Schumann: Trio Nr.2, F-Dur, op.80

Robert Schumann

* 08. Juni 1810
† 29. Juli 1856

Trio Nr.2, F-Dur, op.80

Komponiert:Dresden, 2. August bis 1. November 1847
Uraufführung:privat:
Dresden, Harmonie, 29. April 1849
Clara Schumann, Klavier
Franz Schubert (1808-1878), Violine
Friedrich Schubert (?-1853), Violoncello
öffentlich:
Leipzig, Gewandhaus, 22. Februar 1850
Clara Schumann, Klavier
Ferdinand David (1810-1873), Violine
Julius Rietz (1812-1877), Violoncello

Erstausgabe:Schuberth, Hamburg, Dezember 1849

Schon bald nach der Vollendung des D-moll-Trios op.63 (Juni 1847) muß Schumann seinen ursprünglichen Plan, dieses Werk zusammen mit den 1842 entstandenen Phantasiestücken (op.88) zu veröffentlichen, fallen gelassen haben. An der Idee eines Trio-Diptychons hielt er aber nach wie vor fest: Ähnlich wie Beethoven bei der Komposition des Sonatenpaares op.23/op.24 (Violinsonaten a-moll und A-Dur) oder Brahms in seinen beiden Thuner Geigensonaten (op.100/op.108), um nur zwei besonders berühmte Beispiele dieses Schaffensprinzipes zu nennen, schwebte ihm wohl die Schaffung eines idealen und gegensätzlichen Geschwisterpaares vor Augen.

Nach der Rückkehr aus Zwickau, wo am 10. und 11. Juli ein (wegen des Todes von Schumanns jüngstem Sohn Emil am 22. Juni verschobenes) Schumannfest stattgefunden hatte, beschäftigt sich Robert aber zunächst wieder mit seiner Lieblingsidee, der Oper Genoveva. Am 27. Juli empfängt er in diesem Zusammenhang den Besuch Friedrich Hebbels, der schon im Mai brieflich seine Mitarbeit am Libretto zugesagt hatte. (Es sollte ihre einzige Begegnung bleiben.) Während Hebbel dem introvertierten Komponisten nichts abgewinnen kann, ist Schumann von dem Treffen tief beeindruckt („Das ist wohl die genialste Natur unsrer Tage…”) und setzt mit erneuerter Zuversicht seine musikdramatischen Arbeiten fort. Am darauffolgenden Tag beendet er die Umarbeitung des Schlußchores der Scenen aus Goethe’s Faust. In F-Dur klingt dieses Werk aus, und die Neufassung läßt mit den Worten „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan” jetzt statt einer Steigerung eine Beruhigung des Tempos eintreten. Ist es ein Zufall, daß sich unmittelbar danach das Feuer, das hier der Kontemplation weichen mußte, im begeisterten Beginn des F-Dur-Trios entlädt?

Nach einem Sonntagsausflug in die Weingärten der Lößnitz („Wunderschöner Tag” vermerkt das Haushaltbuch für diesen 1. August 1847) beginnt Schumann mit der Komposition des Trios. Die Arbeit scheint ihn in Hochstimmung zu versetzen: „- sehr fröhlich – Triogedanken” lesen wir etwa unter der Ausgabenaufstellung für den 11. August. Auch von täglichen Bädern, wiederholten Partien in die Dresdener Umgebung und geselligen Treffen, vor allem mit den Komponistenfreunden Ferdinand Hiller und Niels Wilhelm Gade, berichtet das Haushaltbuch. Zwei Wochen nach Beginn der Arbeit scheint das Werk fertig skizziert gewesen zu sein. Anfang September finden wir Schumann dann noch mit der Reinschrift des D-moll-Trios beschäftigt, das zu Claras 28. Geburtstag (13. September) aus der Taufe gehoben wird. Erst nachdem er die sich daran anschließenden Korrekturen beendet hat, geht er an die Ausarbeitung der Skizze des F-Dur-Trios, die ihn vom 26. September bis zum 1. November 1847 beschäftigt.

Am Abend nach der Beendigung der Komposition hört Schumann zum ersten Mal Mendelssohns Elias, mit dem er sich schon seit August beschäftigt; Gade hat ihm am Vortag von der schweren Erkrankung des Freundes berichtet. Am 5. November erreicht Schumann die Nachricht von Mendelssohns Tod.

