Alexander Zemlinsky
* 14. Oktober 1871
† 15. März 1942
Trio d-moll op.3 [pf/cl/vlc]
| Komponiert: | Wien, 1896 | 
| Widmung: | Johann Nepomuk Fuchs | 
| Uraufführung: | Wien, Festsaal des Wiener kaufmännischen Vereins (I., Johannesgasse 4),11. Dezember 1896 Hugo Reinhold (1854-1935), Klavier Fr. Blümel, Klarinette (1878-?), Klarinette Friedrich Buxbaum (1869-1948), Violoncello  | 
| Erstausgabe: | Simrock, Berlin, 1897 | 
Prosaisches Vorspiel: Brahms als Juror
 
 Zemlinskys Jugendjahre fallen mit dem Höhepunkt des für die  Intrigenseligkeit des Wiener Kulturlebens so bezeichnenden Streites  zwischen „Wagnerianern“ und „Brahmsianern“ zusammen. Wie tief und  nachhaltig der durch diese mit den abstrusesten Mitteln geführte  Auseinandersetzung war, kann man bei der Lektüre von Karl Kraus´ „Der  Fall Kalbeck“ (Die Fackel Nr.158, 30. März 1904) erahnen. Obgleich  Zemlinsky durch Herkunft und Ausbildung zum Anhänger der Brahms-Partei  bestimmt war und auch an den Aktivitäten des „Wiener  Tonkünstlervereins“, der in diesem ebenso erbitterten wie eigentlich  sinnlosen Kampf das Bollwerk der Wagner-Gegner darstellte, regen Anteil  nahm, so hatte er sich doch einen genügend unabhängigen und freien Blick  auf die Dinge bewahrt und war alles andere als ein blinder Fanatiker.  Arnold Schönberg, der mit Zemlinsky 1895 im Dilettantenorchester  „Polyhymnia“ zusammentraf, berichtet:
 
 „Als ich Zemlinsky kennenlernte, war ich ausschließlich Brahmsianer. Er  aber liebte Brahms und Wagner gleichermaßen, wodurch ich bald darauf  ebenfalls ein glühender Anhänger beider wurde…“
 (Arnold Schönberg: My evolution)
 
 Daß der Brahms-Biograph Max Kalbeck Zemlinsky totschweigt, kann man auch als Strafe für diese undogmatische Haltung betrachten.
 
 Auch die „Polyhymnia“, deren Proben allwöchentlich im  Augustinerbräukeller „Zur Tabakspfeife“ (Am Graben 29) stattfanden, war  für die Animosität und Radikalität, mit der in diesen Jahren  musikästhetische Fragen diskutiert wurden, anfällig: Bald nachdem  Schönberg zu der Gruppe gestoßen war, bildete sich eine heftige  Opposition gegen ihn, und nur dem energischen Eingreifen Zemlinskys war  es zu danken, daß sich die Wogen glätteten – Schönberg sollte von der  „Polyhymnia“ wenig später für sein Schilflied (nach Nikolaus Lenau)  sogar den ersten Kompositionspreis seiner jungen Laufbahn erhalten.
 
 Etwa zur gleichen Zeit, als Zemlinsky seinen zukünftigen Schwager  Schönberg kennenlernte, kam es auch zu einer ersten „offiziellen“  Begegnung mit Brahms. Daß dieses Zusammentreffen im Musikverein  stattfand, ist alles andere als ein Zufall – schon immer kreuzten sich  die Wege der österreichischen Musikgeschichte an dieser Stelle. Am 18.  März 1895 veranstaltete das damals noch im Musikvereinsgebäude  untergebrachte Konservatorium im Großen Musikvereinssaal ein Festkonzert  zur Erinnerung an die Eröffnung des neuen Hauses vor fünfundzwanzig  Jahren. Brahms dirigierte dabei seine Akademische Festouverture op.80 –  es sollte sein letzter Wiener Auftritt als Dirigent sein.  Dem  dreiundzwanzigjährigen Zemlinsky fiel bei diesem Konzert die ehrenvolle  Aufgabe zu, die Uraufführung seiner Orchestersuite zu dirigieren. Diese  Auszeichnung war nicht willkürlich: Zemlinsky hatte, nachdem er schon  1890 die Klasse des Brahms-Intimus Anton Door als bester Pianist des  Jahrganges absolviert hatte, im Sommer 1892 auch sein  Kompositionsstudium bei Hofkapellmeister Johann Nepomuk Fuchs mit  ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen und konnte spätestens seit der  Uraufführung seiner d-moll-Symphonie (10. Februar 1893) als die  herausragende Erscheinung unter den jungen Konservatoriumsabsolventen  gelten. Der glänzende Festakt bot aber nicht das richtige Ambiente, zu  einer wirklichen Begegnung. Dazu kam es erst im folgenden Jahr. Am 5.  März 1896
 
