Bridge: Trio Nr.2, H.178 (1929)

Frank Bridge

* 25. Februar 1879
† 10. Jänner 1941

Trio Nr.2, H.178 (1929)

Komponiert:Friston Field – London, Oktober 1928 – 31. Jänner 1929
Widmung:Elizabeth Sprague Coolidge
Uraufführung:London, Langham Hotel, 4. November 1929
Harriet Cohen (1895-1967), Klavier
Antonio Brosa (1894-1979), Violine
Anthony Pino, Violoncello
Erstausgabe:Augener, London, 1930

Wie sein jüngerer Zeitgenosse Paul Hindemith war auch Frank Bridge Quartettbratschist, und wie bei Hindemith kann man an der Textur seiner Kammermusikwerke die intime Kenntnis der instrumentalen Möglichkeiten und klanglichen Realitäten bewundern. Leider teilt Bridge mit Hindemith auch das Schicksal konsequenter Vernachlässigung im Konzertsaal – zumindest außerhalb Englands.

Frank Bridge wurde als drittes Kind der dritten Ehe eines Geigenlehrers und Kapellmeisters in Brighton geboren. Nach etlichen Jahren intensiver hausmusikalischer Vorbereitung kam er als Geigenstudent an das Royal College of Music nach London, wo er mit zwanzig Jahren ein Stipendium gewann und in die Kompositionsklasse von Charles Villiers Stanford (1852-1924) aufgenommen wurde.

Stanford war, mehr noch als der gerne in einem Atemzug mit ihm genannte Hubert Parry (1848-1918), die Schlüsselfigur der englischen musikalischen Renaissance im letzten Viertel des XIX. Jahrhunderts, die schon mit dem Werk von Edward Elgar (1857-1934) und Ralph Vaughan Williams (1872-1958) das absurde Schlagwort vom „Land ohne Musik“ unwiderruflich in die düsterste Rumpelkammer bornierter Dummheiten verbannen sollte. (Das Königreich hat dieses Verdienst auch gebührend anerkannt: Sir Charles Stanford ist neben seinem Schüler Sir Ralph Vaughan Williams und Sir Edward Elgar nur einige Schritte von Purcell entfernt in der Westminster Abbey begraben…)

Schon während seiner Studienzeit wechselte Bridge von der Geige zur Bratsche. 1904 wurde er Mitglied des Grimson Quartetts, mit dem er noch im selben Jahr die englische Erstaufführung von Debussys Streichquartett spielte. Als während der letzten Englandtournee des legendären Joachim-Quartetts (1906) Emanuel Wirth erkrankte, holte Joseph Joachim den jungen Bratscher als Ersatz. Von 1907 bis 1915 gehörte Bridge dann dem Englisch String Quartet an. In der Zwischenzeit hatte er sich aber auch als Dirigent einen so guten Namen gemacht, daß er etliche Male Henry Wood bei den berühmten Promenade Concerts vertreten durfte; 1907 war in diesem Rahmen auch sein erstes großes Orchesterwerk, die Tondichtung Isabella nach Keats uraufgeführt worden.

Trotz der Orchesterpraxis, die sich Bridge in den folgenden Jahren erwerben konnte – 1923 dirigierte er zum Beispiel auf einer USA-Tournee die Orchester von New York, Boston und Cleveland – nahm in seinem eigenen Schaffen die Kammermusik ganz unstreitig den ersten Platz ein. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem English String Quartet (1915) hatte er schon sechs Werke für Streichquartett, ein Streichsextett, ein Klaviertrio, ein Klavierquartett und ein Klavierquintett komponiert; etliche dieser Werke hatten den Cobbett Prize gewonnen und waren im Begriff, sich einen festen Platz im englischen Kammermusikrepertoire zu erobern.

Der Weltkrieg war die große Wasserscheide in Bridges Entwicklung. Hatte er bis dahin, ohne jemals einfach gefällig zu sein, doch auch den auf das Dekorative und Ornamentale gerichteten Geschmack der Zeit getroffen, so veränderte sich seine Sprache während der Kriegsjahre radikal: Der Pazifist Bridge wurde durch das Trauma des Krieges zum ersten (und eigentlich einzigen) Expressionisten der englischen Musik. Man hat diesen Wandel oft als eine „Verdüsterung“ beschrieben, aber der beunruhigende und tragische Unterton, der von nun an Bridges Werke durchzieht, ist durchaus nicht Farbverlust, sondern Kraftgewinn. Die Metamorphose läßt sich besonders gut an der zwischen 1913 und 1917 geschriebenen Sonate für Violoncello und Klavier (H.125) beobachten, in der Bridges beide Idiome eine eigenwillige und spannungsreiche Koexistenz eingehen. In den folgenden Jahren erkundet Bridge mit der für ihn typischen handwerklichen Akribie, aber auch mit visionärem Mut die Ausdrucksmöglichkeiten seines neuen Stils; die von Myra Hess uraufgeführte Klaviersonate (1921-24) ist das beeindruckende und erschütternde Zeugnis dieser Suche.

