Pfitzner: Sonate für Pianoforte und Violoncell, fis-moll, op.1

Hans Pfitzner

* 05. Mai 1869
† 22. Mai 1949

Sonate für Pianoforte und Violoncell, fis-moll, op.1

Komponiert:Frankfurt am Main, 1890
Widmung:Heinrich Kiefer (1867-1922)
Uraufführung:Frankfurt/Main, Saal der Loge Carl, 21. Jänner 1891
Heinrich Kiefer, Violoncello
Hans Pfitzner, Klavier

Pfitzners Studien am Frankfurter „Hoch´schen Conservatorium“, wo er von 1886 bis 1890 einen Freiplatz hatte, endeten ganz ohne Glanz und Gloria:

„Der administrative Direktor der Anstalt, der aus dem selben Holz wie Scholz geschnitzt war, ließ mich eines Tages zu sich kommen und sprach in der Oberlehrerweis´ also zu mir: „Herr Pfitzner, Ihre Freistelle ist in dem kommenden Monat abgelaufen; haben Sie schon einmal darüber nachgedacht?“ Nein, darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. Ich pflegte über andere Dinge nachzudenken. Aber ich wollte fort.
Und ich ging auch.“

Obwohl Pfitzner – wie auch dieser Passus aus den zwischen 1946 und 1949 niedergeschriebenen „Eindrücken und Bildern meines Lebens“ erkennen läßt – die Studienzeit unter dem tyrannischen und erzkonservativen Direktor Bernhard Scholz (dessen eigene Sturm- und Drangzeit an der Seite von Schumann und Brahms wohl schon allzu weit zurück lag) zeitlebens in denkbar schlechter Erinnerung behielt, waren diese Jahre für ihn doch in vieler Hinsicht sehr fruchtbar. Die damals noch sehr junge Anstalt (gegründet 1878) hatte ambitionierte und unverbrauchte Lehrer: Pfitzners Kompositionslehrer, Iwan Knorr (1853-1916), den Brahms seinem Freund Scholz empfohlen hatte, in Pfitzners Worten „ein Anhänger der »Mäßigkeitsschule«“, ließ den ebenso jungen wie ungestümen und aufrührerischen Komponisten mit amüsierter Gelassenheit gewähren – was für eine Persönlichkeit wie die Pfitzners wohl das beste war, was ihm widerfahren konnte. Im Hause seines Klavierlehrers James Kwast (1852-1927), der mit der schauspielerisch begabten Tochter Ferdinand Hillers verheiratet war, erhielt er vielfältige Anregungen; daß die bei Pfitzners Studienbeginn eben siebenjährige Tochter des Hauses 1899 seine Frau werden sollte, konnten damals freilich weder Schüler noch Lehrer ahnen.
Doch weit wichtiger als die Lehrer waren die Freunde. Schon 1878, beim Eintritt in die Sexta der Frankfurter Klingerschule, hatte er seinen „Urfreund“ gefunden: Paul Nikolaus Cossmann (1869-1942), Sohn des berühmten Cellisten Bernhard Cossmann (1822-1910), der unter den frühen Interpreten des Schumannschen Cellokonzertes wohl der wichtigste und kompetenteste gewesen war und den die Gründung des „Hoch´schen Conservatoriums“ nach Frankfurt geführt hatte, wo er als gesuchter Lehrer bald einer der Hauptanziehungspunkte dieser Anstalt wurde. Die beiden schienen füreinander vorherbestimmt: Beide waren in Moskau geboren, wo schon ihre Väter einander kennengelernt hatten (Bernhard Cossmann als Lehrer am Konservatorium, Karl Robert Pfitzner, der in seiner Jugend der sechste Schüler des von Mendelssohn gegründeten Leipziger Konservatoriums gewesen war, als Geiger des Opernorchesters). Die Intensität dieser Freundschaft, die ihren Niederschlag in einem faszinierend inhaltsreichen und nahezu unüberschaubaren Briefwechsel findet, hebt sie über alle anderen vergleichbaren Beziehungen Pfitzners hinaus. Dann war da der Klarinettist Carl Dienstbach, in dessen malerisch im Taunus gelegenen Heimatstädtchen Usingen die Pfitzner-Freunde mit Carls fünf Geschwistern viele vergnügte Stunden verbrachten. Und eines Tages tauchte am Hoch´schen Conservatorium ein neuer Zögling auf, der sofort die Aufmerksamkeit des Komponisten erweckte: „Groß, schlank, blond, mit viel zu engen schwarzen Hosen, und einem Schlapphut mit Riesenrand, nach allen Seiten höflich grüßend“ betrat Heinrich Kiefer die Bühne von Pfitzners Leben.

