Wolfgang Amadeus Mozart
* 27. Jänner 1756
† 05. Dezember 1791
Trio E-Dur KV 542
| Komponiert: | Wien (Währinger Straße 26, Gartenhaus), beendet am 22. Juni 1788 | 
| Widmung: | Michael Puchberg (1741-1822) | 
| Uraufführung: | privat wohl Ende Juni 1788 bei Michael Puchberg  (I., Hoher Markt) erste dokumentierte (nicht gesicherte) öffentliche Aufführung: Dresden, Hotel de Pologne, 13. April 1789 W. A. Mozart, Klavier ? Violine Anton Kraft (1749-1820), Violoncello  | 
| Erstausgabe: | Artaria, Wien, 1788 | 
Der kompositorisch reichste Sommer in Mozarts Leben schenkte uns  neben der Triade der letzten Symphonien auch die beiden Klaviertrios,  die heute auf unserem Programm stehen. Über den schattenreichen  biographischen Hintergrund dieser Monate haben wir schon in Zusammenhang  mit Mozarts letztem Klaviertrio (G-Dur, KV 564) gesprochen, das als  letzte Nachsommerfrucht diese unfaßbar reiche Schaffensperiode  beschließt. Geldnöte, Krankheit, ungünstige politische und soziale  Konstellationen bilden einen dissonanzenreichen Kontrapunkt zum  Schaffensglück dieses Sommers und hängen wie dräuende Gewitterwolken  über einem Erntetag. 
 
 Wie schon im vorangehenden Exkurs erörtert, ist das Trio KV 542 Mozarts  einziges Werk in der Haupttonart E-Dur. Diese Tonart gehört in der  ungleichschwebenden Stimmung zu den besonders „expressiven“,  „gespannten“, was die Sparsamkeit ihrer Verwendung durch die Klassiker  erklärt. Immerhin fällt auf, daß in Haydns Werk E-Dur zwar auch zu den  selteneren Tonarten zählt, doch als Grundtonart mit einer ganzen Reihe  gewichtiger Werke vertreten ist (je drei Streichquartette, Streichtrios  und Klaviersonaten, je zwei Symphonien und Klaviertrios). Der  Opernfreund wird sich aber unschwer an einige sehr bezeichnende und  beziehungsreiche E-Dur-Momente auch in Mozarts Oeuvre erinnern: der  gravitätisch-ehrfurchtsvollen (bzw. ehrfurchtgebietenden) Geste von  Leporellos „O statua gentilissima“ und Sarastros „In diesen heil’gen  Hallen“ steht die Naturpoesie zweier auch textlich verwandter Stellen in  „Cosí fan tutte“ („Soave sia il vento“) und „Idomeneo“ („Zeffiretti  lusinghieri“) gegenüber. 
 
 Dieses letzte Stück (KV 366/Nr.19 – Grazioso) führt uns recht nahe an  die Stimmungswelt des Kopfsatzes (Allegro) unseres Trios. Hier wie dort  wird die Atmosphäre von einem schwebenden Dreivierteltakt mit  ausdrucksvollen chromatischen Wendungen getragen. Der weitgespannte  Bogen des Hauptthemas, das in der Reprise noch eine sehr bemerkenswerte  harmonische Bereicherung erfährt; das fast zerbrechliche Seitenthema, an  dessen Ende das Cello eine verblüffende Rückung auslöst, die ihrerseits  wiederum zu einem kontrapunktischen Geniestreich führt; und endlich die  „empfindsam“ dahinsterbende Schlußgruppe, in der die alle Elemente  verbindende chromatische Keimzelle offen zutage tritt – all das läßt den  Satz in einem außergewöhnlichen, nicht alltäglichen Licht erscheinen. 
 
