Josef Suk
* 04. Jänner 1874
† 29. Mai 1935
Elegie Des-Dur op. 23
| Komponiert: | Praha, 1902 | 
| Uraufführung: | Uraufführung der Urfassung: Prag, Letohradek kralovny Anny (Sommerschloß der Königin Anna), 31. Mai 1902 Solisten: Karel Hoffmann (1872-1936), Violine Jan Burian (1877-1942), Violoncello Uraufführung der Triofassung: nicht dokumentiert, angeblich Prag, 30. Juni 1902 | 
| Erstausgabe: | Urbánek, Praha, 1910 | 
„Elegie pod dojmem Zeyerova Vyšehradu“ – „Elegie unter dem Eindruck  von Zeyers Vyšehrad“ steht auf dem Titelblatt der erst 1999 wieder  aufgelegten zweiten und letzten Triokomposition Josef Suks; und es  stimmt einen elegisch, wenn man sich am Vorabend der Aufnahme  Tschechiens in die Europäische Union eingestehen muß, daß man mit dem  doch gar nicht so fremd klingenden Namen Julius Zeyer rein gar nichts  anzufangen weiß, und auch die Namen der anderen Dichtergrößen der  Dvoøák-Generation – Svatopluk Èech, Josef Václav Sládek etc. – nicht  gerade ein Meer an Gedankenassoziationen auslösen. Die Suche nach  deutschen Übersetzungen auch nur der Hauptwerke der tschechischen  Literatur endet deprimieend oft ergebnislos. Die dreiunddreißig Bände,  die bis 2007 im Rahmen der „Tschechischen Bibliothek“ erscheinen sollen,  weisen nur die allerersten Etappen auf jenem langen Weg, dessen  Beschreiten einem deutschsprachigen Publikum erstaunliche Entdeckungen  verheißen könnte. Zeyers Dramen haben Dvoøák und Janáèek (Šarka) ebenso  beschäftigt wie Fibich (Neklan). „Seinen“ Komponisten sollte der Dichter  aber erst in Josef Suk finden.
 
 Dvoøáks Lieblingsschüler und späterer Schwiegersohn wurde als Sohn eines  Dorfschullehrers und musikbegeisterten Regens chori im mittleren  Moldautal geboren. Im Alter von sechs Jahren bekam er ersten  Violinunterricht, bald darauf traktierte er auch Klavier und Orgel. Mit  acht Jahren begann er zu „komponieren“. 1885 wurde er Schüler des Prager  Konservatoriums, wo er von Antonín Bennewitz (Geige), Josef Förster  (Harmonielehre), Karel Stecker (Kontrapunkt) und Hanuš Wihan  (Kammermusik) unterrichtet wurde. Mit seinem Studienkollegen Oskar  Nedbal (1874-1930) verband ihn eine enge Freundschaft, die zum  Ausgangspunkt einer kammermusikalischen Großtat werden sollte: 1891  fanden sich Karel Hoffmann (1872-1936), Josef Suk, Oskar Nedbal und Otto  Berger (1873-1897) in einem Streichquartett zusammen, das seit seinem  Konzert in Rychnov nad Knĕžnou am 13. November 1892 den Namen Èeské  kvarteto führte und bald in ganz Europa bewundernd und liebevoll einfach  „die Böhmen“ genannt wurde. Das Wiener Début des Quartetts (19. Jänner  1893) löste einen Begeisterungssturm aus und wurde zur zweiten  Geburtsstunde dieses bemerkenswerten Ensembles, das in wechselnden  Besetzungen bis zu Hoffmanns Tod bestehen sollte. (Josef Suk gehörte dem  Quartett ununterbrochen bis 1933 an.)