 „wurden ein Streichquintett und eine Violin-Klaviersuite vom Quartett  Hellmesberger aufgeführt. Bei dieser Gelegenheit wurde ich Brahms  vorgestellt, und von dieser Zeit an war ich in näherem Verkehr mit  ihm…“
 (Brief an Emil Hertzka, November 1910)
 
 Richard Heuberger berichtet in seinen Erinnerungen an Johannes Brahms,  daß Brahms Zemlinskys Quintett gut gefallen habe: „Er äußerte sich ein  ums andere Mal: »Sieht überall Talent heraus.« Als ich meinte, es sei  vieles Anderes auch sehr hübsch gemacht, sagte er halb traurig und halb  grantig: »Ach Gott, wer kann denn heute etwas Ordentliches  schreiben?!«…“
 
 Der nähere Verkehr bestand unter anderem, wie sich Zemlinsky 1922  erinnerte, in einer Besprechung von Zemlinskys Streichquintett, zu der  Brahms den jungen Komponisten „mit der kurz und etwas ironisch  hingeworfenen Bemerkung: »Natürlich, falls es Sie interessiert, mit mir  darüber zu sprechen!«“ einlud.
 
 „Mit Brahms zu reden war keine so einfache Sache. Frage und Antwort war  kurz, schroff, scheinbar kalt und oft sehr ironisch. Am Klavier nahm er  mit mir mein Quintett durch. Anfangs schonungsvoll, korrigierend, die  eine oder andere Stelle sorgfältiger betrachtend, niemals eigentlich  lobend oder nur aufmunternd, schließlich immer heftiger werdend. Und als  ich eine Stelle der Durchführung, die mir in Brahmsischem Sinne als  ziemlich gelungen erschien, schüchtern zu verteidigen suchte, schlug er  das Mozartsche Streichquintett auf, erklärte mir die Vollendung dieser  »noch nicht übertroffenen Formengestaltung«, und es klang ganz sachlich  und selbstverständlich, als er dazu sagte: »So macht man´s von Bach bis  zu mir!«…“
 
 Im März 1896, als diese Szene sich höchstwahrscheinlich zutrug, muß  Zemlinsky mitten in der Arbeit an einer neuen Komposition gewesen sein,  die wie das Streichquintett in d-moll stand, und die der junge Komponist  dem großen Meister nicht persönlich, sondern anonym zur Beurteilung  übergeben wollte: Zemlinsky schrieb an einem Klarinettentrio, mit dem er  am Wettbewerb des Tonkünstlervereines teilnehmen wollte.
 
 Wenn Industrie und Handwerk, Handel und Gewerbe sich auf  Weltausstellungen, Mustermessen und Leistungsschauen präsentierten, so  durfte auch die Kunst nicht beiseite stehen: Preisausschreiben und  Wettbewerbe aller Art hatten Hochkonjunktur. Brahms, der gleich im  Gründungsjahr 1885 Mitglied des Wiener Tonkünstlervereins geworden war,  wurde schon 1886  bei der Ausrichtung des ersten Kompositionswettbewerbs  in Anspruch genommen. (Noch im selben Jahr wurde er dann auf Antrag  Theodor Leschetitzkys zum Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit ernannt.) Die  Wettbewerbe des Tonkünstlervereins wurden schon bald zu einer vertrauten  Einrichtung des Wiener Musiklebens. Und wenn wir auch versucht sind,  mit der allwissenden Arroganz der Nachgeborenen darüber zu lächeln, daß  die Preisträger nicht Hugo Wolf, Gustav Mahler und Arnold Schönberg,  sondern Julius Zellner, Hans Kössler und Walter Rabl hießen, so kann  doch nicht geleugnet werden, daß von diesen Veranstaltungen recht  wertvolle Impulse für die jüngere Komponistengeneration ausgingen. 
 
