Antonín Dvořák
* 08. September 1841
† 01. Mai 1904
III. Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell, f-Moll, op. 65 [B 130]
| Komponiert: | Prag, 4. Februar – 31. März 1883; Neufassung Sommer 1883 | 
| Uraufführung: | Mladá Boleslav (Jungbunzlau), 27. Oktober 1883 Antonín Dvorák, Klavier Ferdinand Lachner (1856–1910), Violine Alois Neruda (1837–1899), Violoncello  | 
| Erstausgabe: | Simrock, Berlin, 1883 | 
Von Dvoráks F-Moll-Trio ist oft gesagt worden, es sprenge die Grenzen  des eigentlich „Kammermusikalischen“. Sicher ist es das dramatischste  der Dvorákschen Klaviertrios, und der bekenntnishafte Ton des ganzen  Werkes, dessen Trauer und Trotz, Innigkeit und Ingrimm jeden  zugänglichen Hörer unmittelbar berühren, läßt keinen Zweifel daran zu,  daß hier ein innerster Bezirk der Seele des Komponisten zum Klingen  gebracht wurde.
 Man hat die Einzigartigkeit dieses Trios auf jene seelische  Erschütterung zurückgeführt, dem es seine Entstehung verdanken soll –  den Tod der Mutter (15. Dezember 1882).  So schlüssig diese Mutmaßung  auch erscheint, sollte man doch nicht übersehen, daß es nie der Anlaß  ist, der das Werk schafft. Und in diesem konkreten Falle haben wir  einigen Grund, neben der Trauer des verwaisten Sohnes auch den Trotz des  in seinem höchsten Streben von vielen unverstandenen Künstlers zu  hören.
 Schon die sich in allen Teilen des Werkes unüberhörbar manifestierende  Intensität der dramatischen Geste setzt das F-Moll-Trio in enge  Beziehung zu Dvoráks Opernschaffen; und  vielleicht führt uns ein Blick  auf diese Beziehung einen Schritt näher an das Werk heran.
 
