Brahms: Trio Nr.3, c-moll, op.101

Johannes Brahms

* 7. Mai 1833
† 3. April 1897

Trio Nr.3, c-moll, op.101

Komponiert:Thun, Sommer, 1886
Uraufführung:Budapest, 20. Dezember 1886
Johannes Brahms, Klavier
Jenö Hubay (1858-1937), Violine
David Popper (1843-1913), Violoncello
Erstausgabe:Simrock, Berlin, April 1887

Mit Brahms‘ drittem Klaviertrio ist in der Entwicklung des Genres ein kritischer Punkt erreicht. Die äußerste Konzentration und Verdichtung, die hier verwirklicht ist, war nicht mehr zu überbieten. Die Nachfolger konnten, sofern sie das Brahmssche Paradigma überhaupt vor Augen hatten, nur den Weg zum episch-symphonischen Klaviertrio gehen, wie ihn etwa Pfitzner und Reger beschritten, oder aber sich, wie Ives und Ravel, auf die Suche nach Neuland machen.

„Es ist besser als alle Photographien und so das eigentliche Bild von Ihnen.“ schwärmt Elisabet von Herzogenberg (9./10. Jänner 1887), während sie schweren Herzens die Partitur einpacken läßt, um sie an Brahms zurückzuschicken. Zu Silvester hatte sie das Stück mit Joseph Joachim und Robert Hausmann ein erstes Mal durchspielen können (wobei man sich mit einer Partitur behelfen mußte, da Brahms keine Stimmen mitgesendet hatte). Ihre erste Reaktion in dem oben zitierten Brief ist so schlicht und erschöpfend, daß sie uns eigentlich der Mühe weiterer „Erläuterungen“ entheben sollte:

„…Diesen neuen Stücken gegenüber käme es mir noch lächerlicher als gewöhnlich vor, wenn ich armer Floh mich hinsetzen wollte, meine Eindrücke zu „motivieren“ und Ihnen sagen zu wollen, warum, was Sie gemacht haben, so schön ist! Und ich könnte es nicht mit Überzeugung tun; denn ich glaube und bekenne, daß es nicht an diesem und nicht an jenem liegt, warum diese Musik so besonders geraten ist, sondern weil der heilige Geist es eben besonders gut mit Ihnen meinte. Etwas, wie dieses Trio, in allen Teilen so vollendet, so leidenschaftlich und so maßvoll, so groß und so lieblich, so knapp und so beredt, ist überhaupt wohl selten geschrieben worden, und mich dünkt: Sie selber müssen ein Gefühl gehabt haben, als Sie den letzten Takt schrieben, wie etwa Heinrich der Vogler, wenn er betet: »Du gabst mir einen guten Fang, Herrgott, ich danke Dir!«…“ Auch Clara Schumann schreibt nach der ersten Bekanntschaft mit dem „wunderbar ergreifenden“ neuen Werk: „Noch kein Werk von Johannes hat mich so ganz und gar hingerissen.“

Ganz ähnlich muß der Dichter J. V. Widmann empfunden haben, in dessen Berner Haus das Werk noch im Sommer 1886, unmittelbar nach seiner Fertigstellung, zum allerersten Mal erklang – Brahms spielte es dort mit den Brüdern Friedrich und Julius Hegar. Bei dieser Leseprobe scheint es jedenfalls friedlicher zugegangen zu sein als bei jener, die der Wiener Erstaufführung (26. Februar 1887) vorausging und über die Max Kalbeck berichtet:

„…Obwohl Geiger (Robert Heckmann) und Violoncellist (R. Bellmann) ihre Stimmen vorher durchgesehen hatten, wurden sie doch von Brahms und der genialen Ungebundenheit seines Spiels so außer Fassung gebracht, daß sie ihm nur mühsam nachkamen und kaum selbständig hervortraten. Das Werk blieb ihnen fremd, und sie begriffen es um so weniger, als Brahms nicht die geringste Rücksicht auf sie nahm. Er schien die Bekanntschaft mit der Novität vorauszusetzen und ärgerte sich, daß die überraschten und verblüfften Mitspieler fast völlig versagten. Nach dem ersten Satz beging Heckmann die Unvorsichtigkeit, zu fragen, ob der Meister zufrieden sei oder es anders wünsche. Er erwiderte höhnend in gereiztem Tone: »Ja, sehr!« und fing sofort den nächsten Satz an. Im f-moll-Teile stolperten Violine und Violoncell, die den Einsatz verpaßten, und die Pizzicati mißglückten bei dem rasenden Tempo, das Brahms genommen hatte, jedesmal. Seine Ungeduld steigerte sich immer mehr, und man sah ihm an, wie es in ihm kochte. Nach dem letzten Akkord sprang er auf, schleuderte dem Konzertmeister ein paar heftige Worte zu: »So kommt man nicht zur Probe!«, war durch nichts zum Dableiben zu bewegen, sagte meiner Frau und mir Adieu, würdigte seine niedergedonnerten Mitspieler keines Blickes mehr und stürmte fort…“

Wenn man sich diese Szene vergegenwärtigt und dabei daran denkt, daß dieses Trio Brahms besser porträtiert als alle Photographien, so wird man beginnen, auch die grimmigeren Töne des Werkes zu verstehen.

Sicher hat Elisabet von Herzogenberg den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie feststellt, daß „es nicht an diesem und nicht an jenem liegt, warum diese Musik so besonders geraten ist.“ Es ist daher, so verlockend und lohnend es auch erscheint, gar nicht unbedingt notwendig, den motivischen und gedanklichen Querbezügen nachzuspüren, die aus den vier Sätzen dieses Werkes ein so zwingendes Ganzes machen. Überall wird man die gleiche Kraft der Verdichtung finden, unter deren Druck alle Ideen sich in ihrer reinsten Form kristallisieren – der Gedanke an gebirgsbildenden Naturgewalten wird in den Außensätzen, Allegro energico und Allegro molto, schon durch das Klang- und Notenbild nahegelegt. Nur im Schutz dieser mächtigen Ecksätze kann das Mysterium der beiden Innensätze – des phantomhaften Presto non assai und des unschuldigen Andante grazioso – unversehrt bewahrt werden.

Es gibt gar keinen Zweifel: Dieses kürzeste aller großen Klaviertrios des XIX. Jahrhunderts, „bei dem man“ – um wieder Elisabet von Herzogenberg sprechen zu lassen – „am Schluß nur einmal Mangel empfindet, weil es da aus ist und man noch mehr davon haben wollte“, braucht und duldet keine Einführung.

© by Claus-Christian Schuster