 Der Zielsetzung des Vereins entsprechend wurden vor allem jene Genres  gefördert, die den Bestrebungen der „Neudeutschen“ und der „Wagnerianer“   ferne lagen oder geradewegs zuwiderliefen (Kammermusik,  A-capella-Komposition etc.). 
 
 Auch 1896 trug die Aufgabenstellung des Wettbewerbs deutlich  „ideologische“ Züge: Diesmal ging es um die Komposition eines  Kammermusikwerkes mit einem Blasinstrument – eine Werkkategorie, zu der  Brahms selbst gerade erst mit seinen Opera 114 (Klarinettentrio, 1891),  115 (Klarinettenquintett, 1891) und 120 (zwei Klarinettensonaten, 1894)  Meisterwerke beigesteuert hatte. Im Jänner 1896 erschien also folgende  Ausschreibung:
 
 „Der Wiener Tonkünstlerverein schreibt zur Förderung der  Kammermusik-Literatur für Blasinstrumente zwei Preise aus für die besten  Kammermusikstücke, bei denen mindestens ein Blasinstrument verwendet  wird. Die Zusammenstellung der übrigen Instrumente bleibt den  Componisten überlassen.
 Die Preise betragen 300 und 200 Kronen.
 Zur Einsendung concurrirender Arbeiten sind berechtigt:
 1. alle in Österreich-Ungarn lebenden Componisten
 2. alle österreichisch-ungarischen Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf ihren Wohnort…“
 
 In den Tagen nach dieser Veröffentlichung trug sich auch ein Schüler  Zemlinskys mit Plänen für ein Klarinettentrio, das er allerdings nach 16  Takten liegenließ – das von Arnold Schönberg am 9. Februar 1896 zu  Papier gebrachte Fragment folgt ganz offensichtlich den Spuren seines  Lehrers.
 
 Wenn das erklärte Wettbewerbsziel der „Produktionsförderung“ schon  vollkommen dem unternehmerischen Geist einer zukunftsgläubigen  Industriegesellschaft entspricht, für die eben auch die Kunst ein  umsichtig zu entwickelnder Produktionszweig ist, so findet man in der  Abwicklung des Wettbewerbes selbst ein getreues Miniaturbild der  damaligen politischen Realität:  Ganz wie in der konstitutionellen  Monarchie erscheinen auch hier „autoritäre“ und „demokratische“ Züge in  engster Nachbarschaft. Die anonym eingesendeten Werke, die durch ein  frei gewähltes Motto gekennzeichnet waren, sollten von einem Comité  gesichtet und beurteilt werden; über die einer Aufführung für würdig  befundenen Werke durften dann alle ordentlichen Vereinsmitglieder  abstimmen.
 
 In der Zusammensetzung der Jury dokumentiert sich die enge Bindung des  Tonkünstlervereins an die Gesellschaft der Musikfreunde, in deren  Gebäude ja auch die Vereinsabende stattfanden. Neben Johannes Brahms  gehörten Eusebius Mandyczewski und Richard von Perger diesem Gremium an.  Richard von Perger (1854-1911) war erst 1895 aus Rotterdam in seine  Heimatstadt zurückgekehrt, um hier die Direktion des Musikvereins zu  übernehmen; sein erstes Saisonprogramm hatte er sogleich seinem  mittelbaren Amtsvorgänger Brahms (artistischer Direktor 1872-1875) zur  Korrektur vorgelegt. Auch Eusebius Mandyczewski (1857-1929), der seit  1879 zum allerengsten Brahmskreis gehörte, war Amtsnachfolger des  Meisters:  Er war 1881 zum Leiter der Wiener Singakademie ernannt  worden, der ja auch Brahms in seiner ersten Wiener Zeit (1863/64)  vorgestanden hatte. Seit 1887 leitete Mandyczewski das Archiv der  Gesellschaft der Musikfreunde.
 
