Zykan: g-kettet (1996)

Otto M. Zykan

* 29. April 1935

g-kettet (1996)

Komponiert:Wien, September 1995 bis Februar 1996
Widmung:Altenberg Trio Wien
Uraufführung:Wien, Musikverein/Brahms-Saal, 2. Dezember 1997, Altenberg Trio Wien
Claus-Christian Schuster, Klavier
Amiram Ganz, Violine
Martin Hornstein, Violoncello
Erstausgabe:Manuskript

Zykans viersätziges Klaviertrio ist eine Art Kompendium kammermusikalischer Kompositionshaltungen: es gibt hier die skizzenhafte Miniatur, den monumentalen Sonatensatz, das ensemblistisch begleitete Solostück und zuletzt den großräumigen, aber leichtgefügten Tanzsatz. Für die nicht verbindlich festgelegte Satzfolge des Werkes ist die (sich in den Proportionen des Werkes ebenso wie in seiner Benennung widerspiegelnde) Hegemonialstellung des zentralen „Sonatenhauptsatzes“ von entscheidender Bedeutung. Die von uns gemeinsam mit dem Komponisten für die Uraufführung gewählte Dramaturgie nimmt Bezug auf die umgebenden Werke.

Abschied ist ein impressonistischen Techniken verpflichtetes, verletzliches Klanggewebe, ein musikalischer Aphorismus. Die Seidentücher wehen im Fahrtwind, während der Zug sich langsam in Bewegung setzt – das Bild würde recht gut in das Musée d´Orsay passen.

In einer völlig anderen Welt finden wir uns „G“-kettet wieder. Das namengebende Herz- oder vielmehr Hauptstück des Werkes ist ein kompositorischer Kraftakt von beeindruckenden Dimensionen und Ambitionen. Der Fin-de-siècle-Duft ist längst verweht, wir sind im Maschinenhaus einer auf Hochtouren laufenden Denk- und Konstruktionsmaschine. Der Komponist, der als sein charakteristischstes Stilmittel einmal die „gestische, theatralische Verbosität“ nannte, hat diesen Satz selbst erläutert.
Da die Bevorzugung der „Verbosität“ eine gewisses Mißtrauen gegenüber dem in der schriftlichen Fixierung erstarrten Text miteinschließt, eine Äußerung dieser Art bei Zykan also eine ganz seltene Ausnahme darstellt, haben wir uns entschlossen, diese Selbstanalyse in extenso abzudrucken.
Eine Besonderheit dieses Kommentars ist, daß er das musikalische Geschehen von zwei weit auseinander liegenden Gesichtspunkten aus betrachtet: einmal aus einem technisch-analytischen, und dann aus einem gestisch-dramatischen Blickwinkel. (Der Paralleldruck im Programmheft soll das Verständnis soweit erleichtern, wie es bei einer auf eine ungedruckte Partitur bezugnehmenden Analyse nur möglich ist.)
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Otto M. Zykan
„G“-kettet
(Die Analyse)


Eine 7-Tonreihe, gebildet aus der Intervallreihe, die den Eröffnungsakkord formuliert, liegt dem Motivcharakter 1 zu Grunde, der bis T. 64 reicht. Das Auftreten der restlichen 5 Töne (die in T. 64 eine neue Struktur zu etablieren versuchen) wird quasi vorangekündigt ab T. 54, da die parallel verlaufenden Stimmen im Terz- und Quintabstand zwingend alle Töne benötigen. Tatsächlich aber haben sie in diesem Gefüge kaum einen Eigenwert, sind nur Teil eines Klangfarbenregisters.
Nach dem Eröffnungsschlag klingt „G“ weiter. „G“ ist die bestimmende Achse dieses Satzes („G“-kettet). Immer wieder gruppiert, spiegelt sich der Tonhöhenverlauf um diesen Ton. Er ist aber auch (Schein-) Dominante zu „C“, da sich für den Zuhörer auch ein diatonisch simuliertes Spannungsfeld assoziativ ergeben soll.
Die im weiteren Verlauf erkennbare Gewichtigkeit von „C“ ist in diesem Anfangsabschnitt auch daran ablesbar, daß der jeweils dem C nachfolgende Ton des Klavierparts im Sinne der 7-Tonreihe geordnet ist, während die übrigen Tonfolgen „frei“ gewählt sind, was also auch bedeutet, daß durchaus Töne wiederholt werden, noch ehe die Reihe „abgespult“ ist.