An den Trionachmittagen, die die Schumanns mit den Brüdern Schubert in diesem Herbst eingerichtet haben, wird des großen und bewunderten Freundes mit zwei Aufführungen des C-moll-Trios gedacht; vielleicht wird bei einer dieser Gelegenheit auch das neue Opus des Gastgebers ausprobiert – die erste sicher dokumentierte Aufführung des Werkes findet allerdings erst eineinhalb Jahre später statt, die öffentliche Uraufführung gar erst am 22. Februar 1850. Wie enttäuscht Clara war, als Ferdinand David und Julius Rietz, mit denen sie diese Aufführung im Leipziger Gewandhaus bestritt, kein einziges Wort über seine Schönheiten verloren, kann man leicht ermessen. Sie selbst hatte sich Hals über Kopf in das Werk verliebt:

„Es gehört zu den Stücken Roberts, die mich von Anfang bis zum Ende in tiefster Seele erwärmen und entzücken. Ich liebe es leidenschaftlich und möchte es immer und immer wieder spielen!”

hatte sie schon im April 1849 ihrem Tagebuch anvertraut. Der Kritiker der Signale für die musikalische Welt befand nach der Uraufführung:

„Die musikalische Literatur ist wieder um ein außerordentlich wertvolles Kunstwerk, das bei seiner erfolgten Aufführung unsere ganze Aufmerksamkeit beansprucht, bereichert. Wir sprechen vom neuen Trio, welches als ein Zeuge ungeschwächter Schöpfungskraft aus der genialen Feder Robert Schumann’s, des Gatten der Concertgeberin, geflossen ist. Zwar haben wir es mit keinem so gewaltigen Producte wie es der Autor in seinem ersten Trio (D moll) bietet, zu thun, aber mit einem desto lieblicheren, anmuthsvolleren, viele kostbare Kleinodien in sich bergenden Stück, welches das empfängliche Gemüth auf die wohlthuendste Art berühren muß…”

Vor allem in den Ecksätzen fand der Rezensent allerdings „Manches, mit dem man sich nur nach öfterem Hören vertraut machen kann.” Gerade an diesem öfteren Hören scheint es aber bis heute zu mangeln: zu sehr steht das Werk – das läßt auch diese erste Besprechung erkennen – im Schatten seines älteren Bruders, zu dem es genauso untrennbar gehört wie Eusebius zu Florestan. Der dunkel-leidenschaftlichen Dramatik des Opus 63 mit seinen balladesken und phantastischen Zügen steht das F-Dur-Trio als ein lichtdurchflutetes Bild voll wärmender Kraft und zuversichtlicher Innigkeit gegenüber, das nur im Intermezzo des dritten Satzes eine spielerische Trübung erfährt. Weil aber Eusebius und Florestan in Wahrheit nur Eines sind ( -„Kontraste sind inverse Ähnlichkeiten”, bemerkt Novalis einmal – ), so sind auch diese so gegensätzlichen Bilder nur unterschiedliche Ansichten einer Wesenheit. Daher überrascht es uns nicht, wenn wir die beiden Werke auf vielfältigste Weise miteinander verbunden sehen. Der innere Zusammenhang offenbart sich nicht nur in einer ganzen Reihe materieller und ideeller Details, von denen einige wenige im weiteren Verlauf angedeutet werden sollen, er äußert sich auch im Makrokosmos des Tonartenplans: Denn auch in diesem Punkt erweist sich op.80 (Tonartenfolge: F-Dur – Des-Dur – b-moll – F-Dur) als ein Spiegelbild von op.63 (Tonartenfolge: d-moll – F-Dur – a-moll – D-Dur).

„Spiegelbild” – das ist vielleicht das Wort, in dem der Schlüssel zur Ideenwelt dieses Trios liegt. Da bekommt etwa das uns schon aus dem zweiten Satz des D-moll-Trios vertraute Motiv, das in allen Schumannschen Klaviertrios eine tragende Rolle spielt (ein charakteristisch punktiertes, chromatisch-diatonisch ansteigendes Skalenfragment), gleich im ersten Satz des F-Dur-Trios (Sehr lebhaft) sein Spiegelbild vorgehalten – und wen wundert es, daß uns dieses Bild wohlvertraut ist? Es ist jene melodische Wendung, die Schumann 1840 den Eichendorff-Versen „Dein Bildnis wunderselig / Hab’ ich in Herzensgrund…” (Intermezzo, op.39 Nr.2) unterlegt hatte. Gleich nachdem die stürmische, von federndem Rhythmus durchpulste und in freudiger Erwartung bebende Exposition im Eilschritt durchmessen ist – sie ist sicher eine der konzisesten und prägnantesten der deutschen Romantik -, erscheint dieses vielsagende Motiv als bedeutungsschwere Umrahmung der Durchführung. Zwischen seinen beiden Auftritten liegen zwei einander analoge Durchführungsabschnitte – und wieder stehen wir vor dem Phänomen spiegelbildlicher Verdopplung, das schon von den ersten Takten des Werkes an gegenwärtig zu sein scheint. Mit diesem Phänomen ist ein Leitmotiv des Schumannschen Schaffens berührt, das sich unter anderem ganz allgemein in seiner Vorliebe für kanonische und imitatorische Erfindung niederschlägt – das hier aber durch die absichstvoll gewählte Chiffre des im Herzen bewahrten Bildnisses als einer unantastbaren Widerspiegelung der verletzlichen Wirklichkeit einen besonderen Neben- und Hintersinn gewinnt.