 Nach Ablauf der Einsendefrist am 31. Juli 1896 lagen dem Comité achtzehn  Kompositionen vor. Die Entscheidung der Jury trägt ganz unverkennbar  die Handschrift des alternden Meisters: Nicht weniger als zwölf der  eingesandten Werke wurden zur Aufführung empfohlen, und „dieses  verhältnismäßig günstige Ergebnis bewog einen ungenannt sein wollenden  Gönner des Vereins – zur Spende von 400 Kronen, wodurch der Verein in  den Stand gesetzt wurde, die Preise zu 400, 300 und 200 Kronen für  diesmal festzusetzen.“ Keinem Kenner der Brahms-Biographie dürfte es  schwerfallen, das Incognito dieses Mäzens zu lüften. (Für Steuerfahnder,  Skeptiker und andere kritische Geister: Ein Londoner Verehrer hatte  kurz zuvor Brahms eine größere Summe vermacht, und Brahms konnte seinem  Verleger Fritz Simrock daher am 3. Dezember 1896 schreiben: „Falls in  Berlin Geld für mich liegt, kann es in den Reichskeller kommen, die  englische Erbschaft reicht noch – trotzdem ich die Preisarbeiten  königlich protegiere.“) 
 
 Wenn man aber weiß, wie kritisch Brahms auch (und vor allem) gegenüber  seinen eigenen Werken war, und wie selten er sich zu wirklichem Lob oder  ehrlicher Anerkennung hinreißen ließ, dann wird man in dem  „verhältnismäßig günstigen Ergebnis“ des Wettbewerbs weniger  zukunftsgläubigen Enthusiasmus, sondern vielmehr resignative Milde  widerspiegelt sehen. Brahmsens Unbehagen an der Situation des  Wettbewerbes drückte sich diesmal nicht in bärbeißiger Grobheit, sondern  in großväterlicher Nachsicht aus. Das beweist auch seine Antwort an  Fritz Simrock, der sich anläßlich eines Kurzbesuches in Wien für die  Wettbewerbsstücke sehr interessiert hatte:
 
 „…Die Konkurrenzarbeiten sind Eigentum der Komponisten; ich werde  schon in Deinem Interesse Deiner nicht vergessen, Du brauchst Dich um  gar nichts zu bekümmern. Ich muß mich nur hüten, weil ich zu geneigt  bin, passable Werke zu überschätzen (im ersten Augenblick) – man sehnt  sich gar so sehr nach etwas Erfreulichem!“
 (Brief vom 30. Oktober 1896)
 
 Ist es zu spekulativ, hier die Sehnsucht nach einem ähnlichen Erlebnis  mitschwingen zu hören, wie es Brahms selbst 1853 Schumann in Düsseldorf  bereitet hatte?
 
 Die Nachsicht des Meisters bescherte den Vereinsmitgliedern immerhin  eine ganze Reihe interessanter Konzerte: an fünf Abenden wurden die von  der Jury ausgewählten Werke aufgeführt. Da die sonst benutzten Räume im  Musikvereinsgebäude gerade neu adaptiert werden mußten, wich man in den  Festsaal des Wiener kaufmännischen Vereins aus (Johannesgasse 4, heute  Ballettabteilung des Konservatoriums der Stadt Wien) – diese erzwungene  Symbiose von Kaufmannschaft und Künstlertum muß den Hanseaten Brahms  heimatlich angemutet haben.
 
