Fanny Mendelssohn
* 14. November 1805
† 14. Mai 1847
Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell, d-moll, op.11
Komponiert: | Berlin, Dezember 1846 – März 1847 |
Uraufführung: | Berlin (Leipziger Straße 3), 11. April 1847 Fanny Mendelssohn(-Hensel), Klavier ?, Violine ?, Violoncello |
Erstausgabe: | Breitkopf & Härtel, Leipzig, 1850 (Nr. 4 der nachgelassenen Werke) |
„Ich habe nachgedacht, wie ich eigentlich gar nicht excentrische oder hypersentimentale Person zu der weichlichen Schreibart komme? Ich glaube, es kommt daher, daß wir gerade mit Beethovens letzter Zeit jung waren, u. dessen Art u. Weise, wie billig, sehr in uns aufgenommen haben, u. die ist doch gar zu rührend u. eindringlich. Du hast das durchgelebt u. durchgeschrieben, u. ich bin drin stecken geblieben, aber ohne die Kraft, durch die Weichheit allein bestehn kann u. soll. Daher glaube ich auch, hast Du nicht den rechten Punkt über mich getroffen oder ausgesprochen. Es ist nicht sowohl die Schreibart an der es fehlt, als ein gewisses Lebensprinzip, u. diesem Mangel zufolge sterben meine längern Sachen in ihrer Jugend an Altersschwäche, es fehlt mir die Kraft, die Gedanken gehörig festzuhalten, ihnen die nötige Consistenz zu geben. Daher gelingen mir am besten Lieder, wozu nur allenfalls ein hübscher Einfall ohne viel Kraft der Durchführung gehört…“
Diese illusionslose Selbstkritik findet sich in einem Brief, den Fanny am 17. Februar 1835 ihrem Bruder Felix schrieb – nach der Niederschrift ihrer bis dahin bedeutendsten Kammermusikkomposition, eines Streichquartetts in Es-Dur. Erst zwölf Jahre später sollte sie sich mit ihrer letzten großen Komposition, dem Klaviertrio in d-moll, wieder auf das Gebiet der Kammermusik wagen. Die Schonungslosigkeit dieses allzuoft zitierten Urteils hat der Verkennung der Komponistin Fanny Mendelssohn ebenso Vorschub geleistet, wie sie die Bewunderung für ihre Person gefördert hat. Fannys in mancherlei Hinsicht berechtigter Eigentadel läßt sich schwer entkräften. Daß aber trotz der auf solche hellsichtige Selbstanalyse folgenden Anstrengungen und der daraus resultierenden bemerkenswerten Fortschritte auch das posthum veröffentlichte Klaviertrio die von der Komponistin konstatierten Schwächen noch erkennen läßt, hat zu viele und zu verschieden Gründe, um sie schlag- und stichwortartig abzutun. Ohne Zweifel gehört die Fanny zugedachte (und von ihr durchaus nicht widerstrebend angenommene) Rolle als Ehefrau und Mutter, zu den gewichtigsten dieser Gründe. Aber es hieße doch, die faszinierende Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit eines zutiefst schöpferischen Menschen – und ein solcher war Fanny Mendelssohn ganz gewiß – allzu sehr zu vereinfachen, wenn man in der gesellschaftlich sanktionierten Einengung und Beschränkung der Frau die einzige Erklärung für den offensichtlichen Widerspruch zwischen Möglichem und Erreichtem in ihrem Werk sucht. Das seit einigen Jahren neu erwachte Interesse an Leben und Werk dieser beeindruckenden Persönlichkeit hat bewirkt, daß vor unseren Augen ein vollständigeres und facettenreicheres Bild von Fanny Mendelssohn entsteht, als sich die gönnerhafte Herablassung der männlichen und die militante Bitterkeit der weiblichen Musikgeschichtsschreibung je erträumen hat lassen.