Nach der ohne Komplikationen ablaufenden Reprise tritt am Beginn der Coda eine verfremdete Nebengestalt des Liedmotivs in Erscheinung, deren Beziehung zu einem bis dahin kryptisch erscheinenden Motiv der Durchführung man nun leicht errät. Den Abschluß des Satzes bildet eine knappe Stretta, in der das „Bildnis wunderselig”, wie zur Bekräftigung des hermeneutischen Programms, kanonisch verdoppelt erscheint.

Beide Elemente, das Liedmotiv und die kanonische Arbeit, beherrschen auch den folgenden Satz (Mit innigem Ausdruck, Des-Dur). Während das Geigenthema eine Metamorphose des Liedthemas darstellt (dessen Urgestalt das Cello gleich wieder in Erinnerung ruft), erscheint der Kontrapunkt in Cello und Klavierbaß als Kanon in der Unterquint. Unschwer erkennt man auch in diesem Kontrapunkt einen Abkömmling des oben zitierten Schumannschen Trio-Leitmotivs, das sich auch alsbald unverstellt zu erkennen gibt. Das traumverwobene Wechselspiel all dieser innig verwandten Elemente, dessen Zauber sich formalen, harmonischen und satztechnischen Kategorien entzieht, in dem er sie alle umfaßt und überschreitet, läßt diesen Satz als einen der kostbarsten Schätze der romantischen Kammermusik erscheinen. Ob nun Schumann in den ersten vier Takten des Satzes bewußt oder unbewußt den Mittelteil des Andante aus Mendelssohns op.49 anklingen läßt – die (mehr sicht- als hörbare) Übereinstimmung in Notenfolge und Textur ist jedenfalls ein zusätzliches Indiz für die geistige Nähe der beiden Meister.

Der dritte Satz (In mässiger Bewegung, b-moll) ist weder Menuett noch Scherzo, wenn er auch die diesen beiden Typen eigene äußere Form annimmt, sondern ein ungemein zartes Intermezzo. An der Distanz zwischen der oberflächlichen Regelmäßigkeit der Gestaltung und der innerhalb der Grenzen dieser scheinbaren Beschränkung verwirklichten inneren Freiheit gibt sich das Genie Schumanns zu erkennen. Der äußere Rahmen: drei mal acht Achttakter des Formschemas ABA und eine (fast ebenso regelmäßig gebaute) Coda. Der Inhalt: die Befreiung des Kanons, die Emanzipation des Spiegelbildes. Denn die kanonisch gestalteten Eckteile des Satzes treiben, ohne die klaren Regeln des Kanons zu verletzen, ein subtiles Verwirrspiel mit dem Zuhörer, indem Nachahmer und Nachgeahmtes unablässig Platz und Rollen tauschen, ja zuletzt sogar der nur die harmonische Folie bildende Baß „verrückt” wird, und auch diese letzte Sicherheit verloren erscheint:

Allgemach beschlich es mich wie Grauen
Schein und Wesen so verwandt zu schauen,
Und ich fragte mich, am Strand verharrend,
Ins gespentische Geflatter starrend:
Und du selber? Bist du echt beflügelt?
Oder nur gemalt und abgespiegelt?
Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen?
Oder hast du Blut in deinen Schwingen?

(Conrad Ferdinand Meyer, Möwenflug)

Daß das Kanonthema selbst seine innige Beziehung zu den bisherigen Hauptmotiven gleichzeitig enthüllt und verleugnet, stimmt zum poetischen Programm dieses Satzes, der in manchen Einzelzügen die Stimmung der (übrigens tonartlich verwandten) Brahmsschen Intermezzi op.117 Nr.2 (b-moll) und op.118 Nr.6 (es-moll) vorwegzunehmen scheint.
Die kühne harmonische Idee, die dem Hauptthema des Kopfsatzes zugrunde lag, entfaltet erst im Finale (Nicht zu rasch) ihre treibende Kraft. Auch die schwungvolle Prägnanz, die den ganzen Satz charakterisiert, offenbart die innere Beziehung zwischen den beiden Stücken. Wie mitreißend Musik auch ohne die Hilfe eingängiger und kantabler Themen sein kann, ist selten so eindrucksvoll demonstriert worden wie in diesem Finale. Zwar ist als letzter Tribut an die Grundidee des Werkes auch hier die Durchführung janusköpfig angelegt, aber es besteht gar kein Zweifel, daß uns der Wind, der hier übermütig in die Segel fährt und uns kreuz und quer über den Ozean der Tonarten treibt, schließlich nicht mehr in das fiebrige Delirium des D-moll-Trios, sondern an eine ersehnte, sonnige Küste führen wird.

© by Claus-Christian Schuster