Wie nicht anders zu erwarten, war das Publikum durchaus nicht bereit, dem Künstler auf seinem Weg zu folgen. Die Zerstreuung und Ablenkung, die es suchte, waren hier nicht zu finden; aber auch der Reiz des provokanten Epatismus, der viele „avantgardistische“ Werke der Zwanziger Jahre dem Publikum wenigstens unterhaltend erscheinen ließ, lag dieser Musik fern. Die Verständnislosigkeit, mit der Bridges Werke von nun an aufgenommen wurden, schmerzte den Komponisten, aber sie konnte seinen Schaffensdrang nicht hemmen. Im Gegenteil: die Jahre 1925 bis 1932 sind nach Umfang und Gewicht der entstandenen Werke der produktivste Abschnitt im Leben des Meisters. Vier bedeutende Kammermusikwerke, zwei Solokonzerte und zwei Orchesterwerke sind neben einer Reihe Lieder und kleinerer Klavierwerke die Ernte dieser Jahre. Es ist bezeichnend, daß etliche dieser Werke erst Jahrzehnte nach ihrem Entstehen aufgeführt und veröffentlicht wurden.

Unter den vier Kammermusikwerken dieser Jahre ist das im Auftrag von Elizabeth Sprague Coolidge geschriebene Zweite Klaviertrio vielleicht das großartigste – auf jeden Fall aber das zu seiner Zeit am wenigsten verstandene. Auch die „Fachleute“, die sich beeilten ihre Vertrautheit mit dem neuen Idiom zu beteuern, um ihrer Ablehnung mehr Gewicht zu geben, wußten mit dem Stück nichts anzufangen. So schrieb etwa der Kritiker des Daily Telegraph, der (zu Recht vergessene) irische Komponist Herbert Hughes (1882-1937):

„This was patently 1929 music – owing a great deal to Scriabin and more to Schoenberg. As it proceeded one wondered whether Mr Bridge had not somewhat forced upon himself this style of writing, whether the great part of this trio had any real meaning, even superficial, to the composer himself. We are, or so it seems to me, faced today, in this present international vogue of atonalism, with a new species of Kapellmeistermusik. Mr Bridge is not the only instance of a composer on this side of the Channel having suddenly adopted a manner (as he did in his recent piano sonata) that bears no recognisable relationship to his own natural development. […] It was not at all clear what the composer was trying to convey. The idiom is no longer strange, and it should not be hard for a good craftsman to make himself understood.“

Die saloppe Präpotenz, mit der hier an einen Meister Zensuren verteilt werden, ist typisch für das Dilemma, in das eine mehrfach überforderte „Musikkritik“ in unserem Jahrhundert geraten ist: Zwischen Komponisten, die alle ihre eigenen und nicht leicht ergründlichen Wege gehen, und einem Lesepublikum, das sich am liebsten und leichtesten durch lausbübische Platitüden unterhalten läßt, muß auch ein „kompetenter“ Kritiker den Geist aufgeben. Musikkritik und Musikwissenschaft teilen das Bedürfnis, – wenn auch auf recht unterschiedliche Weise – mit kompositorischen Phänomenen „fertig zu werden“. Ein suchender und selbst nie „fertig“ werdender Komponist wird dabei leicht zu einem unbequemen Ärgernis, das Angriffe provoziert. In der Hitze des Gefechts entblößt sich dann aber meist nur der Angreifer selbst: So schrieb etwa der englische Musikologe Gerald Abraham, dem 1952 die reizvolle Aufgabe zufiel, das Werk Bridges für die monumentale Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart in einem eineinhalbspaltigen Artikel zu charakterisieren: „Man spürt in seinem ganzen Schaffen den Mangel eines eigentlichen schöpferischen Dranges.“ – ein mutiges und originelles Verdikt über ein rund zweihundert Werke umfassendes Œuvre. (Als dringend nötige Entspannung nach einer so tiefschürfenden Analyse verfaßte Herr Abraham für dieselbe Enzyklopädie dann auch gleich seine eigene Biographie – sicher unentbehrlich für ein editorisches Unternehmen, das es sich zur Regel gemacht hatte, „nur Persönlichkeiten von einer gewissen Rangstufe aufwärts eigene Artikel zu geben“; und so besehen ist es eigentlich wiederum erstaunlich, daß Frank Bridge von der Redaktion dieses Jahrhundertwerkes überhaupt eines eigenen Artikels gewürdigt wurde.)