 Bei aller Skepsis gegenüber der müßigen Reminiszenzenjagd ist nicht zu  leugnen, daß das folgende Andante grazioso (A-Dur) eine  Zwillingsschwester des As-Dur-Andante aus der benachbarten Symphonie  (Es-Dur, KV 543) ist: rhythmischer Duktus, melodische Gestik , bis hin  zu einzelnen Wendungen – alles ist aus dem gleichen Holz geschnitzt. Und  doch befinden wir uns hier in einer völlig anderen Welt, die freilich  mit dem Gegensatz A-Dur/As-Dur nur ganz oberflächlich angedeutet werden  kann. Vor Mozarts wirklich unerschöpflichem Erfindungsreichtum in der  Harmonisierung des schlichten Rondothemas kann man nur sprachlos  staunen. Die Rondoform ist übrigens wieder sehr frei behandelt: Die  erste Episode ist nur ein reich ausgezierter Zwischensatz, das Minore  variiert das Thema fast in der Art einer Durchführung, und die  dazwischenliegenden Ritornelle sind miniaturhaft verkürzt, wodurch noch  Raum für eine Coda gewonnen wird, in der Mozart sich selbst an  harmonischem Einfallsreichtum noch einmal übertrifft. 
 
 Auch für den Finalsatz (Allegro), der erst im zweiten Anlauf seine uns  bekannte Gestalt erhielt ( – im Autograph steht zwischen Andante und  Finale ein 65 Takte langes Fragment des ursprünglichen Schlußsatzes im  Sechsachteltakt – ), bedient sich Mozart der Rondoform, und wieder  finden wir bestätigt, was wir bezüglich der formalen Verhältnisse  zwischen dem 2. und 3. Satz des Trios B-Dur KV 502 schon feststellen  konnten. Die Aufeinanderfolge zweier Sätze, denen das gleiche formale  Grundschema zugrunde liegt, bedingt die Verwendung möglichst weit  auseinanderliegender Varianten dieses Schemas. Folgerichtig finden wir  in diesem herrlichen Schlußrondo die erste Episode betont konzertant  ausgeprägt und das Minore mit besonders großer Selbständigkeit  behandelt. Dem Formumriß ABACA-Coda des Andante ist hier die Gestalt  ABACBA-Coda gegenübergestellt, worin sich noch über all diese  Gewichtsverschiebungen hinaus die formale Eigenständigkeit der beiden  Sätze manifestiert. In die Rückführung zum 2. Ritornell hat Mozart  übrigens einen ganz köstlich „schrägen“ Querstand eingebaut (ich glaube  fast, im Autograph das spitzbübische Vergnügen an diesem Streich  graphisch ausgedrückt zu sehen!) – leider haben fast alle Ausgaben diese  „Ungebührlichkeit“ des Meisters schamhaft wegretouchiert. 
 
 Aus dem Postscriptum des Briefes, mit dem Mozart seinem Logenbruder und  Mäzen Michael Puchberg Mitte Juni 1788 seine Übersiedlung anzeigt: „Wann  werden wir denn wieder bey ihnen eine kleine Musique machen?– Ich habe  ein Neues Trio geschrieben!“ klingt schon die Vorfreude auf das  Vergnügen, das Mozart sich und seinen Freunden mit diesem Werk zu  bereiten gedenkt. Daß er dabei in besonderer Weise an Michael Puchberg  gedacht hat, geht aus mehreren Briefstellen hervor, in denen das Werk  als für Puchberg geschrieben bezeichnet wird. Wenige Wochen später  bittet er seine Schwester, Michael Haydn zu sich nach St. Gilgen  einzuladen und ihm seine – Mozarts – „Neuen sachen“ vorzuspielen:  „…das Trio [KV 542], und quartett [KV 493] wird ihm nicht misfallen.“  Auf der Reise, die Mozart im darauffolgenden Frühling mit Fürst Carl  Lichnowsky nach Prag, Dresden und Berlin führte, kam es in Dresden am  13. April 1789, am Vorabend von Mozarts Auftreten am Hof des Kurfürsten  Friedrich August III. Von Sachsen, zur ersten datierbaren Aufführung des  Werkes. Mozart wußte ganz offensichtlich, daß ihm mit diesem Werk ein  auch in seinem Oeuvre nicht alltäglicher Wurf gelungen war. Nicht nur  die meisten Mozartbiographen sehen in diesem Werk die Krönung von  Mozarts Klaviertrioschaffen. Chopin schätzte das E-Dur-Trio ganz  besonders und führte es etliche Male öffentlich auf. 
© by Claus-Christian Schuster