 Das Ringen um die Oper – oder doch wenigstens die Sehnsucht nach ihr –  ist eine fast schon tragisch zu nennende Konstante der Musikgeschichte  des XIX. Jahrhunderts. Seit Beethovens schwerem und langwierigem Kampf  um die endgültige Gestalt seines Fidelio (1803–1814) waren die meisten  der großen Komponisten des Jahrhunderts mit ihren Opern und  Opernprojekten gescheitert – und die Biographien von Schubert, Schumann,  Mendelssohn und Brahms lassen erahnen, welch geistiger Reichtum der  Oper auf diese Weise verloren gegangen ist. (Wer solchen Ahnungen und  Mutmaßungen mißtraut, findet vielleicht in den letzten Werken Carl Maria  von Webers eine weniger spekulative Andeutung des Weges, den die Oper  gehen hätte können.) Andererseits blieben die Triumphatoren der  Opernbühne – von Rossini und Donizetti über Verdi und Wagner bis hin zu  Gounod und Bizet – in ihrem Wirken fast immer auch nur auf die Oper  beschränkt; ein Werk wie etwa Verdis Streichquartett (1872/73) bleibt  eine exotische Einzelerscheinung. Dieses Phänomen scheint auf den ersten  Blick nahezulegen, daß die „erhabene“ Welt der Kammermusik und die  „populäre“ Welt der Oper in dieser Phase der Musikgeschichte – und in  unübersehbarem Gegensatz zu den Zeitaltern Mozarts und Brittens –  einander abstoßen und ausschließen.
 Wie grundfalsch eine solche schematisch vereinfachende Beurteilung wäre,  läßt sich am besten an der Entwicklung der slawischen Musikkulturen  zeigen, wo wir gleich bei Smetana ein Musterbeispiel für  Gleichgewichtung und -wertigkeit des Opern- und Kammermusikschaffens  vorfinden. Doch wohl nirgendwo ist diese Möglichkeit so überzeugend und  eindrucksvoll realisiert worden wie im Lebenswerk der beiden  befreundeten (und fast gleichaltrigen) Komponisten Tschaikovskij und  Dvorák. Daß es beide auf je ein rundes Dutzend vollendeter Opern  gebracht haben, ist zwar nur eine ganz äußerliche und zufällige  Übereinstimmung, zeigt aber immerhin, wie lebenswichtig ihnen dieses  Ausdrucksmittel gewesen sein muß. Weit bemerkenswerter ist jedoch – und  das ist der Fluchtpunkt dieses Exkurses –, daß zwischen dem Opern- und  dem Kammermusikstil dieser beiden Meister nicht nur kein Widerspruch  besteht, sondern hier diese im XIX. Jahrhundert scheinbar so  antagonistischen Schaffenssphären einander auf die glücklichste Weise  befruchten. Die Innigkeit dieser Wechselwirkung erscheint in den beiden  zeitlich benachbarten Klaviertrios der zwei Meister (Tschaikowskijs op.  50 [1882] und Dvoráks op.65 [1883]) ganz besonders stark ausgeprägt.
 Es gehört zu den Hauptsünden der „Brahmsianer“ (wie wir die  Wagner-Gegner im Unterschied zu den „Brahminen“, den Brahms-Getreuen,  nennen wollen), daß sie für das auf diesem Wege für die Oper Erreichte  und Erreichbare gleichermaßen taub und blind waren. Ein besonders  charakteristisches Beispiel dieses Defektes finden wir bei Eduard  Hanslick, dessen bis in die Gegenwart reichender Einfluß wesentlichen  Anteil an der recht einseitigen und das Opernschaffen nahezu völlig  ausklammernden Dvorák-Rezeption im deutschen Sprachraum hat. (Hanslicks  Unvermögen, das Genie Tschaikowskijs auch nur zu erahnen, wollen wir  hier gar nicht erst berühren.) Auch in der Verlagspolitik Fritz Simrocks  drückt sich dieses Mißtrauen gegenüber der Oper aus: von Dvořáks zwölf  musikdramatischen Werken veröffentlichte Simrock nur zwei (die komischen  Opern Selma sedlák und Tvrdé palice).
 
 Am 8. Oktober 1882 wurde in Prag Dvoráks Oper Dimitrij (op. 64/B 127)  uraufgeführt. Die Arbeit an diesem Werk war im Frühling 1881 im Hinblick  auf die für September geplante Eröffnung des langersehnten  Nationaltheaters begonnen worden.  Ein Besuch von Kronprinz Rudolph  hatte dann Anlaß geboten, das knapp vor der Fertigstellung stehende  Gebäude doch schon am 11. Juni 1881 mit Smetanas Libussa inoffiziell  einzuweihen, und während der fieberhaft vorangetriebenen  Abschlußarbeiten hatte schließlich am 12. August ein Brand das Theater  bis auf die Grundmauern zerstört  – das Ergebnis von dreizehn Jahren  Bauarbeit und noch viel weiter zurückreichenden Träumen war innerhalb  weniger Stunden vernichtet.  (Dieses für das tschechische Kulturleben so  tragische Ereignis mutet fast wie eine Ouverture zur Katastrophe des  Wiener Ringtheaterbrandes im Dezember des selben Jahres an.) Die trotz  der durch den Brand bedingten Verzögerungen schließlich doch noch unter  größtem Zeitdruck fertiggestellte Partitur ist ohne Zweifel der erste  Höhepunkt in Dvoráks Opernschaffen – und die Premiere auf der  Ausweichbühne des „Neuen Tschechischen Theaters“ wurde ein großer  Triumph für den Komponisten. Aber Hanslick berichtete seinen Wiener  Lesern in einer väterlich wohlwollenden Kritik von „ermüdenden Längen“  und den Schwächen des Librettos, in dem er Einzelnes sogar „empörend und  unnötig“ fand. Dvoráks Verleger Fritz Simrock, der auch unter den  Premierengästen war, stieß in das gleiche Horn – und der unverblümt  schulmeisterliche Ton seines (am Tage nach dem Erscheinen der  Hanslick-Kritik geschriebenen) Briefes an den Komponisten hat mehr als  nur einen Anflug nationalistischer Überheblichkeit:
 
