Franz Schubert
* 31. Jänner 1797
† 19. November 1828
Klavierquintett A-Dur op.posth.114 (D 667, “Forellen-Quintett”)
Komponiert: | Steyr (Stadtplatz 34; Entwurf?) / Wien (Wipplingerstraße 2), Sommer – Herbst 1819 |
Widmung: | Sylvester Paumgartner (1763?-1841) |
Uraufführung: | privat wahrscheinlich Steyr, Ende 1819, bei Sylvester Paumgartner (Stadtplatz 16) |
Erstausgabe: | Czerny, Wien, Mai 1829 |
Im Sommer 1819 unternahm Schubert mit Johann Michael Vogl eine Reise nach dessen Geburtsstadt Steyr; Vogl hatte zur Finanzierung dieser Reise bei der Direktion des Kärntnertor-Theaters einen Vorschuß auf das Honorar für Schuberts Singspiel „Die Zwillingsbrüder“ (D 647) erwirken können. Die beiden in Steyr verlebten Monate müssen wohl, trotz des anfangs schlechten Wetters, recht nach Schuberts Geschmack gewesen sein. Er logierte bei seinem ehemaligen Konviktskollegen Albert Stadler (1794-1888) im Hause von dessen Onkel Dr. Albert Schellmann, in dem auch noch eine Familie Weilnböck wohnte. Die vier noch unverheirateten Töchter Dr. Schellmanns, Stadlers Schwester sowie die drei Weilnböck-Mädchen (von denen eine etwas später Mme. Stadler wurde) dürften erfolgreich mit den Reizen der Landschaft konkurriert haben, denn in einem Brief Schuberts an seinen Bruder Ferdinand findet sich noch vor dem obligaten Lob der „über allen Begriff schönen“ Gegend der Satz:
„ In dem Hause, wo ich wohne, befinden sich 8 Mädchen, beynahe alle hübsch. Du siehst, daß man zu thun hat. Die Tochter des Herrn v. K[oller], bei dem ich und Vogl täglich speisen, ist sehr hübsch, spielt brav Klavier, und wird verschiedene meiner Lieder singen…“
Für das „sehr hübsche“ und „brav Klavier“ spielende Mädchen Josephine Koller komponierte Schubert während seines Aufenthaltes die Klaviersonate A-Dur op.120/D 664 – es scheint, der ganze Sommer war in A-Dur gestimmt…
Ob das „Forellen-Quintett“, Schuberts wahrscheinlich allerpopulärste Kammermusikkomposition, nun wirklich in Steyr entstanden ist, wie dort eine Gedenktafel behauptet, oder nach Schuberts Rückkehr erst in Wien niedergeschrieben wurde – fest steht jedenfalls, daß das Werk eine Frucht dieser glücklichen Sommermonate ist. (Schubert wohnte übrigens auch in Wien bei einem gebürtigen Steyrer, dem Dichter Johann Mayrhofer). Die unmittelbare Anregung zur Komposition ging von Sylvester Paumgartner (1763-1841), einem Steyrer „Melomanen“ und wohlhabenden Amateurcellisten aus, der in seinem geräumigen Haus regelmäßig Kammermusiksoireen veranstaltete. In einem Brief an den verdienstvollen (und unbedankt vergessenen) Schubert-Forscher Ferdinand Luib schreibt Albert Stadler fast vierzig Jahre später:
„Schuberts Quintuor für Pianoforte, Violine, Viola, Cello und Kontrabaß mit den Variationen über seine „Forelle“ ist Ihnen wahrscheinlich bekannt. Er schrieb es auf besonderes Ersuchen meines Freundes Sylvester Paumgartner, der über das köstliche Liedchen ganz entzückt war. Das Quintuor hatte nach seinem Wunsche die Gliederung und Instrumentierung des damals noch neuen Hummelschen Quintettes, recte Septuors, zu erhalten. Schubert war damit bald fertig, die Sparte behielt er selbst…“