 Gleich am ersten dieser Abende (20. November 1896) konnten die Zuhörer  Zemlinsky als Pianisten erleben – er wirkte an der Aufführung einer  unter dem Motto „Per aspera ad astra“ eingereichten Hornsonate mit.  Einen Tag später konnte er übrigens abseits des Wettbewerbs einen  kleinen Triumph feiern: die junge Pianistin Hedwig Ulmann hatte auf das  Programm ihres Konzertes im Bösendorfersaal zwei der Ländlichen Tänze  op.1 „des jungen begabten Wiener Componisten“ gesetzt, „von denen eines  stürmisch zur Wiederholung begehrt wurde.“ (Neue musikalische Presse,  13. Dezember 1896).
 
 Drei Wochen später, im vierten Konzert der Reihe (11. Dezember 1896),  stand dann Zemlinskys Opus 3 auf dem Programm, das er unter dem Motto  „Beethoven“ eingereicht hatte. (Dieses lakonische Motto, dem nur  böswillige Deutung einen megalomanen Nebensinn hätte geben können, stand  jedenfalls in wohltuendem Gegensatz zu den poetischen Ergüssen einiger  Mitkonkurrenten. Zwischen den Mottos zweier der ausgeschiedenen  Kompositionen ergab sich etwa folgender ideologischer Disput:  Bläseroktett, Motto: „Von des Lebens Gütern allen bleibt der Ruhm das  höchste doch!“ – Andante für Klarinette und Streichquartett, Motto:  „Nicht Ehr und Ruhm will ich erringen / Ein einfach herzlich Lied nur  singen!“)
 
 Der letzte Abend (22. Dezember 1896) wurde mit dem Septett Z mého zivota  (Aus meinem Leben) von Josef Miroslaw Weber (Prag 1854–1906 München)  beendet. Ein unvoreingenommener Betrachter wäre versucht, an eine  vorausgeplante Dramaturgie denken; jedenfalls scheint dieses Werk auf  den von der Jury veröffentlichten Werklisten immer an erster Stelle auf.  Auch der Kritiker der Neuen musikalischen Presse scheint von dieser  sehr bekenntnishaften und eigenwilligen Komposition ganz besonders  angetan – natürlich ist ihm auch die bewußte Anlehnung an Smetana nicht  entgangen. 
 
 In Wahrheit war freilich – wie es bei Wettbewerben eben schon vor  hundert Jahren zu gehen pflegte – alles schon lange vor diesem Abend so  gut wie entschieden. Auch mit der „Anonymität“ der Bewerber war es nicht  sehr weit her, denn bereits am 3. Dezember hatte Brahms seinem Verleger  (in dem schon oben zitierten Schreiben) mitteilen können:
 
 „…Das Beste ist jedenfalls ein Pianofortequartett mit Klarinette. Es  soll von Rabl, einem Schüler Nawratils, sein. Ich kenne den jungen Mann  und seine Sachen wenig, da er mir persönlich nicht sympathisch war.  Natürlich behalte ich ihn und sein Stück jetzt im Auge…“
 
 Wenige Tage später war dann die Sache noch klarer:
 
 „…Über unsern Preiskomponisten Walter Rabl werde ich immer  Erfreulicheres melden. Ein ganzer Stoß Sachen von ihm liegt bei mir. Er  selbst kommt der Tage zum Fest, ist im Begriff, in Prag seinen Doktor zu  machen. Die Abstimmung ist am 22sten; ich glaube, daß er den ersten  Preis kriegt – das ist aber ganz Nebensache. Alles wird bestens besorgt  von Deinem J. Br.“
 (An Fritz Simrock, 17. Dezember 1896)
 
 So konnte also an jenem 22. Dezember 1896 nach der programmgemäß  verlaufenen Abstimmung durch die anwesenden Vereinsmitglieder Walter  Rabl (1873-1940) den ersten Preis in Empfang nehmen, während das Septett  Miroslaw Webers auf dem zweiten Platz landete; der dritte Preis ging an  Zemlinskys Klarinettentrio – und so gesehen hat Zemlinsky diesen Erfolg  allein dem „ungenannt sein wollenden Gönner“ zu verdanken, der ja mit  seiner Spende die Vergabe von drei Preisen erst ermöglicht hatte. 
 
