Schibler: Die Hochzeit. Kantate nach einem Prosaabschnitt aus „Uli der Knecht“ von Jeremias Gotthelf für Alt oder Baß, Violine, Cello und Klavier. Op.15

Armin Schibler

* 20. September 1920
† 07. September 1986

Die Hochzeit. Kantate nach einem Prosaabschnitt aus „Uli der Knecht“ von Jeremias Gotthelf für Alt oder Baß, Violine, Cello und Klavier. Op.15

Komponiert:London, Februar – Juni 1946
Widmung:Tatjana Berger(-Schibler)
Uraufführung:nicht dokumentiert
Erstausgabe:nicht veröffentlicht

Als Willy Burkhard im Herbst 1942 seine Lehrstelle am Zürcher Konservatorium antrat, war unter seinen ersten Schülern auch der junge Armin Schibler, der erst kurz davor die Kontrapunktklasse von Paul Müller-Zürich (1898-1993) brillant abgeschlossen hatte.
Schibler, der Sohn eines an der schweizerisch-deutschen Bodenseegrenze diensthabenden Zollbeamten, hatte schon während seiner Aarauer Gymnasialjahre (1936-40) als Komponist debutiert: Unter Aufopferung all seiner Ersparnisse hatte er dort eine 1938 enstandene Sonate für Violine und Klavier drucken lassen, die sogar von einem Leipziger Verlag in Kommission übernommen worden war. Nach einigem Schwanken – auch ein Chemiestudium und die Journalistenlaufbahn hatte er in Erwägung gezogen – war er 1940 in das Zürcher Konservatorium eingetreten, das er 1945 als Schüler Willy Burkhards absolvieren sollte. Schon vor Beendigung seines Studiums ergriff Schibler aber jenen Brotberuf, dem er bis an sein Lebensende treu bleiben sollte: er wirkte als Musiklehrer an einem Gymnasium in Zürich.
Kurz nach Beendigung seiner Studien trat Schibler im Oktober 1945 in der Zürcher Peterskirche mit der Uraufführung zweier großformatiger Kompositionen (Wessobrunner Kantate, op.10, und Erstes Streichquartett, op.14) ein erstes Mal vor eine breitere Öffentlichkeit. Anfang 1946 trat der junge Komponist dann einen fünfmonatigen Studienaufenthalt in London an, wo er mit Benjamin Britten, Edmund Rubbra und Michael Tippett zusammentraf.
Schibler hatte wohl auch der Uraufführung von Burkhards Gotthelf-Kantate beigewohnt, bei der sein Klavierlehrer Walter Frey den Klavierpart übernommen hatte. Offenbar hatten die skeptischen und kritischen Reaktionen, denen dieses Werk begegnet war, ihren Eindruck auf ihn ganz verfehlt, denn als er sich nun, nach Abschluß seiner Ausbildung, anschickte, seine Studienkollegin Tatjana Berger, eine Geigerin, die er übrigens im Jahr der Burkhardschen Uraufführung kennengelernt hatte, zu heiraten, beschloß er, für sie als Morgengabe ein Pendant zu Burkhards Sonntag zu schreiben. Ganz den Spuren seines Lehrers folgend, blieb er bei Gotthelfs Uli der Knecht – und was lag näher, als für diesen Anlaß die im Zentrum des letzten Kapitels stehende Hochzeitsepisode zu wählen?
In den wenigen Jahren, die seit dem Experiment Burkhards verflossen waren, hatten auch andere Komponisten ähnliche Versuche unternommen – erst 1945 hatte Giorgio Federico Ghedini (1892-1965) in seinem originellen Concerto dell´Albatro (für Klaviertrio, Orchester und Rezitator) eine Passage aus Hermann Melvilles Moby Dick vertont. Die einem solchen Unterfangen innewohnenden Schwierigkeiten waren dadurch aber kaum geringer geworden. Schiblers Eingriffe in die literarische Vorlage beschränken sich auf Auslassungen, sind aber – entsprechend dem weniger lyrischen Charakter der Stelle – wesentlich einschneidender. Anders als Burkhard verzichtet Schibler auf die Gliederung des Textes in autonome Sätze; das entspricht auch der im Vergleich zum Werk des Lehrers merklich geschwächten Position des tonalen Zentrums – das Ende der Kantate auf E scheint eine ganz bewußte Reverenz an das Burkhardsche Vorbild zu sein. Die Strukturierung der Textvorlage wird durch ausgedehnte instrumentale Zwischenspiele erzielt, die den Erzählfluß in vier dramatische „Szenen“ oder „Bilder“ gliedern.