Selbstverständlich spielte in Fannys musikalischer Entwicklung ihre Verhältnis zu ihrem etwas mehr als drei Jahre jüngeren Bruder Felix die zentrale Rolle. Zunächst sein geliebtes Vorbild, wurde sie sehr bald zu seiner glühendsten Bewunderin, blieb aber dabei immer seine einflußreichste Ratgeberin und Kritikerin – und ohne Zweifel die wichtigste Person in seinem Leben. Der Wettstreit zwischen den Geschwistern, etwa bei der Komposition von Klavierquartetten (1821/22), war sicher anspornend und förderlich, er brachte aber auch (und wohl unabhängig von Fannys Benachteiligung durch die Konvention) die Verschiedenartigkeit ihrer Veranlagungen zutage: Einem ersten und unvollendet gebliebenen Versuch von Felix (d-moll, 1821) folgt Fanny mit ihrem Klavierquartett in As-Dur, über dem sie 1822 sieben Monate lang brütet, während Felix, wohl durch die Schwester animiert, sein Opus 1 (c-moll) in etwas mehr als drei Wochen zu Papier bringt (die eigentliche Kompositionsarbeit beansprucht ihn gar nur elf Tage hindurch). Kein Wunder, daß Fannys Selbsteinschätzung bald unverkennbare Züge von vorauseilendem Gehorsam gegenüber den sozialen Spielregeln ihrer Zeit aufweist. Schon der berüchtigte Brief des Vaters an die Fünfzehnjährige („Die Musik wird für ihn [Felix] vielleicht Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbaß Deines Seins und Thuns werden kann und soll…“, Paris, 16./18. Juli 1820) richtet sich nicht an ein revoltierendes Kind, sondern an eine Tochter, von deren „Einsicht“ und Gehorsam der Schreiber zu Recht überzeugt sein darf.
Vor diesem Hintergrund ist die Beharrlichkeit, mit der Fanny ihrer inneren Berufung treu blieb, umso bewundernswerter. Doch um die resignativen Töne, die den selbstkritischen Brief von 1835 beherrschen, zu vertreiben, bedurfte es eines „Erlebnisses“ – die diplomatisch vieldeutige Chiffre „Lebensprinzip“, die Fanny dort verwendet, meint ja auch und vor allem dieses: die Möglickeit, etwas zu erleben. Es ist – wie oft und wie mitfühlend darf man das in der deutschen Geistesgeschichte sagen! – das Schlüsselerlebnis Italien (1839/40 und 1845), das ihr nicht nur Inspiration schenkt, sondern sie auch Mut und Selbstvertrauen schöpfen läßt. So entschließt sie sich, in ihrem 42. Lebensjahr, ihr Opus 1 drucken zu lassen, wozu ihr der Bruder (wirklich nur „halbherzig“, wie eine argwöhnische zwischen den Zeilen lesende Musikwissenschaftlerin, oder „gequält“, wie deren männlicher Kollege meint?) seinen Segen gibt:
Leipzig, den 12. August 1846
Mein liebster Fenchel, erst heute, kurz vor meiner Abreise, komme ich Rabenbruder dazu, Dir für Deinen lieben Brief zu danken und Dir meinen Handwerkssegen zu geben zu Deinem Entschluß, Dich auch unter unsere Zunft zu begeben. Hiermit erteile ich ihn Dir, Fenchel, und mögest Du Vergnügen und Freude daran haben, daß Du den andern so viele Freude und Genuß bereitest, und mögest Du nur Autor-Pläsiers und gar keine Autor-Misere kennen lernen, und möge das Publikum Dich nur mit Rosen, und niemals mit Sand bewerfen, und möge die Druckerschwärze Dir niemals drückend und schwarz erscheinen, – eigentlich glaube ich, an all dem ist gar kein Zweifel denkbar. Warum wünsche ich Dir´s also erst? Es ist nur so von Zunft wegen, und damit ich auch meinen Segen dazu gegeben haben möge, wie hierdurch geschieht.
