daß Wiederholungszeichen in den musikalischen Texten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts immer seltener anzutreffen sind. Die Entscheidung in diesem strittigen Punkt muß wohl nach zwei Kriterien gefällt werden: Wie ist Haydn in vergleichbaren Fällen mit eindeutiger Quellenlage verfahren? Und: Bin ich imstande, eine Wiederholung dieses spezifischen Ablaufes mit Blick auf das Werkganze mit Sinn zu erfüllen?

Die Beantwortung der ersten Frage bringt zutage, daß in ausnahmslos allen vor unserem D-Dur-Trio geschriebenen Klaviertrios bei den Allegro-Kopfsätzen die zweite Wiederholung obligat vorgeschrieben ist, sie jedoch in zwei unmittelbar nach unserem Werk geschriebenen Trios (Hob.XV: 27 und 28) in den analogen Sätzen fehlt. Es läßt sich also hier, ganz in Übereinstimmung mit dem vorher Gesagten, der Beginn einer Entwicklung erkennen, an deren Ende unwiederholte (weil unwiederholbare) Durchführungen und Reprisen die Norm sein werden. Da wir die zweite Frage verneinen mußten, haben wir, alle hier angedeuteten Argumente resümierend, uns schließlich für die Weglassung der Wiederholung entschieden.

Zweiter und dritter Satz sind, wie auch in Hob.XV:18, miteinander verbunden. Doch sind beide Sätze hier viel knapper fomuliert, und der zweite Satz (Andante, d-moll) erscheint mit solcher Konsequenz verkürzt, daß seine Wirkung, oberflächlich betrachtet, der einer Einleitung zum Finalsatz nahekommt. Umso erstaunlicher ist es, welche Bedeutungstiefe Haydn in diese wenigen Takte gebannt hat. Ich kenne kein anderes Haydnsches Sechsachtel-Andante, das sich so radikal aller tänzerischen Gelöstheit verweigert wie dieses. Erdenschwere und Müdigkeit beherrschen die Stimmung, die von kurzatmigen und fallenden melodischen Linien geprägt ist. Marc Vignal hat diesen Satz mit dem in gleicher Ton- und Taktart stehenden langsamen Satz (Largo e mesto) aus Beethovens Klaviersonate op.10 Nr.3 verglichen – und wie immer man diesen Vergleich bewertet, so sagt er jedenfalls etwas über das Gewicht dieses scheinbar miniaturhaften Stückes aus. Zentrales Ereignis ist eine von langer Hand vorbereitete und dennoch abrupt wirkende Wendung nach e-moll in der Satzmitte. Die unmittelbare darauffolgende Rückkehr zur fragmentarischen Reprise wird durch einen Moment banger Intensität verzögert, in dem die Geige, ganz allein und mit mutlos fragender Geste, das fallende Hauptmotiv umkehrt. Dieser ganze Passus erscheint in so auffälliger Beleuchtung, daß sich sofort die Frage nach seinem tieferen Sinn stellt; dabei erinnern wir uns des e-moll-Schattens im Hauptthema des ersten Satzes und daran, wie Haydn seine Bedeutung in der Reprise gesteigert hat. Aus der Perspektive des zweiten Satzes erscheinen diese Momente nun als sich verdichtende Vorahnung einer erst jetzt Wirklichkeit gewordenen Bedrohung, und dieses Ereignis könnte vielleicht der innerste Kern der Dramaturgie des Werkes sein.

Wenn das so ist, dann hält der Schlußsatz (Allegro, ma dolce) für uns weder siegreiche Überwindung noch lächelnden Trost bereit. Wie sich dieser Satz zu dem mit der gewaltsamen e-moll-Wendung des Andante erreichten Tiefpunkt des Werkes in Beziehung setzt, läßt mich an den Beginn eines Gedichtes von Emily Dickinson denken:

While we were fearing it, it came –
But came with less of fear
Because that fearing it so long
Had almost made it fair –


Die Schönheit dieses Satzes ist nicht erlöst, sondern ergeben; und weil die Erfahrung des Schrecklichen auch in der Schönheit der zweistimmigen Invention, als welche dieser Satz beginnt, gegenwärtig bleibt, bedarf auch die Rückkehr zur Tonart des Andante im Minore keines neuen thematischen Materials – eine für Sätze dieser Bauart äußerst ungewöhnliche Lösung. Im Kontext der reifen Klaviertrios Haydns ist auch der Schluß des Werkes unerhört: es ist eigentlich die Antithese eines Schlusses, ein verebbendes Enden. Von den, in ihrer instrumentalen Gestalt vergleichbaren, nicht konzertanten Schlüssen der Finalmenuette in den frühen Haydn-Trios sind wir hier meilenweit entfernt. Hier ist eine Landschaft skizziert, in der sich das benachbarte „Zigeuner-Trio“ nicht mehr wie die Informationsbude eines rührigen Tourismusverbandes ausnehmen wird.

© by Claus-Christian Schuster

Haydn: Trio d-moll Hob.XV:23 (op.71 Nr.3)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio d-moll Hob.XV:23 (op.71 Nr.3)

Komponiert:London, 1794/95
Widmung:Marie Hermenegildis Esterházy, geb. Fürstin Liechtenstein
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Preston, London, Mai 1795

Das Trio in d-moll (Hob.XV:23) schließt den zweiten der beiden den Fürstinnen Esterházy gewidmeten Zyklen ab. Die Parallelen zu dem Molltrio der ersten Serie (Hob.XV:19) sind frappant. Hier wie dort folgt einem eröffnenden Zwei-Viertel-Andante in der Form von Doppelvariationen ein Adagio im Dreivierteltakt, und beide Male wählt Haydn als Tonart für diesen Mittelsatz die Submediante (Es-Dur für das g-moll-Trio der ersten Reihe, B-Dur bei unserem d-moll-Trio). Bei so viel Übereinstimmung darf man nach dem oben Angekündigten auch wesentliche Unterschiede erwarten: Im Kopfsatz des d-moll-Trios (Molto Andante) sind beide Thementeile wesentlich knapper gefaßt, wodurch Raum für eine zusätzliche Variation gewonnen wird. So präsentiert sich denn dieser Satz als ein „echter“ Variationssatz und kann also auch auf die formale Artistik einer nachgestellten Sonaten-Variation (wie sie das Presto des g-moll-Trios bietet) verzichten, die hier durch eine schlichte Coda ersetzt wird. Auch die Gewichtung zwischen Minore und Maggiore kehrt die Verhältnisse des Schwesternwerks um: dem (nur durch das „überzählige“ Presto ausgeglichenen) Mollschwerpunkt des g-moll-Trios entspricht hier ein Übergewicht des Durelements. (Und weil solche Entscheidungen bei unseren großen Meistern ja nie ohne Folgen bleiben, werden wir bei der Gegenüberstellung der beiden Finalsätze eine analoge Entdeckung machen.)
Auch der in Charakter und Allure mit seinem Pendant eng verwandte Mittelsatz (Adagio ma non troppo, B-Dur), mit dem der Punkt der innigsten Übereinstimmung zwischen den beiden Werken erreicht ist, variiert sein Vorbild auf subtile Weise. Was dort ebenmäßiger Fluß und unbeirrbare Ruhe war, wird hier unversehens zu einem harmonischen Abenteuer, das uns bis an die fernsten Küsten der Hochromantik verschlägt. Kein Wunder, daß Haydn angesichts der unerhörten Klänge, die sich ihm dabei erschließen, nicht zögert, auch die formale Contenance über Bord zu werfen: In der Reprise ist die Sehnsucht nach diesen fremden Harmonien so stark geworden, daß nicht einmal die thematische Eingangsperiode zu Ende geführt werden kann. Darf man in solchen Momenten noch von „klassischer“ Musik sprechen? Der vergleichende Blick auf die beiden verwandten Sätze gibt uns die Antwort: Der Klassiker Haydn hat dem ruhigen, „unspektakulären“ Es-Dur-Satz aus Hob.XV:19 eine offene, ins Freie (technisch gesprochen: auf die Dominante) führende Periode zum Thema gegeben, während er die Kühnheit unseres B-Dur-Adagios mit einer regelmäßigen, in die Tonika heimkehrenden Periode mildert. In diesem (nicht notwendigerweise bewußten) Abwägen der konstituierenden Kräfte gegeneinander, in dieser heiligen Scheu vor dem ungehemmten Zuviel in der einen oder anderen Richtung, liegt wohl das tiefste Geheimnis der Klassik – viel eher als in der idiomatischen Eigenart des verwendeten Materials.

