Haydn: Trio es-moll Hob.XV:31 („Jakobs Traum“)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio es-moll Hob.XV:31 („Jakobs Traum“)

Komponiert:London, 1794/95
Widmung:(Theresa Jansen)
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Artaria, Wien, 1803

In seinem ersten Londoner Notizbuch von 1791 erwähnt Haydn unter den hervorragenden Musikern der Stadt eine damals einundzwanzigjährige, aus Aachen stammende Pianistin: Theresa Jansen (1770-1843). Sie war Schülerin von Muzio Clementi und scheint Haydn mit ihrem Spiel so beeindruckt zu haben, daß er ihr den anspruchsvollsten Teil seines klavieristischen Spätwerkes widmete: die letzten drei Klaviersonaten (Hob.XVI:50-52) und die letzte Dreiergruppe von Klaviertrios (Hob:XV:27-29). Wahrscheinlich sind alle sechs Werke während Haydns zweitem Londoner Aufenthalt (4. Februar 1794 bis 15. August 1795) entstanden. Die Klaviersonaten sind noch Miss Jansen gewidmet, sind also jedenfalls vor ihrer Hochzeit mit dem Kunsthändler Gaetano Bartolozzi (16. Mai 1795) geschrieben, bei der Haydn Trauzeuge war. Aus eben dieser Zeit stammt auch unser es-moll-Trio, dessen Entstehung Gegenstand einer uns von dem Maler und Haydn-Biographen Albert Christoph Dies überlieferten Anekdote ist:

„…(Haydn) stand in London in genauer Bekanntschaft mit einem deutschen Musikliebhaber, der sich auf der Geige eine an Virtuosität gränzende Fertigkeit erworben, aber die üble Gewohnheit hatte, sich immer in den höchsten Tönen, in der Nähe des Steges zu versteigen. Haydn nahm sich vor, einen Versuch zu machen, ob es nicht möglich wäre, dem Dilettanten seine Gewohnheit zu verleiden und ihm Gefühl für ein solides Spiel beyzubringen.
Der Dilettant besuchte oft eine Demoiselle J(ansen,) die mit großer Fertigkeit das Pianoforte spielte, wozu er gewöhnlich akkompagnirte. Haydn schrieb ganz in der Stille eine Sonate für das Pianoforte mit Begleitung einer Violine, betitelte die Sonate Jakobs Traum und ließ sie versiegelt, ohne Nahmensunterschrift durch sichere Hände, der Demoiselle J(ansen) überliefern, die auch nicht weilte, die dem Anschein nach leichte Sonate, in Gesellschaft des Dilettanten zu probiren. Was Haydn vorher gesehen hatte, traf richtig ein; der Dilettant blieb immer in den höchsten Tönen, wo die Passagen überhäuft waren, stecken, und sobald Demoiselle J(ansen) dem Gedanken auf die Spur kam, daß der unbekannte Verfasser die Himmelsleiter, die Jakob im Traum sah, habe vorstellen wollen, und sie dann bemerkte, wie der Dilettant auf dieser Leiter bald schwerfällig, unsicher, stolpernd, bald taumelnd, hüpfend auf und abstieg: so schien ihr die Sache so kurzweilig, daß sie das Lachen nicht verbergen konnte, während der Dilettant auf den unbekannten Compositor schimpfte, und dreist behauptete: derselbe wisse nicht für die Violine zu setzen. Nach fünf oder sechs Monathen entdeckte es sich erst, daß die Sonate Haydn zum Author habe, der nun dafür von der Demoiselle J(ansen) ein Geschenk erhielt.“


(Albert Christoph Dies, Biographische Nachrichten von Joseph Haydn, Wien 1810)

Hält man sich die hier beschriebene Entstehungsgeschichte des Finalsatzes unseres Trios vor Augen, wird man wohl zunächst ein durch und durch humoristisches Werk zu finden erwarten. Doch der es-moll-Kopfsatz, den Haydn Anfang 1795 nachkomponierte, um aus „Jakobs Traum“ ein zweisätziges Trio zu machen, gehört zu seinen tiefsinnigsten und ernsthaftesten Schöpfungen. Als ob Haydn besorgt gewesen wäre, daß man die tiefere Bedeutung seines Werkes verkennen könnte, tilgte er im Autograph nicht nur den auf den Entstehungsanlaß bezüglichen Titel des Finales, sondern setzte auch die Worte „In Nomine Dei“ an den Anfang und „Laus Deo“ an das Ende des Werkes. Aber auch ohne diese Hinweise wird wohl keinem aufmerksamen Hörer verborgen bleiben, daß Haydn hier, freilich ohne alle gesuchte Grübelei und mit der ihm eigenen Natürlichkeit und Glaubenseinfalt, von letzten Dingen spricht.

