Friedrich Gernsheim
* 17. Juli 1839
† 10. September 1916
Trio Nr. 2 [4] H-Dur für Pianoforte, Violine und Violoncell op.37
| Komponiert: | Rotterdam | 
| Widmung: | Helene Gernsheim, geb. Hernsheim | 
| Erstausgabe: | Rieter & Biedermann, Leipzig, 1879 | 
Der Name Friedrich Gernsheims ist zwar in allen Musiklexika, kaum je 
aber auf Konzertprogrammen zu finden. Der Komponist, dessen erste 
Symphonie – 1874, also zwei Jahre vor Brahms‘ op. 68, uraufgeführt – 
noch 1897 das lebhafte Interesse Gustav Mahlers fand, ist heute nur mehr
 ganz wenigen Musikfreunden ein Begriff. Als 1997/98 eine erste 
Gesamtaufnahme der vier Symphonien Gernsheims erschien, war die 
Überraschung – wenn auch in kleinem Kreise – dementsprechend groß: Hier 
war ein Komponist am Werk, der trotz eklektischer Grundhaltung seine 
eigene Persönlichkeit auf ebenso unaufdringliche wie handwerklich 
souveräne Art zu behaupten wußte, der, ohne gerade ein „Originalgenie“ 
zu sein, durchaus seinen ureigenen Ton erkennen läßt: Kurz, ein 
Komponist den man ganz sicher kennen würde – wenn er das Glück gehabt 
hätte, Schwede, Engländer oder Belgier zu sein. Denn ohne Zweifel ist 
die einzigartige Dichte der musikalischen Produktion Deutschlands in der
 zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts der Hauptgrund dafür, daß ein Werk
 wie das Gernsheims dem kollektiven Bewußtsein so spurlos entschwinden 
konnte; daß der Rassenwahn der nationalsozialistischen Machthaber die 
Aufführung der Kompositionen Gernsheims zwischen 1933 und 1945 
verunmöglichte, hat freilich das Vergessen ganz erheblich beschleunigt. 
Ein Blick auf den Werdegang des Komponisten mag verdeutlichen, welch 
gediegene und solide Ausbildung man in Deutschland um 1850 erhalten 
konnte – im Vergleich dazu nimmt sich der Bildungsweg etwa von Johannes 
Brahms fast bescheiden aus. Daß nahezu alle genannten Lehrer Juden 
waren, hat sicherlich mit Gernsheims Elternhaus zu tun, widerspiegelt 
aber gleichzeitig eine musikhistorische Realität, an der auch die 
rabiatesten Geschichtsfälschungen des „Dritten Reiches“ nichts zu ändern
 vermochten. 
Friedrich Gernsheim wurde als Sohn eines Arztes und einer musikalisch 
ausgebildeten Mutter in eine Wormser Patrizierfamilie geboren. Seine 
Mutter wurde auch seine allererste Lehrerin, bevor sich der Spohrschüler
 Louis Liebe (1819-1900) des außergewöhnlich talentierten Knaben annahm.
 Das Revolutionsjahr 1848/49 verbrachte der kleine Friedrich mit seiner 
Mutter in Mainz, wo ihn der junge Wiener Ernst Pauer (1826-1905), selbst
 ein Schüler Sirnon Sechters und Franz Lachners, unterrichtete. Ab 1849,
 als sich die Familie in Frankfurt am Main niederließ, genoß Friedrich 
Gernsheim dann eine ebenso breit wie profund angelegte Ausbildung: Der 
bekannte Virtuose Eduard Rosenhain (1818-1861) wurde sein Klavierlehrer,
 der Baillot-Schüler Eduard Eliason (*1811), ein angesehener 
Quartettist, und der Frankfurter Konzertmeister Heinrich Wolff 
(1813-1898) unterrichteten ihn auf der Geige, während ihm Johann 
Christian Hauff (1811-1891), Komponist und Autor einer fünfbändigen 
Theorie der Tonsetzkunst, die Welt der Musiktheorie und des Tonsatzes 
erschloß. Schon am Ende des ersten Unterrichtsjahres produzierte sich 
der Elfjährige mit großem Erfolg in einem Frankfurter Theaterkonzert als
 Pianist, Geiger und Komponist (mit der Uraufführung einer 
Orchesterouvertüre); im Jahr darauf besuchte er mit seiner Mutter seinen
 ehemaligen Lehrer Louis Liebe, der jetzt in Straßburg wirkte. (Hier 
sollte bald darauf die kleine Marie Trautmann[-JaeII] Liebes berühmteste
 Schülerin werden.) Von 1852 bis 1854 studierte Gernsheim dann am 
Leipziger Konservatorium bei den Koryphäen dieses Institutes: Moritz 
Hauptmann (1792-1868, Komposition), Ignaz Moscheles (1794-1870, Klavier)
 und Ferdinand David (1810-1873, Violine), letzterer wie Gernsheims 
erster Lehrer ein Schüler von Louis Spohr. 