 „Kürzungen allein werden dem ‚Demetrius‘ nicht helfen! Es müssen 3  anstatt 4 Akte werden und die ganze Szene im 4. Akt muß anders gestaltet  und umkomponiert werden. Die Ermordung der Xenia muß durchaus  fortfallen, überhaupt ist diese ganze Szene weder motiviert, noch in  ihren daraus entstehenden Folgen irgendwie logisch oder vernünftig! Wenn  Sie nach Wien gehen und sich mit Hanslick tagelang über die Änderungen  verständigen und seinem Rate folgen, so tun Sie ein gutes Werk im  Interesse Ihrer Oper, die so, wie sie jetzt ist, für deutsche Ansprüche  nicht genügt.
 Sie lassen sich zu sehr durch die Freude Ihrer böhmischen Brüder  beeinflussen, lieber Freund! Aber bedenken Sie, daß das alles nur  Äußerlichkeiten sind und daß nur Deutschland Ihnen geholfen hat und auch  nur weiter helfen kann und wird.“ 
 (Bonn, 18. Oktober 1882)
 
 Dvorák, dessen Bescheidenheit und Demut den Leser seines Briefwechsels  immer wieder in Erstaunen versetzt, war durchaus bereit, sich „mit  Hanslick tagelang über die Änderungen“ zu unterhalten, und daß er es  nicht gleich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit, nämlich der  Wiener Erstaufführung der VI. Symphonie (im Musikverein unter Wilhelm  Gericke, am 18. Februar 1883), tun konnte, führt uns wieder zu unserem  Hauptgegenstand zurück; denn als Hanslick sich auch im Namen Simrocks  besorgt nach dem Grunde für Dvoráks Fernbleiben erkundigt, antwortet ihm  dieser:
  
 … daß Freund Simrock in Wien war und mir nicht ein Wort darüber schrieb!  Der böse Mensch! Wie gerne wäre ich bei der Aufführung gewesen!
 Ich bin Gott sei Dank gesund, froh und munter, und arbeite fleißig an  einem neuen Trio, und das dürfte auch der einzige Grund sein, warum ich  nicht kam …
 Hoffentlich werde ich bald in der Lage sein nach Wien zu kommen; mein  erster Weg führt mich immer zu Ihnen und Brahms und soll es auch für  alle Zukunft, so Gott will, so bleiben …
 (Prag, 23. Februar 1883)
 
 Simrock wird in den nächsten Tagen und Wochen mit ungewöhnlicher  Genauigkeit über den Fortschritt der Arbeit am Trio unterrichtet. Selbst  für Dvorák war das Schaffensfieber, das ihn bei der Niederschrift des  Trios erfaßt hatte, fast schon beängstigend – nach Budapest meldet er  wenige Tage vor Beendigung des Manuskripts:
 
 Seit 8 Wochen schreibe ich nur an einem neuen Trio, welches meine ganze  Zeit so in Anspruch nimmt, daß ich kaum etwas anderes denken und fühlen  kann…
 (an Max Schütz, Prag, 28. März 1883)
 
 Und der am selben Tag nach Berlin abgesandte Brief ist ein rührendes  Dokument jenes natürlichen Vaterstolzes, der sich so gut mit Dvořáks  angeborener Bescheidenheit vertrug:
 
 Ich unterbreche nur auf einen Moment meine Arbeit (soeben bin ich am  Schlußsatz des letzten Satzes), um Ihnen mitzuteilen, daß ich nächste  Tage nach Berlin komme und bringe das Trio fertig mit. Das heißt, wenn  Sie in Berlin sind, wo wir dann das Trio bei Ihnen nochmals durchspielen  könnten.
 Heute abends ist bei mir bereits die dritte Probe. Es klingt famos – kein Takt zuviel oder wenig!
 (an Fritz Simrock, Prag, 28. März 1883)
 