Da sich auch die den Mond anbellenden Hunde gerne zusammenrotten, erstaunt es nicht, auch noch ein Vierteljahrhundert nach Bridges Tod ähnlich subtile Einblicke geboten zu bekommen. 1966 dringt Abrahams älterer Zunftgenosse Frank Howes (auch er selbstredend, das heißt: in einem selbstverfaßten Artikel, zu MGG-Ehren gelangt) zu folgender verblüffenden und Bridges Stilwandel nun wirklich hintergründig motivierenden Einsicht vor: „He began to uglify his music to keep it up to date.“ Hätte William Cobbett auch einen Preis für die dümmsten Anmaßungen der Kritik gestiftet, hätte er wohl die Qual der Wahl gehabt.

Benjamin Britten, der zur Zeit der Entstehung des Klaviertrios gerade fünfzehn Jahre alt und Bridges Privatschüler war, erinnerte sich an die Kränkung, die dem Komponisten folgende Bemerkung anläßlich der zweiten Londoner Aufführung des Werkes zufügte:

„It seems evident that he has made common cause with the advocates of modernity and put technical interest before aesthetic pleasure. […] My impression is that he is bartering a noble birthright for less than a mess of pottage.“

(Musical Times, London, April 1930)

Seiner Mäzenin Elizabeth Coolidge versucht Bridge vergeblich den Schmerz zu verhehlen, den ihm dieses Ausmaß an Feindseligkeit und Unverständnis bereitet:

„I see quite clearly that it is going to be increasingly difficult for people who have standardised their ideas as to what music is when they compare my work at twenty-seven (Bridge meint sein erstes Klaviertrio) and that at fifty, but that there can be any compromise between what is expected by others and what my instinct insists upon is utter impossibility. The last few years have strengthened my mental powers – such as they are – to a degree that leaves them untouched by any outward manifestation. You will admit that it is a difficult moment when one reads the kind of personal slight that Hughes finds pleasure in doling out ad infinitum ,but the effect is a momentary one. A kind of superficial sting in the flesh, but no more, and so on with the next work.“

Elizabeth Coolidge, der das Werk (wie auch das unmittelbar davor entstandene Dritte Streichquartett) gewidmet ist, hatte die Uraufführung des Klaviertrios als festlichen Abschluß ihrer ausgedehnten Europareise (Juni bis November 1929) arrangiert. Am 4. November 1929 traten im noblen Londoner Langham Hotel Harriet Cohen, Antonio Brosa und Anthony Pino vor ein geladenes Publikum, um das Werk aus der Taufe zu heben.

Die befremdete Reaktion von Publikum und Presse in London bewog Mrs Coolidge dazu, das Trio im Herbst 1930 auf Tournee in die Vereinigten Staaten einzuladen, wo das Werk zum Trost für den Komponisten größeres Verständnis – oder zumindest weniger offene Ablehnung – fand.

Seither ist immer klarer geworden, daß Bridges zweites Klaviertrio zu den ganz großen Leistungen des Genres in unserem Jahrhundert zu zählen ist. Diese Erkenntnis setzt sich seit einigen Jahren auch in den Konzertsälen und Aufnahmestudios durch, und so ist das Werk – obwohl es in Österreich sicher noch nicht oft zu hören war – inzwischen schon längst keine Trouvaille mehr.


Der Vergleich mit Bridges erstem Klaviertrio, der Phantasie (c-moll, H.79) von 1907, liegt allzu nahe – wie ja der Komponist selbst in dem oben zitierten Brief an seine Mäzenin beklagt. Aber nur in formaler Hinsicht läßt sich ein loser Bezug zwischen den beiden Werken erkennen: Hier wie dort handelt es sich nicht um einen Zyklus von autonomen Sätzen, sondern um eine subtil gewobene Einheit aus mehreren musikalischen Schichten. Denn obwohl unser Klaviertrio (im Gegensatz zur einsätzigen Phantasie) nominal vier Sätze umfaßt, besteht es eigentlich aus zwei Satzpaaren, die untereinander auf vielfältige Weise verknüpft sind.

