Antonín Dvořák
* 08. September 1841
† 01. Mai 1904
Quintett für zwei Violinen, Viola und Cello und Piano [Nr.2] A-Dur op.81 [B 155]
| Komponiert: | Vysoká u Pribrami, 18. August – 3. Oktober 1887 | 
| Widmung: | Bohdan Neureuther | 
| Uraufführung: | Praha, Umelecká beseda, 6.1.1888 Karel Kovařovic (1862-1920), Klavier Karel Ondříček (1863-1943), Violine Jan Pelikán (Lebensdaten unbekannt), Violine Petr Mareš (Lebensdaten unbekannt), Viola Alois Neruda (1837-1899), Violoncello | 
| Erstausgabe: | Simrock, Berlin, 1888 | 
Mitte der 1880er Jahre hatte Dvořáks Schaffen einen schon fast  beängstigenden Umfang angenommen. Die Kompositionsaufträge und  Konzerteinladungen nahmen kein Ende, und Dvořák, dem nichts so sehr am  Herzen lag wie ein geruhsames Familienleben und Schaffensmuße, sah sich  zunehmend  von Termin zu Termin gehetzt. So absolvierte er zwischen März  1884 und November 1886 nicht weniger als fünf ausgedehnte  England-Tourneen, die alle mit anstrengenden Dirigaten und  großangelegten Kompositionsaufträgen verbunden waren. Natürlich genoß er  die Triumphe, die er dabei feiern konnte — aber allmählich nahm doch  die Erschöpfung überhand. 
 Schon vom Honorar seiner ersten Englandreise hatte er 1884 seinem  Schwager, dem Grafen Kaunitz, ein kleines Landgut in der Nähe der  südlich von Prag gelegenen alten Silberbergwerkstadt Pribram abgekauft  und mit dessen tätiger Hilfe instandgesetzt. Auf diese Weise war in  Vysoká aus einem alten Schafstall ein ansehnliches Landhaus inmitten  eines ausgedehnten Gartens geworden, wo Dvořák in der schönen Jahreszeit  jeden freien Tag mit seiner Familie verbrachte. Zwischen zwei  Englandreisen berichtet er seinem Verleger Fritz Simrock:
 
 „Ich bin schon seit 6 Wochen hier in Vysoká und weil das Wetter so  günstig und die Gegend so herrlich ist, so lebe ich hier besser wie  Bismarck in Varzin und bin dabei gar nicht faul. Den ganzen Tag  verbringe ich meistens in meinem Garten, den ich so schön pflege und  liebe wie die göttliche Kunst und dann bummle ich im Wald…„
 (11. Juni 1886)
 
 Dieses Tusculum, welches das Landkind Dvořák bald auch mit einer Kuh,  einer Ziege, Hasen und Tauben bevölkerte, war von nun an der eigentliche  Mittelpunkt seines Lebens, und es gab kaum eine Verpflichtung, die er  nicht gerne abgesagt hätte, um hier einige ruhige Tage lang die Vögel  singen zu hören.
 
 Nach der Rückkehr aus England im November 1886 hatte Dvořák sich wieder  einmal mit seiner alten Schmerzensoper „Král a uhlír“ beschäftigen  müssen. Für die Wiederaufnahme dieser Oper entschloß er sich, die zweite  Komposition dieses Librettos noch einmal gründlich zu überarbeiten —  wobei sein Freund Václav Juda Novotný auch gleich den Text verbesserte.  Diese letzte Fassung der Oper (B 151) hatte am 15. Juni 1887 im Prager  Nationaltheater ihre Premiere. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie  Dvořák schon seit mehreren Wochen ihr Sommerquartier in Vysoká bezogen.
 