Das „Hummelsche Quintett, recte Septuor“, auf das hier hingewiesen wird, ist Johann Nepomuk Hummels 1816 erschienenes Septett für Klavier, Flöte, Oboe, Horn, Viola, Violoncello und Kontrabaß op.74, d-moll, eines der letzten vor Hummels Weggang nach Stuttgart in Wien entstandenen Werke; dieses Werk erfreute sich in der Tat großer Popularität und wurde bald nach seinem Erscheinen auch in einer vom Komponisten herrührenden Quintettbearbeitung veröffentlicht. Der Hinweis auf diese Bearbeitung drängt sich angesichts der Extravaganz der Besetzung förmlich auf. Es ist allerdings gar nicht zu erkennen, daß, über die Instrumentierung hinaus, irgendwelche weiterreichenden Querbezüge (in „Gliederung“ etc.) zwischen den beiden Werken bestünden. Hummel hat freilich, etwa gleichzeitig mit Schuberts Quintett, schon in Weimar ein bedeutenderes (und daher weniger bekannt gewordenes) Originalwerk in der Besetzung des Schubertschen „Forellenquintetts“ geschrieben (op.87, es-moll); auch dieses Werk wurde, lange vor Schuberts Quintett, 1821 in Wien gedruckt.
Sylvester Paumgartners Wunsch nach einem Werk in dieser eigenwilligen Instrumentation hat vielleicht mit seinem Cellospiel zu tun; allzuoft hatte das Cello in der Kammermusikliteratur der Zeit noch grundierenden Frondienst zu leisten, also etwa Klavierbässe zu verdoppeln. Durch die Hinzuziehung eines Kontrabasses, der diese stützende und dienende Funktion übernahm, konnte das Cello für Haupt- und Mittelstimmenaufgaben freigesetzt werden. Dieser „Raumgewinn“, durch den das Cello auch seinen timbralen Reichtum besser entfalten kann, scheint Schubert überzeugt zu haben: in seinem kammermusikalischen Testament, dem Streichquintett C-Dur D.956, greift er diese Idee in veränderter und vervollkommneter Form noch einmal auf – der Nachteil der relativen Unbeweglichkeit Kontrabasses ist dort durch die Verwendung eines zweiten Cellos eliminiert, und das „freie“, erste Cello ergreift noch entschiedener Besitz von den hohen Registern.
Eine andere instrumentatorische Besonderheit ist die Behandlung des Klaviers. Weit eindeutiger als etwa in den Klaviertrios wird es nahezu ausschließlich als Melodieinstrument behandelt; über weite Partien werden die Hände im Einklang geführt, während der „orchestrale“, füllige Akkordklang sehr sparsam verwendet wird.
Der populäre Name „Forellenquintett“ lenkt unsere Aufmerksamkeit von Anfang an auf die Variationen (4.Satz) über das bekannte Lied (D.550) auf den Text von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791); damit stellt er das Werk plakativ in den größeren Zusammenhang der unmittelbar liedinspirierten Instrumentalmusik Schuberts, deren daneben berühmteste Beispiele die C-Dur-Klavierphantasie („Wanderer-Phantasie“ , D.760) und das d-moll-Streichquartett („Der Tod und das Mädchen“, D.810) sind. (Die in diesen drei Fällen zugrunde liegenden Lieder sind übrigens alle um die Jahreswende 1816/17 entstanden). Diese Assoziation ist sicher berechtigt, da sowohl das thematische Material als auch die formale Gestaltung in allen fünf Sätzen deutlich liedhafte Züge haben; andererseits suggeriert der Name „Forellenquintett“ darüber hinaus eine Zentralstellung des Variatonssatzes, die diesem durchaus nicht zukommt: anders als in den beiden anderen zitierten Werken, wo das Liedzitat auch die gedankliche Mitte und gleichsam den Ursprung des Werkganzen darstellt, ist es hier eine Erweiterung, ein Zusatz – den wir freilich unter keinen Umständen missen wollen. Man könnte die ungewöhnliche Fünfsätzigkeit des Werkes sehr leicht auch aus diesem Blickwinkel heraus begründen, denn um einen „normalen“ viersätzigen Zyklus zu erhalten, müßte man nur die Variationen streichen.