Mit dem Einsatz einer Gegenstimme in T.12 wird eine 7/8-Episode „eingetanzt“ (3/8 und 4/8 Abstände alternierend), die sich dann in T.16 – die 7-Tonreihe „ordnungsgemäß“ und ganztaktig phrasierend – einstellt. Sie bringt kurzfristig ein wenig Bewegung in die Streicherstimmen, die bis dato noch nicht wirklich in das Geschehen eingegriffen haben.
Das „stolpernde“ Metrum wir auch in T.23 aufrechterhalten. Die aus dem Continuum ausbrechende Oberstimme des Klaviers signalisiert die Terzen- und Dreiklangsdominanz als wesentlichen Baustein des gesamten Stückes.
In T.33 „emanzipieren“ sich Violine und Cello von untergeordneten Pedalton-Funktionen und gliedernder Akzentuierung. Die 7/8-Gliederung aufrechterhaltend täuscht die Violine ein DUR/MOLL-Szenario vor, während das Cello aus einer Dreiklangsreihe zitiert, die sich aus der 7-Tonreihe bildet, aber auch der technischen Ausführbarkeit am Cello verpflichtet ist.
Der in T.43 einsetzende 7/8-Abschnitt gibt dem Cello Gelegenheit zu einem (strukturverändernden) „Melodieansatz“, dessen Töne sich in jene sich stetig verlängernden Pausen der Violinstimme zwängen (wie das später noch öfter vorkommen wird), die dadurch entstehen, daß die Violine die 7-Tonreihe in sich verkleinernden Gruppen in Richtung „G“ (über c, e, g) ausfiltert, um sie dann (ab T.49) zum „B“ hin (das als Leitton zum wiederkehrenden „C“-Teil fungiert) auszufiltern.
Dieser anschließende Teil nimmt den Anfang des Stückes wieder auf: Unterstimme im Klavier. Hinzugefügt werden parallel verlaufende Stimmen im Terz- und Quintabstand (Durdreiklänge), die, wie erwähnt, nur eine Klangfarbenanreicherung darstellen. Das Cello nimmt seine Akkordreihe wieder auf, die die 7/8-Metrik nachklingen läßt (s. unterschiedliche Einsatzabstände).
In T.64 stehen die (erstmals prominent exponierten) restlichen 5 Töne im Dienste eines weiteren Versuchs, die (be)herrschende Motorik zu durchbrechen, was nicht wirklich gelingt. Der selbstgefällige Achtelnoten-Spielfluß ist aber doch so weit gebrochen, daß in T.73 eine andere Struktur sichtbar wird. Die Tonfolgen sind nicht mehr von den beiden Tonreihen bestimmt, sondern von (alle 12 Töne umfassenden) Entsprechungspaaren, wie sie sich durch Spiegelung um einen Ton zwingend ergeben: so spiegelt sich das Geschehen ab T.74 um die Achse „G“. (Das sind in diesem Falle die Paare: cis/cis, d/c, dis/h, e/b, f/a, fis/gis).
Anschließend wird um die Achse „B“ (T.80), „E“ (T.83), „C“ (T.85) und „D“ (T.87) gespiegelt. Der Achsenwechsel ist gekoppelt mit Veränderungen der Tonraumweite.
Darüber hinaus verengen sich die (Ton-)Einsatzabstände im Abschnit TT.73-87. So trennt die Töne des Abschnitts TT.74-80 (wie sich an der Cellostimme leicht ablesen läßt) die Dauernfolge 1,2,3,2,1-Achtel. Ab T.80: 2,1,0,1,2-Achtel. Ab T.83: 1,0,1-Achtel. Ab T.85: 0-Achtel-Abstand. Das bricht neuerlich die Stereotypie der Motorik, simuliert einen Beschleunigungseffekt und nimmt (TT.83-85) „rhythmische Gestalt“ an.
Noch einmal drängt sich (in T.89) das 7-Tonreihen-Ostinato (Unterstimme des Klaviers) ins Geschehen, während die Violine mit den (neu erworbenen) Entsprechungspaaren kontrapunktiert.