„Wir zwei schlossen sehr bald Freundschaft; wann und bei welchem Anlaß die erste Annäherung stattfand, weiß ich nicht mehr. Wir mußten wohl gegenseitig von unserer Begabung und unserem Streben mehr gehalten haben als zum Beispiel unser Direktor Bernhard Scholz, der eine unüberwindliche Abneigung gegen alles Talentvolle hatte. So waren wir beide an dieser Stelle nicht sehr gut angeschrieben und dadurch Sympathiegefährten; als Freischüler außerdem zur Bescheidenheit angehalten.“
(Hans Pfitzner, Zum Gedächtnis Heinrich Kiefers, 1926)

Das Schicksal hatte da zwei ungleiche Freunde zusammengeführt – schon rein äußerlich war ein größerer Gegensatz zu dem schmächtigen, fast kindlich wirkenden Pfitzner mit seinen 1,64 m kaum denkbar:

Ein blondlockiger Künstler, ein echter Bayer von herkulischer Kraft, der während seines ausdauernden, stundenlangen Übens eher das Essen als das Trinken vergaß. Wie oft habe ich ihn schon am frühen Vormittag, nur notdürftig bekleidet mit Hemd und Hose, im Schweiße seines Angesichts beim Studium überrascht, umgeben von seinen Bierflaschen und eingehüllt in schneidenden, atemberaubenden Tabakdunst.
(Hermann Hock, Ein Leben mit der Geige, Frankfurt/Main, 1950)

„Der Neue“ wurde der brillanteste Schüler Bernhard Cossmanns. Seine manuelle Virtuosität und sein fast zwanghafter Übungsfleiß waren bald sprichwörtlich, und so scheint es nur natürlich, daß die erste Frucht dieser Künstlerfreundschaft ein ausgesucht schwieriges Cellokonzert (a-moll, 1888) war, das Pfitzner für Heinrich Kiefer schrieb:

„Das Werk, von meinem Lehrer Iwan Knorr für ein Prüfungskonzert empfohlen, erregte die Begeisterung Kiefers und das wohlwollende Interesse seines Meisters, des berühmten Cellisten und Nestors der Konservatoriumsprofessoren Bernhard Cossmann. Kiefer machte sich die schwierige Cellopartie erstaunlich schnell zu eigen. Das Konzert mußte die Zensur der Ohren des Herrn Direktors passieren. Mit vollendeter Virtuosität wurde es in Gegenwart Professor Cossmanns, unter meiner Begleitung, dem Gewaltigen vorgeführt. Schon dieser Vortrag hätte verdient, daß das Werk auf dem Prüfungskonzert erklungen wäre; es wäre ein Höhepunkt der Vorführungen gewesen, und den jungen, strebenden Künstlern ein Ansporn und eine Wonne. Statt dessen war ein Wutausbruch Scholzens die Wirkung. Da, wie ich fürchte, einige übermäßige Drwiklänge darin vorkamen, fand er es „verwagnert“(die schlimmste Ketzerei für ihn); aber am meisten erregte seinen Zorn die skandalöse Tatsache der Anwendung von drei Posaunen. „Drei Posaunen in einem Cellokonzert!!“ Mit diesem Entrüstungsruf verließ er, fernabdonnernd, das Lokal. Das Konzert, als Schülerkomposition eine starke Talentprobe, wurde nie aufgeführt; zwei junge Menschen waren um eine Bitternis reicher[,] und eine Ungerechtigkeit mehr war in der Welt.“
(ibidem)

Nun mögen, wie Peter Cahn in seiner detailreichen Geschichte des „Hoch´schen Conservatoriums“ (Frankfurt/Main 1978) nahelegt, durchaus auch andere Gründe für die brüske Reaktion des gestrengen Direktors in Betracht kommen – Pfitzner und Kiefer hatten mit dem Geiger Heinrich Diehl erst kurz zuvor das Klaviertrio op.26 von Bernhard Scholz aufgeführt; war das etwa nur eine plumpe captatio benevolentiae gewesen? -, jedenfalls konnte und wollte Pfitzner nicht zulassen, daß diese Niederlage den Endpunkt seiner Zusammenarbeit mit Kiefer bilden sollte. Und so finden wir ihn 1890, zur selben Zeit, als sein „Freischüler“-Dasein endet, an der Komposition eines neuen Werkes für den Freund: der „Sonate für Pianoforte und Violoncell“, die sein Opus 1 werden sollte.