Das Finale (Vivace, D-Dur) ist ein würdiger Schlußstein für den Gesamtkomplex der beiden Esterházy-Zyklen. An Esprit und souveränem Übermut steht dieser Satz dem Schlußstück der Erdödy-Quartette (dem Allegro spirituoso aus Hob.III:80, op.76 Nr.6, Es-Dur) um nichts nach. Die konzise, monothematische Sonatenform, die Haydn verwendet, bietet nicht viel mehr als das Spielfeld für die brillanten Einfälle des Komponisten. Das Verwirrspiel mit unterschiedlich langen Auftakten und wechselnden Akzenten wird an mehreren Stellen bis zur völligen Metamorphose des Metrums getrieben. Das Menuett als ferner Ausgangspunkt solcher Finalsätze im Dreivierteltakt ist schon lang unter dem Horizont verschwunden, und wir befinden uns allein mit dem Genie des Komponisten auf hoher See. Ihm stehen alle Wege offen, und wir dürfen uns darauf verlassen, „daß er… verstehe die Freiheit, aufzubrechen, wohin er will.“

© by Claus-Christian Schuster

Haydn: Trio Es-Dur Hob.XV:22 (op.71 Nr.2)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio Es-Dur Hob.XV:22 (op.71 Nr.2)

Komponiert:London, 1794/95
Widmung:Marie Hermenegildis Esterházy, geb. Fürstin Liechtenstein
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Preston, London, Mai 1795

Wenn dieses Es-Dur-Trio eine Sonderstellung unter den Haydnschen Klaviertrios einnimmt, dann verdankt es diese Auszeichnung ohne Zweifel vor allem seinem ersten Satz (Allegro moderato), der von vielen Haydnkennern zu den Höhepunkten des Gesamtwerkes gezählt wird. Das Inzipit des Werkes scheint ein Jahr später zum Vorbild des Anfangs von Hob.XV:30 geworden zu sein, mit dem das Werk ja auch die Tonart gemeinsam hat. (Schon im Spätwerk Haydns ist Es-Dur auf dem besten Weg, die „Klaviertrio-Tonart“ par excellence zu werden…) Doch das eigentliche Wunder beginnt am Ende dieser eröffnenden Hauptthemenperiode, wo dieses zunächst so erdgebunden erscheinende Thema unvermittelt zu einem Höhenflug ansetzt, der uns bald in weit entfernte Regionen entführt. Die improvisatorisch anmutende Leichtigkeit, mit der Haydn hier agiert, verzaubert; und so nimmt es gar nicht wunder, wenn wir uns schon kurz nach einem (die Stelle des Seitenthemas vertretenden) dominantischen Hauptthemenzitat unvermittelt in Ges-Dur wiederfinden, das wir schon auf dem ersten kühnen Ausflug gestreift hatten. In der breit angelegten Schlußgruppe macht sich ein schlichtes Motiv bemerkbar, das in der Durchführung zu unserem Reisebegleiter werden soll. Bevor wir aber dieses Reich betreten dürfen, stellt sich uns ein unüberwindlich erscheinendes Hindernis in den Weg. Die Dominante von f-moll, an die Haydn uns hier anrennen läßt, sieht nicht weniger grimmig aus als eine das Tal versperrende Felswand. Doch – Logik des Traumes und des Märchens – schwerelos, ohne die sterblichen Mühen einer Modulation auch nur ahnen zu müssen, finden wir uns plötzlich in der dahinter liegenden Wunderwelt. Das Zauberwort, das uns dahin bringt, ist natürlich wieder das Inzipit, das uns hier einmal seinen subdominantischen Klang hören läßt. Der wahrlich märchenhafte Ideenreichtum, den Haydn in der von hier auf verschlungenen Pfaden zur Reprise zurückführenden Entwicklung vor uns ausbreitet, rechtfertigt A. P. Browns zusammenfassendes Urteil vollauf: „The most impressive development yet penned by Haydn.“ Daß nach solchen Abenteuern die Reprise ohne nennenswerte Neuerungen abläuft, kann niemanden ernstlich enttäuschen.
Das folgende Poco Adagio (G-Dur – in der Folge der Haydnschen Klaviertrios gleich der dritte G-Dur-Mittelsatz en suite) hat Haydn zunächst als Klavierstück komponiert. Eine Abschrift dieser wahrscheinlich aus dem Jahre 1794 stammenden Fassung von der Hand des Haydn-Adlatus Johann Elssler wird in Budapest aufbewahrt. Obwohl das Stück im Allebreve-Takt notiert ist, vermittelt die durchgehende Triolenbewegung ein Zwölfachtel-Gefühl, das im Zusammenwirken mit der typischen Tonart auch ohne den charakteristischen Siciliano-Rhythmus ein pastorales Bild entstehen läßt. Die pianistischen Formulierungen sind durchwegs originell, und als Klavierstück zählt das Werk sicher zu den interessantesten Kompositionen Haydns. Wahrscheinlich waren es diese Qualitäten, die den Komponisten bewogen, das sozusagen „herrenlose“ Stück in das Klaviertrio zu übernehmen. Die Umgestaltung in einen Triosatz kann man allerdings nicht als restlos geglückt bezeichnen: Offenbar widerstrebte es dem Komponisten, an dem so zwingenden und kompakten Klaviersatz etwas Wesentliches zu ändern, und so verurteilte er die Streicher zu recht kargen Begleitakkorden, die den instrumentalen Aufwand nicht wirklich rechtfertigen. – Wie der vorangehende und auch der folgende Satz ist dieser Mittelsatz ein monothematischer Sonatensatz, und auch hier ist es die Durchführung, die durch die assoziative Freiheit ihrer Harmonien fasziniert. So kommt es, daß wir uns unmittelbar vor dem Eintritt der Reprise bis nach fis-moll verirrt haben: Wie Haydn nun dieses fis sozusagen im Handumdrehen zum Leitton umdeutet, ist ein Kabinettstück modulatorischer Artistik. Verglichen mit dem analogen Teile des Kopfsatzes, der mit einem Minimum an Veränderungen auskommt, erscheint hier die Reprise in einer substantiell verkürzten und variierten Form.