Das eröffnende Allegro vivace ist der einzige unter den fünf Sätzen des Werkes, dessen thematisches Material einem Durchführungsprozeß ausgesetzt wird. Folgerichtig ist es auch der einzige Satz, indem wir auch gleichsam der Entstehung des Hauptthemas beiwohnen, so daß die „Komplikation“ der Durchführung durch die das Hauptthema entwickelnde Einleitung bedingt und hervorgerufen erscheint. Mit einiger Phantasie kann man im Seitenthema einen „Vorausschatten“ des Forellenthemas hören. Jedenfalls wecken alle verwendete Themen unwillkürlich Liedassoziationen, ein Umstand der sehr wesentlich zur Etablierung des bestimmenden Grundtones für das ganze Werk beiträgt.
Der zweite Satz (Andante, F-Dur) fasziniert unter anderem durch eine recht ungewöhnliche Besonderheit: einem sehr schlichten und eingängigen Formschema (ABC – ABC) wird ein ganz eigenwilliger harmonischer Ablauf unterlegt: F-fis-G / As-a-F. Wie man sieht, wird durch die chromatischen Modulationen (die eigentlich mehr den Charakter von Rückungen tragen) der Weg von der Satztonart zur Werktonart buchstäblich Schritt für Schritt durchmessen – ein raffinierter Kunstgriff, durch den die relativ große Entfernung zwischen diesen beiden Tonarten scheinbar mühelos überbrückt wird. Der Ideen- und Melodienreichtum des Satzes läßt einen aber diese „technische“ Subtilität gar nicht wirklich wahrnehmen – man ist vor allem dankbar dafür, daß man, ganz ohne Umschweife und Verirrungen, alles zweimal hören darf.
Im dritten Satz (Scherzo. Presto) stellt Schubert die beiden Spielarten des Klaviers sehr charakteristisch einander gegnüber – im federnd-energischen Hauptteil die bisher ausgesparte akkordische Verve, im bukolischen Trio, das übrigens die Tonart des Folgesatzes vorwegnimmt, die melodische Linearität.
Trotz der, wie oben angedeutet, vergleichsweise „akzidentellen“ Stellung des vierten Satzes (Andantino, D-Dur) im Werkganzen, sind diese wundervoll schlichten Variationen für viele Zuhörer das Herzstück des Werkes. Der sonnige und konfliktlose Charakter des ganzen Quintetts wird unter anderem dadurch betont, daß Schubert die dramatische Trübung der dritten Liedstrophe („Doch endlich ward dem Diebe die Zeit zu lang…“) sowohl im Thema als auch in den Variationen übergeht, sodaß „nur die muntere, launische Forelle im Quintett ihr Spiel treibt, nicht die betrogene, dem Tode geweihte (im Quartett wird umgekehrt nicht das Mädchen, sondern der Tod zitiert).“ (Walther Vetter).
Das Finale (Allegro giusto) läßt in den oberösterreichischen Sommer von 1819 Echos des „ungarischen“ Sommers von 1818 hinüberklingen – magyarische und österreichische Folklore verbinden sich zu einem bunten und wiederholungsseligen Tongemälde, das keine fortschreitende Entwicklung und kein Schicksal, sondern nur endloses Kreisen kennt: eigentlich dürfte dieser Satz keinen Schluß haben, und wir sind Schubert ein ganz wenig böse, daß er sich dem Diktat der Tradition beugen und doch zu einem Ende finden mußte – aber wir spüren recht deutlich, daß es auch ihm selbst leid getan haben muß.
© by Claus-Christian Schuster