 Die Rückkehr zu einem Werk, das Dvořák schon 1871 das erste Mal  beschäftigt hatte, löst eine ganze Kettenreaktion aus: Über einen  längeren Zeitraum hinweg widmet sich der Meister jetzt der Überarbeitung  alter Werke. Fritz Simrock, dem er im April 1887 die schon zehn Jahre  zuvor entstandenen Symphonischen Variationen (B 70, op. 78) anbietet,  deutet er bei dieser Gelegenheit an:
 
 „Ich habe noch so manches in meinem alten Koffer was schlummert und will das Licht sehen!„
 (15. April 1887)
 
 Schon einige Wochen zuvor hat er sich bei seinem damals in Hamburg  wohnenden Freund Ludevít Procházka angelegentlich nach einem Manuskript  erkundigt, das er in dessen Besitz weiß:
 
 „Lieber Freund!
 Erinnern Sie sich noch eines Klavierquintetts (A dur), das vor 14 Jahren  dank Ihnen in Prag uraufgeführt wurde? Ich kann meine Partitur  nirgendwo finden, aber ich weiß, daß Sie sich jenes Quintett damals  sicherlich abschreiben ließen. Wenn das so sein sollte, würde ich Sie  bitten, es mir liebenswürdigerweise zu borgen, damit ich es abschreiben  kann.
 Ich schaue jetzt manchmal gerne auf meine alten Sünden zurück und wäre froh, es nach so langer Zeit wiederzusehen.„
 (20. März 1887)
 
 Procházka hatte tatsächlich von dem Werk (Quintett A-Dur, op. 5, B 28),  das Dvořák noch kurz zuvor in einer Liste seiner „verbrannten und  zerrissenen Kompositionen„ verzeichnet, anläßlich der Uraufführung am  22. November 1872 eine Abschrift anfertigen lassen, die er jetzt dem  Komponisten zur Verfügung stellen kann. 
 In den nächsten Monaten versucht Dvořák, das Werk für eine eventuelle  Herausgabe zu überarbeiten. Das Hauptproblem scheint dabei zunächst nur  die Überlänge und Formlosigkeit des Werkes zu sein. Dvořák kürzt gleich  den ersten Satz um nicht weniger als 150 Takte; dann macht er sich  daran, die formale Disposition des zweiten Satzes grundlegend zu ändern  und auch diesen Satz wesentlich zu straffen. Als er aber mit seiner  Revisionsarbeit beim Finale des dreisätzigen Werkes angelangt ist, wird  ihm klar, daß er nicht gleichzeitig dem Jugendwerk Gerechtigkeit  widerfahren lassen und ein ihn selbst wirklich befriedigendes Werk  daraus machen kann.
 
 Den Entschluß, die Überarbeitung des alten zugunsten der Komposition  eines neuen Quintetts aufzugeben, muß Dvořák ganz plötzlich gefaßt  haben: Noch am 16. August 1887 schreibt er seinem Freund Alois Göbl aus  Vysoká:
 
 „Ich mache jetzt gar nichts Neues, sondern verbessere nur einige alte Sachen, die ich Simrock schicken will.„
 
 Zwei Tage später beginnt er aber mit der Niederschrift des ersten Satzes  eines ganz neuen Klavierquintetts, dem er die Opusnummer 77 zugedacht  hat. (Fritz Simrock, der niedrige Opuszahlen fürchtete wie der Teufel  das Weihwasser, hat diese Nummer dann dem G-Dur-Streichquintett [B 49]  zugeteilt, das zu den Werken aus Dvořáks altem Koffer gehörte, schon  1875 entstanden war und eigentlich die Opusnummer 18 tragen hätte  sollen.) Am 28. August ist dieser Satz schon vollendet, und eine Woche  später kündigt der Komponist seinem Verleger das neue Werk an, dessen  Niederschrift er, wie er im Autograph vermerkt, am „3.10. 1887 in  Vysoká, am Kirchweihtag“ fertigstellt.
 
 Die der Komposition unmittelbar vorangehende Auseinandersetzung mit  einem Werk seiner „verrückten Periode“ hat unübersehbare Spuren in der  Neuschöpfung hinterlassen: die formale Ökonomie, die Treffsicherheit der  Formulierung, die Fähigkeit, mehrere Motivstränge zu einem organischen  Ganzen zu verflechten, ohne jemals ins Uferlose zu geraten — all das  sind Tugenden und Fähigkeiten, die Dvořák in den eineinhalb Jahrzehnten  seit der Komposition seines ersten Klavierquintetts erworben hat und die  er jetzt exemplarisch vorführt, so als würde er sein eigenes Selbst von  1871 liebevoll tadeln und mitleidig belehren. Die Wahl der selben  Tonart für das neue Werk unterstreicht, daß es Dvořák um eine Art  „Wiedergeburt“ des unverbesserlichen Jugendwerkes zu tun war — und daß  er dabei keinerlei konkrete Anleihen bei diesem machen mußte, beweist  nur, wie sicher er war, erst jetzt mit gesteigertem Können und Wissen  das innerste Wesen  seines Jugendtraumes (Gerard Manley Hopkins hätte  gesagt: „the inscape“) endlich ans Licht zu bringen.
 