 Etwa zu der Zeit, als das Böhmische Streichquartett Gestalt anzunehmen  begann, nahm Antonín Dvoøák seine Lehrtätigkeit am Prager Konservatorium  auf. Karel Stecker stellte ihm in einem Schülerkonzert am 15. Jänner  1891 die begabtesten Studenten vor – unter ihnen auch Josef Suk, dessen  Klaviertrio op. 2 an diesem Abend seine öffentliche Uraufführung  erlebte. Suk gehörte dann – zusammen mit seinem Freund und  Quartettkollegen Oskar Nedbal – zu den ersten Kompositionsschülern  Dvoøáks. Im Sommer 1892, knapp vor Dvoøáks Abreise nach New York, war  Suk wiederholt zu Gast im Landhaus des Meisters in Vysoká bei Pøibram.  Hier lernte er Dvoøáks gerade vierzehnjährige Tochter Otilie („Otilko“)  kennen, die ihn sofort bezauberte. Die Spuren dieser (vom Vater  absichtsvoll „übersehenen“) aufkeimenden Liebe finden sich in allen  Kompositionen, die Suk während der nächsten Jahre niederschrieb. Schon  bald nach der ersten Begegnung mußte Josef Suk von Otilko Abschied  nehmen: Zusammen mit ihrem kleinen Bruder Antonín begleitete sie die  Eltern auf der Reise nach Amerika, während die vier übrigen Geschwister  in der Obhut von Dvoøáks Schwägerin in Vysoká blieben. Suk und Nedbal  gehörten zu den wenigen ausgewählten Freunden, die den vier Abreisenden  in Prag am 15. September 1892 das Geleit gaben. – Ende Mai 1894 kam die  Familie Dvoøák auf Sommerurlaub in die Heimat. Das Böhmische  Streichquartett hatte in der Zwischenzeit eine ganze Reihe triumphaler  Tourneen unternommen, die den Großteil von Suks Zeit in Anspruch  genommen hatten. Trotzdem hatte er auch als Komponist Beachtliches  geleistet: das Brahms gewidmete Klavierquintett (g-moll, op. 8) war im  November 1893 mit großem Erfolg uraufgeführt worden, und er arbeitete  gerade an seiner ersten großen Orchesterkomposition, Pohádka zimního  veèera (Märchen einer Winternacht), einer „Ouverture nach Stimmungen aus  Shakespeares Schauspiel A Winter´s Tale“. Als Dvoøák im Herbst wieder  nach New York zurückkehrte, nahm er nur seine Frau und den kleinen  Otakar mit, während Otilie mit den anderen Geschwistern in Prag  zurückblieb. In einem der ersten Briefe, den sie ihren Eltern  nachsendet, berichtete sie begeistert über ein Konzert des Böhmischen  Quartetts. Bis zu Dvoøáks endgültiger Rückkehr aus Amerika Ende April  1895 hatten sich die Dinge so weit entwickelt, daß niemand mehr an einem  glücklichen Ausgang der Romanze zweifeln konnte.
 Zu Dvoøáks Freundeskreis zählte auch das bemerkenswerte Ehepaar Josef  und Zdenka Hlávka, deren gastliches Haus einer der Brennpunkte des  Prager Geisteslebens war. Der aus Ostböhmen stammende Josef Hlávka  (1831-1908) hatte in Prag und Wien Bildhauerei und Architektur studiert  und nach einigen Wanderjahren 1860 die renommierte Baufirma von  František Šebek in Wien übernommen. In der Ringstraßenära war er zu  einem der größten Bauunternehmer der österreichisch-ungarischen  Monarchie aufgestiegen – allein in Wien hatte seine Firma zwischen 1860  und 1869 nicht weniger als 142 Objekte gebaut, darunter die Hofoper  (Staatsoper). 1869, im Jahr der Eröffnung der Wiener Oper, war Hlávka  schwer erkrankt; nach seiner teilweisen Wiederherstellung widmete er  sich jetzt ganz dem sozialen und kulturellen Mäzenatentum. Die 1882 von  ihm ins Leben gerufene Stiftung hat als einzige Institution dieser Art  alle Fährnisse der tschechischen Geschichte überdauert und ist bis heute  segensreich tätig. Hlávkas zweite Frau, Zdenka (geb. Havelková,  1843-1902), war eine große Bewunderin Dvoøáks und eine ausgezeichnete  Pianistin. 1880 hatte sie in Chrudim zusammen mit Josef Klimeš die  Violinsonate op. 57 uraufgeführt; bei Dvoøáks Besuchen im Prager Salon  der Familie und auf Schloß Lužany, dem prächtigen Neorenaissancebau, den  Hlávka in der Nähe seines Geburtsortes Pøeštice zwischen 1886 und 1888  für Zdenka errichten hatte lassen, spielte sie oft mit ihm vierhändig.  Sie hatte aber ein ebenso offenes Ohr für die Dichtung, und einer ihrer  Lieblingsdichter war Julius Zeyer (1841-1901), das unumstrittene Haupt  der neuromantischen Bewegung in der tschechischen Literatur. Es ist also  nicht verwunderlich, daß Zeyer ebenso wie der gleichaltrige Dvoøák und  eine ganze Pleiade tschechischer Intellektueller dieser Generation –  Jaroslav Vrchlický, Josef Václav Myslbek, Albin Braf, Josef Píè –  gerngesehener Gast der Hlavkás war. Dvoøák hatte seine jungen Freunde  vom Böhmischen Streichquartett bei den Hlavkás eingeführt, und bald  hatte das Quartett dort Heimatrecht. Zdenka hatte nun die Idee, den  jungen Suk auf ein neues Werk Zeyers aufmerksam zu machen: In Radúz a  Mahulena hatte Zeyer die Welt des slovakischen Märchens auf eine sehr  persönliche Art beschworen und verwandelt, und Zdenka verstand es, den  Komponisten für dieses poetische Drama zu interessieren. Suk vereinbarte  mit Zeyer 1897 zunächst nur die Komposition einer Bühnenmusik; die  märchenhaft entrückte Erotik und vielschichtige Symbolik der  dichterischen Vorlage inspirierte Suk aber zu einer weit über den Rahmen  einer normalen Bühnenmusik hinausgehenden Vertonung, in der orchestrale  Interludien, Solo- und Chorlieder neben ausgedehnten melodramatischen  Abschnitten stehen. Das Ganze wurde eine höchst eigenwillige, dabei aber  ganz ungekünstelte und zwingende Mischform zwischen szenischer Musik  und durchkomponierter Märchenoper, die zu großen Teilen während Suks  immer ausgedehnteren Aufenthalten in Vysoká Gestalt annahm, wo Otilko  vom Garten aus dem Werden des Werkes zuhörte. Am 6. April 1898 fand im  Prager Nationaltheater die Uraufführung von Radúz a Mahulena.  Slovakisches Märchen in vier Aufzügen op. 13 statt; Dvoøák nannte das  Werk „eine vom Himmel kommende Musik“ – und etwas mehr als ein halbes  Jahr später, am 17. November 1898, am Tage der Feier von Dvoøáks  silberner Hochzeit, durfte Suk seine geliebte Otilko vor den Altar der  Neustädter Stephanskirche führen.