 Seinem Simrock gegebenen Versprechen blieb Brahms treu – am letzten  Silvesterabend seines Lebens konnte er seinem Freunde melden:
 
 „…Das Quartett von Rabl und das Trio von Zemlinsky gehören Dir. Bei  beiden kann ich eben auch den Menschen und das Talent empfehlen. Wenn  Rabl zögert, Dir das Quartett zu schicken, so ist das wohl meine Schuld,  er meint warten zu sollen, bis er Gleichwertiges beilegen oder gleich  folgen lassen kann…“
 
 In eben diesem Sinne hatte 1853 Schumann den jungen Brahms instruiert.  Rabl zögerte nicht lange: Simrock druckte gleich nach dem  Klarinettenquartett noch ein Klaviertrio und Lieder;  Zemlinsky  konnte  bei Simrock zusätzlich zu dem Trio op.3 noch sein Streichquartett op.4  unterbringen. Brahms erlebte die Drucklegung der von ihm protegierten  Werke nicht mehr.
 
 
 Das Werk
 
 Nur zwei der beim Kompositionswettbewerb des Tonkünstlervereins  eingereichten Kompositionen bedienten sich der von Brahms verwendeten  Instrumentenkombinationen: ein nicht zur Aufführung zugelassenes Andante  für Klarinette und Streichquartett und Zemlinskys Trio. Obwohl manches  darauf hindeutet, daß Zemlinsky schon während der Komposition die  Herstellung einer Alternativfassung für die „klassische“  Klaviertrioformation miterwog, so ist die Wahl gerade dieser  instrumentalen Gestalt durchaus emblematisch zu verstehen. 
 
 Das Genre „Klarinettentrio“ in der Kombination Klavier – Klarinette –  Violoncello zeichnet sich unter den „Nebenformen“ der Kammermusik  dadurch aus, daß es Instrumente aus drei wesensverschiedenen Familien  verbindet, denen allen ein besonders großer Stimmumfang gemeinsam ist.  Die klangfarblichen und kontrapunktischen Möglichkeiten, die sich  dadurch ergeben, sind besonders reizvoll. Es erstaunt daher nicht, daß  diese Gattung vor allem im Umfeld von Beethoven und Brahms anzutreffen  ist. Im Gegensatz zur nahe verwandten Form des Trios Klavier – Violine –  Klarinette, die einen noch „folkloristischeren“ (und von Komponisten  wie Bartók, Stravinskij und vielen anderen auch mit großem Effekt  eingesetzten) Unterton provoziert, läßt die von Beethoven und Brahms  gewählte Kombination ein reicheres Feld an Möglichkeiten offen. Zwar  zeigt Beethovens berühmtes „Gassenhauer-Trio“ (B-Dur, op.11), der  paradigmatische Ursprung der gesamten Gattung, daß sich auch diese  Zusammenstellung für explizit „volkstümliches“ Material hervorragend  eignet (und Brahms schließt sich mit dem Mittelteil des dritten Satzes  seines Klarinettentrios diesem Beweis an), aber die Festlegung ist viel  weniger eindeutig. Beethovens unmittelbare Nachfolger, Anton Eberl  (op.36 und op.44), Heinrich Eduard Josef von Lannoy (op.15) und  Ferdinand Ries (op.28), schenken diesen folkloristischen Möglichkeiten  auch kaum Beachtung. 
 
 Das einzige „prominentere“ Beispiel einer Komposition für unsere  Besetzung zwischen Beethoven und Brahms ist das Klarinettentrio op.29  von Vincent d’Indy (1887). Unter den unmittelbar von Brahms angeregten  Werken ist Zemlinskys Trio op.3 wohl das früheste – in den Folgejahren  erscheinen dann Kompositionen der Brahmsianer Wilhelm Berger (der ab  1893 als Leiter der Meininger Hofkapelle wohl auch von Richard Mühlfelds  beseeltem Klarinettenspiel inspiriert wurde), Robert Kahn und Carl  Frühling. 
 