Der Tafelschneidergeselle
Felix Mendelssohn-Bartholdy
In rascher Folge erscheinen nun, in den wenigen Fanny verbleibenden Monaten, die Opera 1 – 7, alles Werke, in denen sie sich auf dem ihr nach ihrer Selbsteinschätzung „eigenen“ Terrain bewegt, Lieder und Klavierminiaturen. Daß aber das öffentliche Lob, das ihre publizierten Werke fanden, auch den Wunsch, die früher resignierend akzeptierten Grenzen doch noch zu überschreiten, neu beleben mußte, liegt auf der Hand. Und so finden wir Fanny im Winter 1846/47 über der Komposition eines Klaviertrios. Noch im März 1847 vermerkt sie in ihrem Tagebuch: „Ich bin mit einem Trio beschäftigt, das mir sehr zu schaffen macht.“ Kurz darauf scheint aber das Werk dann beendet (wenn auch nicht im Sinne der Komponistin „fertig“) gewesen zu sein, denn ihrem Bruder Paul kann sie es schon Anfang April vorspielen und findet ihn „so davon eingenommen, wie ich es gar nicht erwartet hatte.“ Zum 36. Geburtstag ihrer Schwester Rebecka, am 11. April 1847, wird das Werk in der ersten Sonntagsmusik des Jahres im Gartensaal des Hauses in der Leipziger Straße aus der Taufe gehoben.
Der Anstrengung folgt die Erschöpfung; Fannys letzte Tagebucheintragung lautet:
„Ich habe jetzt eine verdrießliche Zeit, es will mir nichts Musikalisches gelingen; seit meinem Trio habe ich keinen Takt geschrieben…“
Am 13. Mai 1847 vertont sie noch Eichendorffs Gedicht „Bergeslust“. Am darauffolgenden Tag erleidet sie während der nachmittäglichen Probe zur Sonntagsmusik – Felix´ „Walpurgisnacht“ op.60 stand auf dem Programm – einen Schlaganfall, dem sie am späten Abend erlag. Felix erreicht die Todesnachricht in Frankfurt, wo er auf der Rückreise von England Station macht. Es wird berichtet, er sei beim Vernehmen der Hiobsbotschaft mit einem Aufschrei zusammengebrochen und wie gelähmt liegengeblieben. Er selbst hat kein halbes Jahr mehr zu leben. Das einzige bedeutende Werk, das ihm noch zu schreiben vergönnt ist, das Streichquartett op.80, wird ein Requiem für die geliebte Schwester sein.
Der im eingangs zitierten Brief Fanny Mendelssohns beschworene Schatten Beethovens liegt – manchmal bedrohend und entmutigend, manchmal verheißungsvoll und anspornend – über dem Werk der meisten ernstzunehmenden Komponisten zwischen Schubert und Reger, sobald sie sich der ureigensten Domäne Beethovens, der zyklischen Instrumentalkomposition, nähern. Das von Beethoven eröffnete Terrain war verlockend und gefährlich – in keinem anderen Gebiet des musikalischen Globus sind so viele Komponisten gestrandet und verschollen. Doch nicht nur die schöpferischen Kräfte wurden von diesem neuen Kontinent unwiderstehlich angezogen, auch das Nachdenken über Musik kreiste viele Jahrzehnte fast ausschließlich um Beethovens Neuentdeckungen.
In der Heimatstadt der Geschwister Mendelssohn machte sich der Theoretiker Adolf Bernhard Marx (1795-1866), häufiger Gast in der Leipziger Straße, zum Wortführer eines ästhetisch und theoretisch fundierten Beethoven-Kultes, der in der von Marx geleiteten Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung (Anfang 1824 bis Ende 1830) ein einflußreiches Organ hatte – so einflußreich, daß Beethoven vor soviel orthodox-preußischer Verehrung zu grauen beginnen mußte: „…bey dieser Gelegenheit ersuche ich Sie mich bey H. Marx in Berlin zu empfehlen, daß er es ja nicht zu genau mit mir nehme u. mich zuweilen zur Hinterthür hinaus schlüpfen lasse.“ (Beethoven an Maurice Schlesinger, 26. September 1825 – die Sache mit dem Papst und der Päpstlichkeit läßt sich kaum besser illustrieren…).
Marx´ Opus summum, die vierbändige Lehre von der musikalischen Komposition (1837-1847), faßte die Theoreme seiner Ästhetik normativ zusammen und behauptete bis in das erste Viertel unseres Jahrhunderts seine Stellung als Standardwerk. Es ist nicht verwunderlich, daß sich in Fannys Auseinandersetzung mit dem Problem der Sonatenhauptsatzform deutliche Spuren ihrer Beschäftigung mit den Marxschen Theorien finden. Die Abfolge der von ihr komponierten Sonatensätze läßt den Schluß zu, daß sie die fachliche Diskussion dieses Themas genau und kritisch verfolgte.