 Gleich nach dem Abschluß des Trios wandte sich Dvořák wieder seinem  geschmähten Dimitrij zu. Die Aussprache mit Hanslick führte in  Zusammenarbeit mit Dvoráks junger Librettistin Marie Cervinková-Riegrová  zu einer weniger „empörenden“ Wendung im Schicksal Xenias, der Tochter  Boris Godunovs und tragischen Heldin der Oper: In der von Hofrat  Hanslick sanktionierten Fassung nimmt sie den Schleier und versöhnt sich  mit ihrer Rivalin – das ist aus der Sicht eines friedliebenden  Katholiken zwar sehr erfreulich, daß es aber für die Oper, mit Brahms zu  reden, nur eine Verböserung ist, darüber herrscht heute weitgehend  Einigkeit. (Eine Rekonstruktion der ursprünglichen Fassung, die Milan  Pospišil nach minutiösem und langjährigem Quellenstudium erstellte,  wurde 1989 unter der Leitung Gerd Albrechts in Prag aufgeführt.) Obwohl  Dvorák zunächst recht optimistisch an die Änderungen heranging, scheint  er zuletzt doch, in aller Bescheidenheit, am Sinn des Unterfangens ein  wenig gezweifelt zu haben – die im Juli in Prag neukomponierte Passage  trägt jedenfalls am Ende den recht vielsagenden handschriftlichen  Vermerk: „Bis hierher überarbeitet auf Wunsch von Dr. Hanslick in Wien.“
 
 Wie nahe Dvorák in Wahrheit die Kritik an seinem Werk ging, wird aus dem  Brief deutlich, mit dem er Jahre später eine sich auf die Oper  beziehende Anfrage Simrocks beantwortete:
 
 Die Oper „Dimitrij“ ist gewiß ein Werk, das ich gern habe, und es ist  mir doppelt leid, daß sie bis jetzt keine Anerkennung gefunden hat. Nach  dem Ausspruch Hanslicks, den Sie mir einmal mitteilten, die Oper wäre  nicht genug theaterfähig und nicht dramatisch, was mir sehr leid war,  bin ich selbst mißtrauisch gegen mein eigenes Werk geworden …
 Aber auch jetzt fühle ich gar kein Verlangen, mit einer Oper  aufzutreten, weil ich weiß, daß es vergebene Mühe ist. In Wien, schrieb  mir Hanslick, wollen sie den „Dim[itrij]“ aus politischen Rücksichten  nicht …
 
 Diese letzte Andeutung sollte übrigens in ihrer Tragweite nicht  unterschätzt werden; denn in der Tat hatte sich zu Beginn der achtziger  Jahre das politische Klima dramatisch verschlechtert. Straßenschlachten  zwischen tschechischen und deutschsprachigen Studenten (Juli 1881), die  schließlich zur Sezession der Tschechen und Spaltung der Universität  (1882) führten, die brüske Ablehnung der Errichtung eines deutschen  Theaters durch den Landtag und ein Boykottaufruf gegen  nicht-tschechische Kaufleute und Handwerker (1882) auf der einen, die  anti-slawische Hysterie und der immer militanter werdende Nationalismus  der sich durch die Taaffe-Stremayrsche Sprachverordnung (April 1880)  bedroht fühlenden Deutschnationalen auf der anderen Seite – das alles  mußte Dvorák, der sein Leben lang auf Ausgleich und Versöhnung bedacht  war, ein Greuel sein. Es war wohl nicht, wie manche Kommentatoren  meinen, politische Instinktlosigkeit oder undiplomatische  Tolpatschigkeit, die Dvorák dazu bewog, in der bald nach Abschluß des  Trios für die endlich doch anstehende Eröffnung des Nationaltheaters  geschriebenen Husistská dramatická ouvertura (op. 67/B 132) den  Hussiten-Choral „Die ihr Gottes Streiter seid“ – der in Tábor und  Blaník, den letzten beiden Sätzen von Smetanas Má vlast (1878/79), die  musikalische Chiffre für den Sieg des tschechischen Volkes über die  Bevormundung durch Rom und Wien ist – mit dem alten katholischen  Wenzels-Choral zu kombinieren: In solchen demonstrativen Gesten äußert  sich eine zutiefst politische Botschaft des (auch seiner  Selbsteinschätzung nach) vermeintlich „apolitischen“ Künstlers Dvorák.
 