Der Zufall wollte es, daß in Wiesbaden, also in Pfitzners unmittelbarer Nachbarschaft, der um vier Jahre jüngere Max Reger gerade zur selben Zeit auch an seinem programmatischen Opus 1 arbeitete, einer „Sonate für Pianoforte und Violine“ in d-moll. (Reger war zu dieser Zeit Schüler Hugo Riemanns, bei dem auch Pfitzner später kurze Zeit Unterricht nahm.) Die fundamental unterschiedliche Produktionsweise der beiden jugendlichen Meister läßt sich schon am Werkkatalog ablesen: Reger, der sich gewissermaßen „vegetativ“ in seine Werke hineinschrieb, ließ dieser ersten Violinsonate schon einige Monate später eine zweite folgen – insgesamt brachte er es in seinen dreiundvierzig Lebensjahren auf neun Violin- und vier Cellosonaten (und ein Gesamtwerk von 146 Opusnummern); Pfitzner, dem sich jedes Werk als innere Schau gestaltet haben mußte, bevor er es zu Papier bringen konnte, hat (wenn man die unvollendeten und verlorenen Studienarbeiten beiseite läßt) in einem achtzigjährigen Leben nur je eine Violin- und Cellosonate geschrieben. (Zu den 57 Opusnummern des Pfitznerschen Werkes muß man freilich die ohne Opuszahl erschienenen großen musikdramatischen Werke hinzuzählen, die in Regers Œuvre ganz fehlen.)

Als Motto stellte Pfitzner seinem Werk den Heine-Vers „Das Lied soll schauern und beben“ voran – sicherlich eine Reverenz an den Dichter und seinen Komponisten (Schumann, Dichterliebe, op.48 Nr.5), viel mehr aber noch eine Chiffre für Pfitzners musikalische Poetik. Die Tonart des Werkes ist übrigens nicht die des Schumannschen Liedes – aber daß das gewählte Fis-moll doch auch ein Schumann-Echo sei, darf man ruhig annehmen: Es ist die Tonart von Schumanns, Clara Wieck gewidmeter, erster Klaviersonate (op.11).
Ein derartig mit programmatischen Anklängen befrachtetes Debutwerk wäre eigentlich prädestiniert dafür, im Epigonalen befangen zu bleiben, oder zumindest von der Entwicklung des Komponisten alsbald überholt zu werden: Beides ist durchaus nicht der Fall. Noch viele Jahre nach der Entstehung der Sonate wählte Pfitzner ihr Incipit als musikalisches Motto seines von Willy Preetorius gezeichneten Exlibris; und wie seine Konzertprogramme belegen, ist er seinem Jugendwerk auch als Interpret treu geblieben

Die beiden Aufführungen, deren kritische Resonanz hier zusammengetragen ist, sind wichtige, aber nicht im praktischen Sinne entscheidende Stationen auf Pfitzners lamgem und beschwerlichem Weg zu seinem Publikum. Die Frankfurter Uraufführung, die das Freundspaar Pfitzner-Kiefer bestritt (21. Jänner 1891) war ein Versuch des sang- und klanglos vom Konservatorium abgegangenen Studenten, sich in seiner Vaterstadt einen Namen zu machen. Die Wahl des Saales – der Saal der Loge Carl wurde immer wieder für Veranstaltungen des Hoch´schen Conservatoriums benützt – zeigt, daß es Pfitzner auch darum ging, sich vor dem Institut, das ihn verkannt hatte, zu behaupten.

Rezensionen der Uraufführung
(Frankfurt/Main, 21. Jänner 1890)

Bei Gelegenheit unserer Besprechung der letzten Prüfungs-Concerte des Dr.Hoch´schen Conservatoriums machten wir schon auf das hervortretende Talent des Herrn Pfitzner aufmerksam. Herr Pfitzner hat seit Kurzem Zwang und Fessel der Schule abgeschüttelt und ist zum ersten Mal vor das Forum der großen Öffentlichkeit getreten. Der kleine nervöse, etwas hastige Musiker ist ganz ungewöhnlich, besonders für die Composition, begabt. Sowohl die Cello-Klaviersonate wie die zwei Sätze des Streichquartettslegten hinreichend Zeugniß für ausgesprochene Befähigung ab. Aber Herr Pfitzner muß noch viel Notenpapier beschreiben, bis sich sein Talent gesetzt, gefestigt und geklärt haben wird. In der musikalischen Ausdrucksweise fehlt ihm noch das Zielbewußte in der Form, noch die Harmonie und nötige Knappheit, im Charakter die Selbständigkeit und das Einheitliche. Dafür bietet der junge Componist schon jetzt originelle Gedanken und Einfälle bei beträchtlicher technisch-compositorischer Beherrschung. In seinem musikalischen Innern summt, schwirrt und saust es kräftig, das ist die Hauptsache. Bei einiger Ruhe und Concentration kann man Herrn Pfitzner eine schöne ntwicklung seines Talents in Aussicht stellen. Als Interpret seiner eigenen Stücke zeigte sich der Concertgeber auch als feinfühlender, sattelfester Pianist. – Herr Heinrich Kiefer, der Herrn Pfitzner bei der Cellosonate bestens unterstützte, dokumentierte […] bedeutende Anlage zur Virtuosität. […] Die Betheiligung seitens des Publikums war sehr lebhaft, der Beifall nach allen Vorträgen überaus herzlich.
(-h im Generalanzeiger vom 23. Jänner 1891))