Das erste Satzpaar beginnt mit einem Allegretto ben moderato. Es ist schwer vorstellbar, daß ein Geiger, der Bridge ja seiner Ausbildung nach war, diese Tempobezeichnung an dieser Stelle des Werkes niederschreiben konnte, ohne an den ebenso bezeichneten Eröffnungssatz der Violinsonate von César Franck zu denken. Die lineare Entwicklung des Satzes aus zwei Keimzellen und der Dreiachtel-Puls ( – sogar die original Franckschen Neunachteltakte schleichen sich mitunter ein – ) würden diese philologische Parallele noch unterstreichen, wenn nicht das fahle Winterlicht, das über dem Ganzen liegt, den denkbar größten Kontrast zur frühlingsselig-bräutlichen Stimmung des imaginären „Modells“ bildete. Die Stelle einer Durchführung wird von einer Art „invertierter Passacaglia“ eingenommen, bei der das ostinate Thema tänzerisch bewegt ist, während die variativen Stimmen sich nur mühsam und zögernd aus ihrer Erstarrung lösen. Die Reprise ist radikal und dramatisch verdichtet; sie mündet über eine düstere Stretta in eine rezitativische Klage, in der die unerlöste Sehnsucht des Satzes ( – vielleicht die nach der serenitá des Franckschen Pendants? -) noch einmal zu Wort kommt.

Diese ganze Szene kreist um den fast allgegenwärtigen Zentralton Cis, der jetzt auch den Ausgangspunkt für den übergangslos anschließenden Folgesatz (Molto allegro) bildet. Hier ist die beklommene und bange Sehnsucht in grotesken Spuk zerstäubt. Bridge unterstreicht den extremen Kontrast zwischen den beiden Gliedern des Satzpaares raffiniert und konsequent durch instrumentatorische und klangfarbliche Kunstgriffe: an die Stelle der vollgriffigen pianistischen Textur und der weiträumigen Streicherkantilenen des Eröffnungssatzes sind hier silbrig-dünne Diskantgespinste und nervöse Pizzicati getreten. Der Satz wird fast zur Gänze von Nonintervallen (und ihren Septimumkehrungen) beherrscht, was die gespenstische Unruhe noch erhöht. Ein sarkastischer Ton scheint in der Luft zu liegen, aber unter der makabren Oberfläche des Geschehens erahnt man bitteren und grimmigen Ernst.

Das zweite Paar des Diptychons ist zwar äußerlich (in Metrik und Disposition der Tempi) dem ersten parallel, erfüllt aber diese analogen Gegebenheiten mit völlig neuen Inhalten. Den Anfang bildet hier ein Andante molto moderato im Sechsachteltakt, ein schleppender Traumtanz, in dem Bridges harmonische Extravaganzen besonders eindrucksvoll zur Geltung kommen. Trotz der offensichtlichen motivischen Beziehungen zum ersten Satz ist die Sehnsuchtsklage hier ganz verstummt; die Musik scheint in hypnotischer Trance gefangen, aus der sie erst der unvermittelte Einbruch des Finales (Allegro ma non troppo) befreit. Dieser Satz faßt das gesamte Material des Werkes in einer beeindruckend dichten Synthese zusammen. Die Folie dafür bietet die klassische Sonatenform mit den auch schon für die „Phantasien“ des jungen Bridge charakteristischen Erweiterungen und Rückgriffen. Das thematische Material erinnert in seiner Gestik vielleicht entfernt an den Schönberg der Kammersymphonie, eine Parallele, die freilich vor allem aus rein biographischen Gründen durch die Kritik geistert. (Bridge war einer der ersten und sicher der bedeutendste Apologet der Zweiten Wiener Schule in England – vor allem ein Bewunderer Alban Bergs -, und daß er die Uraufführung seines Dritten Streichquartetts, das als die erste englische Antwort auf Schönberg gilt, gerade dem Wiener Kolisch-Quartett anvertraute, hatte sicher programmatische Bedeutung.) Die Fortspinnung des lyrischen Seitenthemas mündet am Ende der Durchführung in ein wörtliches Zitat des Werkanfangs. Aber die kriegerischen Untertöne, die schon im Hauptthema zu vernehmen waren, gewinnen immer mehr an Kontur. Am Höhepunkt dieser Entwicklung übernimmt das „Passacagliathema“ des Kopfsatzes mit hymnischer Geste die Herrschaft. Doch auch diese Scheinlösung kann sich nur wenige Takte lang behaupten, und das Werk verstummt wie es begonnen hat: mit einer unaussprechlichen Frage auf den Lippen.

© by Claus-Christian Schuster