In T.98 etabliert sich nun eine neue Struktur: Eine von der Violine vorgetragene Melodie stützt sich wesentlich auf das Intervallreihenprinzip (Intervallschritte wiederholen sich erst, wenn alle Intervalle durchlaufen sind), das schon den Eröffnungsschlag bestimmt hat (z.B.: T.102 – kleine Sekunde, Tritonus, große terz, große Sekunde, Quart, kleine Terz).
Cello und Klavier agieren unverkennbar in Begleitfunktion. Das Cello hat in seiner Akkordreihe inzwischen jene Position erreicht, die am Baßton „Cis“ aufgebaut wird. Das vermittelt zusätzlich den Eindruck einer harmonischen Rückung (im Verhältnis zum vorangegangenen Teil auf „C“), die den teil mitbestimmend prägt.
Kurze Sechzehnteleinwürfe (sie zitieren die 7-Tonreihengruppen der Cello-Akkordreihe) stehen für Rückerinnerung an Motivstruktur 1, die noch nicht überwunden scheint und sich anschließend tatsächlich wieder (als aufschiebender Unterbrecher) zwischen TT.130-160 schiebt.
Die „brutale Penetranz“ dieses Abschnitts fußt darauf, daß sich die Klavierpartgruppen – sie sind bis T.144 durch sich vergrößernde und anschließend wieder rückläufig durch sich verkleinernde Pausenabstände getrennt – akkumulierend auftürmen (1 / 1,2 / 1,2,1,2,3 / usw.)
In T.160 endlich hat man nicht nur den Anschluß an die Seitensatz-Struktur (TT.98-130) gefunden, sondern darf annehmen, daß der hämmernde Hauptdarsteller vorerst ausgedient hat.
Anders als im Abschnitt TT.98-130 emanzipiert sich nun auch das Cello zum anteiligen Melodieträger, während das Klavier eher gestaltlos – in der Intervallreihe ge- und befangen – das Feld als dominierende Kraft verläßt.
Spätestens in T.173 ist die neue Allianz Violine/Cello unter anderem daran erkennbar, daß die Violine (sich in ein labiles Begleitgefüge begebend, in dem eine gleichförmige rhythmische Gestalt ihr verfügbares ungleichzähliges Tonmaterial – auf der Achse „D“ – in einer Art Stafette weitergibt) wieder Schlupflöcher läßt, die das Cello zum langsamen Aufbau einer sentimentalen Melodie nützt. Die anfängliche Ähnlichkeit zum 3. Satz ist unverkennbar. So fügt sich langsam auch das Klavier (die beiden Töne „H“ und „D“ aus der Begleitfigur des 3. Satzes zitierend) in das neue Geschehen. Unüberhörbar ist aber die nervöse Unruhe, die sich in einer eckenden, unrunden rhythmischen Abfolge äußert: die sich stetig verkürzende 6/8-Sequenz der Klavieroberstimme landet in T.182 zwingend wieder in Sechzehntelbewegung. Das im Pizzicato begleitende Cello (in T.184 über 5 verschieden Töne, in T.185 über 6 Töne, in T.186 wieder über die ganze 7-Tonreihe verfügend), bricht mit den „restlichen 5“ in jene reihenfreie Melodie von Saint-Saëns auf, die das Klavier übrigens in der Unterstimme ab T.173, versteckt bezugnehmend auf die Struktur in T.12, antizipiert hatte.
Das Klavier spinnt (wenn auch in begleitender Funktion zum führenden Cello) die Sechzehntelbewegung weiter.
Ausgehend von der Halb-/Ganztonreihe in T.190 der Klavieroberstimme (sie artikuliert wieder vorwegnehmend ein Motiv aus dem Schwan-Zitat, nämlich T.202 und T.212 der Cellostimme), die das Vorhergehende eher gestaltlos auslaufend abzuschließen scheint, setzt ein organisierter Zerfallsprozeß in der Form ein, daß sich in jeder der (durch organisierte Pausenzeiten getrennten) Gruppen die Anzahl der Anschläge zwar vergrößert (von 10 Anschlägen in T.191 bis zu 17 Anschlägen in T.199/200), sich aber gleichzeitig je ein Zweiklang pro Gruppe einschleicht (das Pferd von hinten aufzäumend), der die doppelte Zeiteinheit beansprucht. Die sich so ausbreitende Blockierung der Sechzehntelgeschwätzigkeit lähmt diese unüberhörbar. Ab T.197/198 vergrößern die Sechzehntel freiwillig ihren Zeitwert (Achteltriolen statt Sechzehntel). In T.200 hat der inzwischen zum Viertelwert angewachsene Zweiklang alle möglichen Positionen besetzt. Motivstruktur 1 ist auch als Nostalgie endgültig ausgedünnt.