 Ein äußeres, aber doch sehr aussagekräftiges Zeichen der Verletzung, die  dem Komponisten die nationalen Spannungen und, noch konkreter, die  davon nicht unberührten kritischen Dissonanzen rund um seinen Dimitrij  zufügten, betrifft zuerst unser Klaviertrio: es ist seit Dvoráks Opus 2  (1862) das erste Werk, dessen Autograph er nicht mit seinem obligaten  „Bohu díky“ (dem tschechischen Äquivalent des Haydnschen Laus Deo)  abschließt – dieser frommen Formel werden wir  erst 1885  (VII.  Symphonie, op. 70) wieder begegnen.
 
 Auch die weitere Geschichte des Opus 65 ist eng mit den Schicksalen des  Dimitrij verwoben: Fast zur selben Zeit, als Dvorák ergeben und  vertrauensvoll die gewünschten Änderungen an der Oper vornimmt, macht er  sich, und zwar ganz aus eigenem Antrieb – und mit wieviel mehr Lust und  Überzeugung! – an eine gründliche Überarbeitung des neuen Trios. Die  Korrekturen, Abänderungen, Kürzungen und Retuschen, die Dvořák hier  vornahm, sind so weitgehend, daß kaum ein Takt des Werkes davon  unberührt blieb. (Der Vergleich der beiden Fassungen gewährt einen  einzigartigen Einblick in Dvoráks Arbeitsweise und Ästhetik – leider ist  die seit Jahrzehnten angekündigte Veröffentlichung der erhaltenen  Urfassung im Rahmen der Dvorák-Gesamtausgabe noch immer nicht zustande  gekommen.) Der dramaturgisch gravierendste Eingriff war dabei die  Umreihung der beiden Mittelsätze, wodurch das vor dem Allegretto  komponierte und in der Urfassung an zweiter Stelle stehende Adagio zum  dritten Satz wurde.
 Erst in dieser gestrafften und geschliffenen Fassung stellte Dvorák das  Werk der Öffentlichkeit vor – und zwar zunächst in einem aus Anlaß der  Ernennung Dvořáks zum Ehrenmitglied ganz dessen Werken gewidmeten  Sonderkonzert des Gesangsvereines „Boleslav“, das Frantisek Hruska in  Mladá Boleslav organisiert hatte (und an dessen Ende dem Komponisten  feierlich ein silberner Ehrenpokal überreicht wurde), erst danach auch  in der Hauptstadt (am 13.  November 1883 in einem Konzert der Umelecká  beseda). Beide Male waren Ferdinand Lachner und Alois Neruda, die  Solisten im Orchester des Nationaltheaters, die schon die Uraufführung  des Klaviertrios op. 26 mit ihm bestritten hatten, seine Partner.
 