Jeremias Gotthelf:
Wie Uli der Knecht glücklich wird
26. Kapitel: Wie Vreneli und Uli auf hochzeitlichen Wegen gehen und endlich Hochzeit halten

[…] Uli faßte sein Vreneli bei der Hand und wanderte mit ihm der Kirche zu; feierlich tönten die feierlichen Klänge im Herzen wieder, denn der Siegrist läutete ordentlich die Glocken, daß sie an beiden Orten anschlugen, und nicht wie wenn sie lahm wären, nur bald an diesem, bald an jenem Orte.

Wie sie auf den Kirchhof kamen, schaufelte eben der Totenmann an einem Grabe, und stille wars um ihn: [kein Schaf, keine Ziege kam und verrichtete ihre Notdurft in des Menschen letzte Ruhestätte, denn da war der Kirchhof kein Weideplatz für ungeistliche Tiere.] Es ergriff Vreneli [plötzlich] eine unwiderstehliche Wehmut. Der [ehrwürdige] Anblick der Gräber, das Schaufeln eines Grabes weckten düstere Gedanken. „Das bedeutet nichts Gutes,“ [flüsterte es,] „einem von uns schaufelt man sein Grab.“ [Vor der Kirche stunden Gevatterleute, eine Gotte mit einem Kinde auf dem Arme. „Das bedeutet einem von uns eine Kindbett“, flüsterte Uli, um Vreneli zu trösten. „Ja, daß ich in einer solchen sterbe,“ antwortete es, „daß ich aus meinem Glück weg muß ins kalte Grab.“] „Denk doch,“ sagte Uli, „daß der liebe Gott ja alles macht und daß wir nicht abergläubisch, sondern gläubig sein sollen. Daß einmal unser Grab geschaufelt werden wird, ist gewiß, aber daß das Grabgraben Sterben bedeute denen, die dazukommen, habe ich noch nie gehört. [Denke doch, wie Viele ein Grab graben sehen; wenn es die alle nachzöge, denk auch, wie groß der Sterbet sein müßte.“ „Ach, verzeih mir,“ sagte Vreneli, „aber je wichtiger ein Gang ist, um so ängstlicher wird die arme Seele und möchte gar zu gerne wissen, wie es zu Ende geht, und nimmt daher jede Bewegung als ein Zeichen auf, ein gutes oder ein böses; weißt du, was du von den Tauben sagtest, als wir ins Dorf fuhren?“ Da drückte Uli seiner Braut die Hand und sagte ihr: „Du hast recht;] laß du uns unser Vertrauen auf Gott stellen und nicht kummern. [Was er uns tun, nehmen oder geben wird, das ist wohl getan.]»

Sie traten in die Kirche, leise, zagend, teilten sich zur Linken und zur Rechten, [sahen ein Kindlein aufnehmen in den Bund des Herrn, dachten, wie schön es doch sei, so ein zart und hinfällig Kind der besondern Obhut seines Heilands mit Leib und Seele anempfehlen zu dürfen, und wie eine große Last es von der Eltern Brust wälzen müsse, wenn sie in der Taufe das Bewußtsein erhielten, der Herr wolle mit ihnen sein und mit seinem Geiste sie das Kind nähren lassen, wie die Mutter es sättige mit ihrer Milch. Sie] beteten [recht] andächtig mit [und dachten, wie ernsthaft sie es nehmen wollten, wenn sie als Taufzeugen es geloben müßten, darauf zu achten, daß das Kind dem Herrn zugeführt werde. Das gewöhnliche Wochengebet verhallte ihnen] in der Wichtigkeit des ernsten Augenblicks, der näher und näher kam. Als der Pfarrer hinter dem Taufsteine hervortrat, als Uli Vreneli geholt hatte und Beide ans Bänkchen traten, sanken Beide auf die Knie, [der Zeremonie weit vorgreifend,] hielten die Hände inbrünstig verschlungen, und von ganzer Seele, ganzem Gemüte und allen Kräften [beteten und] gelobten sie, was die Worte sie hießen[, ja noch viel mehr, was aus treuen Herzen sprudelte].