Das Finale (Allegro) repräsentiert einen Satztypus, den Haydn in seiner letzten Schaffensperiode besonders häufig für Schlußsätze im Dreivierteltakt verwendet. Unter den vier Dreiviertel-Finalsätzen der beiden Esterházy-Zyklen findet sich dieser „neue“ Typus gleich dreimal (Hob.XV:18, 22, 23), während nur noch ein Trio (Hob.XV:20) an seiner Stelle das traditionelle Menuett bringt. Von diesem hat der neue Finaltyp nur mehr das Metrum. Das Tempo ist meist erheblich rascher, die rhythmische Gestalt pointierter und extravaganter; fast immer spielen akzentuierte Synkopierungen und raffinierte metrische Komplikationen eine wesentliche Rolle. Die Ausprägung dieser Charakteristika wäre ohne Kenntnis der osteuropäischen Volks- und Tanzmusik schwer vorstellbar. Daß Haydn als eigentlicher „Erfinder“ dieses neuen Idioms gilt, ist deshalb mit Blick Herkunft und Lebensraum des Komponisten nicht sehr überraschend.

Vielleicht wollte Haydn der mit der Übernahme des Mittelsatzes aus einem anderen Medium verbundenen Gefahr des allzu losen Pasticcio-Charakters begegnen – jedenfalls begnügt er sich nicht mit der formalen Kongruenz zwischen den Ecksätzen, er bringt in diesem Finale zusätzlich noch zwei dezente, aber ausreichend deutliche, den Zusammenhalt des Werkganzen unterstreichende Rückgriffe auf den Kopfsatz an: Das aus der Überleitung zur Schlußgruppe stammende und die Durchführung des ersten Satzes beherrschende Geigenmotiv schlägt hier in nur leicht modifizierter Gestalt die Brücke zwischen Haupt- und Seitensatz; und die den Hauptteil der Durchführung eröffnende Mediantrückung (C-As, bzw. IIV-IV) findet sich im Finale an entsprechender Stelle, wenn auch in anderer Funktion und in neuem harmonischen Kontext, wieder. Hier wird am Ende eines verwegen modulierenden Abschnittes ein Gis-Dur-Akkord als Dominante von cis-moll statuiert; die Rückung führt uns dann unvermittelt zu einer Scheinreprise in E-Dur. (Diese E-Dur-Vision in einem Es-Dur-Stück weckt Erinnerungen, und zwar sehr willkommene, an Haydns letzte Klaviersonate, Es-Dur, Hob.XVI:52.) Wie schon im ersten Satz ist diese markante Bruchstelle aber nur Kristallisationskern einer ganzen Reihe von recht gewagten Terzmodulationen, die das Durchführungsgeschehen bestimmen. Die Meisterschaft, mit der Haydn in diesen Sturm-und-Drang-Szenen Regie führt, ist staunenswert. Inmitten einer solchen Flut von Ideen und Möglichkeiten so vollkommen Überblick zu bewahren und Maß zu halten, ohne je berechnend oder kalt zu erscheinen, ist eine Gnade, die nur den ganz Großen gewährt wurde – Haydn läßt uns in jedem Takt an ihr teilhaben.

© by Claus-Christian Schuster

Haydn: Trio C-Dur Hob.XV:21 (op.71 Nr.1, „Pastoral-Trio“)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio C-Dur Hob.XV:21 (op.71 Nr.1, „Pastoral-Trio“)

Komponiert:London, 1794/95
Widmung:Marie Hermenegildis Esterházy, geb. Fürstin Liechtenstein
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Preston, London, Mai 1795

Dieses Trio, das mit den beiden Haydn-Werken unseres vorigen Konzertes eine Trias bildet, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Seine Besonderheit manifestiert sich gleich auf den ersten Blick in zwei äußerlichen Details: Es ist unter allen Haydnschen Klaviertrios das einzige, das die – bei Haydn sonst eher der Symphonik vorbehaltene – Technik der langsamen Einleitung verwendet; und es besitzt als einziges der ganzen Werkgruppe einen Mittelsatz in der Dominant-Tonart.
Die kurze langsame Einleitung des ersten Satzes ist mit Adagio pastorale überschrieben – eine Bezeichnung, deren tieferer Sinn sich uns erst im weiteren Verlauf des Satzes erschließen wird. Zunächst sind diese präludierenden Takte nichts anderes als eine Vorahnung des ausgelassenen Hauptthemas, das uns – Vivace assai – von einer Fermate auf der Dominante abholt und davonträgt (- man könnte hier wirklich an eine Fermata denken, von der aus wir eine Fahrt antreten). Wenige Takte später bietet sich uns dasselbe Thema gleich noch einmal als Seitenthema an. Dieser „Kniff“ ist uns schon aus etlichen anderen Haydn-Trios wohlvertraut, aber selten tritt der tiefere Sinn dieser scheinbaren Ökonomie so klar zutage wie hier: Die Verwendung gleichlautender Themen in unterschiedlicher Funktion gibt dem Komponisten nämlich die Möglichkeit, das Variationsprinzip zwanglos in die Architektur eines Sonatenhauptsatzes zu integrieren. Die sich daran anschließenden Schlußgruppen der Exposition spinnen dieses variative Element noch weiter fort. Aus dem zweiten Thementakt wird auf diese Weise ein derb-bäurischer Tanz – man hört förmlich das Schnarren des Dudelsackes und das wilde Stampfen der übermütigen Tänzer; das pastorale des Beginns hat uns also, unter Mithilfe einiger Gläser klaren Whiskeys, in die schottischen Highlands entführt. Der Nachhall des Festlärms ist noch in der Durchführung zu hören und beschließt dann auch die durch eine Moll-Abweichung bereicherte und erweiterte Reprise.

Das folgende Molto andante (G-Dur) läßt in seiner schlichten Liedhaftigkeit schon Schubertische Töne vorausahnen, ist aber trotzdem ein ganz besonders liebenswertes Kind des XVIII. Jahrhunderts – die von Haydn ausgeschriebenen Variationen der einfachen Melodie könnten geradezu als Anleitung für jene Art geschmackvoller Auszierung gelten, wie sie die Komponisten dieser Zeit von ihren Interpreten erwarteten. Formal ließe sich der Satz recht bequem als dreiteilige Liedform beschreiben, wobei der Mittelteil eine das Liedthema durchführend weiterspinnende Mollepisode ist. Doch bei etwas näherer Betrachtung zeichnet sich ab, daß das zugrundeliegende Modell weit eher ein veritables Rondo ist – allerdings, und das ist ein Kunststück, das eben eines Haydn bedarf, ein monothematisches: Die drei Episoden sind durch ihre Mollfärbung (g-moll – e-moll – g-moll) vom thematisch identischen Dur-Ritornell abgehoben, das bezeichnenderweise nur vor der Mittelepisode und ganz am Schluß (und auch da erst nach einer trugschlüssigen Verzögerung) auf der Tonika einrastet. Trotz der unkomplizierten und flächig-stabilen Harmonik wird der Satz so in einem zärtlich-schwerelosen Schwebezustand gehalten. Auf diese Weise erscheint auch die Verwendung der (wie gesagt sonst bei den Klaviertrios in dieser Funktion nicht zu findenden) Dominante als Grundtonart für diesen Satz „gemildert“.