Hans Pfitzner, der als Zögling des Dr. Hoch´schen Conservatoriums bei Gelegenheit der Schlußprüfungen durch seine Compositionsbegabung und sein Klavierspiel sich rühmend hervorthat, hat sich jetzt auf eigene Füße gestellt und ist gestern zum ersten Male vor eine größerer Öffentlichkeit getreten. In einer Cello-Klaviersonate und zwei Sätzen zu einem Streichquartett dokumentirte Herr Pfitzner wieder entschiedenes nicht gewöhnliches Talent für musikalische Produktion. Bei der großen Jugend des Concertgebers ist es natürlich, daß es jetzt in seiner Strurm- und Drangperiode noch tüchtig gärt. Nach dieser Periode wird gewiß die nöthige Klärung und Verfeinerung nicht ausbleiben[,] und eine sich jetzt schon bemerkbar machende Individualität wird sich sicher noch mehr befestigen. In der Cellosonate, die eigentlich mehr den Charakter einer Klaviersonate trägt, machen der erste und dritte Satz durch originelle Erfindung und geschickte Arbeit einen recht günstigen Eindruck, der zweite und besonders aber der vierte Satz verwischen dieser wieder durch Zerfahrenheit, Unklarheit, die durch aller Art gesuchter Modulationen hervorgerufen werden. – Erwies sich der Concertgeber bei seinen Stücken wieder als technisch entwickelter, sehr musikalischer Pianist, so behauptete sich Herr Heinrich Kiefer wieder als gediegener und virtuoser Cellosoieler. […] Das zahlreich erschienene Publikum nahm alle Leistungen mit lebhaftem Beifall auf.
(R. P. in der Kleinen Presse vom 23. Jänner 1891)

…Das rege Interesse, welches an hiesigem Orte dem talentvollen aufstrebenden Mitbürger entgegen gebracht wird, bekundete sich augenscheinlich in dem außerordentlich starken Besuch des Concertes. […] Das Schlußstück des Concerts, die Sonate in Fis-moll für Klavier und Violoncello […] war die pièce de résistance. Ernstes Streben nach hohen Idealen tritt in jedem Satz des Werkes, in welchem nirgends Allzugewöhnliches oder gar Triviales, dafür aber manches Eigenartige und Stimmungsvolle emporsprießt, deutlich zu Tage. Gleichwohl können wir die Sonate als Ganzes kein wohlgelungenes Kunstwerk nennen. Alle Sätze, mit Ausnahme des Scherzo, das ein ebenso frisches, als in seiner Knappheit wohlabgerundetes Tonstück ist, leiden darunter, daß die rege Phantasie ihres Autors nicht von ausgereifter Kraft des Gestaltens unterstützt wird. Die bezeichneten Sätze sind nicht wie aus einem Guß; die Fäden, welche das Gewebe zusammenhalten, sind zu lose angezogen, die Modulationen sind oft zu weitschweifig und regellos, die Themen sind zum Teil nicht mit der nötigen Klarheit zur Anschauung gebracht. Das Finale, welchem es ohnehin an der charakteristischen Lebhaftigkeit und Leichtigkeit gebricht, leidet unter den angeführten Mängeln am meisten. Alle Sätze fanden lebhaften Beifall, doch den meisten fand mit vollem Recht das Scherzo.
(A. G. im Frankfurter Journal vom 23.(?) Jänner 1891)

… Nicht ganz einheitlich wollte uns die Cello-Sonate erscheinen. Der erste Satz gefällt sich in einer düsteren Stimmung, die nicht immer anmuthen will, auch die Abweichung von der hergebrachten Form, ohne durch etwas Besseres Ersatz zu bieten, möchten wir nicht gutheißen. Hingegen ist der hübsch melodische, langsame Satz und das charakteristische Scherzo von guter Wirkung; in dem letzten Satz verdient die gewandte Arbeit volle Anerkennung.
(Anonymus im Intelligenzblatt vom Jänner 1891)