Und als sie aufstunden, fühlten sie sich so recht fest und wohlgemut; es war einem jeden, als hätte es einen großen Schatz gewonnen fürs ganze Leben, der ihns glücklich machen müsse, den ihm niemand entreißen, niemand abgewinnen könne, mit dem es vereint bleibe[n müsse] in alle Ewigkeit.

© by Claus-Christian Schuster

Burkhard: Der Sonntag. Kantate nach Worten von Jeremias Gotthelf für mittlere Stimme mit Begleitung von Violine, Cello und Klavier. Op.63

Willy Burkhard

* 17. April 1900
† 18. Juni 1955

Der Sonntag. Kantate nach Worten von Jeremias Gotthelf für mittlere Stimme mit Begleitung von Violine, Cello und Klavier. Op.63

Komponiert:Davos, November – Dezember 1941
Uraufführung:Zürich, 23. Oktober 1942
Max Christmann, Bariton
Walter Frey, Klavier
Walter Kaegi, Violine
Albert Nicolet, Violoncello
Erstausgabe:Bärenreiter-Verlag, Kassel, 1944

Willy Burkhard wurde zwar im gemischtsprachigen Gebiet am Bieler See geboren, seine Familie stammt aber aus dem bernischen Oberaargau (Schwarzhäusern bei Aarwangen). Sein Vater, Graveur und Kupferstecher, wurde 1902 als eidgenössischer Beamter nach Bern berufen, wo Burkhard seine Kindheit und Jugend verbrachte. Dort wurde der Knabe im traditionsreichen Seminar Muristalden, dessen „Musterschule“ er absolvierte, bevor er das Lehrerseminar selbst bezog, in betont evangelisch-pietistischem Geist erzogen. 1920 schloß er seine dortige Ausbildung mit dem Lehrerpatent ab. Obwohl Burkhard in seinem späteren Leben keine enge konfessionelle Bindung hatte, wird die religiöse Gestimmtheit dieser Erziehung in seinem kompositorischen Werk unüberhörbar nachklingen.
Weit weniger geradlinig war Burkhards musikalischer Werdegang: Nach erstem Klavierunterricht verhalf Ernst Graf, der Organist des Berner Münsters, dem angehenden Komponisten 1919 zur Aufnahme in das Berner Konservatorium, wo Burkhard aber nur drei Semester lang blieb. Bei dem Organisten Sigfrid Karg-Elert (1877-1933) und dem Pianisten Robert Teichmüller (1863-1939) setzte er danach seine Studien für kurze Zeit (1921/22) am Leipziger Konservatorium fort; aber erst in der darauffolgenden Münchner Zeit, als der Schweizer Walter Courvoisier (1875-1931), Schwiegersohn und Nachfolger Ludwig Thuilles als Haupt der sogenannten „Münchner Schule“, sein erster Kompositionslehrer wurde, begann seine eigentliche schöpferische Laufbahn. In München und während eines mehrmonatigen Studienaufenthaltes in Paris (Februar bis Mai 1924) entstanden die ersten Werke, Klavier- und Vokalkompositionen, die zum größten Teil Manuskript blieben. Obwohl das französische Intermezzo (in Paris war Burkhard Student des Rompreisträgers Max d´Ollone [1875-1959]) den Horizont des jungen Komponisten nicht unwesentlich erweiterte, blieben Burkhards deutsche Zeitgenossen seine Leitsterne. Das erwies sich besonders deutlich, als er, wieder nach Bern zurückgekehrt, hier und in Thun zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Fritz Indermühle (der schon in Leipzig und München sein Studienkollege gewesen war) 1931 und 1932 bemerkenswerte „Singtreffen für zeitgenössische Musik“ organisierte, in deren Mittelpunkt das Vokalschaffen von Heinrich Kaminski (1886-1946) und Paul Hindemith (1895-1963) stand; bei dieser Gelegenheit wurden auch etliche Kompositionen Burkhards uraufgeführt. Nachdem Burkhard schon 1926, im Jahr seiner Heirat, die Leitung des Lehrergesangvereins Lyß übernommen hatte und 1928 als Lehrer an das Berner Konservatorium berufen worden war, nahm er 1930 auch noch den neugegründeten Berner Münsterchor und den Chor der Berner Singstudenten sowie 1932 den Orchesterverein Langenthal unter seine Obhut.
Diese immer weitere Kreise ziehende Tätigkeit wurde im Sommer 1933 jäh unterbrochen: im Kampf gegen eine diagnostizierte Lungentuberkulose mußte Burkhard sich mehreren schweren Operationen unterziehen. Die dem Komponisten verbleibenden zweiundzwanzig Lebens- und Schaffensjahre sollten fast zur Gänze im Schatten des erfolglosen Kampfes gegen die Krankheit stehen. Nachdem der Aufenthalt in einem Sanatorium in Montana keine Heilung gebracht hatte, übersiedelte die Familie 1934 nach Bühlikofen bei Zollikofen, von wo aus Burkhard für kurze Zeit seine Lehrtätigkeit in Bern wieder aufnehmen konnte. In dieser Zeit entstand das (später von Paul Sacher uraufgeführte) geistliche Oratorium Das Gesicht Jesajas, ein Schlüsselwerk des Komponisten; auch der erste große internationale Erfolg Burkhards, die Uraufführung seiner Fantasie für Streichorchester auf dem denkwürdigen IGNM-Fest in Prag (1935) fällt in diese Monate. Doch schon Ende 1935 erzwang ein Rückfall die Rückkehr nach Montana, von wo aus die Familie Burkhard im Sommer 1937 – nach kurzen Intermezzi in Ascona und Clavadel – nach Davos weiterzog. Hier mußte der Komponist im darauffolgenden Winter drei schwere Operationen überstehen. Bis zu seiner Berufung an das Züricher Konservatorium (1942) blieb Davos Burkhards Wohn- und Arbeitsstätte. Hans Zurlinden, der – von Arthur Honegger auf Burkhard aufmerksam gemacht – ihn in dieser Zeit kennenlernte und später sein erster Biograph werden sollte, schreibt über die Begegnung:

„Ich erinnerte mich wieder der Worte Honeggers, als ich selber in einem Davoser Sanatorium liegen mußte. Aber ich fragte längere Zeit nicht nach Burkhards Adresse, da ich nicht ausgehen konnte. Als es dann geschah, erfuhr ich, daß Burkhard unmittelbar gegenüber meinem Fenster eine Mietwohnung in dem großen Hause innehatte, das mit seinen ockergelben Fassaden, dunkelgrüngestrichenen Fensterrahmen, Laubengeländern und Dachgiebeln, am steilen Abhang mitten unter hohen Tannen, im tiefen Schnee, mir immer wie das Jagdhaus eines deutschen Duodezfürsten vorgekommen war. Indessen verzögerte sich mein Besuch noch einmal, weil es schließlich eine große Überwindung kostet, zu einem fremden Menschen hinzugehen, und ihm zu sagen: «Ihre Musik hat mir gefallen!»
In zwei Wintern war ich dann öfters Gast in dem geräumigen, einfach eingerichteten Heim, am runden Tisch in der Ecke des weiten lichten Arbeitszimmers und fühlte mich wohl in der glücklichen Häuslichkeit des Ehepaars und seiner beiden Kinder. Ich erinnere mich gerne an viele kleine Hauskonzerte, bei denen Frau Burkhard sang, Hans Sturzenegger, der Bruder des Berner Cellisten, Geige spielte, an Hörgelegenheiten am Radio, an Spaziergänge, an Gespräche über Kants Erkenntnistheorie, über Hamsuns «August», über den Logosbegriff des Johannesevangeliums, über Jacob Burckhardts «Weltgeschichtliche Betrachtungen», über politische Zeitereignisse, wobei Burkhard treffsicherer als mancher zünftige Diplomat urteilte…“