1855 übersiedelte Friedrich Gernsheim nach Paris. Den Anstoß für diesen 
Schritt gab sein Wunsch, die Klavierstudien bei An toine Francois 
Marmontel (1816-1898) fortzusetzen. Dieser hatte 1848 eine Klasse am 
Conservatoire übernommen, die bald legendären Ruf genießen sollte: In 
den nahezu vierzig Jahren, die Marmontel hier unterrichtete, begründete 
er – nicht zuletzt durch seine didaktischen Kompositionen und 
theoretischen Schriften – eine sehr spezifische, pädagogische und 
interpretatorische Tradition, die in mancher Hinsicht bis heute 
nachwirkt. Bizet, Wieniawski, Debussy und d’Indy waren ebenso seine 
Schüler wie Marguerite Long und Isaac Albeniz. Der Unterricht, den 
Gernsheim bei Marmontel genoß, brachte ihn bald in Kontakt mit der 
Parjser Musikwelt: mit dem gleichaltrigen Elsässer Pianisten Franz 
Stockhausen (Bruder von Brahms‘ Lieblingssänger Julius), der bald darauf
 den umgekehrten Weg von Paris nach Leipzig nehmen sollte, ebenso wie 
mit dem um nur vier Jahre älteren Camille Saint-Saens, mit Edouard Lalo,
 mit Stephen Heller, der schon seit 1838 in Paris lebte und schließlich 
mit einer lebenden Legende, die gerade im Jahr 1855 endgültig nach Paris
 zurück- gekehrt war: mit Gioacchino Rossini. In Rossinis berühmtem 
SaIon in der Chaussée d’Antin fand Gernsheim dann Anschluß an viele 
andere Persönlichkeiten des Pariser Geistes- und Gesellschaftslebens. Im
 letzten Jahr seines immer wieder aufs neue ausgedehnten 
Parisaufenthaltes – die hoffnungslose Liebe zu Aline de Pommayrac mag zu
 der Anhänglichkeit an die Stadt das Ihre beigetragen haben – wurde er 
noch Zeuge des Skandals um die drei Aufführungen des Tannhäuser (März 
1861), in denen Pöbel und Claque in wenigen Stunden das Ergebnis von 164
 Proben zunichte machten; von diesem Erlebnis bewahrte er sich 
zeitlebens eine mitfühlende Hochachtung für die Person Richard Wagners 
(dem er umgehend einen Sympathiebesuch abstattete), freilich ohne daß er
 sich deswegen den Wagnerschen Kunstidealen angenähert hätte. 
Im selben Jahr folgte Gernsheim einer Einladung nach Saarbrücken, wo er 
als Musikdirektor in der Nachfolge seines Kindheitsfreundes Hermann Levi
 (1839-1900) die Leitung eines Kammerorchesters und zweier Chöre 
übernahm. In dieser Zeit intensivierte er auch seinen Kontakt zu 
Ferdinand Hiller (1811-1885), einer Zentralfigur des deutschen 
Musiklebens, in dessen Kölner Heim er im Juni 1862 während des 
Niederrheinischen Musikfestes die für sein weiteres Leben prägende erste
 Begegnung mit Johannes Brahms hatte. 1865 berief Hiller seinen jungen 
Freund als Klavier- und Kompositionslehrer an das Kölner Konservatorium,
 wo bald darauf Engelbert Humperdinck sein Schüler wurde. Hier 
entfaltete Gernsheim in der Folge auch als Interpret und Organisator 
eine umfangreiche Tätigkeit, in der er seine Vorliebe für Brahms und 
Bruch nach Kräften auslebte. Mit beiden Komponisten stand er in 
dauerndem freundschaftlichen Verkehr. 
