Mozart: Trio (Terzett) G-Dur KV 564

Wolfgang Amadeus Mozart

* 27. Jänner 1756
† 05. Dezember 1791

Trio (Terzett) G-Dur KV 564

Komponiert:Wien (Währinger Straße 26, Gartenhaus), beendet am 27. Oktober 1788
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Artaria, Wien, Oktober 1790

„…Wenn Sie vielleicht so bald nicht eine Solche Summa entbehren könnten, so bitte ich sie mir wenigstens bis Morgen ein paar hundert gulden zu lehnen, weil mein Hausherr auf der Landstrasse so indiscret war, daß ich ihn gleich auf der stelle ( um ungelegenheit zu vermeiden ) auszahlen musste, welches mich sehr in unordnung gebracht hat! – wir schlafen heute daß erstemal in unserem neuen quartier, alwo wir Sommer und winter bleiben; – ich finde es im grunde einerley wo nicht besser; ich habe ohnehin nicht viel in der stadt zu thun, und kann, da ich den vielen besuchen nicht ausgesezt bin, mit mehrerer Musse arbeiten; – und muß ich geschäfte halber in die stadt, welches ohnehin selten genug geschehen wird, so führt mich Jeder fiacre um 10 x: hinein, um das ist auch das logis wohlfeiler, und wegen frühJahr, Sommer, und Herbst, angenehmer – da ich auch einen garten habe. – Das Logis ist in der waringergasse, bey den 3 Sternen N:o 135.“

Die Übersiedlung, die Mozart seinem Logenbruder Michael Puchberg am Mitte Juni 1788 mit diesem Brief anzeigt, ist äußeres Zeichen der kontinuierlichen Verschlechterung seiner Lage: schon im April hatte er den herrschaftlichen Haushalt im „Figaro-Haus“ aufgeben müssen. Wenige Wochen zuvor hatte Joseph II. als Verbündeter Rußlands dem Osmanischen Reich den Krieg erklärt, ein in jeder Hinsicht unglücklicher Schritt, dessen absehbares Scheitern auch die allgemeine Wirtschaftslage deutlich verschlechterte. Die dadurch heraufbeschworene Krise zwang sogar den Adel zu Sparmaßnahmen, und darunter litt naturgemäß das Wiener Musikleben. Der in krassem Gegensatz zu dem Prager Triumph des Vorjahres stehende Mißerfolg der Wiener Erstaufführung des „Don Giovanni“ (7. Mai 1788) ist so besehen nicht ausschließlich auf den schlechten Geschmack der Wiener zurückzuführen. Was Mozarts persönliche finanzielle Probleme anlangt, so waren, neben einer in manchem wahrscheinlich allzu aufwendigen und luxuriösen Haushaltsführung, vor allem Constanzes Krankheit und die dadurch notwendigen Kuren eine zusätzliche Belastung. Immer wieder und in immer kürzeren Abständen muß Mozart sich mit der Bitte um finanzielle Unterstützung an Puchberg wenden, der ihn fast nie enttäuscht. Zu der materiellen Misere kommt persönliches Leid: knapp zwei Wochen nach der Übersiedlung auf den Alsergrund stirbt Mozarts gerade sechsmonatige Tochter Theresia.

Mozarts Hoffnung, „mit mehrerer Musse arbeiten“ zu können, hat sich aber all diesen tragischen und widrigen Umständen zum Trotz in wunderbarer Weise bestätigt: schon in den ersten zwei Monaten entstand im neuen Quartier die Triade der letzten Symphonien – ein Leistung, deren konzentrierte Dichte in der Musikgeschichte vielleicht nur noch in der Entstehung von Schuberts letzten drei Klaviersonaten erreicht wird; gleichzeitig komponiert Mozart auch die Klaviersonate C-Dur KV 545, die letzte Violinsonate (F-Dur, KV 547) und die beiden Klaviertrios E-Dur (KV 542) und C-Dur (KV 548). Als Epilog zu dieser überreichen Sommerernte sind die beiden nach einer kurzen Pause im Herbst komponierten Trios zu betrachten: das sechssätzige Streichtrio Es-Dur (KV 563) und das letzte Klaviertrio (G-Dur, KV 564). Waren schon im Sommer die Kammermusikwerke zwischen den monumentalen Symphonien gleichsam in Momenten der Entspannung entstanden, so darf man in KV 564 in übergreifenderem Sinne ein Postskriptum zu dem überreichen Gesamtwerk dieser kritischen Monate sehen. Wie schon in der C-Dur-Klaviersonate („eine kleine klavier Sonate für anfänger“) und der F-Dur Violinsonate („eine kleine klavier Sonate – für Anfänger mit einer Violin“) sind die technischen Ansprüche in Hinblick auf häusliches Musizieren ( – etwa mit Michael Puchberg – ) niedrig gehalten, wenn auch das Klaviertrio in seinem ersten Satz einen deutlich konzertanteren Ton aufweist als die beiden Sonaten. Das Autograph legt die Vermutung nahe, daß das Werk ursprünglich als Klaviersonate konzipiert war und erst nachträglich zum Klaviertrio umgearbeitet wurde.

Das Allegro spielt in gelöstester und glücklichster Manier mit dem Motiv einer fallenden Terz – wie ein quasi monothematischer Satz unter Aussparung dramatischer Komplikationen so abwechslungsreich und fesselnd sein kann, ist ein beglückendes Rätsel.

Das Andante (C-Dur) unterzieht ein volksliedhaftes Thema sechs ganz schlichten Variationen, von denen die ersten drei sich auf einfache figurale Umspielung beschränken, während die folgenden beiden die schon im Thema manifesten imitatorischen Möglichkeiten nacheinander in Dur und Moll skizzenhaft umreißen. Mit dem Minore ist auch die dramaturgische Mitte des ganzen Werkes und der einzige Moment drohender Vereinsamung erreicht; schon die folgende Schlußvariation zerstäubt diese Gefahr in einen schwerelos beschwingten Tanz. Auf diese Weise finden sich der dunkelste und der hellste Ton des Werkes in unmittelbarer Nachbarschaft und halten das Werk aus seiner Mitte heraus im Gleichgewicht.

Das abschließende Allegretto ist eine Siciliana in Rondoform. Das Ritornell ist auf naiv-raffinierte Weise phrasiert, in dem die Baßlinie im Wechsel von abschließenden Viertel- und Achtelnoten zwischen zögernder Frage und tänzerischem Schwung irisiert. Die beiden Rondo-Episoden sind in subtiler Antithese aufeinander bezogen, indem die erste, ein unmißverständlich „französisches“ Minore, der Siciliana empfindsame Töne entlockt, während die andere den eleganten metrischen Duktus des Satzes ganz verläßt, um uns auf einer „teutschen“ Tenne mit bäurischer Ausgelassenheit tanzen zu lassen. Die Coda ist in ihrem unprätentiosen Einfallsreichtum ein würdiger Schlußpunkt für Mozarts Klaviertriowerk. Wer sich erst einmal von der (in repräsentationshungrigen Zeiten gerne genährten) Erwartung gelöst hat, jede Werkgruppe im Schaffen eines Genies müsse auf ein alles zuvor Begonnene überragendes Erfüllungswerk zustreben (also etwa einem Pendant zu „Jupiter-Symphonie“ oder Requiem), wird die innige und unbeschwerte Einfachheit dieses Abschlußwerkes nicht als Schwäche, sondern als unverdiente Gnade erleben.

© by Claus-Christian Schuster