 Als Dvorák zu dem Festkonzert nach Mladá Boleslav reiste, stand er noch  ganz unter dem Eindruck seiner jüngsten Begegnung mit Brahms, über die  er Simrock gleich nach seiner Rückkehr aus Wien berichtet hatte:
 
 … Das erste ist, daß ich diese Tage in Wien war, wo ich gar schöne  Tage mit Dr. Brahms, der soeben von Wiesbaden kam, erlebt habe. In so  heiterer Stimmung habe ich ihn noch nie gefunden. Wir waren jeden Mittag  und Abend beisammen, wo wir über manches geplaudert haben. Der Umgang  mit mir scheint ihn gefreut zu haben und ich bin wahrhaftig durch seine  Liebenswürdigkeit als Künstler und Mensch so entzückt, daß ich ihn  lieben kann! Welch ein Gemüt und Seele in dem Manne steckt!
 Sie wissen ja, wie er selbst gegen seine liebsten Freunde und Musiker  sehr zurückhaltend ist, was nämlich sein Schaffen anbelangt, aber mir  gegenüber war er es nicht …
 (Prag, 10. Oktober 1883)
 
 Tatsächlich hatte sich in den Jahren der Komposition des Dimitrij und  des F-Moll-Trios die Beziehung zwischen Brahms und Dvorák bedeutend  vertieft, und aus dem Verhältnis Gönner-Protegé, das den Beginn ihrer  Bekanntschaft bestimmt hatte, war inzwischen eine wirkliche  Künstlerfreundschaft herangereift. 
 Zu Silvester 1882 hatte Simrock auf Dvoráks Ersuchen diesem die  Partituren der eben erschienenen Brahmsschen Opera 87 (Klaviertrio  C-Dur), 88 (Streichquintett F-Dur) und 89 (Gesang der Parzen) zugesandt.  Daß Brahms´ C-Dur-Trio nicht ohne Wirkung auf das Dvoráksche Opus 65  geblieben ist, wurde schon oft konstatiert. Bemerkenswert ist an diesem  naheliegenden Umstand aber vor allem eines: Daß diese Wirkung nur  bestärkende und ermutigende Anregung blieb, daß Dvorák also auch nicht  einen Takt lang Gefahr läuft, nachahmender „Epigone“ zu werden. Nur ein  ebenbürtiger, seiner Möglichkeiten und Eigenart sicherer Meister durfte  es wagen, sich in so mächtige und zwingende Nähe zu begeben, ohne sich  selbst zu verlieren.
 
 Im episch angelegten eröffnenden Allegro ma non troppo ist diese  eigenständige Nähe zu Brahms besonders frappant: Kaum eine Wendung  dieses Satzes könnte von Brahms sein – und doch ist unleugbar, daß  Dvorák sich in vielen Details von den meisterlichen Lösungen des  Brahmsschen Opus 87 anregen ließ. Gleich zu Beginn entspricht der Weg  des Hauptthemas vom verhaltenen, unbegleiteten Streicherunisono zur  emphatisch-affirmativen, akkordisch untermauerten „eigentlichen“  Hauptthemenexposition durchaus der von Brahms gewählten Strategie; aber  welche Welten liegen zwischen diesen beiden Expositionen! Als  Überleitung zwischen Haupt- und Seitensatz, die der epischen Anlage des  Satzganzen entsprechend jeweils mehrgliedrig angelegt sind, verwendet  Dvorák ein Zitat aus seinem Opus 7 (Pisne z rukopisu Kralovedvorskeho /  Lieder aus der Königinhofer Handschrift, B 30, 1872): das mottoartige  Kopfthema des ersten Liedes (Zezhulice / Der Kuckuck), in dem der  Kuckuck keine Frühlingsbotschaft, sondern eine wehmütige Warnung  überbringt. (Bekanntlich war der „Entdecker“ der „Königinhofer  Handschrift“, Václav Hanka, ganz dem genialischen Ossian-Rezept von  James Macpherson folgend, gleichzeitig auch ihr Autor; und der von  Dvorák hier gefundene Volkston ist ebenso eine einfühlsame Anverwandlung  „echter“ Volkslieder.) Der emblematische Charakter dieses Zitats wird  dadurch betont, daß es – als einziges Formglied – in der Reprise seinen  Platz wechselt und sich dort zwischen die beiden Themen des Hauptsatzes  drängt. Die Fülle der andrängenden motivischen Gestalten wird durch eine  meisterlich eingesetzte Kunst assoziativer Derivation beherrscht und  gebändigt – so ist etwa der Seitensatz ganz unüberhörbar aus dem zweiten  Hauptthema abgeleitet. Auffallend knapp (nur 70 von 342 Takten) ist die  ausschließlich von den beiden Motivgruppen des Hauptsatzes getragene  Durchführung geraten, aber es fehlt ihr dabei durchaus nicht an Weite  und Spannung. In der Coda (Poco più mosso, quasi vivace) entzündet sich  die schwermütige Leidenschaft des Satzes kurz zu fiebriger Intensität,  die sich unvermittelt an einer chromatisch entstellten Wiederkehr des  ersten Hauptthemas bricht.
  