Mit Gernsheims Berufung als Direktor der Maatschappij tot bevordering 
der toonkunst in Rotterdam eröffnete sich ihm 1874 ein neues und weites 
Wirkungsfeld. Die in den letzten Jahren seines Kölner Wirkens nicht eben
 spannungsfreie Beziehung zu Hiller hatte wahrscheinlich Anteil an 
seiner Entscheidung für Rotterdam. In den sechzehn Jahren seiner 
dortigen Tätigkeit gab Gernsheim dem holländischen Musikleben wichtige 
Impulse; vor allem an Brahms‘ frühem und nachhaltigem Erfolg in den 
Niederlanden hat er ganz wesentlichen Anteil. Auch der zentrale Teil 
seines eigenen Schaffens, darunter alle vier Symphonien, entstand in den
 Rotterdamer Jahren. Erst 1890 kehrte Gernsheim nach Deutschland zurück,
 um in Berlin die Leitung einer Kompositionsklasse am Sternschen 
Konservatorium und die Direktion des Sternschen Gesangvereines zu 
übernehmen. 1897 wurde er hier in den Senat der Akademie der Künste 
gewählt, die ihm 1901 auch die Leitung einer Meisterklasse für 
Komposition übertrug. Daneben war Gernsheim bis an sein Lebensende als 
Pianist und Dirigent (unter anderem der Meininger Hofkapelle) 
erfolgreich tätig. Für die Hochschätzung, die Gernsheim zu Lebzeiten 
genoß, mag der Umstand sprechen, daß man etwa in Dortmund aus Anlaß 
seines 75. Geburtstages noch wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten 
Weltkrieges ein zweitägiges Gernsheim-Fest veranstaltete. 
Das Bild des hochdekorierten und geehrten Senators Friedrich Gernsheim 
ist wohl auch mitverantwortlich dafür, daß der Komponist sehr bald schon
 als eine epigonale Erscheinung aus dem Kreis der Berliner Akademiker 
abgetan wurde. So lange man nicht Gelegenheit hat, eine solche 
Pauschalklassifizierung am klingenden Werk zu überprüfen, ist es 
unmöglich, ihr entgegenzutreten oder sie zu bestätigen. In den 
Symphonien findet sich jedenfalls eine Reihe von Zügen, die Gernsheim 
als einen der experimentierfreudigeren Vertreter seiner Generation 
erscheinen lassen. In seinen späteren Werken läßt sich sogar eine 
Befruchtung durch die Tonsprache der nachfolgenden Generation – Richard 
Strauss, Hans Pfitzner und Max Reger – feststellen. Wilhelm Altmann hat 
in seinen zahlreichen Publikationen ebenso beredt wie resonanzlos auf 
die Qualitäten des Komponisten hingewiesen, zuletzt noch (und das mag 
als ein Ruhmesblatt einer wie immer auch kleinlauten Zivilcourage 
gelten) 1934 in seinem Handbuch für Klaviertriospieler. 
Von seinen insgesamt vier Klaviertrios hat Gernsheim nur die letzten 
beiden veröffentlicht: 1873 das F-Dur- Trio op. 28 und 1879 als „Nr. 2“ 
unser H-Dur- Trio; ein Jugendwerk in Es-Dur und das Trio in B-Dur op. 23
 blieben Manuskript und werden in der Berliner Staatsbibliothek 
aufbewahrt. 
Das H-Dur-Trio entstand 1877 in Rotterdam; im selben Jahr heiratete 
Gernsheim die aus Karlsruhe stammende Helene Hernsheim, und ihr ist das 
Werk auch qewidmet. 
Die zärtliche Leidenschaft des ersten Satzes (Allegro moderato) gibt 
beredtes Zeugnis von dem Enstehungsanlaß des Trios. Das von langer Hand 
vorbereitete Seitenthema (in As-Dur) erinnert in seiner hymnischen 
Achtelbewegung an das Schlußgruppenthema aus dem Kopfsatz von Brahms‘ 
Klavierquartett op. 25, eines der ersten Werke seines Vorbildes, das 
Gernsheim kennenlernte. (Der Eindruck, den dieses Werk auf den jungen 
Komponisten gemacht haben muß, spiegelt sich unter anderem auch darin 
wieder, daß er sein eigenes Opus 25, das erste seiner fünf 
Streichquartette, mit einem unüberhörbar von Brahms angeregten Rondo 
all’ongarese beschließt.) Die Reprise folgt minutiös und – von der 
unumgänglichen Transposition des Seitensatzes einmal abgesehen – ohne 
jede Änderung der Exposition. Dieses Detail scheint in einigem 
Widerspruch zu dem schwärmerischen, ja überschwänglichen Ton des Satzes 
zu stehen. Bei näherer Betrachtung ergibt sich freilich, daß der 
Komponist wohl einen außermusikalischen Grund für diese Regelhaftigkeit 
hatte: Exposition und Reprise weisen nämlich dank dieses Vorgehens je 77
 Takte auf – eine gut versteckte Anspielung auf das Hochzeitsiahr des 
Paares. 