 Das von Zemlinsky gewählte Motto „Beethoven“ bezieht sich vor dem  Hintergrund der hier kurz skizzierten Entwicklung des Genres natürlich  vor allem auf den Stammvater der Gattung – eine bewußte stilistische  Anlehnung konnte eigentlich nur ein Kritiker erwarten. Anton Krtsmáry,  Rezensent für die „Neue musikalische Presse“ und selbst Mitglied des  Tonkünstlervereins, macht denn auch prompt das Motto zum Ausgangspunkt  seiner betont kühlen Kritik: 
 
 „Das mit dem dritten Preis gekrönte Trio (in D-moll) von Alex.  Zemlinszky scheint trotz des Mottos „Beethoven“ von Brahms abhängig zu  sein. Der erste Satz, wenngleich wenig selbständig, ist doch recht  interessant gearbeitet. Am besten gefiel mir der zweite Satz (D-Dur),  Andante quasi Adagio.“ 
 
 Daß das Werk wirklich von Brahms abhängig ist, bedarf wohl weder einer  Rechtfertigung noch einer Begründung. Wie weit diese Abhängigkeit im  einzelnen geht, oder vielmehr: mit wie wachen Sinnen Zemlinsky das  Brahmssche Vorbild aufgenommen und analytisch verwertet hat, ist in der  Sekundärliteratur schon eingehend besprochen worden (zuletzt von Werner  Loll, Kassel 1990). 
 
 Der erste Satz (Allegro ma non troppo) ist – wie so oft bei  Jugendwerken – der kompositorisch bei weitem anspuchsvollste und  ambitionierteste Teil des Werkes. In der Ökonomie der thematischen  Arbeit an Brahms, in der Art des melodischen Materials ein wenig an  Dvorák orientiert, entbehrt der Satz durchaus nicht persönlicher Züge,  so zum Beispiel in der eigenwilligen Kombination der verschiedenen  rhythmischen Keimzellen oder in den ganz deutlich eine individuelle  Handschrift verratenden harmonischen Fortschreitungen (beides besonders  ausgeprägt in der souverän gestalteten Durchführung). 
 
 Im zweiten Satz (Andante, D-Dur) lassen sich unschwer  Reminiszenzen an das Brahmssche Klarinettenquintett op.115 ausnehmen,  obwohl gerade das Hauptthema mit seiner fast süßlichen  Fin-de-siècle-Koloristik in auffälligem Gegensatz zur viel herberen  Tonsprache des Meisters steht. Aber auch an diesem Hauptthema ist das  vertiefte Brahms-Studium des jungen Zemlinsky nicht spurlos  vorübergegangen – man beachte etwa, wie unaufdringlich und doch  konsequent der Themenkopf aus der Schlußwendung des vorhergehenden  Satzes entwickelt wurde. 
 
Der letzte Satz (Allegro) scheint das so ernst und bekenntnishaft  begonnene Werk auf ganz andere Bahnen führen und in einem sorglosen, ja  fast koketten Ton beschließen zu wollen. Am Schluß der Reprise aber  tritt als Höhepunkt einer fiebrigen Steigerung das rhapsodische  Hauptthema des ersten Satzes in all seiner schicksalshaften  Bedeutungsschwere noch einmal wie der steinerne Gast auf; doch schon ist  auch Puck zur Stelle, der den nächtlichen Spuk mit einer übermütigen  Kapriole verscheucht – offensichtlich sind wir mit diesem Schlußsatz in  das Hofoperndepot geraten. 
 
Wenn dieses Finale und sein Verhältnis zu allem Vorhergehenden also auch  Anlaß zu einigem kritischen Stirnrunzeln geben mag (uns entlockt es  freilich viel eher ein beifälliges Schmunzeln), so führt es den  Komponisten doch mit unbezwingbarer Logik in sein ureigenstes Gebiet,  auf das Theater, wo Zemlinsky sich als einer der bezauberndsten und  fesselndsten Märchenerzähler der Musikgeschichte bewähren sollte. 
 
© by Claus-Christian Schuster
