Barkauskas: Modus vivendi op. 108 (1996)

Vytautas Barkauskas

* 25. März 1931

Modus vivendi op. 108 (1996)

Komponiert :Vilnius, 25. März bis 23. Juni 1996
Uraufführung :Vilnius, 12. November 1996, Armonai-Trio
Irena Uss-Armoniene, Klavier
Ingrida Armonaite, Violine
Rimantas Armonas, Violoncello
Erstausgabe :Manuskript

Schon ein Jahr vor seinem Studienabschluß in der Kompositionsklasse von Antanas Račiunas hat Vytautas Barkauskas 1958 ein Klaviertrio verfaßt, das er in der Folge – wie alle anderen vor 1964 entstandenen Kompositionen – aus seinem Werkekatalog eliminiert hat. Erst 1990 stellte er sich wieder einer vergleichbaren Aufgabe, als er ein Trio für die von Bartóks Contrasts (1938) geadelte Instrumentenkombination Klavier, Klarinette und Geige vorlegte (op. 92). Die Parallele zu dem großen Ungarn ist kein Zufall: Barkauskas ist auf den Tag genau fünfzig Jahre nach Bartók geboren und hat ihn sich gewissermaßen zum „Namensheiligen“ gewählt. Der skizzierte undogmatische modus creandi unseres Komponisten bewährt sich in dem sechs Jahre später entstandenen Klaviertrio Modus vivendi für die „klassische“ Triobesetzung in besonders überzeugender Weise. Barkauskas begann die Komposition an seinem 65. Geburtstag, und den autobiographischen Unterton des Werkes, das gleichzeitig Rückblick und Bekenntnis ist, kann man nicht überhören. Die verwendeten Zwölftonreihen haben keinerlei Mühe, sich in das von ihnen weitestgehend unabhängige Leben des Werkes einzufügen – nirgendwo entsteht der Eindruck „konstruktiver“ Anstrengung. Wie von selbst fügen sich Reihenfragmente zu flächigen Ostinati, die zu wechselnden tonalen Zentren gravitieren, ohne die Vorherrschaft des „Grundtones“ A (für den Komponisten ein Tonsymbol seiner Frau Svetlana) zu unterminieren. Diesem Ausgangston der Reihe steht mit dem Endton D eine Chiffre für den Komponisten selbst gegenüber. Barkauskas´ Idiom kennt weder historische Berührungsängste (etwa im Zitieren „impressionistischer“ Texturen) noch gekünstelte Scheu vor dem tonalen Substrat – im Gegenteil versteht es, sich die in ihm tradierte Kommunikationskraft (etwa in der leitmotivischen Verwendung des Zusammenklanges eines Dur- und Mollakkordes im Halbtonabstand, der in den Tönen 1-6 der Reihe schon präformiert erscheint) zunutze zu machen. Barkauskas hat mit diesem Werk bewiesen, daß die einander etliche Jahrzehnte hindurch unversöhnlich gegenüberstehenden Idiome der Musik schon längst einen fruchtbaren modus vivendi gefunden haben.

© by Claus-Christian Schuster