Die Unterstimme des Klavierparts, in T.190 noch mit auftrumpfenden Triolensforzati Unabhängigkeit signalisierend, fügt sich dem Machtwechsel schneller und geschmeidiger. Schritt für Schritt wird sie sogar zum tragenden Fundament der beiden anderen Stimmen entwickelt.
Der anschließende, zart gewebte (sich auf „G“ spiegelnde) Abschnitt artikuliert sich über Zeitwertreihen. Die Notenwerte ordnen sich in 3 Gruppen, wobei die Sechzehntel für einen „zeitlosen“ Vorschlag steht: beginnend in T.219 der Klavieroberstimme – I) 4,6,2,6,4 Achtel II) 2,4,6,4,2 Achtel III) 6,2,4,2,6 Achtel. Die Unterstimme (ebenfalls Zeitwertreihen einsetzend) verwendet die Reihe der auf „G“ gespiegelten Entsprechungspaare. Ab T.232 verkürzen sich die Gruppen. (Der 6/8-Wert wird durch den Wert 1 ersetzt.) Der in T.238 einsetzende Nachsatz summiert drei Achsenpaare („G“, „A“, „F“).
In T.244 setzt ein abschließender Teil ein, der (– gäbe es eine sich klar abzeichnende Exposition, einer Reprise nicht unähnlich – ) die Motive und Strukturen des gesamten Stückes über- und nebeneinander stellt. Kein Takt gleicht dem anderen, die drei Instrumente agieren eher gegen- als miteinander. Die Violine (vorerst die „restlichen 5 Töne“ einsetzend) bemüht sich mit wenig Erfolg um eine Hauptstimme, die dem Chaos Orientierung geben sollte.
Das Klavier (nachdem es vorerst unüberhörbar und plakativ die 7-Tonreihe aufgerufen hat und dann, ab T.249, auf die Cello-Akkordreihe umgesetzt hat) befleißigt sich zusammen mit dem Cello einer reihenmäßig angeordneten Anschlagsdichte pro Takt. So reduziert sich z.B. die Anschlagszahl im Klavier von 7 in T.258 auf 1 in T.264, um sich dann wieder von 1 in T.265 auf 7 in T.271 zu steigern. Immer dann, wenn sich der Baßton der verwendeten Reihe im Klavier ändert, wird eine Oktaven-Sechzehntelpassage eingeschoben, die jene Reihengruppen verwendet, die den Cellosaiten zugeordnet sind; der Einfluß dieser Sechzehntelpassagen auf die Anschlagdichte bleibt unberücksichtigt.
In der Coda (ab T.273) saugt die Klavierunterstimme Akkordkonstellationen zu Ungunsten der Achtelbewegung an, während die Cellostimme umgekehrt Achtelbewegung zu Ungunsten ihrer Akkordkonstellationen anzieht. Das Cello, in T.281 endlich in voller, akkordfreier, fließender Bewegung, stürmt, seinen Tonraum stetig verengend, auf das abschließende „G“ zu, das die Violine schon vorher erreicht hat und in einer vielfältigen rhythmischen Anordnung zu halten versucht, während das Klavier in wechselnden Konstellationen einen Schlußakkord mit den Tönen der 7-Tonreihe anpeilt.