 Allegro ma non tanto ist die Tempobezeichnung des ersten Satzes, und  schon der Beginn läßt uns ahnen, daß das nicht einfach nur eine  praktische Spielanweisung, sondern in gewisser Weise schon Programm ist.  (Das Allegro ma non troppo des Jugendwerkes hatte mit nicht annähernd  so tauglichen Mitteln wohl ein ähnliches Ziel verfolgt.) Die Tradition  des Genres — das zu Dvořáks Zeit eigentlich nur in den Klavierquintetten  Schumanns (1842) und Brahms´ (1862/64) allgemein anerkannte Bezugswerke  besaß — sah für den Kopfsatz ein markantes, „tektonisches“ Incipit vor.  Die liedhaft, verträumte Stimmung des Anfangs steht in denkbar größtem  Widerspruch zu dieser Erwartung. Der Nachsatz des Hauptthemas weicht  unvermittelt in die Mollvariante aus und wird sogleich, so als sei sich  das Thema verspätet der auf ihm ruhenden Verantwortung bewußt geworden,  zweimal in dramatisch geraffter  Gestalt wiederholt — Dvořák verwendet  für diese „Monumentalvariante“ des Hauptthemas in Moll ein  stenographisches Konzentrat des Liedthemas, das hier auf seine beiden  Grundelemente (aufsteigende Quart und diatonischer Oktavfall) reduziert  erscheint. Die zweite Wiederholung führt nach C-Dur, in welcher Tonart  dann das aus einem unscheinbaren rhythmischen Détail des ersten  Gedankens entwickelte zweite Hauptthema des Satzes auftritt. Dieser  Entwicklungsschritt wird gleich noch einmal rekapituliert, diesmal aber  mit H-Dur als Zieltonart, wodurch ein erstes Mal die für die Reprise  bedeutsame Versetzung um einen Halbtonschritt ins Spiel gebracht ist.  Die anschließenden Überleitungstakte, die auf die Dominante zuzusteuern  scheinen, machen die Täuschung perfekt: Das hier erwartete Seitenthema  bleibt aber aus, und an seiner Stelle meldet sich das Klavier mit einer  achttaktigen Paraphrase des ersten Hauptthemas, in der alle  schwärmerische Sehnsucht dieses Gedankens zusammengedrängt erscheint und  die somit die vorangegangene Moll-„Verformung“ des Themas wieder  aufhebt. Von hier öffnet sich der Weg zu einer getreuen Wiederholung des  ganzen Hauptsatzes, wobei der Mollwendung aber jetzt kein dramatischer,  sondern ein explizit spielerischer Charakter zugedacht ist — nicht  weniger als vier ostinate rhythmische Muster überlagern sich in dieser  Passage, die schließlich mit einer jähen Wendung nach cis-moll zum  Seitensatz führt. Dem Seitenthema liegt einer jener ebenso wundervollen  wie unspektakulären Einfälle zugrunde, aus denen gleichzeitig die  Genialität und Bescheidenheit des Meisters spricht; und es ist  vielleicht kein Zufall, daß der Bratscher Dvořák an dieser Stelle zuerst  sein Instrument zu Wort kommen läßt. Dem innig bewegten Parlando ist  anfangs der für das Tschechische so charakteristische daktylische  Rhythmus unterlegt, der schließlich in die Trochäen des Hauptsatzes  verebbt. Erst im zweiten Schritt werden die Fünftakter, die das Gefühl  des Unausgesprochenen, Nicht-zu-Ende-Gesagten vermitteln, zu  zielstrebigeren Viertaktern verdichtet, ja diese Verdichtung führt sogar  zu einer Art Durchführung des Seitenthemas, in die sich von Ferne  wieder die Mollfassung des Hauptthemas vernehmen läßt, bevor die  Rückkehr des Seitenthemas in seiner ursprünglichen Gestalt, jetzt aber  in dramatischer Erregung, die Exposition beschließt.
 Die vorgeschriebene (und für Dvořák eher atypische) Wiederholung dieser  außerordentlich gedankenreichen und entwickelten Exposition wirft für  die nachfolgenden Formteile ein nicht zu unterschätzendes Problem auf:  Einerseits läßt die dialektische Stringenz des in der Exposition  etablierten (und durch die Wiederholung bekräftigten) Ablaufes  Änderungen nur schwer zu, andererseits wäre eine nochmalige, nur  tonartlich veränderte Wiederholung in der Reprise vom dramaturgischen  Standpunkt aus recht problematisch. (Dieses immanente Dilemma der  Sonatenform ist auch der Hauptgrund für den gegen Ende des XIX.  Jahrhunderts immer mehr zur Norm werdenden Verzicht auf die Wiederholung  der Exposition.) Dvořák umgeht diese Schwierigkeit mit gewohnter  Souveränität: Er verwebt die Durchführung und den ersten Teil der  Reprise so miteinander, daß die neuhinzukommenden  Durchführungsabschnitte als erhellende und vertiefende Kommentare des  schon aus der Exposition vertrauten Ablaufes wirken. Zusätzlichen Reiz  erhält diese Umformung durch die gewählten Transpositionsintervalle. Der  erste Gedanke erscheint von A-Dur nach b-moll verfremdet, das zweite  Hauptthema tritt in Ces-Dur (statt C-Dur) auf. Der modulatorische  Reichtum der durchführenden Teile und die raffinierte Überblendung von  neuen und schon bekannten Abschnitten führen dazu, daß die Einmündung in  den „normalen“ Reprisenverlauf psychologisch wie der eigentliche  Reprisenbeginn wirkt — und somit die an dieser Stelle fällige  Wiederholung des Hauptthemas doppelt motiviert erscheint. In der Coda  wird dann die Mollvariante des Hauptthemas mit emphatischer Geste nach  Dur zurückverwandelt und von den jetzt jubelnden Rhythmen des  Seitenthemas zu einem sieghaften Ende begleitet.
 