Bald nach dieser Uraufführung beginnt Pfitzner die Arbeit an seiner ersten Oper, Der arme Heinrich, die ihn über zwei Jahre beschäftigt. Iwan Knorr, der von der Cellosonate sehr angetan ist, vermittelt die Drucklegung des Werkes – selbstverständlich gibt es für den Komponisten weder Honorar noch Tantiemen. Bei einem Hauskonzert, wo Pfitzner mit Kiefer wieder einmal die Sonate spielt, hört ihn der Direktor des Koblenzer Konservatoriums, Konrad Heubner, der ihn sofort als Klavier- und Theorielehrer an sein Institut einlädt. Die Stelle ist nicht attraktiv, aber Pfitzner nimmt sie an – teils, um Ruhe für die Arbeit an seiner Oper zu haben, teils, um dem Elternhaus zu entkommen. Auch in Koblenz (1892/93) präsentiert er seine Cellosonate (mit Ludwig Ebert). Seine Freunde, die besorgt sind, seine Laufbahn werde in provinzieller Enge versanden, planen ein Husarenstück: Für ein Konzert in der Berliner Singakademie (4. Mai 1893) mieten sie die Berliner Philharmoniker. Pfitzner, der noch nie dirigiert hat, bringt sich selbst rasch vor dem Spiegel das Nötigste bei und besteht die Feuertaufe hervorragend. Im kammermusikalischen Teil des Abends spielt Kiefer zusammen mit dem aus Rußland stammenden Ern(e)st Jedliczka (1855-1904), der bald zu den eifrigsten Propagandisten Pfitzners gehören sollte, das Opus 1.

Rezensionen der Berliner Erstaufführung
(Singakademie, 4. Mai 1893)

Die Saison ist zu Ende. Wir sind mit dem Abschluß zufrieden, denn in letzter Stunde hat sich noch ein großes, produktives Talent vorgestellt, auf dessen weitere Entwicklung wir gespannt sein dürfen. […] Das Publikum erkannte mit wunderbarem Instinkt die Bedeutung des Gebotenen[,] und immer lauter wurde der Beifall; selbst die letzten beiden Sätze der Fis-moll-Sonate für Klavier und Cello, ein Opus 1, für das wir nicht unbedingt eintreten wollen, kühlte die Temperatur nicht merklich ab. […] [Pfitzner] darf von dem gestrigen Abende den Beginn einer neuen Aera datiren, nach den trüben Jahren des Ringens und Kämpfens, nach dem Hangen und Bangen in schwebender Pein beginnen – so wünschen und hoffen wir – nunmehr für ihn die sonnigen Tage!
(Wilhelm Tappert im Kleinen Journal vom 5. Mai 1893)

Herr Hans Pfitzner, ein junger Componist aus Frankfurt a. M., erschien gestern mit einer größeren Anzahl eigener Compositionen zum ersten Mal vor dem hiesigen Publikum. Der begabte Künstler läßt ernstes Streben, große Selbständigkeit der Erfindung und eine gediegene musikalische Ausbildung erkennen, befindet sich jedoch zur Zeit noch in seiner Sturm- und Drangperiode […]. Die Vorliebe für Molltonarten zeigte sich auch in der Sonate für Klavier und Cello, deren besondere Schönheiten sich in dem Andante und im Scherzosatz befinden und die von Herrn Dr. Jedliczka und Herrn Kiefer (aus Erfurt) ganz vortrefflich vorgetragen wurde.
(Anonymus im Reichs-Anzeiger vom 5. Mai 1893)

…Voraussichtlich wird der Componistenname Pfitzner in Zukunft nun öfter ein Concertprogramm schmücken. Wenn die andern Kinder seines Geistes den gestrigen ebenbürtig sind, werden er und sie stets willkommen sein.
(O. E[ichberg] im Börsen Courier vom 5. Mai 1893)