Einer später auch Max Reger heiligen Tradition gemäß steht das Scherzo 
(Vivace, D-Dur) an zweiter Stelle; bei Brahms ist diese Satzfolge eher 
die Ausnahme –  und bezeichnenderweise zählt wieder auch das Opus 25 
(wie die Opera 8, 36, 40, 60 und 101) zu diesen Ausnahmen -, während sie
 bei Gernsheim recht häufig anzutreffen ist (Streichquintett op. 9, 1. 
und 3. Klavierquartett, 3. bis 5. Streichquartett, Klaviertrio op. 28 u.
 a. m.). Einen so ungetrübt gutgelaunten, ausgelassenen und geradezu 
leichtsinnigen Satz wird man bei Brahms jedenfalls vergeblich suchen. 
Raffinement würde zum Übermut dieses Stückes schlecht passen, und 
Gernsheim verzichtet leichten Herzens darauf. Der einzige Kunstgriff, 
den der Komponist sich gestattet ist die Verwebung des über einer 
fortlaufenden Dreiviertel-Begleitung sich irn Zweivierteltakt bewegenden
 Trios in die Coda des Hauptteiles. 
In denkbar größtem Gegensatz zum aufgeräumten Charme dieses leutseligen 
Scherzos steht der dritte Satz (Lento e mesto, fis-Moll/Dur). Es ist ein
 Klagelied von schlichter Elndringlichkeit und berührender Innigkeit und
 sicher einer der wertvollsten Sätze in Gernsheims Kammermusik. Der 
Maggiore-Mittelteil (Un pochino più lento) schlägt religiöse Töne an und
 kehrt als Coda des Satzes wieder. Das Ganze wirkt wie ein 
kammermusikalisches De profundis – eine im Hinblick auf den 
Entstehungsanlaß des Werkes doch eher unerwartete Nuance. Vielleicht 
findet sich in der Grundhaltung dieses Satzes auch ein ferner Nachklang 
jener Stimmung, die Brahms im Adagio mesto seines (1868 
veröffentlichten) Horntrios beschworen hat. 
Im Finale (Allegro non troppo, ma energico) herrschen dann wieder 
„stolzes Kraftgefühl und Lebenslust“ (Altmann). Der Ton, den Gernsheim 
hier anschlägt, hat ein wenig von der Bärbeißigkeit, die man recht 
häufig bei Reger, gelegentlich auch beim jungen Pfitzner antrifft; auch 
die Harmonik des Satzes weist an einigen Stellen (vor allem in der recht
 knappen Durchführung und der originellen Coda) auf die Musik der 
Strauss-Generation voraus. Wie im ersten Satz folgt der Komponist auch 
hier ganz ohne Extravaganzen den etablierten formalen Schemata, und die 
Reprise ist wieder – und diesmal ganz ohne hermeneutischen Hintersinn – 
eine taktgetreue Wiedergabe der Exposition mit nur marginalen 
Änderungen. Daß diese Treue gegenüber den erprobten Modellen Hand in 
Hand mit einer urwüchsigen Vitalität geht und ihr durchaus nichts 
Schülermäßiges oder Akademisches anhaftet, ist ein weiterer Zug, den 
Gernsheim mit Reger gemeinsam hat. 
Nur ein Teil – wenn auch der bedeutendste – der nahezu 250 Kompositionen
 Gernsheims liegt gedruckt vor; größere Manuskriptbestände befinden sich
 in Berlin und Jerusalem, wohin sie als Nachlaß von Gernsheims Tochter 
Clara gelangten. Wie Brahms und eine ganze Reihe von Komponisten des 
Brahmskreises hat Gernsheim in seinem OEuvre eigentlich nur die Oper 
bewußt ausgespart, alle anderen Gattungen sind mit zum Teil bedeutenden 
Werkreihen vertreten. Die Kammermusik, die zusammen mit der Symphonik 
den wohl gewichtigsten Teil seines Schaffens darstellt, macht etwa ein 
Zehntel seiner Produktion aus. 
Wie immer man sein Schaffen auch beurteilen mag: Sein künstlerisches 
Ethos, das sich in rigider Selbstkritik ebenso niederschlägt wie in 
seinem hingebungsvollem Einsatz für das Werk seiner Freunde, macht 
Friedrich Gernsheim zu einer ebenso beeindruckenden wie gewinnenden 
Gestalt der deutschen Musikgeschichte.
© by Claus-Christian Schuster