 Wie in seinem neun Jahre zuvor komponierten und in der selben Tonart  stehenden Streichsextett (op. 48, B 80) wählt Dvořák für die Mittelsätze  die slavischen Genrebezeichnungen Dumka und Furiant. Während der  letztere ein klar definierter Tanztypus ist (den der Komponist freilich  für seine Zwecke in charakteristischer Weise abwandelt und veredelt),  läßt sich der Begriff Dumka, an dessen Verbreitung Dvořák wesentlichen  Anteil hat, nicht ohne weiteres mit einem konkreten typologischen Modell  in Verbindung bringen. Die manchmal zu findende Definition der Dumka  als eines Stückes mit zwei in Tempo und Charakter kontrastierenden,  alternierenden Abschnitten, würde es erlauben, einen nicht unerheblichen  Teil der gesamten Musikliteratur nachträglich zur Dumka zu erklären. 
 Die hier vorliegende Dumka (Andante con moto, fis-moll) zeigt  jedenfalls, daß bei Dvořák der Begriff nicht an eine bestimmte Form  gebunden ist — die hier gewählte ist (wie übrigens auch im analogen Satz  des Streichsextetts) die eines klassischen Rondos. Das rhapsodisch  erzählende und wieder einmal der geliebten Bratsche anvertraute  Ritornell wird jeweils von einem viertaktigen Motto umrahmt, dessen  fallendes Dreiklangmotiv für den elegischen Grundton des Satzes  verantwortlich zu sein scheint, bis es sich uns in der Zentralepisode  (Vivace) als Keimzelle eines übermütigen Springtanzes zu erkennen gibt.  Diese tänzerische Gestalt des Ausgangsmotivs durchpulst dann als  hintergründige Begleitfigur auch noch das nachfolgende Ritornell. In den  dazwischenliegenden Seitenepisoden (Un pochettino più mosso) macht  Dvořák eine seiner beseligendsten thematischen Eingebungen zum  Ausgangspunkt einer in immer elegischere Bereiche zurückführenden  modulatorischen Wanderschaft. Auch in dieser Episode verwendet er, wie  schon im Ritornell, eine das Thema bereichernde komplementäre  Gegenstimme, wie man sie ähnlich auch als „Überschlag“ in der Volksmusik  finden kann. Der ganze Satz zeichnet sich nicht nur durch besonders  einprägsame und inspirierte Themen, sondern auch durch einen nicht  alltäglichen Reichtum an koloristischen Effekten und originellen,  einander überlagernden rhythmischen Mustern aus. Es ist daher leicht zu  verstehen, daß er als ein Paradigma aller Vorzüge der Dvořákschen Kunst  ganz besondere Popularität genießt.
 