Es mag bei einer jener hausmusikalischen Zusammenkünfte, von denen Zurlinden hier berichtet, gewesen sein, daß Burkhard den Plan zu der Kantate Der Sonntag faßte, die er – als vorletztes Werk seines Davoser Aufenthaltes – Ende 1941 niederschrieb. Schon zehn Jahre früher, knapp vor dem Ausbruch seiner Krankheit, hatte er sich in diesem Genre versucht. Während er aber in der 1932 komponierten Kantate Herbst für Sopran und Klaviertrio (op. 36) Lyrik von Christian Morgenstern vertont hatte, unternahm er mit der neuen Kantate ein Wagnis, das manche als von vornherein zum Scheitern verurteilt betrachten werden: die Vertonung eines Fragmentes aus einem epischen Prosatext. Daß Burkhards Wahl gerade auf einen Text von Jeremias Gotthelf fiel, nämlich auf die Einleitungspassage aus dem 2. Kapitel des Romans Wie Uli der Knecht glücklich wird, mag damit zu tun haben, daß man 1941 gerade den hundertsten Geburtstag dieses Hauptwerkes des ebenso bemerkenswerten wie „unzeitgemäßen“ Schweizer Dichters feierte. (Der im Herbst 1840 entstandene Romane war 1841 im Verlag von Christian Beyel in Frauenfeld erschienen.) Die Entscheidung widerspiegelt aber gleichzeitig eine lebenslange Anhänglichkeit des Komponisten an den Dichter; Burkhards einzige Oper, Die schwarze Spinne (1947/48), die er noch in seinem letzten Lebensjahr als Schauspielmusik kammermusikalisch bearbeitete, ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Jeremias Gotthelf. Daß aber diese Wahl das Wagnis verringert habe, kann man sicher nicht behaupten. Hatte schon Gotthelfs eigenwilliger Roman mit seiner prononciert moralischen und religiösen Tendenz heftige Reaktionen (nicht zuletzt in einflußreichen kirchlichen Kreisen) hervorgerufen, so erntete der Versuch, dieser Vorlage Musik abzugewinnen, unverhohlene Feindseligkeit und Gehässigkeit. Ein Kritiker der Uraufführung nennt die Unterlegung von „ganz blutarmer, häßlicher und klanglich öder Musik“ unter die Gotthelfsche Prosa geradezu eine „Verballhornung und Entgleisung“. Die Vehemenz dieser Ablehnung hat wohl damit zu tun, daß Burkhard ebenso wie Gotthelf ein übermächtiges religiöses Empfinden, das deutlich pantheistische Züge trägt, mit scheuer, fast spröder Schlichtheit zu bändigen sucht. Dieser Zusammenklang von Schwärmerei und Schmucklosigkeit macht die Problematik, aber auch den unleugbaren Reiz des Werkes aus.
Burkhard gliedert den kurzen Text in drei Abschnitte, die alle in den E-Dur-Dreiklang münden; die tonsymbolische Bedeutung dieser Chiffre steht dabei ganz in der klassischen Tradition, in der dieser Tonart gleichzeitig hymnisch-religiöse („In diesen heil´gen Hallen“) und naturpoetische („Soave sia il vento“) Funktionen zufallen. Wer für diese Anspielungen empfänglich und offen ist, wird vielleicht doch eher mit dem Urteil eines anderen Kritikers der Uraufführung übereinstimmen, daß nämlich „die kraftvolle, bodenwüchsige Prosa Gotthelfs, diese gesunde Hymnik mit Erdgeruch, in der Vertonung Burkhards ein musikalisches Gewand erhalten habe, das ihr in der bündigen, das Parlando nicht verschmähenden Sprache, aber auch in der religiösen Innerlichkeit gleichgestimmt ist.“

Jeremias Gotthelf:
Wie Uli der Knecht glücklich wird
2. Kapitel: Ein heiterer Sonntag in einem schönen Baurenhause

Der Sonntag kam am Himmel herauf, hell, klar, wunderschön. Die dunkelgrünen Gräslein hatten mit demantenen Kränzlein ihre Stirnen geschmückt und funkelten und dufteten als süße Bräutlein in Gottes unermeßlichem Tempel. Tausend Finken, tausend Amseln, tausend Lerchen sangen die Hochzeitlieder; weißbärtig, ernst und feierlich, aber mit den Rosen der Jugend auf den gefurchten Wangen, sahen die alten Berge als Zeugen auf die holden Bräutlein nieder, und als Priesterin Gottes erhob sich hoch über alle die goldene Sonne und spendete in funkelnden Strahlen ihren Hochzeitsegen.