Der Kopfsatz unseres Klaviertrios (Allegro molto vivace) darf dabei, nicht nur wegen seiner chronologischen Stellung im Œuvre der Komponistin, als der formal und inhaltlich ausgereifteste Beitrag gelten. Es ist ein großformatiger Satz, der wie geschaffen scheint, auch allen theoretischen Anforderungen an die gewählte Form zu genügen. Exposition und Reprise bestehen aus jeweils vier, etwa gleich langen und klar voneinander geschiedenen Abschnitten (Hauptthema – Überleitung – Seitenthema – Schlußgruppe), von denen nur die Hauptthemengruppe der Reprise signifikant verkürzt auftritt.
Schon die Wahl der Haupttonart des Werkes beweist, daß es Fanny sicher nicht darum zu tun war, größtmögliche Unabhängigkeit vom Werk ihres Bruders zu beweisen. So verwundert es auch nicht, wenn wir als Hauptthema des Kopfsatzes eine vom Bekenntnishaften ins Stille gewandelte Variation des Incipits von Felix´ „Reformationssymphonie“ (Symphonie Nr.5, d-moll, op.107) finden. Auch das Seitenthema, das von opernhaften Tremoli begleitet wird, erscheint wie eine sehr freie Paraphrase des Liedthemas aus dem dritten Satz von Felix´ Streichquartett in e-moll op.44 Nr.2 (1837) – die zentrale Bedeutung dieser Reminiszenz für das Werkganze wird durch ihre Sonderstellung in der Durchführung, deren Herzstück sie ausmacht, und durch ihre dramaturgisch betonte Wiederkehr am Ende des letzten Satzes unterstrichen. Die Durchführung umkreist mit fast manischer Ausdauer das Kopfmotiv des Hauptthemas, das in allen denkbaren melodischen und harmonischen Metamorphosen als Motor der modulatorischen Entwicklung dient. Das Ziel dieser Entwicklung ist das fernliegende Fis-Dur, das der unveränderten, aber verkürzten Erscheinung des Seitenthemas vorbehalten ist. Von hier weg treibt die in dramatischem Fugato allmählich sich vervollständigende Gestalt des Hauptthemas zur mächtig hereinbrechenden Reprise, die ohne alle vorbereitenden Haltepunkte das Gesetz des Handelns im Sturm an sich reißt. Die noch unbeantwortet gebliebenen Fragen der Durchführung klingen in der Coda noch einmal an: Hier scheint das musikalische Geschehen an einem kryptischen Violoncellosolo stranden zu wollen (das beim Ansehen und Anhören eher an ein Detail aus einer Schenkerschen Urlinientafel denken läßt als an einen wirklich ausgeführten musikalischen Gedanken), bevor der erneuerte Impetus des Anfangsmotivs den Satz wildentschlossen zu Ende führt.
Die folgenden beiden Sätze, die unmittelbar aneinander anschließen, repräsentieren beispielhaft jenes Genre, in dem Fanny sich am meisten zuhause fühlte. Obwohl nur der dritte Satz auch ausdrücklich als Lied bezeichnet ist, so verleugnet doch auch der zweite (Andante espressivo, A-Dur) seine Herkunft keineswegs: vor allem in der Cantilene des Minore-Mittelteils, die von wohlvertrautem Mandolinengeplätscher begleitet wird, glaubt man schon fast, die ohne Zweifel italienischen Worte zu vernehmen. Es ist bemerkenswert, daß Fanny hier (ebenso wie im letzten Satz) dem sich bei dieser Assoziation fast zwangsläufig aufdrängenden Sechsachteltakt der Barcarolle ausweicht. Diesen Topos der Italianità hatte sie ja selbst ebenso wie Felix schon mehrmals aufgegriffen (etwa in der 1839 in Venedig komponierten Serenata g-moll und in der Serenade (Juni) aus dem zwei Jahre später entstandenen Zyklus Das Jahr).