Ein junger Mann, Herr Hans Pfitzner, von dem bis dahin kein Mensch etwas gehört, kam plötzlich aus Frankfurt am Main und enthüllte uns in einer ganzen Reihe verschiedenartiger Tondichtungen ein reiches schönes Talent. So etwas ist lange nicht dagewesen. […] Die neudeutsche musikalische Richtung freilich, die im Begrübeln des Düsteren und im Reflektiren auch in der Musik wie in andern Kunstgattungen sich bemerklich macht, ist auf Herrn Pfitzner nicht ohne Einfluß geblieben. Symmetrie in der Form, logisch entwickelte Melodik werden immer mehr hintenangestellt[,] und es wäre sehr zu bedauern, wenn das reiche Talent dieses Komponisten auf solchem Wege beharrte, der am letzten Ende zur Zerflossenheit und zum wirren Durcheinander führen muß. […] Eine Sonate für Cello und Klavier (Fis-moll) trägt die Opuszahl 1. Das mag als mildernder Umsatnd gelten. Die originellen und hübschen Themen sowie die vortreffliche Ausführung durch die Herren Jedliczka und Kiefer waren hier nicht im Stande, bei der phantasieartigen Durcharbeitung ein Bild der Zerfahrenheit zu verhüllen.
(-n in den Neuesten Nachrichten vom 5. Mai 1893)

Als Sohn unserer Zeit hat sich Herr Pfitzner natürlich der modernen Richtung seiner Kunst angeschlossen. In der Sonate un den Liedern folgt er Schumann, Wagner in den übrigen beiden Kompositionen. Mit seiner vollen Jugendlichkeit, mit seinem Träumen, Schmachten, Schwärmen und Überschäumen hat er uns für sich eingenommen. Sein rein musikalisches Talent zeigt sich am stärksten in der Sonate, die zwar mehr Stimmungen als interessante Gedankenarbeit, aber doch viel Eigenart der Erfindung enthält. […] Der erste Satz der Sonate hält sich einigermaßen noch an die Form der Klassiker; eine engere Fühlung mit diesen würde der weiteren Entwicklung des Komponisten sicherlich zum Vortheil gereichen. […] Den meisten Beifall fand das phantastisch-heitere, sehr reizvolle Scherzo […].
(-n in der Vossischen Zeitung vom 5. Mai 1893)

Ein junger Componist, Hans Pfitzner aus Frankfurt a. M. , gab am Donnerstag […] ein Concert, dessen Programm ausschließlich aus eigenen Compositionen bestand. Wir lernten in ihm einen sehr talentvollen Musiker kennen, der etwas tüchtiges gelernt hat und versteht […]. Schade, daß dieses ausgesprochene reiche Talent sich bereits einer Richtung unterworfen hat, die wir entschieden verdammen. Die Ausläufe der sogenannten neudeutschen Schule, in welchen man sich immer mehr von der Form und Melodie, von dem rhythmisch und symmetrisch geordneten Wesen der Musik emancipirt, führen schließlich zur Verwirrung und Auflösung. Besonders zeigte die von den Herren Jedliczka (Klavier) und H. Kiefer (Cello) vortrefflich ausgeführte Fis-moll-Sonate, Op.1, ein überaus zerfahrenes und ergrübeltes Phantasiegebilde, das, wenn es nicht einige hübsche und originelle Themen enthielte, imstande wäre, einen zur Verzweiflung zu bringen. Der zweite Satz verlief in einen geheimnisvollen, ganz hübschen Schluß, der uns aber nicht über die tödliche Langeweile des ganzen hinweg zu setzen vermochte.
(Anonymus in der Staatsbürger-Zeitung vom x. Mai 1893)

Hans Pfitzner, ein junger Komponist ais Frankfurt am Main, machte uns am 4. in der Singakademie mit einer Anzahl seiner Werke bekannt, die von bemerkenswerther Begabung Zeugniß ablegten. […] Eine Sonate für Klavier und Cello op.1, von den Herren Dr. Jedliczka und Heinrich Kiefer aus Erfurt abgerundet gespielt, ist gut gearbeitet, leidet jedoch durch Längen, am meisten sprach der dritte in Tarantellenform gehaltene Satz an.
(Ferdinand Gumbert in der Täglichen Rundschau vom 6. Mai 1893)

…Der Konzertgeber bekundete ein starkes Talent, von dem man, entwickelt er sich stetig weiter, noch einmal etwas Namhaftes wird erwarten dürfen. Er besitzt Sinn für musikalische Gestaltung und dramatisches Leben. Daß er sich an Wagner anlehnt, ist ja natürlich, aber er ist doch auch bestrebt, individuell zu bleiben.
(Anonymus in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 6. Mai 1893)