Haydn war offenbar selbst von dem Werk, dem man seine Pasticcio-Abstammung nicht im mindesten ansah, so angetan, daß er der Versuchung nicht widerstehen mochte, es – 1803, im Jahre der Drucklegung der Trioversion – gleich noch einmal an den Mann, richtiger: an die Frau zu bringen. Als Fürst Nikolaus II Esterhazy ihn um ein Werk für Mme Moreau, die Gattin eines napoleonischen Marschalls, bat, schickte der Meister eine Fassung für Klavier und Violine nach Paris und gab sie als eigens und neu komponiertes Werk aus – ein manchen Moralisten vielleicht irritierender Zug im Wesen Haydns, der übrigens nicht vereinzelt dasteht (man denke etwa an die sattsam bekannte Pleyel-Affaire).

Wie seltsam auch immer die Begleitumstände der Komposition gewesen sein mögen: uns bleibt die Freude über ein höchst originelles und faszinierendes Klaviertrio. Mit der größten Selbstverständlichkeit gelingt es Haydn, die beiden Sätze in all ihrer Verschiedenheit in den Dienst eines einheitlichen und eindrucksvollen dramaturgischen Konzeptes zu stellen. Besonders bemerkenswert ist etwa, wie er eine sehr charakteristische und an zentraler Stelle plazierte, aber für den Verlauf des Es-Dur-Finales nicht weiter folgenreiche Modulation zum Ausgangspunkt der tonartlichen Anlage des nachkomponierten Kopfsatzes (Andante, es-moll) macht: Den dort berührten Tonarten es-moll und H-Dur (die übrigens auch in dem wohl in enger zeitlicher Nachbarschaft entstandenen Trio Hob.XV:29 zusammen mit Es-Dur eine Art Triumvirat bilden) werden hier eigenständige Bezirke von formtragender Bedeutung eingeräumt: Der formalen Anlage ABACA entspricht nämlich der Tonartenplan es-Es-es-H-es. Doch der Satz hat nicht nur mit einem extravaganten tonalen Bauplan aufzuwarten, er birgt – trotz der auf den ersten Blick „schulmäßigen“ Rondogestalt – auch formal einiges an Überraschungen. Die erste Episode (Es-Dur) beginnt mit einer Umkehrung des Rondothemas. Im Zusammenspiel mit dem liedartigen Bau beider Abschnitte (A und B) wird dadurch im Zuhörer die Erwartung geweckt, man stünde am Beginn einer Doppelvariationsreihe. Erst mit der unveränderten Wiederkehr des Ritornells erscheint diese Erwartung getäuscht. Doch nachdem uns Haydn mit der zweiten Episode (H-Dur), die auf neuem thematischen Material basiert, in der Sicherheit eines „normalen“ Rondoablaufs wiegt, greift das abschließende Ritornell doch noch den immanenten Variationsgedanken auf. Auch unter diesem Aspekt ist die Verwandtschaft unseres Satzes zum Kopfsatz von Hob.XV:29 auffällig.

Das folgende Allegro (Es-Dur), also der 1794, einige Monate vor dem Andante als „Jakobs Traum“ geschriebene Schlußsatz, ist zwar formal und harmonisch von weit schlichterem Zuschnitt, demonstriert aber Haydns unerschöpfliche Variationskunst in ebenso brillanter Weise. Die traditionelle dreiteilige Liedform, die dem Satz zugrunde liegt, ist durch assoziative und variierende Gestaltungselemente so aufgelockert, daß sie gleichsam nur noch wie von ferne durchzuschimmern scheint. Alle Aufmerksamkeit ist auf das geistvolle Passagenspiel gerichtet, in dem Klavier und Geige einander in immer neuen, mitunter halsbrecherischen Wendungen zu überbieten suchen. Genau in der Mitte des Mittelteils erklimmt dann die Geige mit gis3 die höchste Sprosse der Jakobsleiter und entrückt uns für einige kurze Augenblicke in jenes verklärte H-Dur, das ja, wie wir gesehen haben, auch schon die Zentralepisode des Andantes überstrahlt hat. In der Reprise überwuchern immer üppiger werdende Figurationen die ursprüngliche Gestalt des Hauptteils, bis eine fanfarenartige Coda das Werk festlich beschließt.

© by Claus-Christian Schuster