Das Finale des Werkes (Presto) ist ein Kontretanz des selben Typs, den Haydn in seinen Londoner Symphonien mehrmals verwendet (etwa in der G-Dur-Symphonie Hob.I:94 und in der C-Dur-Symphonie Hob.I:97). An dieser Stelle und in Rückblick auf das Epitheton „pastorale“ des ersten Satzes darf man daran erinnern, daß der Kontretanz trotz seiner irreführend französisierenden Orthographie ein urenglisches Landprodukt, nämlich ein simpler Countrydance ist (und in Wien zunächst, am Anfang des XVIII. Jahrhunderts, auch als Anglaise heimisch wurde). Wie im analogen Satz der Symphonie Hob.I:97 wird die Exposition durch Wiederholungen kleinräumig zweigeteilt, ein Detail, das im Zuhörer die Erwartung eines Rondos weckt. Wie oft in solchen Sätzen – und ganz in Übereinstimmung mit der landläufigen Vorstellung vom englischen country life – sind bald auch Jagdklänge zu vernehmen. Ist schon dadurch der gedankliche Bogen zur ländlichen Szenerie des ersten Satzes geschlagen, so wirkt sich diese Analogie bis in Einzelheiten des dramaturgischen Ablaufs, etwa in der harmonischen Anlage der Durchführung, aus. Alles in allem hat Haydn in diesem Trio, vielleicht auch durch Verzicht auf harmonische Extravaganzen und formale Eigenwilligkeit, eine kaum mehr zu überbietende Klarheit und Einheit erreicht, die diesem – in mancher Hinsicht atypischen – Werk einen Ehrenplatz unter seinen Klaviertrios sichern

© by Claus-Christian Schuster

Haydn: Trio B-Dur Hob.XV:20 (op.70 Nr.3)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio B-Dur Hob.XV:20 (op.70 Nr.3)

Komponiert:London, 1794
Widmung:Maria Anna Esterházy, geb. Gräfin Hohenfeld
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Longman & Broderip, London, November 1794

Dieses Trio beschließt den ersten der vier Londoner Zyklen, den Haydn der eben jung verwitweten Fürstin Esterházy (und späteren Fürstin Schwarzenberg) widmete und als Opus 70 drucken ließ. Es ist ganz sicher das brillanteste der drei Trios dieser Gruppe und überhaupt eines von Haydns originellsten und heitersten Werke. Daß unser Meister sich seiner Sache sicher war, und daß er Freude an seiner Arbeit hatte, ist wohl allen seinen Partituren anzuhören – aber auch im Oeuvre Haydns sind Stücke von solchem zuversichtlichen Esprit, von so lebenslustigem Humor und einer so ansteckenden Gutgelauntheit nicht alltäglich. Einer der Gründe für diese überbordende Lebensfreude hat wohl mit dem Handwerker Haydn zu tun: die klanglichen Möglichkeiten, die ihm die hervorragenden englischen Klaviere eröffneten, erhöhten seine Lust an der Arbeit unüberhörbar; man spürt förmlich das gewissermaßen manuelle Wohlbehagen, das ihm der Umgang mit diesem prächtigen Werkzeug verschaffte.
Gleich der Beginn des ersten Satzes (Allegro) überrascht uns mit pianistischen Formulierungen, deren Weiträumigkeit an den späten Beethoven denken läßt. Die Freude an der Bewegung entlädt sich in ungewöhnlich weiten Tonsprüngen und virtuosen Skalen, mit denen Geige und Klavier einander stolz übertrumpfen zu wollen scheinen. Am meisten Phantasie wendet Haydn aber an das geistreiche Spiel mit allen erdenklichen Artikulationen. Um dieses Spiel recht zur Wirkung kommen zu lassen, entlastet er das thematische Material von aller rhythmischen und melodischen Verantwortung – das einzige Thema, das uns in unzähligen Metamorphosen durch den Satz geleitet, ist im Kerne nichts anderes als eine simple, über eine Oktave fallende Tonleiter. Um bei so konsequent durchgehaltener Sparsamkeit und Homogenität des Ausgangsmaterials trotzdem auch noch Tektonik und Struktur des formalen Ablaufes zur Geltung zu bringen, wendet Haydn einen einfachen, aber sehr hilfreichen Kniff an: jeder der Formteile der Exposition (Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz, Schlußgruppe) beginnt mit relativ ruhigen Notenwerten, die dann graduell beschleunigt und verdichtet werden. Auf diese Weise ist jeder architektonisch relevante Einschnitt als Neubeginn einer Bewegungslinie gekennzeichnet. So simpel dieses Verfahren auch aussehen mag, so unanwendbar wäre es für unberufene Hände – man müßte schon über Haydns unerschöpfliche Variationskunst verfügen, um dabei nicht unfreiwillig komisch auszusehen.

Ganz köstlich ist, wie Haydn bei der Rückführung zur Reprise den obligaten Gemeinplatz des Orgelpunktes auf der Dominante umgeht: auf recht gewagten Modulationspfaden hat er vorher schon unseren Orientierungssinn so sehr verwirrt, daß er uns zuletzt mit der unschuldigsten Unverfrorenheit hilflos auf dem Septakkord der Subdominante (B7) stranden lassen kann. Und gerade, wenn wir uns in das (weiß Gott, mit welchen Fährnissen verbundene!) Schicksal der nun unvermeidlich erscheinenden subdominantischen Reprise fügen wollen, zeigt er uns mit großmütiger Bonhomie doch noch den verloren geglaubten direkten Heimweg zur Tonika. Das Geschick, mit dem er dabei, sozusagen noch auf den letzten Schritten zur Haustüre, den ominösen Dominantton vermeidet, erinnert an die Virtuosität mancher Kinder beim Tempelhüpfen – und man darf sicher sein, daß Haydn bei diesem Kunststück nicht weniger Spaß hatte.

Die Reprise selbst ist dann mit spielerischen Variationen, Umstellungen, Dehnungen und Verkürzungen gewürzt, sodaß man recht froh ist, das ganze Verwirrspiel zum besseren Verständnis noch einmal hören zu dürfen. (Ganz nebenbei bemerkt: Die traditionelle Unart, die in Autographen und Erstausgaben der Klassiker oft geforderte „zweite“ Wiederholung, nämlich die von Durchführung und Reprise, schlicht zu ignorieren, gehört zu jenen Statussymbolen des „souveränen“ Umganges mit dem Text, auf die wir gerne verzichten wollen. Welche gar nicht leicht zu entscheidende Fragen uns aber auf dem Weg zu sinnerfüllter Texttreue mitunter zu Fall bringen können, davon ließe sich gerade anhand dieses Details noch vieles sagen – eine Andeutung dazu findet sich in der Besprechung des ersten Satzes von Hob.XV:24 weiter unten.)

Das folgende Andante cantabile (G-Dur) kann wohl kein Triofreund unserer Zeit hören, ohne an das legendäre Trio di Trieste zu denken, das uns diesen Schatz als Zuwaage zu so mancher genußreichen Stunde geschenkt hat. Haydns Anweisung „the left hand alone“ für das Klavierthema möchte unsere Aufmerksamkeit vielleicht auch auf die scheinbar absichtslose Schlichtheit lenken, mit der sich Thema und Kontrapunkt zu einem untrennbaren Ganzen fügen. Auch in den drei sich daran anschließenden Variationen steht die Sparsamkeit der verwendeten Mittel in einem im ursprünglichsten Wortsinn wunderbaren Widerspruch zum Reichtum der erzielten Wirkungen. Die beschauliche Ruhe, die von diesem Satz ausgeht, empfindet man nach den fürwitzigen Eskapaden des vorangegangenen Allegros als besonders wohltuend.

Damit der Schlußpunkt dieses Trios (und damit des ganzen stolzen Opus 70) auch als solcher wahrgenommen werde, läßt Haydn das Finale (Allegro) – einen zünftigen Deutschen Tanz – gleich mit einer typischen Schlußfloskel beginnen; genau betrachtet besteht eigentlich der ganze Hauptteil dieses Satzes, der von der aristokratischen Eleganz eines Menuetts nichts wissen will, aus einer erstaunlichen Aneinanderreihung von Schlußwendungen, was nicht nur eine humorvolle Schrulle ist, sondern im Zuhörer auch von Takt zu Takt die Spannung wachsen läßt, wie Haydn nun den Satz denn wirklich beenden will. Bevor es aber so weit ist, darf die Geige noch einen Walzer in der extravaganten Tonart b-moll als Trio aufs Parkett, oder vielmehr auf den Tanzboden legen. Die melismatisch variierte Reprise mündet schließlich in einer Coda, die dem „regulären“ Schluß nicht weniger als zwölf ihn burlesk und sempre più forte nachäffende Wendungen folgen läßt, bis endlich – „jetzt schlägt’s aber Dreizehn!“ – zwei herrische Akkorde dem übermütigen Spuk ein Ende bereiten.