Der tausendstimmige Gesang und des Landes Herrlichkeit hatten den Bauer früh geweckt, und er wandelte andächtigen Gemütes dem Segen nach, den ihm Gott beschert hatte. Er durchging mit hochgehobenen Beinen und langen Schritten das mächtige Gras, stund am üppigen Kornacker still, an den wohlgeordneten Pflanzplätzen, dem sanft sich wiegenden Flachse, betrachtete die schwellenden Kirschen, die von kleiner Frucht starrenden Bäume mit Kernobst[, band hier etwas auf und las dort etwas Schädliches ab] und freute sich bei allem nicht nur des Preises, den es einsten gelten, nicht nur des Gewinnes, den er machen werde, sondern des Herren, dessen Güte die Erde voll, dessen Herrlichkeit und Weisheit neu sei jeden Morgen. Und er gedachte: wie alles Kraut und jedes Tier jetzt den Schöpfer preise, so sollte es auch der Mensch tun, und mit dem Munde nicht nur, sondern mit seinem ganzen Wesen, wie der Baum in seiner Pracht, wie der Kornacker in seiner Fülle, so der Mensch in seinem Tun und Lassen.

„Gott Lob und Dank!“ [dachte er,] „ich und mein Weib und meine Kinder, wir wollen dem Herren dienen [, und er braucht sich unser nicht zu schämen. Wir sind wohl auch arme Sünder und haben nur einen geringen Anfang der Gottseligkeit, aber wir haben doch ein Herz zu ihm und vergessen ihn nie einen ganzen Tag lang und essen nichts, trinken nichts, daß wir ihm nicht danken, und nicht nur mit Worten, sondern von Herzensgrund.“]

© by Claus-Christian Schuster

Banlaky: 2. Liedfantasie für Bariton, Violine, Cello und Klavier nach Gedichten von Francesco Petrarca (2001)

Akos Banlaky

* 29. Jänner 1966

2. Liedfantasie für Bariton, Violine, Cello und Klavier nach Gedichten von Francesco Petrarca (2001)

Komponiert:Wien, 2001
Uraufführung:Wien, Musikverein (Brahms-Saal), 25. März 2003
Wolfgang Holzmair, Bariton
Altenberg Trio Wien
Claus-Christian Schuster, Klavier
Amiram Ganz, Violine
Martin Hornstein, Violoncello
Erstausgabe:Manuskript

Der 2. Liedfantasie war schon 1997 ein analoges Werk auf Texte von Maria Zampieri für Sopran, Violoncello und Klavier vorangegangen; in der Zwischenzeit ist eine 3. Liedfantasie auf Gedichte von A. A. von Haugwitz und G. R. Weckherlin für Sopran, Flöte und Klavier entstanden. Bei der Wahl der Texte gilt Banlakys ganz besondere und obsessive Züge annehmende Vorliebe der lyrischen Form des Sonetts: Einem ersten abendfüllenden „Sonettenbuch“ nach 28 Gedichten von Petrarca, Michelangelo, Rilke, Nerval, Verlaine und Baudelaire, folgte vor kurzem ein 30 Sonette umfassender zweiter Band auf eigene Texte. Neben seiner kompositorischen Tätigkeit verfolgt Banlaky zur Zeit ein Doktoratsstudium an der Universität Wien und unternimmt regelmäßig ausgedehnte ethnomusikologische Forschungsreisen, die ihn bisher in eine Reihe asiatischer, afrikanischer und südamerikanischer Länder geführt haben, und auf denen er auch seinen ornithologischen Interessen nachgeht. Dieses letzte Detail ruft natürlich die Erinnerung an Olivier Messiaen (1908-1992) wach, dessen Werk in der Tat nicht ohne Einfluß auf die idiomatischen Präferenzen Banlakys war, ein Einfluß, der sich unter anderem in der modalen Organisation des Tonmaterials widerspiegelt. Für die vorliegende 2. Liedfantasie, die sich im übrigen in aller Deutlichkeit zur Bewahrung der Tonalität bekennt, hat Banlaky fünf der dunklen, späten Sonette Petrarcas ausgewählt, die unseres Wissens bisher überhaupt noch nie vertont wurden. Die besondere Faszination, die das Werk Francesco Petrarcas (1304-1374) auf Banlaky ausübt, stellt ihn andererseits in eine ebenso lange wie Respekt gebietende Ahnenreihe von Komponisten, die mit Guillaume Dufay, Orlando di Lasso und Luca Marenzio beginnt und über Schubert und Liszt bis hin zu Schönberg führt.

