Beethoven: Trio Es-Dur op.70 Nr.2

Ludwig van Beethoven

* 16. Dezember 1770
† 26. März 1827

Trio Es-Dur op.70 Nr.2

Komponiert:Wien, 1808
Widmung:Anna Maria von Erdödy
Uraufführung:nicht dokumentiert, privat wahrscheinlich Anfang 1809,
bei Gräfin Erdödy (Wien, Krugerstraße 10)
Ludwig van Beethoven, Klavier
Ignaz Schuppanzigh, Violine
Anton Kraft, Violoncello
Erstausgabe:Breitkopf & Härtel, Leipzig, August 1809

Von den beiden 1808 komponierten Klaviertrios hat das erste sich die besondere Gunst des „breiten“ Publikums erworben; unter dem auf eine Rezension E. T. A. Hoffmanns zurückgehenden Namen „Geister-Trio“ ist es mit Abstand das meistgespielte der Beethovenschen Klaviertrios – ein eindrucksvolles Beispiel unter anderem für die auch vor der Musik nicht haltmachende Faszination von Marke und Etikett ( – was ist schon ein Trio ohne Namen?…). Das zweite hingegen ist namenlos geblieben und nie so recht populär geworden, obwohl es nicht wenige Kammermusikfreunde gibt, die gerade in ihm das meisterlichste aller Beethoven-Trios sehen. Beethoven selbst hat, wenn wir dem Zeugnis seiner Gesprächspartner glauben dürfen, das Es-Dur Trio immer dem „Geister-Trio“ vorgezogen. Die ungewöhnliche Zweizahl des Opus 70 ( – Standard waren in der Kammermusikproduktion damals Opera zu drei oder sechs Werken – ) führte übrigens bei der Drucklegung zu einem bemerkenswerten Zwischenfall. Auf eine Anfrage des Verlegers bezüglich der Drucklegung von „drei“ neuen Trios antwortet Beethoven verblüfft:


„Soviel ich weiß, habe ich nur zwei Trios geschickt. Es muß hierbei ein Irrtum obwalten. Sollte vielleicht Wagener den Spaß gemacht haben und ein drittes von seiner Erfindung oder von einem anderen hinzugefügt haben? Um allen Irrtum zu vermeiden, setze ich die Themas der Stücke her…“

(Wien, 28. März 1809)

Sollte wirklich, wie Beethoven vermutet, Breitkopf & Härtels Wiener Verlagskommissionär Wagener versucht haben, ein eigenes Elaborat unter die ihm zur Weitersendung anvertrauten Manuskripte zu schmuggeln und durch diese Hintertüre zu erschlichenem Komponistenruhm zu gelangen, wäre das wirklich eine Eulenspiegeliade, für deren naive Unverfrorenheit allein dem guten Mann schließlich doch ein kleines Stück Unsterblichkeit gebühren würde.

Auch die Widmung des Opus 70 war nicht frei von Komplikationen. Beethoven hatte die beiden Werke wahrscheinlich gerade beendet, als er im Herbst 1808 aus seinem langjährigen Quartier im Pasqualati-Haus auf der Mölker-Bastei in die Stadtwohnung seiner Gönnerin und Freundin, der Gräfin Marie von Erdödy, in dier Krugerstraße übersiedelte. Als eine Art Einstandsgeschenk hatte er ihr offenbar die neuen Trios zugedacht. Als es jedoch zwischen den beiden bald darauf (wahrscheinlich im März 1809) wegen Beethovens übersteigerter Reizbarkeit zu einem kurzfristigen Zerwürfnis kam, und der gekränkte Meister das Quartier wechselte, versuchte er beim Verleger noch in letzter Minute eine Änderung der Dedikation zugunsten von Erzherzog Rudolph zu erreichen, wozu es aber offensichtlich schon zu spät war. Wahrscheinlich hatte Beethoven Erzherzog Rudolph von dieser Absicht unterrichtet, und mithin könnte diese Episode der unmittelbare Anlaß für die Widmung von Beethovens letztem Klaviertrio op.97 an Erzherzog Rudolph sein ( – wodurch wieder einmal ein Trio zu einem publikumswirksamen Markennamen gekommen wäre…).