© by Claus-Christian Schuster

Haydn: Trio g-moll Hob.XV:19 (op.70 Nr.2)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio g-moll Hob.XV:19 (op.70 Nr.2)

Komponiert:London, 1794 (oder Wien, 1793?)
Widmung:Maria Anna Esterházy, geb. Gräfin Hohenfeld
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Longman & Broderip, London, November 1794

Im November 1794, ziemlich genau in der Mitte seines zweiten Londoner Aufenthaltes (4. Februar 1794 bis 15. August 1795), ließ Joseph Haydn unter dem Titel „Trois sonates pour le pianoforte avec accompagnement de violon & violoncelle“ und der Opusnummer 70 eine Gruppe von drei Klaviertrios erscheinen, die in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert sind. Es ist die erste Werkgruppe, die explizit nur mehr für das Klavier (und nicht auch für das Cembalo) konzipiert wurde; man darf mit gutem Grund vermuten, daß Haydn bei der Komposition dieser Werke die im Vergleich zu den österreichischen robusteren und klangkräftigeren englischen Klaviere, etwa die von John Broadwood (1732-1812), im Sinne hatte. Gleichzeitig ist es auch die erste Triade in unserem Genre, in der sich nur dreisätzige Trios finden; unter den fünfzehn Trios der vorangegangenen Schaffensperiode (1784-1793) war noch die Mehrzahl (neun Werke) zweisätzig gewesen. Und schließlich eröffnet Haydn mit dieser, der jungen Witwe des Fürsten Esterházy gewidmeten Gruppe die Reihe der vier großen, sein Trioschaffen krönenden Opera (opp. 70, 71, 73, 75 der alten Zählung).
Das Mittelstück dieses Opus steht in g-moll. Sein erster Satz (Andante – Presto) ist urtypischster Haydn: Es ist einer jener im Spätwerk Haydns gehäuft anzutreffenden Variationensätze, mit dem Haydn gleichsam spielerisch den Nachweis erbringt, daß kein anderer Komponist die Variationenform en miniature mit ähnlichem Geschick und Ideenreichtum zu handhaben versteht wie er. Auf die formale Ähnlichkeit des Satzes mit den berühmten f-moll-Klaviervariationen (Hob.XVII:6) hat die Musikwissenschaft zu Recht hingewiesen. Hier wie dort handelt es sich um Doppelvariationen in getragen gehender Bewegung, wobei das erste Thema in Moll und das zweite in Dur steht. Während aber die Klaviervariationen als selbständiges Werk den Typus breit entwickeln können, erfordert die Eingliederung eines solchen Satzes in einen mehrsätzigen Werkorganismus ganz charakteristische Modifikationen. Im Interesse der Prägnanz des ganzen Werkes führt Haydn die Variationsidee auf ihre denkbar knappste Spielart zurück – Moll- und Dur-Thema werden nur je einmal variiert. Daß diese Verkürzung nicht zur Kargheit mißrät, wird durch gesteigertes Raffinement in der Beziehung der beiden Themen untereinander gewährleistet. So nimmt etwa der Themenkopf des Maggiore-Teiles die Schlußwendung des Minores auf, wodurch sich das zweite Thema als eine Metamorphose des ersten zu erkennen gibt. Auch in der Behandlung der Coda manifestiert sich der dramaturgische Unterschied zwischen den beiden verwandten Werken. Bei den in sich geschlossenen Klaviervariationen weitet Haydn eine letzte Reprise des Minores zu einer Art Phantasie, die das Stück kadenzartig an seinen Ausgangspunkt zurückführt und somit zu einem in keiner Weise fortsetzungsbedürftigen Ganzen rundet. Im Kopfsatz des Trios stellte sich im Hinblick auf das Werkganze eine grundsätzlich andere Aufgabe: Hier entschied sich der Komponist daher für eine Coda in Form einer zusätzlichen, frei erweiterten Variation des Maggiore-Teiles. In Metrum, Tonart, Tempo und Charakter nimmt diese Abschlußvariation schon den Schlußsatz des Trios vorweg und schafft damit großräumige Bezüge, die den Zusammenhalt der Teile verstärken – eine „architektonische“ Überlegung, die der Gefahr des zu großen Eigengewichtes der Doppelvariationen Rechnung trägt. Charles Rosen, der sich in seinem „Klassiker“ „The Classical Style“ an der Originalität dieser auf mehr als doppelte Länge erweiterten Schlußvariation delektiert, knüpft an deren Analyse die Feststellung, daß solche Momente die genetische Abstammung der Sonatenform von einer „unendlichen“ Melodie belegen („sonata form is an immense melody“) – eine Einsicht, deren interpretatorische Folgen man sich bei der Beschäftigung mit unseren Klassikern gar nicht oft genug vor Augen (und Ohren) halten kann und soll.

Diese „unendliche“ Melodie, die sich hinter der vielfach gegliederten und unterbrochenen Textur des Variationensatzes verborgen hatte, tritt im folgenden Adagio ma non troppo (Es-Dur) offen zutage. Die friedlich dahinfließende Sextolenbewegung umrankt mit ihren blühenden Melismen den schlichten Bau dieses Satzes, in dem alles naturhafter Wohllaut ist. Der ebenmäßigen Bewegung entspricht große harmonische Stabilität, die nur in den wenigen Überleitungstakten zur Reprise leise in Frage gestellt wird.

Wie sehr die Ruhe und Einfachheit dieses Satzes einem umfassenden dramaturgischen Kalkül dient, wird gleich zu Beginn des Finalsatzes (Presto) klar: Das Thema – ein Tanzlied, das von romanischer Folklore inspiriert scheint – wird von seinem ersten Erscheinen an in einen Widerstreit zwischen Dur- und Moll-Dominante gezogen, der so lange über dem Satz wetterleuchtet, bis mit dem Eintritt der Reprise das Thema sein französisches Moll-Kostüm ablegt und sich uns in der ausgelassenen Naivität von G-Dur zeigt, mit der das Werk ein unbeschwertes Ende findet.

© by Claus-Christian Schuster

Haydn:Sonata per il clavicembalo o forte-piano con un violino e violoncello . Opera 57 [Nr.2, e-moll, Hob. XV:12]

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Sonata per il clavicembalo o forte-piano con un violino e violoncello . Opera 57 [Nr.2, e-moll, Hob. XV:12]

Komponiert:Eszterháza und Wien, August 1788 – März 1789

Die Vor- und Entstehungsgeschichte jener hochbedeutenden Triogruppe, deren Mittelstück unser E-Moll-Trio ist, und deren Erscheinen den Haydnschen Kontrapunkt zum 14. Juli 1789 darstellt, ist voll von pittoresken Details. Sie illustrieren einerseits einige Charakterzüge Haydns, die auf erfrischende Weise mit der Kunstfigur des biederen „Papa Haydn“ disharmonieren. Daneben bezeugen sie aber auch ganz unmißverständlich, daß Schaffensprozeß und –bedingungen bei Haydn durchaus nicht jener Komplikationen entbehren, welche die Musikhagiographie erst als Leidensattribute Beethovens und seiner Nachfolger kennt.