CCXCII
Gli occhi di ch’io parlai sí caldamente

Gli occhi di ch’io parlai sí caldamente,
e le braccia, e le mani, e i piedi, e ’l viso,
che m’avean sí da me stesso diviso,
e fatto singular da l’altra gente;

le crespe chiome d’òr puro lucente,
e ’l lampeggiar de l’angelico riso
che solean fare in terra un paradiso,
poca polvere son, che nulla sente.

Et io pur vivo; onde mi doglio e sdegno,
rimaso senza ’l lume ch’amai tanto,
in gran fortuna, e ’n disarmato legno.

Or sia qui fine al mio amoroso canto:
secca è la vena de l’usato ingegno,
e la cetera mia rivolta in pianto.


Das Aug, von dem ich sprach so lieb-entzündet,
die Arme, Hände, Füße und die Züge,
die mich von mir getrennt und vom Gefüge
der Menschenwelt, die mich nicht länger bindet.

Das Haar, das sich zu Locken Goldes ründet;
des Lachens Blitz, als ob ein Engel fliege,
als ob der Erd ein Paradies entstiege,
sind eine Handvoll Staub, die nichts empfindet.

Und doch, ich lebe weiter, was mich bitter
erzürnt, entblößt des so geliebten Lichtes
auf steuerlosem Holz im Ungewitter.

Sei dies das Ende schwärmenden Gedichtes;
die Ader ist versiegt und meine Zither
verwandelt in Wehklagen des Verzichtes.

CCXCIV
Soleasi nel mio cor star bella e viva

Soleasi nel mio cor star bella e viva,
com’alta donna in loco umile e basso;
or son fatto io per l’ultimo suo passo,
non pur mortal, ma morto, et ella è diva.

L’alma d’ogni suo ben spogliata e priva,
Amor de la sua luce ignudo e casso
devria de la pietà romper un sasso;
ma non è chi lor duol riconti, o scriva:

ché piangon dentro, ov’ogni orecchia è sorda,
se non la mia, cui tanta doglia ingombra,
ch’altro che sospirar nulla m’avanza.

Veramente siam noi polvere et ombra;
veramente la voglia cieca e ’ngorda;
veramente fallace è la speranza.


Schön und lebendig mir im Herzen wohnt‘ sie
wie eine Herrin in bescheidenem Orte;
nun bin ich hinter ihrer letzten Pforte
tot und gestorben, und als Göttin thront sie.

Die Seele, jedes Guts entschleiert front sie;
des Lichts beraubt ist Amor – Laub verdorrte
vor Mitleid; Felsen brächen; doch der Worte
ertönt nicht eins, und keine Schrift belohnt sie.

Sie weinen innen, wo die Ohren taub sind;
nur meine nicht, den Schmerz so übermäßig
befrachtet, daß nur Seufzer mir entfliegen.

Wahr ist: das Wollen, ach, ist blind-gefräßig.
Wahr ist es, daß wir Schattenspiel und Staub sind.
Wahr ist, daß uns Hoffnungen betrügen.

CCXCIII
S’io avesse pensato che sí care

S’io avesse pensato che sí care
fossin le voci de’ sospir miei in rima,
fatte l’avrei, dal sospirar mio prima,
in numero più spesse, in stil più rare.