 Der zweite Satz, Allegretto grazioso (cis-Moll), hat nicht die Absicht,  uns das Drama des vorangegangenen Satzes vergessen zu lassen.  Die  Satzbezeichnung hätte Beethoven, der am Ende seines Lebens zu der  Einsicht gelangt war, daß ein schematisch verwendetes italienisches  Vokabular eine wahre Barbarei darstelle, wohl zu berechtigtem  Widerspruch herausgefordert, denn das vorangestellte Epitheton grazioso  steht über weiteste Strecken in eklatantem Gegensatz zu den Dvorákschen  Vortragsbezeichnungen; vielleicht darf man aber in der Verwendung dieses  Wörtchens auch eine unscheinbare Reverenz an Brahms sehen, der eine  ganz besondere Vorliebe dafür hatte. Gerne überlesen (und überspielt)  wird aber vor allem das Allegretto – oder sollte die verblüffende  Tatsache, daß fast alle gängigen Kammermusikführer diesen Satz als  Allegro grazioso zu kennen glauben, nur ein Indiz dafür sein, zu welch  intuitiver Virtuosität die Kunst des Abschreibens schon gediehen ist?  Der Reiz der Eckteile des Satzes liegt in seiner rhythmischen Textur:  Das Thema (im Zweivierteltakt) ist aus Zweitaktern zusammengesetzt,  wobei der jeweils zweite Takt die rhythmische Inversion des ersten ist  (Achtel – Achtel – Viertel | Viertel – Achtel – Achtel). Durch die  systematische Betonung der Viertel entsteht nun ein Betonungsschema, das  beim ersten Anhören etwas verwirrend wirken kann – ein offenbar  durchaus beabsichtigter Effekt, der durch die Begleitung in  Achteltriolen, die ihrerseits wieder fast unvermeidlich als gebrochene  Vierteltriolen gehört werden, noch verstärkt wird. Das Resultat ist eine  raffinierte Doppeldeutigkeit, in der bald das scheu-leichtfüßige  Grazioso, bald das derb-bäurische Marcato den Ton angibt. Das Trio (Meno  mosso, Des-Dur) führt mit seinen frei ausschwingenden und weit  gespannten Melodiebögen in ganz andere, sehnsüchtigere Stimmungen – der  eigensinnige Dualismus des Hauptteiles erscheint hier verinnerlicht als  klangfarbliches Changieren zwischen zwei verschiedenen  Instrumentationsmodellen.
 