„G“-kettet
(Die Geschichte)


Zu schnell für die längere Einschwingzeit der Streichertöne hat das Klavier nach dem Eröffnungsschlag die Initiative an sich gerissen. Lauernd auf der Suche nach einer Einstiegsmöglichkeit verharren die Streicher auf dem „G“. Der Umstieg auf „C“ in T.12. läßt nur kurze Hoffnung aufkommen. Zu wenig originell ist die vorgetäuschte Dominant/Tonika-Wirkung, zu ablenkend das Angebot der neu auftretenden Gegenstimme im Klavier. Mit ihr wird eine 7/8-Metrik eingetanzt, die ab T.16 für kurze Zeit tatsächlich in Erscheinung tritt und den Streichern ein wenig Bewegungsfreiheit gewährt. Auch dieses Glück ist kurz! Der simple Rückzug der Violine auf einen anderen ausgehaltenen Ton und das beschämend entscheidungslose Tritonusgetorkel des Cellos lassen keinen Zweifel, daß das Klavier vorerst nicht geneigt scheint, das Stück als TRIO zu betrachten.
Wie immer: nichts macht lange Lust, und schon gar nichts, das du alleine tust. So, als hätten sie sich abgesprochen, drängen Violine und Cello schlauerweise gleichzeitig ins Geschehen. Loyal (möglicherweise aber auch nur, weil sie noch nichts Eigenständiges anzubieten haben) zitieren sie wechselweise das vom Klavier vorgegebene Material; lassen aber schon erkennen, daß sie nicht weiter gewillt sind, als begleitende Pedaltöne für eine sich langsam erschöpfende Perkussionsmotorik des immer fragwürdiger werdenden Klavierparts zu fungieren.
Die Violine gibt dem Cello Gelegenheit zu einem „Melodie-Ansatz“ (T.43-45). Das Cello nütz die von der Violine zur Verfügung gestellten, sich vergrößernden Pausenabstände für eine sich steigernde und an Anschlägen sich ausweitende Melodielinie, die freilich noch unrund, hektisch und ungelenk das Rampenlicht sucht.
Noch einmal scheint der Klavierpart zu triumphieren, da sich die Violine sogar in einen Parallel-Lauf hineinziehen läßt. Das Cello jedoch verfolgt mit unnachgiebiger Konsequenz die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges „seiner“ Akkordreihe und kann Erfolge seiner subversiven Zersetzung verbuchen: das anschließende Abschnitt (T.64) läßt erkennen, daß nun Sand ins Getriebe des allzu unbehinderten Achtellauf-Selbstverständnisses geraten ist. Es zerbricht unter den Schlägen der vom Cello ins Spiel gebrachten Akkordstruktur!
Selbstbewußt tummeln sich Pizzicati und Tremoli, ein deutlich überzeugenderer Melodiebogen als zuletzt in T.43 läßt das Cello aufhorchen machen, ja geradezu subjektiver Gestaltungswille von tänzerischer Anmut (TT.83-89) degradieren den trillernden Klavierpart zum hudelnden Vollzugsorgan nacheilenden Gehorsams. „Ist die Not am größten, ist der Triller am nächsten.“
Der anschließende kurze Teil (TT.89-98) könnte noch einmal als kleine Ehrenrettung für das Klavier gewertet werden, ist aber nicht viel mehr als ein elendes „Sich-aus-dem-Staub-Machen“.
Stolz setzt sich nun die Violine in eine neue Tonalität, in ein neues Tempo, in einen neuen Charakter ab und dominiert uneingeschränkt seine Mitspieler.
Prinzipiell, aber nicht sklavisch der Intervallreihenkonzeption des Komponisten folgend, singt sie in wechselvollem Auf und Ab die Melancholie des um seine Grenzen besorgten Wissenden…
Das Klavier, sich vorerst anbiedernd dem Cello unterwerfend, verliert – im weiteren Verlauf auch dazu außer Stande – zunehmend jede Orientierung und Selbstachtung.
Ein Abbild des zu spät seine Grenzen erkennenden Ahnungslosen? Mitnichten! Gerade als der Klavierpart den Eindruck von völliger Beliebigkeit zu machen scheint, und jede Berechenbarkeit der rhythmischen Struktur verloren geht, scheint es in T.124 wieder an Kontur zu gewinnen , um sich wieder in jene perkussive Motorik zu flüchten, die für dieses Instrument wohl typisch, für den Zuhörer inzwischen aber wenig ersprießlich ist.