Morta colei che mi facea parlare,
e che si stava de’ pensier miei in cima,
non posso, e non ho più sí dolce lima,
rime aspre e fosche far soavi e chiare.

E certo ogni mio studio in quel tempo era
pur di sfogare il doloroso core
in qualche modo, non d’acquistar fama.

Pianger cercai, non già del pianto onore:
or vorrei ben piacer; ma quella altèra,
tacito, stanco, dopo sé mi chiama.


Hätt ich gedacht, daß man so teuer achte
die Töne meiner Seufzer in den Reimen,
so hätte ich ab meines Seufzens Keimen
nach höh’rer Zahl und reicherm Stil getrachtet.

Da jene tot ist, die mich reden machte,
die auf dem Gipfel stand von allen Träumen,
vermag ich wilde Reime nicht zu zäumen
noch aufzuhellen, was in ihnen nachtet.

Und sicher war zu jener Zeit mein Sinnen
allein, daß sich mein Herz der Qual erwehre
auf irgendeine Art: nicht Ruhm zu horten.

Das Weinen sucht ich; nicht vom Weinen Ehre.
Nun möcht ich gern gefallen, doch von hinnen
ruft jene Stolze mich: erschöpft an Worten.

CCCXLIX
E’ mi par d’or in ora udire il messo

E’ mi par d’or in ora udire il messo
che madonna mi mande a sé chiamando:
cosí dentro e di fòr mi vo cangiando,
e sono in molt’anni sí dimesso,

ch’a pena riconosco omai me stesso!
Tutto ’l viver usato ho messo in bando:
sarei contento di sapere il quando,
ma pur devrebbe il tempo esser da presso.

O felice quel dí, che, del terreno
carcere uscendo, lasci rotta e sparta
questa mia grave e frale e mortal gonna,

e da sí folte tenebre mi parta,
volando tanto su nel bel sereno,
ch’i’ veggia, il mio Signore, e la mia donna.


Von Stund zu Stunde wähne ich, vernommen
hätt ich den Boten, den die Herrin sendet.
So sehr ist all mein Innres umgewendet,
in wenig Jahren bin ich so verkommen,

daß ich mich kaum erkenne so verschwommen
und dem gewohnten Leben ganz entwendet.
Ich wäre froh zu wissen, wann es endet:
der Zeitpunkt ist doch wohl schon fast gekommen.

O glücklich jener Tag, da ich die Grüfte
der Erde lassen darf, da ich der Schwere
des schwachen sterblichen Gewands entwehe

und aus so dichtem Dunkel heimwärts kehre,
so hoch entfliegend in die schönen Lüfte,
daß ich den Herrn und meine Herrin sehe.

CCCL
Questo nostro caduco e fragil bene

Questo nostro caduco e fragil bene,
ch’è vento et ombra, et ha nome beltate,
non fu già mai se non in questa etate
tutto in un corpo; e ciò fu per mie pene.

Ché natura non vòl, né si convene,
per far ricco un, por li altri in povertate:
or versò in una ogni sua largitate;
perdonimi qual è bella, o si tène.

Non fu simil bellezza antica o nova,
né sarà, credo; ma fu sí coverta,
ch’a pena se n’accorse il mondo errante.

Tosto disparve; onde ’l cangiar mi giova
la poca vista a me dal ciel offerta
sol per piacer a le sue luci sante.


Dies unser Gut, das so zerbrechlich feine
– Wind ist’s und Schatten – “Schönheit” heißt die Habe –,
ward keiner Zeit als unsrer so zur Gabe
in einem Leib – und das, damit ich weine.

Nicht gönnt ja die Natur, auf daß der eine
verwöhnt sei, andern nur die leere Wabe;
doch ihr ergoß sie ihre ganze Labe –
verzeih mir, welche schön sei oder scheine!

Nie war dergleichen Schönheit je und heute,
noch wird sie sein; doch fiel sie dem Getümmel
der Welt nicht auf und die Verirrten allen.

Bald ging sie hin – weshalb der Tausch mich freute
des kurzen Blicks, mir zubestimmt vom Himmel,
nur, um den heiligen Lichtern zu gefallen.

© by Claus-Christian Schuster