1781 hatte der britische Gesandte in Wien, General Charles Jerningham, ein Freund der Familie Esterházy, dem Londoner Verleger William Forster einen Kontakt zu Haydn vermittelt. Nachdem Forster bei Haydn ein (traditionsgemäß aus drei Werken bestehendes) Trio-Opus bestellt hatte, hatte dieser neben einer eigenen Komposition (Hob. XV:5) zwei Sonaten für Klavier und Violine seines Lieblingsschülers Ignaz Pleyel (1757-1831) abgeliefert; die Pleyelschen Werken hatte entweder Haydn selbst oder aber einer seiner Schüler bei dieser Gelegenheit um eine Cellostimme ergänzt, und in dieser Form war die ganze Werkgruppe 1785 von Forster unter Haydns Namen veröffentlicht worden. Da die Pleyelschen Originale aber ausgerechnet vom Londoner Verleger Longman & Broderip vertrieben wurden, der als Geschäftspartner von Haydns Wiener Hauptverlag Artaria für alles, was Haydn betraf, einen besonders aufmerksamen Blick hatte, und England damals das einzige Land war, in dem musikalisches Urheberrecht auch einklagbar war, wuchs sich die Angelegenheit, die in Haydns Augen wohl nicht einmal ein Kavaliersdelikt dargestellt hatte, alsbald zu einem ebenso langwierigen wie peinlichen Rechtsstreit aus, der erst während Haydns zweiten England-Aufenthaltes außergerichtlich beigelegt werden konnte.

Zum Glück war die daraus resultierende Verstimmung zwischen Haydn und Artaria nicht von langer Dauer. Zwar hatte Haydn noch am 28. Februar 1788 an Forster geschrieben:

„So Vil versichere ich Sie, daß, so lang ich leben werde, weder Artaria, noch Langmann von, oder durch mich etwas erhalten sollen. ich bin zu Ehrlich, und Rechtschaffen, als daß ich Sie kräncken, oder Ihnen schädlich seyn solle.“

Aber schon unter dem Datum des 10. August 1788 lesen wir in einem Brief an Artaria:

„Wohl gebohrner Sonders Hochzu verEhrender Herr! […] Ich widerhole es, daß ich mir jederzeit ein vergnügen daraus machen werde, Ihnen mit meinen Arbeithen dienen zu könen!“

Die Art, wie diese Versöhnung besiegelt werden soll, ist durchaus naheliegend – und Haydn wie immer von entwaffnender Treuherzigkeit:

„Da ich nun in einer Lage bin, wo ich etwas geld gebrauche, so erbiethe ich mich, daß ich Ihnen bis Ende Decembris entweder 3 neue Quartetten, oder 3 neue mit einer Violin, und Violoncello begleite[te] Clavier Sonaten verfertigen wolle, bitte hingegen mir diesen künfftigen Mittwoch mit unseren abgehenden Husaren 25 Species Ducaten a conto zu überschücken.“

Daß Artaria sich für die Trios entscheidet, mag wohl mit der Vorgeschichte der Verstimmung zu tun haben – für die Geschichte des Klaviertrios ist es jedenfalls eine segensreiche Wahl: Mit diesen drei Werken und dem nachfolgenden As-Dur-Trio (Hob. XV:14) bereitet sich Haydn in idealer Weise auf jenes große Abenteuer vor, als welches das Ensemble seiner letzten fünfzehn Klaviertrios (1794-97) in die Gattungsgeschichte eingehen wird.

„Mein Fleiß über die 3 anverlangte[n] Clavier Sonaten mit begleitung einer Violin, und Violoncello – wird bürge seyn Ihre freundschaft fernerhin zu erhalten.“

verspricht Haydn Artaria am 17. August 1788 feierlich; und in der Tat scheint er sich diesmal mit ganz besonderer Gründlichkeit an die Arbeit zu machen. Sein bevorzugter Klavierbauer, Wenzel Schanz, muß ihm eigens dafür ein neues Instrument liefern – eine Anschaffung, die für den Fürstlich Esterházyschen Hofkapellmeister offenbar alles andere als eine Lappalie ist:

„Um Ihre 3 Clavier Sonaten besonders gut zu componiren, ware ich gezwungen ein neues Forte-piano zu kaufen. nun da es Ihnen schon längst bekant seyn wird, daß auch denen gelehrten zu zeiten das geld mangelt, unter welchen es auch jezo mich betrifft, so habe ich Euer wohlgebohren höflichst ersuchen wollen, dem Herrn orgl und Instrument Macher Wenzl schanz wohnhafft auf der leimgruben bey den blauen schif No.22. 31 Species Ducaten zu bezahlen, welche 31# ich bis Ende Jenner künftiges Jahr 1789 mit Dank zurückbezahlen werde. […] Die Interesse[n] werd ich mit Notten ersetzen.“
(Brief an Artaria vom 26. Oktober 1788)

Für Artarias bereitwilliges Eingehen auf seine Bitte – wie sehr würde man sich wünschen, daß solche Abmachungen öfter getroffen würden! – bedankt sich Haydn drei Wochen später (16. November) mit dem erneuten Versprechen:

„ich werde nicht allein mit der zurückbezahlung, sondern auch mit den 3 neuen Sonaten, wovon schon anderthalb verfertigt, zur bestimten Zeit wort halten.“

Es ist, nach Haydns Zeugnis, die Willkür seines fürstlichen Brotherren, die ihn an der pünktlichen Einhaltung des Liefertermines hindert. Nikolaus I. hatte den traditionellen Wienaufenthalt früher als gewohnt und völlig abrupt abgebrochen; und Haydn, dem das Leben auf Eszterháza inzwischen schon ebenso verhaßt ist wie dem Fürsten dasjenige in Wien, reagiert mit Symptomen, die nicht mehr der Welt eines gottergebenen Domestiken entstammen. Am 8. März 1789 schickt er aus Eszterháza die ersten zwei der drei Trios (Es-Dur und e-moll) an Artaria mit der Erklärung:

„Die gähe entschliessung Meines Fürsten sich von d. verhasten Wienn zu entfernen, verursachte meine schleunige Reise nach Estoras, und hinderte, mich von dem grösten Theil meiner Freunden nicht beurlauben zu können, derohalben werden auch Sie mich hierinfals Excusiren. an den Tag meiner Abreise überfiel mich ein so heftiger Cathar, daß ich ganze 3 Wochen unbrauchbahr ware, nun aber Gott sey Dank befinde ich mich besser. verspreche auch die 3te Sonate heut über 8 Täg einzuschücken.“

Der schließlich am 29. März 1789 fertiggestellte Zyklus wird Haydns Wunsch gemäß – „Bitte alle 3 bald möglichst zum Stich zu befördern. weil schon viele mit Schmerz darauf warten.“ – gleich zur Herausgabe vorbereitet. Zwar bittet Haydn eine Woche später, das Drängen des vorangehenden Schreibens relativierend, noch ausdrücklich darum, die Sonaten mögen „sauber und leserlich gestochen“ werden; nach dem Eintreffen der ersten gedruckten Exemplare in Eszterháza muß er aber in seinem Brief an Artaria vom 5. Juli dann doch klagen:

„[…] nur bedaure ich, daß hie und dort einige fehler mit eingeschliechen sind, welche nunmehro nicht mehr abgeändert werden könen, weil Sie schon verschückt, und zum Verckauf hindan gegeben worden. es ist immer schmerzlich für mich, daß noch kein einziges Werck unter Ihrer auf sicht fehler frey ist […]“