 Die in der Überarbeitung des Trios vorgenommene Versetzung des langsamen  Satzes (Poco adagio, As-Dur) an die dritte Stelle unterstützt seine  Wirkung als Herzstück des Werkganzen. Der Satz ist von so  überwältigender Eindringlichkeit, daß sich über ihn – innerhalb der  Grenzen nichtmusikalischer Mitteilung – wohl nur Handwerkliches sagen  ließe. Die traditionelle dreiteilige Form erscheint hier in einer recht  eigenwilligen Variante (ABA|CD|BA|Coda: DB).  Wie schon in den  entsprechenden Sätzen der beiden vorangegangenen  Klaviertrios, als  deren gesteigerte Vollendung dieses Adagio gelten darf, überläßt Dvorák  das erste Wort dem Violoncello – die tonpsychologische Wirkung der  „Tiefe“ im Doppelsinn des Wortes war ihm ebenso intuitiv vertraut wie  seinem Vorgänger Schubert. Auffällig ist das starke Übergewicht der  Mollvariante (as-Moll/gis-Moll) im ganzen Satz – schon in der  eröffnenden zehntaktigen Periode münden Vorder- und Nachsatz (ein an  sich schon singulärer Vorgang) dorthin; und wenn sich die tiefe Trauer  dieses Beginns im Mittelteil (C) zu trotziger Auflehnung wandelt,  geraten wir wieder in den Bannkreis dieser düster drohenden Tonart. Die  Formteile B und D (die ja auch in der Coda zueinander finden) lindern  den Schmerz und besänftigen den Aufruhr, und sie tun das mit so  gläubiger Inbrunst und hoffender Zuversicht, daß dieser vielleicht  schmerzlichste aller Dvořákschen Sätze am Ende doch noch Friede und  Trost findet.
 
 Wie notwendig und richtig die Umreihung der Mittelsätze war, kann man  eigentlich erst an dieser Stelle ermessen; das irisierende Spiel des  Allegretto hätte nach diesem Schluß abschwächend und verzögernd gewirkt –  der entschlossene Mut des jetzt folgenden Allegro con brio setzt den  schweren Weg, den wir im Adagio gegangen sind, ohne Umschweife und  geradlinig fort: Kraft ist in diesem Satz, und eine bittere  Fröhlichkeit, die deswegen nicht weniger ansteckend ist. Das Stück gibt  sich nicht als Furiant zu erkennen, trägt aber recht deutlich dessen  Züge; vor allem die immer wiederkehrenden, fast neckischen Hemiolen, die  sich dem grimmigen Dreivierteltakt furchtlos in den Weg stellen,  verraten die tänzerische Abstammung des Satzes. Formal haben wir es  wieder mit einem jener charakteristischen Sonatensätze zu tun, die mit  einem Rondo schwanger gehen. Aber, wie so oft in solchen Fällen, ist es  weder möglich noch auch wichtig, zu entscheiden, ob es sich hier um ein  Rondo oder um einen Sonatensatz handelt: Denn in beiden „Lesarten“ liegt  der architektonische Reiz des Satzes in den phantasievollen  Abweichungen von der normativen Grundgestalt. Mit jedem Schritt, den wir  auf dem Wege dieses Finales voranschreiten, verändert sich die  Landschaft der hinter uns liegenden Sätze: Die fragende Sext aus dem  ersten Hauptthema des Kopfsatzes ist hier – notengleich – eine kecke  Herausforderung geworden. Das Cis-Moll des zweiten Satzes erscheint  jetzt als Folie des wehmütig-wiegenden Seitensatzes (das hieße für die  „Rondisten“: der ersten Episode), der übrigens – wie Reminiszenzenjäger  befriedigt vermerken werden – entfernte Ähnlichkeit mit dem ersten der  Walzer aus Opus 54 (B 101) aufweist; und das bedeutungsschwere As-Moll,  aus dessen Bann sich das Adagio nur so schwer lösen konnte, wird nun (am  Beginn der Durchführung, bzw. der Überleitung zur zweiten Episode) zur  Bühne, auf der das Hauptthema (Ritornell) ein wenig „Fuge“ spielen darf.  Im Zentrum der ungewöhnlich großräumigen Coda (die übrigens,  gleichgültig aus welchem formalen Blickwinkel, schon in Takt 392 und  nicht erst mit dem Meno mosso beginnt) steht dann, als letzte dieser  Metamorphosen, die rhythmisch und harmonisch veränderte Wiederkehr des  Kopfthemas aus dem ersten Satz. Eine still verebbende Reminiszenz an das  „Walzer“-Thema und eine das endlich erreichte F-Dur wie triumphierend  festhaltende Furiant-Kadenz beschließen das Werk.
© by Claus-Christian Schuster