Ein junger Komponist, Herr Hans Pfitzner aus Frankfurt a. M., führte am Donnerstag, den 4. Mai, in der Singakademie eine Anzahl seiner Werke auf. An der Hauptsache fehlt es ihm nicht. Das Göttergeschenk der Phantasie ist ihm zu Theil geworden. Nur bewegt er sich auf zu beschränktem Gebiet. Ein schmachtendes und schwärmerisches Verlangen beherrscht als Grundstimmung sein bisheriges Schaffen. Wenn die Blüthe seines Talentes sich ganz erschließen soll, wird er sich aus dem engen Kreis hinauswagen, weitere Umschau in der Welt der Töne halten und Neues auf sich wirken lassen müssen. Denn gerade sein Talent scheint zu denen zu gehören, die Gefahr laufen, sich in sich selbst zu verzehren. In der Sonate für Klavier und Cello in Fis-moll, op.1, tritt das Charakterbild des Komponisten sofort in Erscheinung. Von einem grüblerischen Halbtonmotiv ausgehend entwickelt sich der erste Satz folgerichtig, ohne daß indeß dem Hörer das „Sehr bewegt“ der Überschrift fühlbar wird. Ein Fehler so vieler neuer Komponisten, welche glauben, der Taktstrich genüge zur Fixirung des Tempos. Obgleich das Adagio infolge dessen an der Wirkung des Kontrastes verlieren mußte, machte es doch im Ganzen den größten Eindruck, weil sich hier der Komponist auf seinem eigensten Gebiet einer breiten Stimmungsmalerei selbständig bewegt.. Das Scherzo ist ein nebelschwüler Augenblick, ein hastiges Treten auf derselben Stelle. Im Finale macht sich nicht vorherrschend, aber gelegentlich aufmunternd polyphone Behandlung der Stimmen geltend. […] Die Sonate wurde von den Herren Dr. Jedliczka und H. Kiefer mit liebevollem Verständniß vorgetragen.
(L[udwig] B[ußler] in der National-Zeitung vom 6. Mai 1893)

… Zweifellos haben wir es hier mit einer vielverheißenden Kraft zu thun, die sich weit hinaus über den Rahmen des Alltäglichen erhebt. Wohl haftet seinen, den verschiedensten Gebieten angehörenden Werken noch etwas Unfertiges an. Der Einfluß Wagner´s hat auch auf ihn mit despotischer Gewalt gewirkt. […] Die Herren Max [sic] Kiefer aus Erfurt und Dr. Jedliczka trugen eine Cello-Sonate vor, deren dritter Satz mit seiner prickelnden, humorvollen Form am besten gefiel, wenngleich sich auch hier noch Schlacken zeigen. […] Zweifellos wird Hans Pfitzner noch von sich reden machen; seine Arbeiten zeugen von ernster Auffassung, redlichem Streben und, was die Hauptsache, von hervorragender Begabung.
(-s- in der Berliner Zeitung vom 6. Mai 1893)

… Von vorn herein sei betont, daß Herr Pfitzner, trotz seiner Jugend, das Technische […] meisterhaft beherrscht. Seine musikalische Befähigung hat freilich einstweilen wenig Ursprüngliches aufzuweisen; die Gabe der Assimilirung besitzt er dagegen im hohen Maße: Schumann, Brahms und Wagner sind ihm derartig in Fleisch und Blut übergegangen, daß man oft sie selbst zu hören vermeint. Herr Pfitzner ist mit reicher Phantasie begabt, jedoch leiden seine Gedanken an einer gewissen Kurzathmigkeit – man vermißt den gesunden, kräftigen Zug, was bei der Jugen des Componisten doppelt verwunderlich ist. […] Eines wohlverdienten Beifalls [erfreute sich] eine Sonate, Fis-moll, für Clavier und Cello, ein Werk von edler Erfindung und knapper Form, die ihren durchschlagenden Erfolg nicht am wenigsten der meisterhaften Wiedergabe durch die Herren Dr. Ernst Jedliczka und Heinrich Kiefer verdankt.
(H. in der Börsen-Zeitung vom 6. Mai 1893)

… Seine Begabung für die musikalische Komposition ist unverkennbar eine hochbedeutende, wie er ferner mit einer Sonate für Klavier und Violoncell bewies, deren kurzes, schnelles Scherzo ein wahres Kabinettstückchen genannt zu werden verdient…
(tz in der Volkszeitung vom 6. Mai 1893)

In ihrer Gesamtheit machten diese Kompositionen – um die Hauptsache gleich vorweg zu nehmen – einen recht vorteilhaften Eindruck. Man gewinnt die Überzeugung, daß sie einem hochbegabten, ideenreichen Kopfe entsprungen sind. […] Sein für Klangmischungen offenbar besonders stark entwickelter Sinn zeigt sich auch in der Cellosonate Op.1, die in dieser Hinsicht viele überraschende Wendungen bringt, wogegen die Bedeutsamkeit ihres thematischen Gehaltes ziemlich zurücktritt.
(E. L. in der Deutschen Warte vom 6. Mai 1893)