Nicht erst dieses Lamento, schon die ganze ungewöhnlich gut belegte Entstehungsgeschichte läßt erahnen, daß Haydn an seinem Opus 57 in besonderer Weise gelegen sein muß, und er diesen Werken eine nicht alltägliche Bedeutung beimaß. (In schärfstem Kontrast dazu steht der Umstand, daß diese Werkgruppe in der Konzertpraxis noch weit mehr vernachlässigt wird als die späteren Trios.) In der Entwicklung von Haydns Triostil markieren die drei Stücke ohne Zweifel einen kritischen Punkt: Rückbezug und Vorgriff stehen hier in einem besonders subtilen Mischungsverhältnis, und es ist wohl dieser „Übergangscharakter“, der diesen Werken einen ganz besonderen Zauber verleiht.
Rein äußerlich gleicht der Aufbau der Gruppe recht genau derjenigen der vorangegangenen Triade (Hob.XV:6-8) – auch dort hat Haydn ein dreisätziges Zentralwerk zwischen zwei zweisätzige Stücke gestellt, und hier wie dort steht das Mittelstück in einem besonderen tonalen Spannungsverhältnis zu den beiden umgebenden Trios. Doch ist diese Spannung hier noch sehr deutlich geschärft: Ein erstes Mal begegnen wir hier dem charakteristischen Halbtonschritt, der für die Tonartenfolge der Haydnschen Triogruppen (mit Ausnahme von op.70 / Hob. XV:18-20) unentbehrlich werden wird. Hier ist es – im Gegensatz zu dem Verfahren in den späteren Trios – ein Halbtonschritt aufwärts, und es ist eben dieser Schritt, der im Kopfsatz unseres E-moll-Trios (Allegro moderato) die Atmosphäre empfindsamer Leidenschaft nachhaltig betont. (Der Effekt muß bei der zyklischen Aufführung der ganzen Werkgruppe nach dem willkürlich verzögerten Es-Dur-Schlußakkord des Eröffnungswerkes von geradezu caravaggesker Wucht sein; überhaupt ließe sich in einer solchen unmittelbaren Gegenüberstellung das ganze Incipit als eine kontrastierende Paraphrase des Anfangs des Es-Dur-Stückes lesen.)
Im Mittelsatz (Andante, E-Dur) ist das Wunder von Hob. XV:28 schon vorweggenommen: die selbe Tonart wird mit den selben instrumentatorischen Mitteln beschworen – auch wenn die zugrundeliegende Klangfarbe hier deutlich heller, „kindlicher“ erscheint. Der unerwartete Rückgriff auf das E-moll des Kopfsatzes schenkt der Reprise noch zusätzlichen Reichtum; diese Rückbesinnung ist aber nicht nur poetisch, sondern auch dramaturgisch gut motiviert, denn das abschließende Rondo (Presto), behält das wiedergewonnene E-Dur als Haupttonart bei und verweist die Ausgangstonart in das enge Verlies der ersten Episode, wo sie denn auch recht grimmig mit den Ketten rasselt. Die Mittelepisode (cis-moll) mündet hingegen in einen schwindelerregenden Wirbel, in der nur der Auftakt des Ritornells unermüdlich wiederholt wird – von hier scheint ein direkter Weg zu der berühmten „Anapäst-Epidemie“ im Finale von Beethovens E-moll-Streichquartett (op. 59 Nr.2) zu führen. (Nr für Statistiker: Haydn bringt es hier auf gezählte 23 Anapäste in zwei- und dreistimmigem Satz, während Beethoven im Razumovskij-Finale mit 34 alternierenden aufwartet.) Doch während sich bei Beethoven die Verwirrung in bestärkte Sicherheit auflöst, läßt Haydn die Instrumente in unversöhnlicher Engführung aufeinanderprallen, bis die Stimmen sich wie die Geweihe erbittert kämpfender Böcke ineinander verkeilen. Diese Eskapade kostet das Rondo denn auch ein ganzes Ritornell – was aber den Komponisten durchaus nicht daran hindert, das Werk in bester Laune zu beschließen.
Es ist diese unnachahmliche Mischung von lyrischen Eingebungen und ingeniösen „Kniffen“, von rhetorischer Eindringlichkeit und gelöster Weite, welche den Trios dieser „Übergangsperiode“ ihren singulären Rang sichert und sie ebenso bemerkenswert macht wie ihre (ein wenig) bekannteren jüngeren Geschwister.

© by Claus-Christian Schuster

Halffter: Canción callada in memoriam Federico Mompou (1988)

Cristóbal Halffter

* 24. März 1930

Canción callada in memoriam Federico Mompou (1988)

Komponiert:Villafranca del Bierzo (León)
Widmung:Federico Mompou y Dencausse (1893-1987)
Uraufführung:9.8.1988, Santander, Catedral
Trio Mompou
Luciano González Sarmiento, Klavier
Juan Lluis Jordà Ayats, Violine
Pilar Serrano, Violoncello
Erstausgabe:Universal Edition, Wien/London/New York, 1988 (Facsimile)

Am 30. Juni 1987 starb Federico Mompou y Dencausse im 95. Lebensjahr in seiner Geburtsstadt Barcelona. Der scheue und stille Sohn eines katalanischen Rechtsanwaltes und der jüngsten Vertreterin einer uralten französischen Glockengießerdynastie, der fast drei Jahrzehnte seines Lebens in Paris verbracht hatte, war schon zu Lebzeiten zu einer Legende geworden. Vor allem in den dürren Jahren des „Darmstädter Diktats“ hatten viele Hörer seine schlichte, klangsinnliche, unspekulative und unspektakuläre Musik als ein nicht nur willkommenes, sondern geradezu unentbehrliches Antidotum gegen die einschüchternden Klangkonstruktionen bewundernswerter Mathematiker und Logiker empfanden, von denen sich einige wohl nur zufällig in das Wunderland der Musik verirrt hatten. Als die Machtfülle jenes musikalischen Totalitarismus gerade ihrem Höhepunkt zustrebte, hatte sich der leise Meister in den Jahren 1959 bis 1967 in die Niederschrift eines seiner pianistischen Hauptwerke verloren – der Música callada, einer Art Klang-Tagebuch, das, auf vier Hefte verteilt, 28 nachdenkliche Einträge enthält, und das der Komponist selbst noch im Alter von achtzig Jahren auf Schallplatte einspielte.
Dem ersten, 1959 erschienenen Heft dieses opus summum hat Mompou einen Kommentar beigefügt, in dem er den Gesamttitel des Werkes auf einen Vers im Cántico espiritual des Juan de Yepes Álvarez (1542-1591) zurückführt, der in der katholischen Welt als San Juan de la Cruz oder Heiliger Johannes vom Kreuz bekannt ist. Dort findet sich ziemlich zu Beginn der eröffnenden Canciones entre el Alma y el Esposo der Passus:

…la noche sosegada,
en par de los levantes de la aurora,
la música callada,
la soledad sonora,
la cena que recrea y enamora…

der in der weit wortreicheren und assoziationsärmeren deutschen Nachdichtung des päpstlichen Hausprälaten Bernhard Panzram (1902-1998) so lautet:

Er gleicht der Nacht, mit stiller Ruh gekrönet,
Die schon entgegen geht dem Morgenlicht;
Er ist Musik, die nur verschwiegen tönet,
Ist Einsamkeit, die süß in Klängen spricht,
Ein Abendmahl, das froh zu neuer Lieb’ erfrischt.