Wahrscheinlich spiegeln diese mannigfaltigen Verwirrungen ein wenig auch die gereizte und hektische Atmosphäre der napoleonischen Kriege wieder. Von all dem ist aber im Werk selbst nichts zu hören – die reife Sammlung und überlegene Ausgewogenheit des Es-Dur-Trios sind wahrlich bewundernswert.

Das Poco sostenuto des Beginns verwendet ein kanonisch durchgeführtes Motiv zur Eröffnung. Diesem improvisatorisch wirkendem Anfang liegt die harmonische Fortschreitung des späteren Hauptthemas (Allegro ma non troppo, Es-Dur) zugrunde. Daher wäre es nicht richtig, in diesem eröffnenden Abschnitt einfach eine langsame Einleitung zu sehen – zu eng sind seine Bindungen an das folgende Geschehen: es dient sowohl in der Exposition als auch in der Reprise als Bindeglied zwischen Haupt- und Seitensatz und kehrt zudem noch als Coda in seiner ursprünglichen Gestalt wieder. Der edle Schwung des eigentlichen Hauptthemas wirkt womöglich noch faszinierender, wenn man es mit seiner infantilen Urgestalt, dem Kopfthema des letzten Satzes aus Beethovens frühem Es-Dur-Trio (WoO 38, 1790/91), vergleicht. Solche über lange Zeiträume sich erstreckende allmähliche Metamorphosen vom Gewöhnlich-Banalen zum Einmalig-Genialen, die bei Beethoven ja keine Seltenheit darstellen, sind vielleicht geeignet, unsere Vorstellungen von „Einfall“ und „Eingebung“ etwas zu relativieren. – Das Kronjuwel des Satzes ist wohl der Wiedereintritt der Reprise, die wie aus Versehen in Des-Dur beginnt und innerhalb eines einzigen Taktes in die „richtige“ Tonart Es-Dur zurückfindet – ganz ohne Gewalttätigkeit, aber auch ohne „Gelehrtheit“: einfach traumwandlerisch.

Mit den beiden Mittelsätzen beschreitet Beethoven einen Weg, auf dem Brahms ihm später mit Vorliebe folgen sollte: die Abfolge von langsamem Satz und Scherzo wird ersetzt durch ein Diptychon aus zwei Sätzen nahezu identischen Tempos, aber komplementären Charakters. Hier handelt es sich um ein Allegretto (C-Dur/c-moll) in Form von Doppelvariationen, die um die beiden Pole zierliche Anmut und grimmige Entschlossenheit kreisen, und um ein liedhaftes Allegretto ma non troppo (As-dur), das uns vor allem in seinem Trio ganz auf Schubertsches Terrain führt. Die traumhafte und zärtliche Verhaltenheit dieses Satzes läßt den überbordenden Elan des Finales (Allegro, Es-Dur) umso wirkungsvoller hereinbrechen. Czerny will wissen, daß Beethoven für das G-Dur-Seitenthema dieses Satzes ebenso wie für den Durteil des zweiten Satzes auf Anregungen durch in Ungarn gehörte kroatische Volkslieder zurückgegriffen habe. Diese Feststellung kann sich wohl nur auf den rhythmischen Gestus der beiden in Frage stehenden Themen beziehen – alles andere an ihnen ist – im besten Sinne des Wortes – pure Kunst. Besonders bewundernswert ist die Subtilität, mit der Beethoven sich die Dynamik der für das Seitenthema gewählten Mediante als Konstruktionsprinzip zunutze macht: weil dem ausgedehnten G-Dur-Passus der Exposition in der Reprise ein ebenso großflächiger C-Dur-Abschnitt entspricht, ergibt sich die dramaturgische Notwendigkeit einer Art „zweiter Reprise“ des Seitenthemas auf der Tonika, in der nun bisher ausgesparte Möglichkeiten der Instrumentation und Charakterisierung eingesetzt werden. Diese hier wie an Dutzenden anderer Stellen erkennbare raffinierte Balance zwischen unmittelbarer Vitalität und meisterlichem Kalkül machen diesen Satz zu einem der Höhepunkte der gesamten Klaviertrioliteratur.

© by Claus-Christian Schuster