… Endlich enthielt das Programm noch eine Probe von dem Talent des jungen Komponisten für Kammermusik, eine Sonate für Klavier und Cello, fis-moll, op.1 […]. Vor allem müssen wir der wirkungsvollen Behandlung des Cello neben dem Pianoforte unsere besondere Anerkennung zollen. Freilich war die Handhabung dieses Instrumentes seitens des Spielers auch eine besonders vorzügliche und ihm gegenüber die des Pianisten bezüglich des seinen eine sehr diskrete. Jeder einzelne der vier Sätze gewann sich sowohl durch die Beschaffenheit der Gedanken wie durch ihre tonsetzerische Verarbeitung ein berechtigtes, lebendiges Interesse. Wir können somit dem jungen Komponisten aufgrund seiner Darbietungen nur ein herzliches, ermutigendes „Perge“ zurufen.
(G. W. im Reichsboten vom 7. Mai 1893)

Der gestrige, voraussichtlich letzte größere Concertabend vor der Sommerruhe, war kein verlorener. Ein noch sehr jugendlicher, bisher hier gänzlich unbekannter Componist, Herr Hans Pfitzner aus Frankfurt a. M., veranstaltete in der Singakademie […] eine Aufführung eigener Compositionen, die von dem hervorragenden Talente des Concertgebers sicheres Zeugniß gaben. Auf dem Programm standen das Vorspiel zum ersten und zum dritten Act des Ibsen´schen Dramas „Das Fest auf Solhaug“ und ein Scherzo für Orchester, sowie ein Klaviertrio [sic] in Fis-moll (als op.1 bezeichnet), als Proben reiner Instrumentalmusik; ferner „Dietrich´s Erzählung“ aus einem Musikdrama „Der arme Heinrich“ und die Ballade „Herr Oluf“ aus dem Bereich der dramatischen Musik. Schon aus dieser Auswahl kann man mancherlei ersehen. Zunächst, daß Herr Pfitzner sich bereits auf den verschiedensten Gebieten der Composition versucht hat, dann auch, daß er das Ernst, Bedeutsame, fantastisch Tragische bevorzugt. In der That scheint ihm der Humor nicht gleichermaßen zur Verfügung zu stehen, denn das Finale des Trios [sic], das nach der Satzüberschrift „mit Humor“ gespielt werden soll, war wohl die wenigst gelungene Composition des ganzen Abends. […] In der Cellosonate ist ein meisterhaft gelungener Wurf: das Scherzo. Gegenüber seinem eben besprochenen Artgenossen [dem Scherzo aus „Herr Oluf“] hat es eigentlich den übrigens viel leichter zu ertragenden Fehler zu großer Kürze; aber der in ihm tollende Spuk ist so eigenartig, daß die Wirkung des Satzs außerordentlich ist. Neben ihm muß mit besondern Ehren der erste Satz genannt werden; der zweite (Adagio) schien dem Unterzeichneten zu gedehnt für seinen einfachen Inhalt[,] und vom letzten ist oben schon gesprochen. Dieser letzte Satz war der einzige, der ein tieferes Interesse nicht zu erregen vermochte. Das Cello ist in der Sonate sehr schön behandelt, das Klavier weniger gut, – wahrscheinlich ist der Componist selbst mehr Partiturenspieler, als Pianist.
(Anonymus im Börsen-Courier vom 9. Mai 1893)

Pfitzners Freund und Librettist James Grun hatte die Courage, dem damals im Berliner „Kaiserhof“ residierenden Anton Rubinstein die Noten der Sonate mit der dringenden Bitte um ein Urteil aufzudrängen. Ernst Jedliczka, der als Landsmann und ehemaliger Schüler Nikolaj Rubinsteins auch mit Anton in freundschaftlichem Verkehr stand, wußte später zu berichten, Rubinstein habe die Sonate selbst aufführen wollen, sei aber durch seinen schon schlechten Gesundheitszustand dazu nicht mehr in der Lage gewesen. Rubinstein beendete das Gespräch über die Sonate mit dem Bibelwort „Jetzt kann ich ruhig sterben, denn ich weiß, daß der zukünftige Meister da ist.“

Weit weniger Glück hatte Pfitzner mit einem Komponisten, der an der Last so großer Worte lange genug getragen hatte. In den „Eindrücken und Bildern meines Lebens“ erinnert er sich:
Meine Cello-Sonate op.1 hatte ich im Manuskript an Brahms gesandt – er hat sie nie angesehen, und ich war froh, daß ich meine Noten – auf Reklamation von [James] Kwast – überhaupt zurückerhielt.

© by Claus-Christian Schuster