 Julius Zeyer war so gewissermaßen der dichterische Genius von Suks  Werben um Otilie geworden, und die Liebe zu der ihm von Zeyer eröffneten  Bilderwelt verließ Suk auch in den nächsten Jahren nicht: 1899/1900  verdichtete er die Musik von Radúz a Mahulena zu der viersätzigen  symphonischen Suite Ein Märchen op. 16, die bis heute eines der  meistgespielten Werke Suks geblieben ist. Unmittelbar danach begann er  mit der Arbeit an der Musik zu Zeyers jüngstem Werk, der dramatischen  Legende Pod jabloní (Unter dem Apfelbaum). Doch noch während Suk  versuchte, sich in diesen von christlicher Allegorik bestimmten Text  einzuleben, starb der Dichter kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag.  Eine Woch nach Zeyers Tod erlebte Ein Märchen seine Uraufführung; die  Vollendung der Komposition von Pod jabloní wurde dann die Erfüllung  eines Vermächtnisses. Aber schon ein halbes Jahr, bevor dieses Stück am  Prager Nationaltheater seine Premiere hatte (28. Dezember 1902), schrieb  Suk eine instrumentale Elegie auf den Tod des Dichterfreundes, die bei  einer Gedenkfeier zu Ehren Zeyers im Sommerschloß der Königin Anna am  31. Mai 1902 uraufgeführt wurde (Wiederholung am 1. Juni 1902). Dem Stil  der Zeit entsprechend, hatte man für diese Feierstunde ein Bühnenbild  geschaffen, das den Rahmen für die Präsentation „lebender Bilder“ abgab.  Suks Komposition für Violine- und Violoncello-Solo mit Begleitung von  Streichquartett, Harmonium und Harfe „untermalte“ ein solches tableau  vivant, in dem man Sagengestalten aus Zeyers Verszyklus Vyšehrad  arrangiert hatte. Dieser 1880 erstmals erschienene und dem Lyriker Josef  Václav Sládek (1845-1912) zugeeignete „Kreis epischer Gedichte“  evoziert in den fünf Bildern „Libuša“, „Der Grüne Sieger“, „Vlasta“,  „Ctirad“ und „Lumír“ den tschechischen Nationalmythos. Die skizzenhafte  Knappheit, die Suk für die musikalische Widerspiegelung dieses  großformatigen Werkes – es umfaßt insgesamt 15 Gesänge – gewählt hat,  ist auffällig: Es handelt sich um ein gerade 74 Takte langes  dreiteiliges  Stück mit einem geradezu aphoristischen Mittelteil, der in  Reprise und Coda hinein nachbebt. Man darf annehmen, daß diese für den  Zeitstil nicht eben typische Kürze mit der ganz spezifischen Situation  des „lebenden Bildes“ und ihren dramaturgischen Grenzen zu tun hat. Die  Qualität der Komposition erhebt sich jedenfalls weit über das Niveau des  für solche musikalischen „Untermalungen“ Üblichen – und das ist wohl  auch der Grund, der Suk dazu bewog, eine „praktikablere“, instrumental  reduzierte Version des Stückes herzustellen, in der die Solostimmen des  Originals getreu beibehalten wurden, während das Klavier die Rollen  aller Begleitinstrumente übernimmt. Die erst 1991 gedruckte Urfassung  ist übrigens nur in zwei unvollständigen Abschriften erhalten; nur von  den Solostimmen liegt das Autograph vor. Ob und von wem die Triofassung,  wie der Suk-Biograph Jiøi Berkovec eruiert zu haben glaubte,  tatsächlich schon am 1. Juni 1902 uraufgeführt wurde, bleibt ungeklärt –  das umfassende Suk-Werkverzeichnis von Zdenĕk Nouza, dessen Erscheinen  für 2005 angekündigt ist, bestätigt diese Angabe jedenfalls nicht.
© by Claus-Christian Schuster