So wäre es an sich auch der Wunsch des Komponisten gewesen, die TT.130-160 zu überspringen. Tatsächlich aber meldete sich, nach überprüfendem Abhören, die Erinnerung an den bisher bestimmenden Charakter des ersten Teiles so deutlich zurück, daß dem Rechnung zu tragen war. So erleidet man eben ab T.130 eine Tunnelfahrt von befremdender Penetranz. In T.160 endlich hat man nicht nur Anschluß an die Seitensatzstruktur von TT.8-130 gefunden, sondern darf annehmen, daß sich der hämmernde Hauptdarsteller endlich ausgetobt hat.
Ander als im Abschnitt TT.98-130 emanzipiert sich nun auch das Cello zum anteiligen Melodieträger und treibt, in harmonisiertem Duett mit der Violine, das in Forte-Triolen nachpolternde Klavier in die Statistenrolle.
Spätestens in T.173 ist die endgültige Allianz Violine/Cello unter anderem daran erkennbar, daß die Violine (sich in ein labiles Begleitgefüge begebend) wieder Schlupflöcher läßt, die das Cello zum langsamen Aufbau einer sentimentalen Melodie nützt. Die anfängliche Ähnlichkeit zum 3. Satz ist unverkennbar. Die Sehnsucht danach ist verständlich. Auch der Komponist konnte nur mit Mühe der Verlockung widerstehen, hier den 3. Satz einfließen zu lassen. Den bis zu diesem Punkt hin gediehenen 2. Satz nun aber zum Vorspiel des 3. Satzes verkommen zu lassen, stand für ihn schon aus Gründen der Ökonomie nicht zur Diskussion.
So fügt sich langsam auch das Klavier – die exorbitante Tonauswahl jener zwei Töne des 3. Satzes zitierend – in das neue Geschehen. Unüberhörbar ist aber die nervöse Unruhe/Abgeneigtheit, die sich in der eckenden rhythmischen Abfolge äußert, die dem an sich unschuldigen Pianisten Kummer bereiten dürfte.
Ein uneigennütziger Beitrag des Klaviers: in seiner Unterstimme (TT.174-184) ist jenes Motiv antizipierend angedeutet, das wenig später das Geschehen prägend gestalten wird und schon viel früher von jemandem anderen erfunden wurde. Daß auch in diesem Abschnitt das Klavier einen kurzen Sechzehntelrückfall anlaufen läßt, könnte noch nostalgischer Wehmut zugeordnet werden. Die Grenze der Aufdringlichkeit dürfte allerdings schon in T.190 wieder überschritten sein, in dem die Klavierstimme den an sich löblichen Versuch einer Verschränkung des Vorangehenden mit dem Nachfolgenden letztlich dazu mißbraucht, in einer Situation auf Selbstdarstellung zu pochen, in der es gelten sollte, die ungebrochene Schönheit von Saint-Saëns´ „Schwan“, den nun das Cello vorzutragen sich anschickt, begleitend zu dekorieren.
Wie immer: die Art und Weise, wie sich die Sechzehntelbewegung schließlich der Übermacht der Mit-Stimmen beugt und sich verlegen aus der Szene verabschiedet, hat etwas Rührendes und Respektables und sollte in der beiliegenden genaueren Analyse nachvollzogen werden.
Die in T.190 vorerst noch mit auftrumpfenden Triolensforzati Ignoranz signalisierende Baßlinie der Klavierstimme fügt sich dem Machtwechsel schneller und geschmeidiger, als man annehmen sollte. Die Deplaziertheit der nachpolternden Sforzati kann verziehen werden angesichts der Geschmeidigkeit, mit der die Baßlinie sich Schritt für Schritt zum tragenden Fundament der beiden anderen Stimmen emanzipiert.
Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit muß allerdings der Wiedereinsatz der Klavieroberstimme in T.212 als eine Anpassung gewertet werden, die – mit dem anschließenden Abschlußchoral den guten Geschmack verlassend – verletzt.
Der nachfolgende zart gewebte Abschnitt könnte Wehmut, Versunkenheit oder sogar Resignation bedeuten, wozu wie Klavierstimme jede Menge Gründe böte. Darüber, ob es sich um ein Zwischenspiel, einen zentralen Achsenpunkt und Mittelteil, ein Vorspiel zur unvermeidlichen Reprise oder gar nur um ein Gastspiel eines irrtümlichen Computer-Einfügevorganges handelt, konnte der Komponist sich nicht zwingend klar werden. Üblicherweise ist es ein Teil, in dem das Publikum zu husten beginnt, und zumindest dadurch funktional gerechtfertigt.