 Wenn sich auch die Folkloristen über die Heimat des Furiant nicht  restlos einigen können — in der Kunstmusik gehört dieser Tanz, dank  Smetana und Dvořák, ohne jede Frage den Tschechen. Mit dem  spätlateinischen Lehnwort Furiant bezeichnet die tschechische  Volkssprache auch einen unberechenbaren, leichtsinnigen Menschen. Im  Volkstanz ahmt der Tänzer mit in die Seiten gestemmten Armen  pantomimisch einen aufgeblasenen Bauern nach — und dort ist auch die  charakteristische Abfolge von drei Zweiviertel- und zwei  Dreivierteltakten verbreitet, die Dvořák in das G-moll-Schlußstück der  ersten Serie seiner Slavischen Tänze (op.46, B 78) übernommen hat. Für  das intimere Reich der Kammermusik hat er sowohl im Streichsextett als  auch in unserem Klavierquintett eine stilisiertere und metrisch glattere  Abart des Tanzes bevorzugt. 
 Unser Furiant (Molto vivace) folgt formal dem klassischen Scherzo. Sein  Hauptthema ähnelt im Grundtypus sehr demjenigen seines in der selben  Tonart stehenden Pendants aus dem Streichsextett — betonte  Zweitaktigkeit, Wechsel von durchlaufender Achtel- und markierter  Viertelbewegung; während aber dort jeder Zweitakter in einen betonten  Schlußtrochäus ausläuft, ist es hier nur jeder vierter, was dem Thema  einen viel eleganteren (und weniger volkstümlichen) Zug verleiht. Damit  diese Eleganz nicht in etwa sinnlose Raserei ausartet, hat Dvořák nicht  nur ein etwas gemäßigteres Tempo vorgeschrieben (Molto vivace anstelle  von Presto), sondern außerdem in den beflügelten Aufschwung des Themas  im zweiten und dritten Takt kleine melodisch-rhythmische Widerhäkchen  eingefügt, die für die einzigartige Physiognomie dieses Stückes ganz  entscheidend sind. Das Verbindungsthema des Cellos scheint — gutes,  altes Kakanien! — Furiant und Walzer versöhnen zu wollen, aber das  Seitenthema hat schon wieder eindeutig den Ductus eines tschechischen  Kinderliedes. Das in der Submediante F-Dur stehende Trio (Poco  tranquillo) gibt dem beibehaltenen Hauptthema eine neue Bedeutung, indem  es ihm einen Cantus firmus in Viertaktgruppen unterlegt, der das  inhärente Betonungsschema des Hauptteiles entkräftet. In der Rückführung  zur stark verkürzten Reprise bringt Dvořák für einen flüchtigen Moment  auch die volkstümlichen Furiant-Hämiolen ins Spiel. Nur schmückendes  Beiwerk und doch der tiefere Reichtum dieses leichtgewichtigen Satzes  sind die ständig wechselnden und andauernd faszinierenden  Begleitfiguren, die Dvořák mit staunenswerter Sorgfalt ausgearbeitet  hat.
 
