Scharwenka: Trio Nr.1, cis-moll, op.100

Philipp Scharwenka

* 16. Februar 1847
† 16. Juli 1917

Trio Nr.1, cis-moll, op.100

Komponiert:Berlin, 1896/97
Uraufführung:Mainz, 1898
(Tonkünstlerfest d. Allgem. Deutschen Musikvereins)
Moritz Mayer-Mahr, Klavier
Willy Burmester, Violine
Hugo Becker, Violoncello
Erstausgabe:Breitkopf & Härtel, Leipzig, 1897

Philipp Scharwenka wurde als Sohn eines Architekten in einer kleinen Kreisstadt der Provinz Posen geboren; der Vater entstammte einer seit vielen Generationen in der Mark Brandenburg ansäßigen tschechischen Familie, die Mutter war Polin. Philipp wurde zusammen mit seinem um drei Jahre jüngeren Bruder Xaver zuerst in Samter, dann in Posen und ab 1865 in Berlin musikalisch ausgebildet. Während Xaver als Schüler Kullaks die Virtuosenlaufbahn einschlug, widmete sich Philipp ganz der Komposition. Seine Lehrer an der von Kullak gegründeten “Neuen Akademie der Tonkunst” waren Richard Wüerst und Heinrich Dorn. 1874 trat er das erste Mal in einem eigenen Konzert an die Öffentlichkeit. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich seit 1868 als Lehrer für Theorie und Komposition, zuerst an der Akademie Kullaks, dann an dem von Xaver 1881 ins Leben gerufenen “Scharwenka-Konservatorium”. 1891 begleitete er seinen Bruder nach New York, wo sie gemeinsam ein Konservatorium gründeten, das Xaver bis 1898 leitete. Philipp kehrte schon 1892 wieder nach Berlin zurück, um die Direktion ihres dortigen Konservatoriums zu übernehmen, das er im Jahr darauf mit der Klavierschule Karl Klindworths (zu deren Lehrern Hans von Bülow zählte) zum “Klindworth-Scharwenka-Konservatorium” vereinigte und so eine Institution schuf, die im Berliner Musikleben mehrere Jahrzehnte hindurch eine hervorragende Rolle spielte.«Seit 1904 teilte Philipp Scharwenka die Direktion mit dem Dvorák-Schüler Robert Robitschek; dieser führte die Anstalt nach Philipp Scharwenkas Tod bis zu seiner zwangsweisen Pensionierung als “Nichtarier” 1937. Danach übernahm Philipp Scharwenkas Sohn Walter (1881-1960) die Leitung. – In der Glanzzeit des Instituts unter Scharwenka und Robitschek gehörten u.a. José Vianna da Motta und Alexander Kipnis zu seinen Schülern.»

Philipp Scharwenka, der ein wenig im Schatten seines berühmteren Bruders stand, ist als Komponist zu Unrecht völlig in Vergessenheit geraten; seine ernst-verhaltene, oft umdüsterte Kammermusik ist eine wesentliche und oft übersehene Facette im Gesamtbild der Musikkultur des wilhelminischen Deutschlands.

Über die Entstehungsgeschichte seines ersten Klaviertrios op.100 ist nichts überliefert. Der das ganze Werk prägende tragische Ton legt wohl eine tiefe seelische Erschütterung als Anlaß nahe; in diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, daß das Werk bei der Gedächtnisfeier für den Komponisten am 28. Oktober 1917 den Abschluß des Programms bildete.«Hugo Leichtentritt, Das Konservatorium der Musik Klindworth-Scharwenka…, Berlin 1931, S.32. Der Cellist dieser Aufführung, Hugo Dechert, hatte übrigens 20 Jahre zuvor an der denkwürdigen Berliner Erstaufführung von Pfitzners Klaviertrio op.8 mitgewirkt.»

Der erste Satz (Lento e tranquillo, cis-moll) ist eine Elegie, deren slawischer Unterton zwar weit entfernt von jeder folkloristischen Stilisierung, aber dennoch unüberhörbar ist. (Die Metamorphose, die das Kopfmotiv im letzten Satz erfährt, bringt seinen Volksliedcharakter dann klar zum Vorschein.)

Im zweiten Satz (Allegro, fis-moll) werden schon allein durch die Tonart mendelssohnsche Geister wachgerufen; das fast schon walzerselige Trio ist der einzig wirklich entspannte Moment des ganzen Werkes.

Das abschließende Allegro appassionato (cis-moll), der einzige Satz des Werkes in Sonaten-Hauptsatzform, stellt im Hauptthema eine aus dem Material des ersten Satzes gewonnene, für das slawische Volkslied typische Wendung in den Mittelpunkt, verfremdet diesen Bezug aber durch die nahezu allgegenwärtige Stimmung leidenschaftlichen Aufruhrs und fliehender Atemlosigkeit. Die erregte Spannung wird den ganzen Satz über aufrechterhalten, erst mit der Coda verebbt das Stück in hoffnungsloser Ermattung.

© by Claus-Christian Schuster