Die verschwiegene, also nur in der mystischen Stille wahrnehmbare Musik, die in der Vision des Heiligen hier die Stelle Gottes vertritt, ist die gemeinsame Quelle für Mompous Klangmeditationen und Cristóbal Halffters Hommage an den älteren Meister. Schon die der Terminologie des Cántico espiritual angepaßte Verwendung des Begriffs Canción läßt erkennen, wie bewußt Halffters Rekurs auf Mompous Inspirationsquelle ist. Tatsächlich ist das Werk des großen katholischen Mystikers das stärkste Bindeglied zwischen Mompou und Halffter – in beider Schaffen findet sich eine Vielzahl von Bezügen darauf: So hatte sich Mompou schon in seinem großen Klavierzyklus Canciones y Danzas (1918-1962), als dessen Fortsetzung man Música callada betrachten könnte, aus San Juan de la Cruz bezogen – und eben dieser Umstand veranlaßt Halffter dazu, in seiner Canción callada einen Passus aus jenem Zyklus (eine charakteristische Wendung vom Beginn der Canción y danza VI ) wörtlich zu zitieren (die Takte 29-34 von Halffters Hommage greifen ); und Cristóbal Halffter selbst hatte schon während Mompous letztem Lebensjahrzehnt, in dem der schwerkranke Katalane nicht mehr komponieren konnte, in seiner akustisch-visuellen Installation La soledad sonora/La música callada (1982/83) den ideellen Dialog mit dem spanischen Heiligen fortgesetzt.

Schon kurz nach Mompous Tod begann das Centro para la Difusión de la Música Contemporánea (CDMC) in Madrid mit den Vorbereitungen für ein feierliches Gedenkkonzert, das dann am 9. August 1988 im Kreuzgang der Kathedrale von Santander im Rahmen des XXXVII Festival Internacional de Música y Danza stattfand. Für diese Gelegenheit wurde eine ganze Pleiade spanischer Komponisten eingeladen, kurze Stücke für Klaviertrio zu schreiben, mit denen Mompou ein musikalisches Denkmal gesetzt werden sollte. Der Begriff „Pleiade“ ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen, denn es war wirklich ein Siebengestirn, an das der Aufruf erging: neben Cristóbal Halffter gehörten dieser Komponistengruppe sein Jahrgangscollege Luis de Pablo und der um ein Jahr ältere Carmelo Alonso Bernaola, die etwas jüngeren Kollegen Anton García Abril, Tomás Marco und Claudio Prieto sowie, als Vertreter der älteren katalanischen Generation, Xavier Montsalvatge Bassols an. Die so entstandenen Werke wurden schließlich von dem 1982 gegründeten Trio Mompou (in einem der letzten Konzerte in seiner ersten Besetzung) uraufgeführt.

Daß gerade Cristóbal Halffter unter den Bewunderern Mompous einer der verständnisvollsten und berufensten ist, also ein Komponist, der als anerkannter Avantgardist 1976 und 1978 Dozent an den Darmstädter „Internationalen Ferienkursen für Neue Musik“ war, mag auf den ersten Blick erstaunen. Vor allem im deutschen Sprachraum hat man sich ja spätestens seit dem wortgewaltigen Wirken Theodor Adornos in Fragen der Musikästhetik an Demarkationslinien gewöhnt, die den ehemals berüchtigten „Eisernen Vorhang“ puncto Permeabilität womöglich noch unterbieten. Doch einengende Dogmatik war dem Denken und Schaffen Cristóbal Halffters schon immer fremd – und ein kurzer Blick auf Herkunft und Werdegang des Komponisten läßt erahnen, warum das so ist.
Cristóbal Halffters Großvater, der Juwelier und Goldschmied Ernst Halffter (Ernesto Halffter Hein), entstammte einem ostpreußischen Junkergeschlecht – der Familienname deutet auf die Pferdezucht hin, mit der sich seine Vorfahren über viele Generationen auf dem Gut Adamsruhe (Kreis Insterburg, heute Černjahovsk) beschäftigt hatten – und war, da er als Zweitgeborener keien Aussicht hatte, das Erbe anzutreten, um 1890 aus seiner Heimatstadt Königsberg nach Madrid emigriert, wo er die aus Katalonien stammende Rosario Escriche Erradón heiratete. Ein Onkel Rosarios, Ernesto Escriche, war ein erfolgreicher Konzertpianist, und zwei der Söhne aus der Verbindung Rosarios mit Ernst Halffter, Rodolfo (1900-1987) und Ernesto (1905-1989), sollten zu führenden Protagonisten der musikalischen Moderne in Spanien – Rodolfo später dann auch in seinem Emigrationsland Mexiko – werden. Cristóbals Vater Emilio (1902-1990), zwischen den beiden Musikern geboren, hatte hingegen praktischere Interessen: Er wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann und heiratete die musikbeflissene Feliza Jiménez Encina. Im gastfreien Haus des jungen Ehepaares verkehrte die geistige Elite Spaniens: Manuel de Falla, Federico García Lorca und Salvador Dalí zählten zu den ständigen Gästen der Familie.
Cristóbal hat eben seine allerersten Klavierstunden hinter sich, als der spanische Bürgerkrieg seine Eltern dazu bewegt, nach Deutschland zu flüchten. Seine ersten Schuljahre verbringt Cristóbal Halffter daher in der „Schlüsselstadt“ Velbert im Bergischen Land bei Essen, von wo die Familie aber bei Kriegsbeginn nach Madrid zurückkehrt. Von dort ist Cristóbals Onkel Rodolfo, im Gegensatz zu seinen Brüdern ein unbeugsamer Republikaner, inzwischen nach Mexiko geflohen – und hat seinem musikbegeisterten jungen Neffen seine ganze reiche Bibliothek hinterlassen. So kann der neugierige Knabe sich unabhängig vom Kulturklima der faschistischen Diktatur ganz ohne ideologische und ästhetische Scheuklappen informieren und entwickeln. Der frühe Tod der Mutter, die 1941 einem Krebsleiden erliegt, ist ein erster schwerer Schlag. 1945 wird die deutsche Schule, die Cristóbal bis dahin besucht hat, geschlossen, und er steht vor der Notwendigkeit, den gesamten Lehrstoff noch einmal nach den Vorgaben des spanischen Unterrichtssystems zu bewältigen. Zum Glück erspart ihm der Vater die Peinlichkeit, die Schulbank neben Volksschülern drücken zu müssen, und engagiert statt dessen einen wegen seiner linken Gesinnung arbeitslos gewordenen Pädagogen als Privatlehrer – auch dadurch kommt Cristóbal wieder in den Genuß einer von den fragwürdigen Prämissen des Franco-Regimes unbeeinflußten Prägung. Von 1947 bis 1951 wird er von Conrado del Campo (1878-1953), dem hochangesehenen Kompositionslehrer des Königlichen Konservatoriums, unterrichtet und schließt das Regelstudium schon mit 21 Jahren erfolgreich ab. Zehn Jahre später wird er selbst als Lehrer an das Real Conservatorio berufen und 1964 sogar zum Direktor dieses Instituts bestellt, tritt aber nach nur zweijähriger Amtszeit aus Protest gegen die seiner Überzeugung nach unzeitgemäßen Unterrichtsmethoden zurück. In den vergangenen vier Jahrzehnten hat Cristóbal Halffter mit stets wachsendem Erfolg weltweit als Komponist, Dirigent und Lehrer gewirkt, ohne aber seiner Heimat den Rücken zu kehren. Mit seiner Frau, der Pianistin María Manuela Caro y Carvajal, lebt er auf dem Stammsitz von deren Familie in Villafranca del Bierzo (León).

© by Claus-Christian Schuster