 Das Finale (Allegro) erfüllt mit seiner tänzerischen Vitalität alle  Erwartungen, die der Musikfreund in einen Dvořákschen Kehraus nur setzen  mag. Trotzdem zeigt sich gerade an einem solchen „problemlosen“ Satz,  mit welch raffinierter Ökonomie Dvořáks vielbeschworener Instinkt den  Komponisten ans Werk gehen läßt. Das bezieht sich nicht nur auf die  Geschlossenheit des thematischen Materials — hier kann man leicht einen  lapidaren diatonischen Quintfall als ursprüngliche Keimzelle fast aller  verwendeten Themen ausmachen — oder den (an Brahms erinnernden)  unerschöpflichen Erfindungsreichtum bei der organischen Verknüpfung der  einzelnen Formteile. Denn vielleicht noch bewundernswerter als all diese  Détails ist die Sicherheit, mit der Dvořák der Hauptgefahr eines  Tanzfinales — der Monotonie — ausweicht. Anders als im vorangegangenen  Scherzo, dessen weit engerer formaler Rahmen die Verwendung typischer  (d. h. in der Regel: kleinräumiger) Tanzthemen begünstigt, erweist sich  dieser Thementyp bei Ecksätzen in Sonaten- oder Rondoform nämlich oft  als wahre Falle.
 Dvořák gelingt hier beides: Er läßt dem Tanz sein ureigenstes Recht —  sich  unbeschwert auszutanzen —,  und er erfüllt trotzdem gleichzeitig  die höheren und abstrakteren Ansprüche der gewählten Sonatenform. Der  Kniff, den er dazu verwendet, zeugt eben nicht nur von seinem „Instinkt“  (ein Begriff, der dem landläufigen Verständnis Dvořáks Genialität  ebenso leicht faßlich machen will wie die seines in verharmlosender  Anbiederung „Papa Haydn“ genannten Vorgängers), sondern weit mehr noch  von zielstrebig zur Reife gebrachter Gestaltungskraft und selbstbewußter  Beherrschung der Materie, also genau jenen Voraussetzungen, die Dvořák  in seinem verworfenen Jugendwerk vermißte.
 Schon der Satzanfang gibt uns ein schönes Beispiel dafür, wie der  Komponist seine handwerkliche Meisterschaft in den Dienst übergeordneter  dramaturgischer Notwendigkeiten zu stellen weiß: Das viertönige  Schlußmotiv des Hauptthemas erscheint als Einleitung in gleichsam  miniaturisierter (intervallisch verengter) Gestalt, die sich  schrittweise bis fast zur „richtigen“ Größe dehnt; die dadurch erzielte  organische Einheit von Einleitung und Hauptthema gibt allen  erforderlichen Wiederholungen dieses Formteiles eine Großzügigkeit, die  mit dem relativ kurzatmigen „Einfall“ des Tanzthemas allein nicht zu  erreichen gewesen wäre. Das so zusammengesetzte Hauptthema wird gleich  zweimal exponiert — zunächst in einer „ungeschliffenen“, naturbelassenen  Variante (als Periode aus zweimal viereinhalb Takten, deren Nachsatz  die für die tschechische Folklore so charakteristische Wendung in die  Mollparallele aufweist), dann gleich in stilisiert „klassischem“ Gewand  (als regelmäßiger, auf der Tonika verharrender Achttakter). Unmittelbar  auf diese doppelte Exposition des Hauptthemas folgt nun ein  Durchführungsteil, in dem sich beide Hauptmotive des Themas — die  signalhafte Punktierung des Themenkopfes und die sich ausgelassen  drehende Sechzehntelbewegung — nach Herzenslust austanzen können. Mit  der fast epischen Breite dieses komplexen Hauptsatzes bewirkt Dvořák  zweierlei: Zum einen wird dem tänzerischen Impuls des Hauptthemas jener  natürliche Spielraum gewährt, den er braucht; zum anderen verschafft  sich der Komponist so aber auch Platz für einen ausgedehnten Seitensatz,  der freilich ganz anderen Gesetzen gehorcht. Als Gegengewicht zur  unermüdlichen Beharrlichkeit des einen Hauptthemas kann Dvořák uns hier  jetzt gleich nicht weniger als vier Themen präsentieren: Auf einen  volksliedartigen Gedanken, der aus dem Kopfmotiv des Hauptthemas  hervorgeht (und mit diesem auch die Wendung in die Mollparallele  gemeinsam hat), folgt ein (harmonisch den umgekehrten Weg  beschreitendes) zweites Thema, das fast wie eine ins Tschechische  übersetzte Fassung des C-Dur-Marschthemas aus dem Andante des  Brahmsschen Klavierquartetts op. 25 anmutet. Die folgenden beiden  Gedanken sind  miteinander verschwistert: Die sehnsüchtigen  Synkopierungen des dritten Themas lösen sich im vierten gleich wieder in  volksliedhafte Formeln auf.