Das attacca folgende Lied (Allegretto, D-Dur), noch einfacher, knapper und „kunstloser“ gefaßt, nimmt sich demgegenüber wie eine deutsche Schwester der italienischen Canzone aus. Unwillkürlich fühle ich mich bei diesem Satzpaar daher an das berühmte Bild Italia und Germania (1811/28, Neue Pinakothek/München) von Friedrich Overbeck erinnert ( – und will nur hoffen, daß Fanny mir die Assoziation verzeihen würde; sie selbst fand nämlich ein anderes Werk dieses Malers, den sie 1840 in Rom traf, heilig langweilig, stumpf poetisch, schlicht anmaßend.)
Es ist mit gutem Grund bemerkt worden, daß im schlichten Thema dieses Liedes sich die Keimzelle zu fast allen bestimmenden Motiven des Werkes verbirgt. Der Gedanke, daß Fanny hier exemplarisch versucht habe, aus dem Lied als dem ihrem Wesen natürlichsten Ausdruck die „Kraft der Durchführung“ für die Erfüllung größerer Formen zu gewinnen, ist durchaus nicht von der Hand zu weisen. Andererseits liegt aber auch die Vermutung nahe, daß die zentrale Stellung des lyrischen Mittelsatzpaares die Umgehung des Scherzos zum Ziel hat – auch in der Hommage an den bewunderten Bruder kannte Fanny ihre Grenzen.
Das Finale (Allegro moderato) scheint zunächst die verträumt liedhafte Stimmung der Mittelsätze beibehalten zu wollen. Aber der „Gesang auf den Wellen“ wird immer wieder von zwei durchaus anders gelaunten Mitspielern unterbrochen. Im Widerstreit mit dem energisch tänzerischen Element, das hier durchbricht, steigert sich der Gesang zu überraschendem (und ungeniert opernhaften) Pathos. In der siegessicheren Stretta, die das letztlich vitalere Tanzmotiv beherrscht, erscheint noch überraschend und bekrönend die idée fixe des Werkes, das Seitenthema des ersten Satzes, bevor das Werk in rauschendem D-Dur-Jubel endet.
In formaler Hinsicht ist dieser Schlußsatz ein Experiment. Das vereinfachte Dispositionsschema ABCACABAC läßt zwar eine oberflächliche Verwandtschaft mit einem Rondo erkennen, sagt aber kaum etwas über die eigentliche Natur dieses Experimentes aus, in dem sich Einzelzüge von Rondo-, Sonaten- und Strophenliedform zur Darstellung eines elementaren Vorganges verbinden. Das „Ritornell“ (A) erscheint nämlich zunächst zwar als voll ausgeprägtes Thema (in Gestalt einer durch phantasieartige Kadenzen erweiterten asymmetrischen Periode), wird aber in der Folge nur mehr in extremen Verkürzungen zitiert (nacheinander als Schlußfoskel, „Durchführung“ und reprisenhafte Reminiszenz). Von den „Episoden“ (B und C), die einander durch Textur und (rascheres) Tempo verbunden sind, ist nur C (das „Tanzmotiv“) wirklich eigenständig (und als einziges von der Motivwelt des zentralen Liedes unabhängig), während B lediglich den Charakter eines modulatorischen Bindeglieds hat. Insgesamt ergibt sich so das Bild eines Widerstreites zwischen zwei in Charakter, Faktur und Bewegung kontrastierenden Elementen (A und C), bei dem C immer realer und dominanter wird, während A sich zur Erinnerung verflüchtigt. Ist es zu weit hergeholt, wenn man in diesem Vorgang – in Weiterführung des zu den beiden Mittelsätzen Gesagten – sinnbildhaft die Überwindung des Liedes und die Ankündigung eines Aufbruchs zu neuen Ufern hören will?
Trotz aller Skizzenhaftigkeit, die diesem Werk – wie nahezu allen posthum veröffentlichten Kompositionen Fanny Mendelssohns – anhaftet und die einen „Qualitätsvergleich“ mit voll ausgearbeiteten und redigierten Werken anderer Komponisten erschwert, zeigt das Trio die Komponistin am Beginn eines Weges, der sie aus dem Schatten des Bruders und der Selbstbeschränkung einer „Liederkomponistin“ heraus zur späten und vollen Entfaltung ihrer Fähigkeiten hätte führen können.
© by Claus-Christian Schuster