Haydn: Trio B-Dur Hob.XV:20 (op.70 Nr.3)

Joseph Haydn

* 31. März 1732
† 31. Mai 1809

Trio B-Dur Hob.XV:20 (op.70 Nr.3)

Komponiert:London, 1794
Widmung:Maria Anna Esterházy, geb. Gräfin Hohenfeld
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:Longman & Broderip, London, November 1794

Dieses Trio beschließt den ersten der vier Londoner Zyklen, den Haydn der eben jung verwitweten Fürstin Esterházy (und späteren Fürstin Schwarzenberg) widmete und als Opus 70 drucken ließ. Es ist ganz sicher das brillanteste der drei Trios dieser Gruppe und überhaupt eines von Haydns originellsten und heitersten Werke. Daß unser Meister sich seiner Sache sicher war, und daß er Freude an seiner Arbeit hatte, ist wohl allen seinen Partituren anzuhören – aber auch im Oeuvre Haydns sind Stücke von solchem zuversichtlichen Esprit, von so lebenslustigem Humor und einer so ansteckenden Gutgelauntheit nicht alltäglich. Einer der Gründe für diese überbordende Lebensfreude hat wohl mit dem Handwerker Haydn zu tun: die klanglichen Möglichkeiten, die ihm die hervorragenden englischen Klaviere eröffneten, erhöhten seine Lust an der Arbeit unüberhörbar; man spürt förmlich das gewissermaßen manuelle Wohlbehagen, das ihm der Umgang mit diesem prächtigen Werkzeug verschaffte.
Gleich der Beginn des ersten Satzes (Allegro) überrascht uns mit pianistischen Formulierungen, deren Weiträumigkeit an den späten Beethoven denken läßt. Die Freude an der Bewegung entlädt sich in ungewöhnlich weiten Tonsprüngen und virtuosen Skalen, mit denen Geige und Klavier einander stolz übertrumpfen zu wollen scheinen. Am meisten Phantasie wendet Haydn aber an das geistreiche Spiel mit allen erdenklichen Artikulationen. Um dieses Spiel recht zur Wirkung kommen zu lassen, entlastet er das thematische Material von aller rhythmischen und melodischen Verantwortung – das einzige Thema, das uns in unzähligen Metamorphosen durch den Satz geleitet, ist im Kerne nichts anderes als eine simple, über eine Oktave fallende Tonleiter. Um bei so konsequent durchgehaltener Sparsamkeit und Homogenität des Ausgangsmaterials trotzdem auch noch Tektonik und Struktur des formalen Ablaufes zur Geltung zu bringen, wendet Haydn einen einfachen, aber sehr hilfreichen Kniff an: jeder der Formteile der Exposition (Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz, Schlußgruppe) beginnt mit relativ ruhigen Notenwerten, die dann graduell beschleunigt und verdichtet werden. Auf diese Weise ist jeder architektonisch relevante Einschnitt als Neubeginn einer Bewegungslinie gekennzeichnet. So simpel dieses Verfahren auch aussehen mag, so unanwendbar wäre es für unberufene Hände – man müßte schon über Haydns unerschöpfliche Variationskunst verfügen, um dabei nicht unfreiwillig komisch auszusehen.

Ganz köstlich ist, wie Haydn bei der Rückführung zur Reprise den obligaten Gemeinplatz des Orgelpunktes auf der Dominante umgeht: auf recht gewagten Modulationspfaden hat er vorher schon unseren Orientierungssinn so sehr verwirrt, daß er uns zuletzt mit der unschuldigsten Unverfrorenheit hilflos auf dem Septakkord der Subdominante (B7) stranden lassen kann. Und gerade, wenn wir uns in das (weiß Gott, mit welchen Fährnissen verbundene!) Schicksal der nun unvermeidlich erscheinenden subdominantischen Reprise fügen wollen, zeigt er uns mit großmütiger Bonhomie doch noch den verloren geglaubten direkten Heimweg zur Tonika. Das Geschick, mit dem er dabei, sozusagen noch auf den letzten Schritten zur Haustüre, den ominösen Dominantton vermeidet, erinnert an die Virtuosität mancher Kinder beim Tempelhüpfen – und man darf sicher sein, daß Haydn bei diesem Kunststück nicht weniger Spaß hatte.

Die Reprise selbst ist dann mit spielerischen Variationen, Umstellungen, Dehnungen und Verkürzungen gewürzt, sodaß man recht froh ist, das ganze Verwirrspiel zum besseren Verständnis noch einmal hören zu dürfen. (Ganz nebenbei bemerkt: Die traditionelle Unart, die in Autographen und Erstausgaben der Klassiker oft geforderte “zweite” Wiederholung, nämlich die von Durchführung und Reprise, schlicht zu ignorieren, gehört zu jenen Statussymbolen des “souveränen” Umganges mit dem Text, auf die wir gerne verzichten wollen. Welche gar nicht leicht zu entscheidende Fragen uns aber auf dem Weg zu sinnerfüllter Texttreue mitunter zu Fall bringen können, davon ließe sich gerade anhand dieses Details noch vieles sagen – eine Andeutung dazu findet sich in der Besprechung des ersten Satzes von Hob.XV:24 weiter unten.)

Das folgende Andante cantabile (G-Dur) kann wohl kein Triofreund unserer Zeit hören, ohne an das legendäre Trio di Trieste zu denken, das uns diesen Schatz als Zuwaage zu so mancher genußreichen Stunde geschenkt hat. Haydns Anweisung “the left hand alone” für das Klavierthema möchte unsere Aufmerksamkeit vielleicht auch auf die scheinbar absichtslose Schlichtheit lenken, mit der sich Thema und Kontrapunkt zu einem untrennbaren Ganzen fügen. Auch in den drei sich daran anschließenden Variationen steht die Sparsamkeit der verwendeten Mittel in einem im ursprünglichsten Wortsinn wunderbaren Widerspruch zum Reichtum der erzielten Wirkungen. Die beschauliche Ruhe, die von diesem Satz ausgeht, empfindet man nach den fürwitzigen Eskapaden des vorangegangenen Allegros als besonders wohltuend.

Damit der Schlußpunkt dieses Trios (und damit des ganzen stolzen Opus 70) auch als solcher wahrgenommen werde, läßt Haydn das Finale (Allegro) – einen zünftigen Deutschen Tanz – gleich mit einer typischen Schlußfloskel beginnen; genau betrachtet besteht eigentlich der ganze Hauptteil dieses Satzes, der von der aristokratischen Eleganz eines Menuetts nichts wissen will, aus einer erstaunlichen Aneinanderreihung von Schlußwendungen, was nicht nur eine humorvolle Schrulle ist, sondern im Zuhörer auch von Takt zu Takt die Spannung wachsen läßt, wie Haydn nun den Satz denn wirklich beenden will. Bevor es aber so weit ist, darf die Geige noch einen Walzer in der extravaganten Tonart b-moll als Trio aufs Parkett, oder vielmehr auf den Tanzboden legen. Die melismatisch variierte Reprise mündet schließlich in einer Coda, die dem “regulären” Schluß nicht weniger als zwölf ihn burlesk und sempre più forte nachäffende Wendungen folgen läßt, bis endlich – “jetzt schlägt’s aber Dreizehn!” – zwei herrische Akkorde dem übermütigen Spuk ein Ende bereiten.

© by Claus-Christian Schuster