 Von den mit einer solchen Exposition geschaffenen Voraussetzungen  ausgehend hätte eine „schulmäßige“ Fortsetzung des Sonatensatzes  unweigerlich gigantische Ausmaße angenommen: Eine dialektische  Durchführung von Haupt- und Seitensatz hätte sich wohl kaum auf engem  Raum befriedigend gestalten lassen, und in der Reprise hätten die sich  anbietenden Kürzungsmöglichkeiten (etwa das Weglassen der  Hauptthemenwiederholung) zu einem schwer zu korrigierenden Mißverhältnis  der Proportionen von Haupt- und Seitensatz geführt. Beide ausständigen  Formteile — Durchführung und Reprise — sind aber alles andere als  traditionelle Zugeständnisse an formale Konventionen, sie entsprechen  vielmehr elementaren Bedürfnissen: dem intellektuellen der Entwicklung  und dem emotionalen der Wiederholung. Dvořák stand also vor einem ganz  ähnlichen Problem, wie wir es im Kopfsatz beschrieben haben — und er  wählte einen durchaus vergleichbaren Ausweg. (An dieser Stelle sei, nur  als Marginalie, angemerkt, daß die beiden einander in den inneren  Proportionen und den gewählten formalen Strategien so ähnlichen Ecksätze  auch — die beiden „leeren“ Einleitungstakte des Kopfsatzes nicht  mitgerechnet — exakt die gleiche Taktanzahl aufweisen.) Auch hier kommt  es zu einer Verschmelzung von Durchführung und Reprise: Dvořák läßt auf  die Exposition des Seitensatzes direkt die Reprise des Hauptthemas  folgen; die Stelle der durchführungsartigen Erweiterung der  Hauptthemenexposition nimmt aber nun eine regelrechte, durch Rückung in  die Mollvariante charakteristisch markierte Durchführung ein. Einem  modulierenden Durchführungsmodell, das die Verknüpfung von Einleitung  und Hauptthemenkopf betont, folgen ein Abschnitt, in dem dieser  Themenkopf mit seiner Vergrößerung kombiniert wird, und schließlich —  als Zentrum der Durchführung — ein Fugato über das in Moll verharrende  und chromatisch verfremdete Hauptthema. Obwohl Dvořák jetzt direkt zur  Reprise des Seitenthemas schreiten könnte, erfüllt er en passant auch  noch die Erwartung des Zuhörers nach einer Reprise an der „richtigen“  Stelle: Es ist zwar aus Gründen der Ökonomie nur ein Reprisenfragment,  das unter Bezugnahme auf die gewählte Formvariante (— es handelt sich ja  eigentlich um den Abschluß der die Durchführung miteinbeziehenden  Hauptthemenreprise —) gleichzeitig auch Codacharakter hat, wird aber  agogisch durch ein vorangehendes sostenuto unterstrichen. (Die Parallele  zu der analogen, largamente bezeichneten Stelle des ersten Satzes ist  evident.) Ein Zitat der Mollvariante des Themas, die ja zuvor den  Durchführungsprozeß in Gang gesetzt hat, schließt den großen Bogen und  führt jetzt endlich zur Seitensatzreprise, die sich — ganz wie im  Kopfsatz — treu an den in der Exposition vorgezeichneten Weg hält. Die  mehrfach mit poco sostenuto und tranquillo bezeichnete Coda umkreist  zuletzt wie träumerisch den Anfang des Hauptthemas, das aber nicht  wieder erscheint. Daß Dvořák dem sostenuto für den übermütig sich  austobenden Satzschluß kein ausdrückliches a tempo folgen läßt, ist  sicher keine Nachlässigkeit, sondern nur Beweis seines — hoffentlich  nicht ganz unbegründeten — Vertrauens in den musikalischen Instinkt  seiner Interpreten.
© by Claus-Christian Schuster