Die auf den Beginn des Stückes zurückgreifenden , von den Streichinstrumenten vorgetragenen Rahmentöne „G“ haben nichts mehr von der lauernden Ausgeliefertheit des Anfangs. Sie sind jetzt ein mitfühlender Beistand, eine energiespendende Leitschiene für eine Klavierepisode, die zaghaft, verloren, in sich kreisend, stolpernd sich umtut auf der Suche nach Rechtfertigung.
Jäh, noch ehe sich diese Rechtfertigung hätte einstellen können, bricht in T.244 ein Schlußteil an, den man am ehesten als „verzweifelte Reprise“ bezeichnen könnte. Jede Rücksicht, jedes Aufeinander-Reagieren verweigernd, prallen die unterschiedlichsten Interessen aufeinander. Man hat nichts voneinander gelernt. Jeder gegen jeden, und alle gegen die Zuhörer…
Da kippt das Klaviergehämmer ungebremst in seine ausgeleierten bahnen, versucht sich die Violine in kläglich untypischen und schlecht klingenden Oktavformationen als führende Stimme, sägt das Cello an seiner Akkordreihe und der Versuchung, einen Status simpler, nachbetender Emphase als Weltnachricht zu verkaufen. Und doch scheinen sie alle gegängelt, einem Sog ausgeliefert, der sie spätestens in T.281 in jenes „G“ münden läßt, dem sie sich – wenn auch nur aus Ratlosigkeit – am Beginn des Stückes sorglos anvertraut hatten.
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Das Nachtstück für ein Schiff wurde ursprünglich für Heinrich Schiff geschrieben und verdankt seine Existenz wohl in erster Linie Zykans Lust an der paradoxen Formulierung: übersättigt mit dem Anblick der Partituren traditioneller Cellostücke, bei denen einem Notenozean der Klavierstimme ein dünner Melodiefaden im Cello gegenübersteht, wollte der Komponist ein graphisches Gegenbild dazu entwerfen. So entstand ein Stück, bei dem die Cellostimme durchgehend auf zwei Notensystemen notiert ist, während der Klavierpart (nur aus den Noten „H“ und „D“ bestehend) sich mit einem Notensystem begnügen muß – und eigentlich überhaupt die Mühe der Notation nicht lohnt. Die nachträglich für die Triofassung hinzugefügte Geigenstimme reflektiert das Geschehen in irrealen Flageoletts.
So, als wollte die Cellostimme vorerst nur das Terrain abtasten, umspielt sie vorsichtig die unverrückbar stoische Wellenbewegung der Klavierstimme. Im weiteren Verlauf an Kontur gewinnend, erreicht sie die Höhen einer sentimentalen Rückbesinnung auf Schubert und andere vergangene Schönheit…, – zwingt das Klavier sogar zu einer zusätzlichen kontrapunktierenden Baßlinie, um sich schließlich wieder resignierend zu verlieren. Die ironische Wehmut dieses Satzes wird durch die unüberhörbare Präsenz zweier „Easy Listening“-Ikonen (Schuberts „Ständchen“ und Saint-Saens´ „Schwan“), auf die man in einer Zahnarztpraxis weit besser vorbereitet wäre als in diesem Ambiente, auf raffiniert-doppelbödige Weise betont.

Nach diesem isoliert zwischen den zusamengehörigen Sätzen stehenden Intermezzo ist bewegtenendes ein Gegenstück zu dem athletischen 2. Satz. Ziellos verebben hier die Nachschwingungen der dort ausgelösten Erregung. Der Schwere und dem Druck, die dort das musikalische Material unablässig kneteten und verformten, steht hier eine schwerelos tänzerische Haltung gegenüber, die wohl Kapriolen und temperamnetvolle Sprünge zuläßt, aber nichts zerschlägt und nichts angreift. Vielleicht drückt sich in diesem lyrischen, fast scheuen Schattenbild die Skepsis des Komponisten gegenüber dem monumentalen Werkbegriff unseres Kulturerbes aus, zu dem er selbst eben noch nolens volens mit „G“-kettet einen irritierenden Beitrag geleistet hat?

© by Claus-Christian Schuster